EDGUY: Interview mit Jens Ludwig

01.01.1970 | 01:00

EDGUY, denen einst nachgesagt wurde, sie seien die „Backstreet Boys“ des Metal, liessen vor kurzem ihren „Theater Of Salvation“-Nachfolger auf die Masse los: „Mandrake“. Nicht nur, dass die Burschen selbstsicherer geworden sind, nein, auch dem letzten Knurrhahn konnten EDGUY nun den Schnabel stopfen. Ich hatte die Möglichkeit, Gitarrero Jens Ludwig vor dem Auftritt im Prattelner Z7 einige blöde Fragen zu stellen. Im Nachhinein eine echte Qual, das aufgezeichnete Interview auf Papier zu bannen; die musikalischen Ergüsse von Nostradameus (die während des Interviews auf der Bühne standen) sind auf dem Tape fast besser zu hören als die Antworten von Jens...

Françoise:
Nach der Veröffentlichung von „Theater Of Salvation“ waren die Erwartungen an euch sehr hoch. Erst recht, als Tobi mit AVANTASIA daherkam und alles niedermähte. Wart ihr sehr unter Druck, als ihr an „Mandrake“ gearbeitet habt?

Jens:
Nö, eigentlich gar nicht. Klar hat man immer ein bisschen im Hinterkopf, was die Leute wohl später sagen würden, aber wir haben versucht, uns möglichst wenig Gedanken darüber zu machen. Wenn man das macht, was die anderen Leuten mögen, beisst man sich ziemlich schnell fest. Deswegen versuchen wir in erster Linie das zu machen, was uns am besten gefällt. Falls es dann noch Leute gibt, die das auch toll finden, ist das natürlich umso geiler. Aber nur so kann man auch wirklich hinter seiner Musik stehen und hat Spass dabei. Nun, wir sind einfach in den Proberaum gegangen und haben uns gesagt „So, lasst uns mal zehn Lieder machen, und dann kucken wir, was draus wird!“. Wir hatten überhaupt kein Konzept.

Françoise:
Nun, was draus geworden ist, kann sich definitiv hören lassen! „Mandrake“ stellt meiner Meinung nach sämtliche Vorgänger-Alben in den Schatten. Wer oder was ist denn eigentlich „Mandrake“?

Jens:
Mandrake ist eine Alraune. Das ist eine Pflanze, ein Nachtschattengewächs aus dem Mittelalter. Sie wurde oft von Alchemisten benutzt. Angeblich ist diese Pflanze unter Galgen gewachsen und wurde von Urin und Sperma von sterbenden Leuten getränkt... also das ist schon etwas komischer... Aber wir singen jetzt nicht über Blumen, das muss ich gleich vorweg nehmen! Ursprünglich sollte die Platte „Magic“ heissen, aber es gibt schon so viele Scheiben, die diesen Namen tragen. Tobi fand schliesslich die Verbindung von „Magic“ zu „Mandrake“, dieser mystischen, übersinnlichen Pflanze. Das fanden wir alle ganz gut, und ausserdem klingt „Mandrake“ viel schöner als „Magic“.

Françoise:
Um nochmals kurz auf Tobi`s AVANTASIA zurückzukommen; was denkst du, inwiefern hatte dieser Rundling Einfluss auf EDGUY? Rein erfolgstechnisch gesehen?

Jens:
Ganz gewaltig, denke ich. Früher hatten wir immer das Problem, dass die Leute uns einfach nicht ernst genommen haben. Wahrscheinlich weil wir so jung sind und nicht unbedingt wie die typischen True Metaller daherkommen. Wir wurden immer nur als Schülercombo abgestempelt. Durch AVANTASIA haben plötzlich alle gesehen, dass dieser Spassvogel (Tobias Sammet, Anm. d. V.), der da immer auf der Bühne rumkaspert, mit ganz vielen namhaften Musikern zusammenarbeitet, und dass erst noch etwas Gutes dabei rauskommt. Es gibt auch sehr viele Leute, die erst durch AVANTASIA überhaupt auf EDGUY aufmerksam gworden sind. Die Scheibe hat uns auf jeden Fall ganz viel Beachtung eingebracht.

