EISBRECHER: Interview mit Alexx Wesselsky

17.08.2023 | 22:30

Musik braucht keine Packungsbeilage – von meinem Interview mit EISBRECHER-Frontmann Alexx blieb mir dieser Satz am meisten in Erinnerung. Im Zuge der mehr als üppigen "Es bleibt kalt°! (2003-2023)"-Werkschau sprechen wir mit Herrn Wesselsky über Edelmetall, die generelle Compilation-Notwendigkeit und die musikalische Entwicklung seiner Band. Here we go:

Alexx, alles fing 2003 mit der Gründung und 2004 mit dem selbstbetitelten Debüt an. Acht Platten später seid ihr mit "Liebe macht Monster" auf Platz 1 der deutschen Albumcharts gelandet. Wie wirklich sind diese Erfolge auch nach den Goldauszeichnungen für "Die Hölle muss warten" und "Schock" für dich?
Diese Erfolge waren für uns sehr "wirklich" und sehr wichtig. Die erste Nummer 1 schafften wir mit "Sturmfahrt" gerade noch in einer Zeit, in der eine Chart-Poleposition noch ein Statement wie "Achtung, hier ist eine Band, die es mit allen aufnehmen kann" darstellt. Das motiviert die Damen und Herren in der Record-Company und alle an Bord des Stahldampfers. Die Medien reagierten, es gab einen Effekt bei Festival-Bookings und bei Ticket-Verkäufen usw. Man ist also in die Champions League aufgestiegen. Jetzt heißt es: drinbleiben, hehe! Eine schöne neue Challenge. In unseren modernen Zeiten sagen die Charts nur noch eines aus: ob man noch da ist und wie groß die Relevanz ist. Ein Marktanalyse-Werkzeug. Goldene Platten aber bleiben! Für "Sturmfahrt" hätt' ich sie noch gerne, wir sind auf dem Weg dorthin. Gold ist auch in Krisenzeiten eine stabile Währung, hehe. In Zukunft werden 100.000 verkaufte Tonträger für fast alle – außer Gabalier und Helene – ein unerreichbares Ziel sein.

20 Jahre EISBRECHER und es gehört schon zur Tradition, dass es zum Jubiläum eine schmucke Best-Of-Compilation gibt. Wie gestaltete sich die Songauswahl?
Frag die Plattenfirma. Wir haben lediglich dafür gesorgt, dass Schlimmeres verhindert wurde und dass diese Werkschau sowohl für Sammler als auch für Neueinsteiger ok ist.

Ihr habt mit 'Wir sind Gold' und 'Anfang' auch absolute Raritäten mit auf "Es bleibt kalt!" gepackt. Gibt es noch weitere Schätze in der Truhe, die ihr euch für spätere Best-Of-Veröffentlichungen aufheben möchtet oder kann man sagen, dass die vorliegenden zwei Rundlinge die absolute, komplette EISBRECHER-Vollbedienung darstellen?
Die absolute Vollbedienung bekommt nur jener, welcher alle Scheiben und Singles hat. Dann hat er alle Covers, Artworks, Fotos und Songs. Mit unseren Werkschauen haben wir zwar viel abgedeckt, aber es ist und bleibt nur ein Ausschnitt aus einem größeren Ganzen. Ich, als Jäger und Sammler, besorge mir "Best Of"-Scheiben gerne, da ich als DJ dann mehr Platz im CD-Koffer habe. Ich komplettiere allerdings meine Sammlungen so gut es geht. Das Gesamtwerk macht den Künstler - ich lese ja auch Bücher komplett, wenn es manchmal auch hart ist, hehe.

Was war denn zuerst da – das Huhn oder das Ei? Der Song 'Wir sind Gold' oder die Goldauszeichnungen für die beiden "Sturmfahrt"-Vorgängeralben?
Zuerst war die Auszeichnung, dann der Song. Man sollte sich nicht feiern, bevor das Edelmetall im Tresor liegt. Ansonsten lautet meine Meinung zur Federvieh-Evolution: erst war das Eis, dann das Ei.

Deutschsprachige Rockmusik mit Elektro-Elementen – besser kann man die Musik EISBRECHERs nicht beschreiben, obwohl sie doch so vielfältig ist. Hand aufs Herz, wie sehr hängt dir die Begrifflichkeit "Neue Deutsche Härte" zum Halse raus?
Beschreibungen braucht man, wenn man sich neue Autos oder komplizierte moderne Elektro-Apparaturen zulegt. Musik braucht lediglich Ohren, Herz, Hirn und Bein. Seele auch. Mir hängt von Tag eins die Notwendigkeit, die eigene Musik zu kategorisieren und zu erklären, zum Halse heraus. Musik braucht keine Packungsbeilage und keine Ärzte und Apotheker, die man bei Anwendungsfehlern verhauen kann.

Eure Musik bewegt, regt zum Nachdenken an und geht durch Mark und Bein – aus deiner Sicht, wie weit hat sich EISBRECHER musikalisch in zwei Dekaden gewandelt – von "Eisbrecher" über "Eiszeit" und meinem persönlichen Diskografie-Highlight "Schock" über das noch aktuelle "Liebe macht Monster"?
Wir haben uns entwickelt, das steht mal fest. Mark, Bein und Hirn werden immer noch beansprucht. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann ist unsere Zeit um, dann wird abgewrackt, aber noch stehen wir im Saft. Und die Welt hat Themen über Themen für uns parat. Es bleibt kalt°! "Schock" ist auch meine "Scheibe aller Scheiben", wobei ich nicht mal erklären kann - und will –, warum. "Eisbrecher" war das "Ei" und "Eiszeit" das Sprungbrett aus dem Indie-Becken in den großen Haifisch-Teich. Wir sind wohl Hai genug um nicht gefressen zu werden. Vom Ei zum Hai!

