ELUVEITIE: Interview mit Chrigel

11.04.2009 | 18:49

Jägermeister statt Wasser, Amerika statt Strom und Entjungferung statt Metalgitarren - ein aufschlussreiches Gespräch mit Chrigel Glanzmann von ELUVEITIE.

Es ist schon ein mutiger Schritt, dem Genre - wenn auch nur für kurze Zeit - mehr oder weniger den Rücken zu kehren, das einen "groß" gemacht hat. ELUVEITIE aus der Schweiz haben es gewagt. Mit ihrem neuesten Album "Evocation I - The Arcane Dominion" haben sie ein reines Akustik-/Folk-Album in der Hand. Anders als beim Vorgänger "Slania" wird dabei gänzlich auf Metal-Gitarren verzichtet. Ein mehr als guter Grund den sympathischen Frontmann der Schweizer kurz vor ihrem Gig in München mit KREATOR ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.

Julian:
Servus Chrigel, herzlichen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview nimmst.

Chrigel:
Ja, ebenfalls.

Julian:
Ihr seid ja gerade mit EMERGENCY GATE, CALIBAN und KREATOR auf Tour. Wie läufts, was habt ihr so erlebt?

Chrigel:
Grundsätzlich läuft sie soweit ganz gut. Wir hatten allerdings Schwierigkeiten mit dem Tourbus, ich glaube wir haben mittlerweile den dritten...

Julian:
...das heißt aber auch, er ist immer schön sauber, oder?

Chrigel:
Ja, genau, das ist der Vorteil (grinst). Grundsätzlich ist es für alle Beteiligten eine sehr spannende Tour, gerade weil das Line-Up stilmäßig so gemischt ist. Teilweise ist es auch herausfordernd – immerhin ist das eine KREATOR-Tour, von daher kommen die meisten auch für KREATOR. Und da ist es für CALIBAN oder uns gar nicht so einfach, die Leute zu packen – aber wie gesagt, das ist auch das Spannende daran. Und wir fahren eigentlich sehr gerne solche herausfordernden Touren. Natürlich ist es einfacher vor einem Pagan-Metal-Publikum zu spielen, wo dich sowieso jeder kennt. Interessanter wird es, old-school-Thrash-Metal-Fans von deiner Musik zu überzeugen. Und da das klappt, ist soweit alles gut.

Julian:
Gerade bei einer Tour von vier so unterschiedlichen Bands – bei denen eigentlich drei auch eine Headliner-Tour fahren könnten – bin ich schon überrascht, dass das so gut klappt. Aber habt ihr bei euren Gigs auf der Tour wirklich nur die beinharten Thrasher vor euch im Publikum?

Chrigel:
Nein, nein. Es kommen jeden Abend unzählige Leute nur wegen uns. Aber grundsätzlich ist es die KREATOR-Tour, die haben die lange Spielzeit – was auch richtig so ist – und 90 % der Leute kommen wegen KREATOR.

Julian:
Wird dann nach so einem Konzertabend erstmal eure neue Akustikscheibe "Evocation I - The Arcane Dominion" in den Player gelegt um runterzukommen?

Chrigel:
(lacht) Nein, nein, die neue Scheibe hören wir nicht an.

Julian:
Was? Warum? Ist das noch zu nah?

Chrigel:
(grinst) Hm ... was auch immer.

Julian:
Ok, verstehe. Letztes Jahr seid ihr nach der Festival-Saison ja noch nach Amerika gegangen. Wie war das für euch?

Chrigel:
Das war ja eigentlich die zweite US-Tour für uns und war genauso spannend wie die aktuelle Tour, da auch dort ein sehr gemischtes Line-Up war. Vier Bands, die eigentlich überhaupt nicht zusammen passen: KEEP OF KALESSIN, ARSIS und KATAKLYSM. Aber in Amerika geht das viel eher als hier in Europa, da ist es schlicht üblicher. War aber total spannend und wirklich super. Faszinierend war vor allem, dass es je nach Staat sehr unterschiedlich war: Es gab Abende, da kannte uns keine Sau. Und dann gab es Abende wie in Baltimore zum Beispiel, wo dreiviertel der Konzertbesucher mit ELUVEITIE-Shirts kamen. Das war schon spannend – und gut. Ja, gut, denn die Konzertbesucher lernten neue Sachen kennen und die Bands konnten sich neue Fans erspielen. Eigentlich so wie auf dieser Tour. Allerdings funktioniert das Prinzip in Amerika deutlich besser als hier in Europa.