Françoise:
Ihr seid jetzt mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem ihr euch mühelos mit anderen bedeutenden Bands in eine Reihe stellen könnt – zumindest in Deutschland. Wie sieht es international aus? Wie seht ihr selbst eure Position?

Jens:
Das ist schwer zu sagen. Auf der aktuellen Tour sind wir bisher nur in Deutschland aufgetreten. Wie die Fans im Ausland reagieren, werden wir in den nächsten vier Wochen herausfinden. Wir waren in den Schwedischen Charts auf Platz 18, in Frankreich waren wir drei Wochen in den Top 100 – das ist das, was ich von unserem Label weiss, und die scheinen sehr zufrieden zu sein.

Françoise:
Bei all dem Lob, das jetzt auf euch einprasselt; ihr habt auch schon `ne Menge Kritik einstecken müssen.

Jens:
Da fällt mir ein Konzertbericht von Wacken ein, ich glaube, den habe ich auf einem Online-Magazin gelesen. Da hiess es in etwa: „...und da haben EDGUY gespielt, total geil, aber, was ist das denn? Was hat der Bassist für ein hässliches oranges T-Shirt an, das ist ja furchtbar! Dann kam der und der Song – der Hammer! Aber der Gitarrist, was der rumgepost hat...“ Dasselbe mit Tobi`s Kuhhose, die ja angeblich so „unmetallisch“ aussieht. Oder da gab`s auch die Geschichten mit dem Helloween-Abklatsch, Teil 973. Solche Sprüche kamen oft, aber das stört uns nicht wirklich. Klar, Helloween war ein grosser Einfluss, aber ich denke, dass wir schon eigenständige Musik hervorbringen, gerade wenn man sich „Mandrake“ anhört.

Françoise:
Ihr hattet eigentlich schon sehr früh, oder respektiv, in jungem Alter Erfolg – „Mandrake“ ist auch bereits eure fünfte Scheibe.

Jens:
Wir haben auch mit 14 Jahren angefangen... die Band existiert immerhin schon seit zehn Jahren. Wir sind den ganz normalen Weg gegangen. Wir haben zwei Demos aufgenommen, die damals wirklich keinen interessiert haben. Ich muss dazu sagen, dass wir sehr jung waren, wir haben unsere Instrumente noch nicht richtig beherrscht und hatten keine Ahnung, wie sowas im Studio abläuft. Mittlerweile haben wir einiges an Erfahrung dazugewonnen, und sind immer noch sehr neugierig. Wir können immer noch sehr viel dazu lernen. Bei jeder Studioproduktion, bei jeder Tour.

Françoise:
Apropos Tour: Dies ist eure erste Headliner Tournee – wie steht`s mit der Kondition?

Jens:
Ja, gut, es ist ja nicht unsere erste Tour, und wir sind auch eine sehr harte Schule durchlaufen. Auf unserer ersten Tour sind wir fünf Wochen mit dem Wohnmobil durch Europa getuckert. Deswegen läuft das auch sehr gut. Wir haben auch sehr viele Off-Days auf dieser Tour, was gerade für den Tobi wichtig ist. Die Show in Strassburg mussten wir wegen Krankheit canceln; die wird aber am 11. Dezember nachgeholt! Also ich habe generell gar keine Konditionsprobleme. Zudem macht uns die Tour ja auch sehr viel Spass!

Françoise:
Ich habe vorhin in der Halle gesehen, dass ihr einen riesigen Bühnenaufbau habt. Da ist neben diesem Harlekin, der auch das „Mandrake“-Cover ziert, auch ein grosses Kreuz zu sehen, und an Pyros habt ihr, glaube ich, auch nicht gespart...

Jens:
Wir wollten uns halt echt viel Mühe geben. Man muss ich mal ein kleines Kind im Spielzeugladen vorstellen... Schon als wir noch als Vorgruppe gespielt haben, hatten wir unzählige Ideen, was wir auf der Bühne alles machen könnten. Nur war dann der Platz halt nie da. Jetzt, wo wir die Chance dazu haben, alle diese Ideen zu verwirklichen, versuchen wir natürlich, soviel wie möglich auf die Beine zu stellen. Ich hoffe, die Fans werden ihren Spass daran haben.

Françoise:
Den Spass werden die Fans wohl auch an Tobi`s Scherzen haben...