Als du dich 2003 von MEGAHERZ loseisen und EISBRECHER gründen konntest, hast du damals schon erahnen können, welche großen Wellen dieser EISBRECHER doch schlagen würde?
Nein. Damals konnte ich nur wissen, dass ich gerade zehn Jahre Bandgeschichte aufgegeben habe, vier Alben, mit zuletzt bis zu 900 Leuten in der Halle und einer Show auf dem Wacken Open Air. 2002 waren zu viele Fehler gemacht worden und die Enttäuschungen zu groß. Manchmal muss man loslassen, um nochmal etwas anzufangen. Das Leben wird kürzer, die Zündschnur brennt ab. Mit Eisbrecher habe ich dann eben noch mal von vorn angefangen, gemeinsam mit meinem ex-MEGAHERZ-Bruder Pix.

Und in diesem Zuge: Wenn du zurückreisen und deinem 35-jährigen Ich von einst ein, zwei gute Ratschläge für die Karriere EISBRECHERs geben könntest, welche wären das?
Erstens: Erst Denken, dann Handeln. Zweitens: keine Verträge! Zudem haben wir bei EISBRECHER sehr viele Fehler aus MEGAHERZ-Tagen vermieden. Viel muss ich dem jüngeren Ich nicht ans Bein labern. Der 35-jährige war schon ganz gut, hehe!

Ich habe euch 2016 auf dem Rockfels gesehen und war ziemlich beeindruckt ob eurer Live-Show und der Atmosphäre, die aufkam. Was glaubst du, hat sich seitdem live bei EISBRECHER verändert? Also wie haben sich die Qualitäten auf der Bühne über die Jahre gewandelt?
Es hat sich nichts verändert, es kamen Dinge wie Licht, Bühne und große Crew dazu. Es wird also permanent etwas addiert. Das Schiff wird größer und heller und schneller. Der Kurs war und ist und bleibt gleich. Ich denke, Qualität ist der Motor. Wenn da nichts ist, dann wird auch nichts. Wir haben etwas zu sagen und das machen wir mit Anspruch. Und wir haben hohe Ansprüche an uns, aber auch an unsere Fans und Freunde. Fordern und Fördern, hehe; gemeinsam besser werden und vorwärts gehen. Und ohne Scham zurückblicken.

Ihr kommt quasi gerade von eurer "Liebe macht Monstour", die es schon 2020 geben sollte. Wie sehr hat dich die Zwangspause als Musiker beeinflusst und wie war es für dich persönlich – als Bühnenmonster im positiven Sinne – wieder auf selbiger zu stehen?
Wir spielen nicht vor Strandkörben, Autos, Briefkästen, Aquarien und Gewächshäusern und all den anderen Konstruktionen, in welche Menschen gedrückt und zwangsbeglückt wurden. Rock funktioniert nur auf eine Art: auf die Art, die es vor dem Wahnsinn gab. Mensch an Mensch, dicht an dicht, Aura und Energie. Die pure Magie! Wir spielten in der Scheißzeit also gar nicht. Dann fast gar nicht, dann wenig. Corona hat mir gezeigt, dass die Kombination aus Durchtriebenheit und Dummheit,  durch das Addieren von Angst, zu einer sehr gefährlichen Bombe wird. Man hat es stets geahnt und Vieles wurde leider wahr. Musikalisch war in dieser Zeit gar nichts. Es war eine kunst- und kulturlose Zeit und das hat man sehr wohl gemerkt und es wirkt bis heute nach. Social Distancing und Musik passen nicht zusammen. Wir sind Brückenbauer, keine Distanzierer und Grabenbuddler. Ich stehe wieder auf der Bühne. Hurra, wir leben noch. Jetzt gilt es, das "neue Normal" abzuschütteln.

Du sprichst wahre Worte. Nochmal kurz zur aktuellen Veröffentlichung: Ihr hängt mit "Es bleibt kalt!" die Messlatte für künftige Geburtstage sehr hoch. Wenn du einmal vorsichtig in die Glaskugel schaust: Womit kann man den EISBRECHER-Fan denn zum 25. und 30. Bandgeburtstag glücklich machen?
Mit einem Buch und einer großen Samstagabend-Show: Die EISBRECHER-Gala mit Freunden und großartigen Gästen wie JOACHIM WITT, DORO PESCH, IN EXTREMO, LORD OF THE LOST, UNZUCHT, OOMPH!, DIE KRUPPS, FRONT 242, VNV NATION, ASP und vielen mehr – ab 20:45 Uhr im ZDF!

Das klingt spaßig. So wie ich dich einschätze, bestehen sicherlich schon Pläne für den "Liebe macht Monster"-Nachfolger. Kannst du schon etwas Konkretes über die kommenden Monate im Hause EISBRECHER sagen?
Nein, nur so viel: Wir sind im Auftrag des Herrn und im Geheimdienst ihrer Majestät unterwegs. Mehr sog i ned!

Auf die nächsten 20 Jahre EISBRECHER, ich hebe mein Glas! Was möchtest du euren Fans und unseren Lesern noch mit auf den Weg geben?
Man muss nicht alles mitmachen, nur weil alle mitmachen!

Fotocredits Bandfoto: ANOTHER DIMENSION PR AGENTUR & Holger Fichtner

 

Redakteur:
Marcel Rapp

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