Julian:
Wie kann man sich das eigentlich vorstellen: In Westeuropa kennt ja so gut wie jeder Metalhead die Wurzeln des Pagan Metals, sei es BATHORY oder Konsorten. Mit diesen Bands wächst man auf und ihr setzt die Tradition mit neuen Stilistiken fort. In Amerika gibt es diese Tradition doch eigentlich gar nicht, oder?

Chrigel:
Ja, absolut.

Julian:
Ist für die dann eher der Metalcore oder Death Metal der Einstieg in das musikalische Universum von ELUVEITIE?

Chrigel:
Ja, genau. Ich denke, das ist genau der Punkt: Der ganze Folk und Pagan Metal beginnt in Amerika gerade erst zu boomen. In ein, zwei Jahren wird das richtig groß sein dort drüben. Interessanterweise verkaufen wir in Amerika auch viel mehr CDs als in Europa. Und ja, es ist im Prinzip genau das, was du angesprochen hast: In Amerika gibt es diese alte Kultur nicht so wie in Europa und die Leute sind total fasziniert davon.

Julian:
Die fahren also eher auf das Neue im Sound ab.

Chrigel:
Ja, ganz genau. Metalcore oder Prügel-Death-Metal ist dort drüben total groß, wohingegen der Pagan Metal wie gesagt erst gerade zu Boomen beginnt.

Julian:
ELUVEITIE ist echt die einzige Band, mit der ich innerhalb eines Jahres zwei Interviews gemacht habe – ihr seid ja unheimlich aktiv: Ihr tourt, seid im Studio, spielt Festivals, geht nach Amerika, tourt wieder, geht nochmal ins Studio und so weiter. Kann man bei diesem Lebenswandel überhaupt einmal richtig Atem schöpfen und runterkommen oder ist das einfach nur ein riesen Trip?

Chrigel:
Nun, da ist ja erstmal die Frage: Runterkommen von was? Ich meine, wir machen das ja gerne. Und es letztlich, blöd gesagt, ein Job. Aber einer, der unheimlich Spaß macht.

Julian:
Letztes Jahr hast du gesagt, dass das eure Leidenschaft ist. Ist es denn immer noch Leidenschaft?

Chrigel:
(wie aus der Pistole geschossen) Absolut, ja! Denn sonst würden wir das auch nicht machen. Auf jeden Fall. Wir haben das für uns behalten.

Julian:
Ist es wichtig, dass man das immer wieder für sich feststellt und aufpasst, dass der Arbeitsfaktor nicht überwiegt?

Chrigel:
Ja, ich denke schon. Aber ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass uns da mal die Lust vergeht. Wir sind alle totale Musikjunkies und wollen so viel spielen wie es nur irgendwie geht. Das macht einfach unheimlich viel Spaß. (Augenzwinkernd) Und im Studio könnte ich auch die ganze Zeit sein.

Julian:
Lass uns ein bisschen über das neue Album sprechen: "Evocation I - The Arcane Dominion" - was ist das Konzept hinter dem Album?