Jens:
Ich hoffe es doch! Ich muss dazu sagen, dass keine Witze geplant sind. Wenn was kommt, dann kommt was. In Kaufbeuren vor zwei Tagen, das war der absolute Gipfel! Wir sind gerade für die Zugaben auf die Bühne gegangen, als irgendeiner im Publikum „Heidi!“ brüllte. Und da meinte Tobi „Ja, gut, dann singt doch mal!“, hat den Leuten das Mikro hingehalten – und die haben tatsächlich die ganze Strophe von Heidi durchgesungen! Also, entweder es passiert was, oder dann eben nicht. Aber meistens wird`s schon lustig!

Françoise:
Habt ihr eine feste Setliste mit im Gepäck oder schreibt ihr diese an jedem Gig neu?

Jens:
Es gibt Songs, die sind fest im Set, weil die ganzen Showeffekte darauf abgestimmt sind. Aber wir haben immer Luft, wo wir die Möglichkeit haben, Songs auszutauschen, was wir auch immer machen. Heute werden wir einen Song mehr spielen als sonst (es handelte sich um den Track „Babylon“, Anm. d. V.). Die Songs von „Mandrake“, die besonders live zur Geltung kommen, werden wir natürlich schon spielen, wie zum Beispiel „Tears Of A Mandrake“.

Françoise:
Habt ihr eigentlich spezielle Erwartungen an diese Tour?

Jens:
Also, erstens mal, dass wir nicht so viel drauflegen... Nein, also unsere Erwartungen sind eigentlich Standard. Wir hoffen natürlich, dass immer viele Leute da sind, und dass die Sänger durchhalten. Das ist das Wichtigste. Krankheiten sind auf einer Tour immer so `ne Sache. Wenn einer im Bus einen Virus hat, dann – zack, zack, zack – hat das gleich jeder. Bis jetzt haben die Zuschauerzahlen unsere Erwartungen übertroffen. Am Eröffnungsgig in Fulda hatten wir ein paar tausend Leute, dann war Offenbach voll, Ludwigsburg war voll – wir können uns echt nicht beschweren. Wenn das so weitergeht, dann ist alles wunderbar.

Françoise:
Es war vor dieser Tour mal die Rede davon, dass eventuell der eine oder andere Musiker, der auf AVANTASIA mitgewirkt hat, eine Gastperformance bietet. Ist da schon etwas zustande gekommen?

Jens:
Nein, da ist noch nichts zustande gekommen. In Osnabrück hat der Freddy von Nostradameus zwei Lieder mit uns gesungen, weil der Tobi schon total platt war... Wir werden sehen. Planen kann man sowas eh nicht. Wenn, dann ergibt sich spontan etwas. Vielleicht kommt Kai (Hansen, Gamma Ray, Anm. d. V.) in Hamburg auf die Bühne. Aber das kann man im Voraus nicht sagen. Wer weiss...

Françoise:
Sag mal, bleibt dir eigentlich noch Zeit, dich auf der Fanbasis in der Metalszene zu bewegen? Kriegst du noch mit, was da abgeht?

Jens:
Ja, natürlich! Ich lese regelmässig Zeitschriften, besuche Konzerte... Ich find halt einfach die Musik gut, ich steh da unheimlich drauf! Ich hab mir gestern Abend hier auch Saxon angeguckt, das war sehr geil. Ich denke schon, dass ich da noch ganz gut informiert bin. Wir sind ja auch nicht so drauf, dass wir sagen „Wir sind EDGUY, und was um uns herum passiert, interessiert uns nicht!“. Natürlich interessiert uns, was Gamma Ray gerade machen und wie die neue CD von Helloween klingt. Wir sind ganz klar selbst noch Fans, logisch. Anders könnten wir das gar nicht durchziehen. Die Fans merken schlussendlich auch, ob wir Bock auf diesen Sound haben oder nicht.

Françoise:
Da magst du recht haben! Zum Schluss möchte ich noch gerne wissen, was du vom Internet hältst.

Jens:
Finde ich grundsätzlich eine ganz, ganz tolle Sache! Man kriegt von überall schnell und einfach Informatonen her. Einzig der Musikhandel ist natürlich nicht so prickelnd. Das ist schon ein wenig blöd. Aber da kann man wohl nicht gross was ändern...

Redakteur:
Francoise Stähelin

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