Chrigel:
Oh, Konzept... Hm, wir haben uns einfach zwei Grundlinien überlegt für das Album. Die eine ist musikalischer Natur, indem wir gesagt haben: Es soll rein akustisch sein. Allerdings nicht konkret was für Musik darauf soll, da haben wir uns jeden Freiraum gelassen. Und so haben wir das dann auch gemacht. Die andere war inhaltlicher Natur, konzeptionell. Wir haben gesagt, dass wir mit dem Album alte gallische Mythologie praktisch vertonen oder in Musik verpacken wollen. Jeder Track – auch die instrumentalen Songs – drehen sich in irgendeiner Form um Themen aus der gallischen Mythologie. Auch die Songs mit Texten – es ist übrigens halb-halb – sollten so authentisch wie irgendwie möglich gestalten. Das war auch der Grund warum wir das ganze Album in gallischer Sprache gemacht haben. Bis jetzt hatten wir ja immer einen bis höchstens zwei Tracks in dieser Sprache. Nun haben wir mal ein ganzes Album so gemacht. Und das sind, bis auf zwei Ausnahmen, auch originale Texte. Texte, die so um die 2000 Jahre alt sind und die man bei archäologischen Ausgrabungen gefunden hat, in Stein geritzt und sowas, die uns dann eben als Liedtexte gedient haben. Inhaltlich dreht sich alles wie gesagt um mythologische Sachen, magische Verse und Verfluchungstexte und so etwas.

Julian:
Magische Texte ... geht es dabei nur um den Ansatz, dass man etwas Altes um der Faszination Willen vertonen will oder siehst du da auch einen echten Bezug für dich, heutzutage? So dass diese Mythologie auch für dich selbst wieder auflebt?

Chrigel:
Ja, sagen wir so: Für mich persönlich bedeutet das schon etwas. Aber das wollen wir auch bewusst trennen von der Band. Was wir als Band machen, ist eine Beschäftigung mit der gallischen und keltischen Kultur und Geschichte. Wir vertonen die und that's it. Wenn sich da jemand intensiver mit beschäftigen will oder für sich etwas Spezielles herausnehmen will, ist das auch schön. Aber es ist nicht so, dass wir da etwas weitergeben wollen.

Julian:
Steckt da auch ein bisschen die Angst dahinter, in eine gewisse Ecke gesteckt zu werden?

Chrigel:
Nein, eigentlich nicht. Aber für uns ist es einfach folgendermaßen: Die Band gibt es wegen der Musik. Es geht um Musik und fertig. Ich meine, wenn du zu einem Metalkonzert gehst, dann gehst du dahin, weil du bangen willst und Party haben willst und nicht, weil du da etwas Intellektuelles herausholen willst. Wenn du das suchst, gehst du zu einem Vortrag oder in eine Kirche oder weiß der Geier was.

Julian:
Also reines Entertainment.

Chrigel:
Genau. (Zögert) Oder besser: Kunst. Ich persönlich denke, dass Musik nicht als Medium für irgendwelche Botschaften dienen soll. Gut, ausklammern kann man das sowieso nie, denn jeder Mensch, der Texte schreibt, bringt zwangsläufig etwas mit rein. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Logisch. Und das ist ja auch absolut legitim. Aber ich persönlich mag es einfach nicht, wenn Musik lediglich Mittel zum Zwecke irgendwelcher Botschaften ist. Und das ist eigentlich der Grund, warum wir das in der Band so handhaben.

Julian:
Wofür steht dieser grimmige Mann auf dem Artwork von "Evocation..."?

Chrigel:
Das ist eine Figur aus der keltischen Mythologie, die Kenonos heißt.

Julian:
Ah ja, und wer ist das?

Chrigel:
Ja, wie gesagt, es ist eine symbolische Figur aus der keltischen Mythologie, die das Leben in der Natur, im Wald verkörpert. Er schläft im Winter und erwacht im Frühling, wo er dann das Leben wiederbringt.

Julian:
Ein schönes Symbol. Was mich interessieren würde: Wie viele Instrumente habt ihr eigentlich für das Album verwendet? Das müssen ja unheimlich viele gewesen sein.

Chrigel:
Es waren eine ganze Menge, ja. Stimmt, man müsste das echt mal zählen. Bestimmt 15 oder mehr.

Julian:
Wie kann man sich das vorstellen, damit zu arbeiten? Ich denke es ist relativ einfach, mit der E-Gitarre ins Studio zu gehen oder Gesangslinien aufzunehmen. Diese akustischen Instrumente müssen da eine ganz andere Herausforderung gewesen sein, oder?

Chrigel:
Nein, ich fand es eigentlich einfacher. Wir machten das ja auch nicht zum ersten Mal. Wenn du Metal-Gitarren aufnimmst musst du schon einen riesen Aufwand betreiben und einen guten Soundmenschen haben, dass du einen fetten Sound hinkriegst. Da steht ja eine ganze Wissenschaft dahinter. Insofern ist es dankbarer einen Dudelsack aufzunehmen, der einfach von vornherein gut klingt. So empfinde ich das jedenfalls. Diesmal sind wir allerdings auch in andere Studios als bei "Slania" gegangen, Studios, die sich auf die Aufnahmen akustischer Sachen spezialisiert haben. Ungefähr die Hälfte der Instrumente habe ich sogar zu Hause aufgenommen, in meinem Heimstudio. Das war zum Teil für "Slania" übrigens auch schon so. Gerade die Flöten und Dudelsäcke habe ich zu Hause aufgenommen.

Julian:
Um in Ruhe arbeiten zu können?

Chrigel:
Genau, das schätzt man doch schon sehr (lächelt). Was auf jeden Fall anders war bei dieser Produktion, verglichen mit den bisherigen Scheiben, ist, dass wir den größten Teil des Engineerings und der Produktion selber gemacht haben. Das war zwar sehr herausfordernd, aber auch sehr spannend und lehrreich.

Julian:
Inwiefern lehrreich?

Chrigel:
Wenn du normal in ein Studio gehst, spielst du deine Sachen ein und bekommst das Ergebnis fertig abgemischt. Vielleicht bringst du noch ein bisschen deine Meinung ein und kannst ein paar Feinheiten verändern, aber das Ergebnis ist dann doch ziemlich "vorprogrammiert". Da ist es etwas völlig anderes, wenn du auf dich gestellt bist und dich mit den ganzen Tücken, die Klang einfach haben kann, auseinander setzen musst. Das Aus- und Herumprobieren war die Herausforderung. Wir hatten das in dem Sinn eben noch nie alleine gemacht.

Julian:
Bedeutet das, dass "Evocation..." den Sound besitzt, wie ELUVEITIE 2009 klingen? Ungefiltert und mit maximaler Authentizität? Kann man das so sagen?

Chrigel:
Auf Projektstatus schon. Das nächste Album wird wieder ein ganz normales Metalalbum sein. Die Idee, ein reines Akustikalbum zu machen, hatten wir ja schon seit einer Ewigkeit und es war etwas, was wir einfach mal ausprobieren wollten. Mit "Evocation..." haben wir uns diesen Traum nun erfüllt.

Julian:
Ihr habt aber noch einen zweiten Teil in Planung, oder?

Chrigel:
Ja, ganz genau. Aber da lassen wir uns noch etwas Zeit. Nach der Tour beginne ich das Songwriting für das nächste Album und habe vor, im Dezember wieder ins Studio zu gehen. Dort werden wir dann das nächste Metalalbum aufnehmen.

Julian:
Oh, das heißt, ihr wollt tatsächlich den Jahresrhythmus einhalten?

Chrigel:
Nun, es ist nicht so, dass wir jetzt einen speziellen Rhythmus hätten, aber das ergibt sich einfach so. Ich meine, wenn es nicht das Jahr wird, dann halt nicht. Aber so ist erstmal der Plan, das wird ein ganz reguläres Metalalbum und danach werden wir mal weitergucken mit dem zweiten Teil von "Evocation...".

Julian:
Wird es einen Videoclip geben?

Chrigel:
Oh ja, den haben wir gerade gestern abgedreht. Da sind wir morgens in der Früh aufgestanden und in die Umgebung von Nürnberg gefahren – an einen schönen Ort – und haben dort das Video gedreht.

Julian:
Was ist der Inhalt?

Chrigel:
Es ist der Clip zu einem Song mit Gesang, zu 'Omnos'. Inhaltlich ist das Lied sehr düster und total metaphorisch geschrieben. Der Text ist eigentlich ein Dialog zwischen dem hübschen jungen Mädchen und dem bösen Wolf. Das Mädchen will halt mit dem Wolf im Wald Blumen pflücken gehen und der Wolf ist daran interessiert, die "Blume ihrer Jugend" zu pflücken. Die alte Thematik eben. Dadurch, dass der Text so metaphorisch geschrieben ist, kann man reininterpretieren, was man will. Aber an sich ist es eben sehr, sehr düster und dunkel. Wir wollten das irgendwie einerseits in dem Video rüberbringen, aber halt andererseits nicht zu krass. Und so sollen die Bilder den symbolischen Charakter des Textes in dem Video hervorstreichen. Primär wird es ein schöner Clip, in einer schönen Location und der Inhalt ist lediglich leicht angedeutet. Ich denke mal, dass er sehr viel Raum für Interpretationen offen lässt.

Julian:
Und ihr kommt alle in dem Clip vor?

Chrigel:
Nun, es gibt eine Schauspielerin, die da mitspielt, ein kleines Mädchen. Und ansonsten kommen die Leute vor, die gerade am Singen sind. Das heißt: Primär die Anna Murphy, ein paar Mal die Meri Tadic und in einem ganz kurzen Part ich. Das ist es dann von uns. Ansonsten sind es einfach schöne Bilder mit Symbolcharakter.

(Mittlerweile ist der Clip auf der Myspace-Seite von ELUVEITIE zu sehen.)

Julian:
Eine eigentlich etwas ausgelutschte Frage ist bei diesem Album, das ja so wenig metallisch ist, durchaus interessant: Welches Stück gibt dir im aktuellen Album am meisten?

Chrigel:
Eigentlich gefallen mir einige Stücke: 'Brictom' gefällt mir sehr gut, das mag ich so richtig. Aber grundsätzlich habe ich natürlich Freude am ganzen Album.

Julian:
Hast du das Songwriting vollständig übernommen?

Chrigel:
Größtenteils, ja. Dennoch war es bei diesem Album viel stärker als bei den Vorgängern, dass wir zusammengearbeitet haben. Ein Song ist sogar komplett von Anna und Meri geschrieben, ein Song ist größtenteils von "Päde" Kistler geschrieben, unserem neuen Dudelsackspieler, ein Song ist von Anna und Merlin Sutter - und daran siehst du ja schon, wie stark die Beteiligung der anderen ist.

Julian:
An dieser Stelle können wir ja einen kurzen Exkurs wagen: Die zwei Neuen, die mittlerweile ja gar nicht mehr so neu sind, sind anscheinend gut angekommen in der Band, oder?

Chrigel:
Absolut, ja.

Julian:
Beim Summer Breeze 2008 konnte man euch ja zum ersten Mal in der neuen Formation sehen. Damals kursierten unter euren Fans ja schon so ein bisschen Zweifel, ob die Neuen die Zwillinge ersetzen könnten – vor allem live. Mittlerweile scheinen aber alle, selbst die hartnäckigsten Zweifler, überzeugt zu sein, oder?

Chrigel:
Ja, genau. Wir sind super glücklich und freuen uns total. Es könnte nicht besser sein. Klar, gerade am Anfang war die Situation ein bisschen schwieriger – gerade für Päde, welcher vorher nur in Folkbands gespielt hatte und Metalbands und vor allem größere Konzerte noch nicht gewohnt war. Der musste sich da schon ein bisschen einleben. Das ist ganz klar. Aber das haben sie gut gemacht. Und zur Zeit ist es in der Band so, als ob es nie anders gewesen und niemand anderen gegeben hätte. Wirklich super. Die beiden passen einfach in die Band und haben sich auch musikalisch sehr gut eingefügt. Wir hatten echt Schwein mit den beiden.

Julian:
Schön zu hören. Auf dem aktuellen Album habt ihr ja relativ viele Gastmusiker...

Chrigel:
...vier oder fünf, ja.

Julian:
Das Spannende ist ja, dass diese super eingebunden sind in die Songs – und teilweise richtig schwer herauszuhören sind.

Chrigel:
Ja? Dann ist ja gut (lacht).

Julian:
Wie war denn die Arbeit mit so vielen Künstlern? Schließlich geht so eine Kooperation ja weit über die Grenzen einer eingeschworenen Band hinaus.

Chrigel:
Ja, während der Songwritingphase entstand zunehmend der Bedarf nach Instrumenten, die wir eigentlich nicht spielen. Als ich z.B. 'Gobanno' geschrieben habe, war ziemlich von Anfang an klar, dass da ein Akkordeon hin müsse. Das ging nicht anders. Und so war es bei einigen Songs. Da haben wir uns halt umgeschaut und haben einige Leute, die wir persönlich kennen oder mehr noch, mit denen wir befreundet sind, eingeladen bei dem Album mitzumachen. Insofern ging es zwar über die Grenzen der eigenen Band hinaus, aber andererseits hat niemand mitgemacht, den wir nicht schon länger kennen. Sowohl persönlich, als auch das musikalische Schaffen der Musiker. So hatten wir volles Vertrauen in das, was sie machten. Insofern, bis auf 'Gobanno', wo das Akkordeon eins zu eins die Melodie der Flöte mitspielt - das muss so sein – habe ich den Leuten nur grobe Rahmen vorgegeben, in denen sie ziemlich freie Hand hatten.

Julian:
Also war es doch einfacher, als es aussieht. Nun, lass mich folgende Frage mal so stellen: Ist dieses Album der Einstieg für Mittelaltermärkte und damit ein neues Beschäftigungsfeld?

Chrigel:
(grinst) Das wird sich weisen...

Julian:
Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Wille ein bisschen in diese Richtung geht, oder?

Chrigel:
Ja, auf jeden Fall! Aber dennoch haben wir uns mit "Evocation..." einen Traum erfüllt, den wir schon lang hatten. Klar sind wir uns bewusst, dass das in gewisser Hinsicht auch ein Wagnis ist, so ein Akustikalbum zu veröffentlichen. Wir können nicht wissen, wie es aufgenommen wird, möglicherweise stoßen wir einer Menge Leute vor den Kopf, was wir natürlich nicht hoffen – aber wer weiß es schon. Ebenso kann es passieren, dass das in der Mittelalterszene oder wo auch immer plötzlich total Anklang findet. Was auch immer passiert: Wir sind super gespannt darauf.

Julian:
Mit positivem Feedback habt ihr ja gute Erfahrungen, was?

Chrigel:
Was? Ach so... (lacht)

Julian:
Ich meine, ihr habt ja eine Wahnsinnskarriere hingelegt: Vom Geheimtipp zur Supertruppe. Nach "Vên" ging es eigentlich nur steil bergauf, oder? Wie ist es denn, von eben diesem Geheimtipp zu einer allseits bekannten Band zu werden, die sogar mit KREATOR auf Tour geht?

Chrigel:
Anstrengend. Nein, natürlich ist das schön. Aber ich will mal festhalten, dass das von Anfang an das Ziel war. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir totale Musikjunkies sind und so viel Zeit wie nur irgendwie geht in Musik investieren wollen – und vor allem keinen Bock drauf haben, in Büros zu hocken. So war schnell der Plan gefasst, eine Band zu machen, mit der wir so schnell wie möglich unsere Ziele erreichen können. Das bedeutet, so schnell wie möglich dahin zu kommen, dass wir von der Musik leben können. Das ist inzwischen der Fall. Seit Anfang des Jahres haben wir unsere Jobs an den Nagel gehängt. Das war eben das Ziel und dafür haben wir uns die letzten Jahre die Ärsche aufgerissen. Die letzten drei Jahre waren brutal anstrengend. Natürlich auch schön, das darf man nicht vergessen, schließlich sind wir unserer Leidenschaft gefolgt. Aber wir haben auch so gut wie alles aufgegeben dafür. Wir haben praktische keine privaten Kontakte, unsere Band ist unser primäres soziales Netzwerk, außerhalb gibt es so gut wie gar nichts, da schlicht die Zeit fehlt. Einzelne von der Band haben sogar schon früher ihre Jobs an den Nagel gehängt, einfach, damit sie so viel wie möglich üben können und sonst für die Band arbeiten können. Das hieß zum Beispiel auch, dass wir unseren Lebensstandard extrem herunterschrauben mussten: Wir hatten bis Ende letztes Jahres noch zwei Obdachlose in der Band, die im Proberaum ohne fließend Wasser und so gelebt haben. Die beiden konnten sich keine Wohnung leisten, haben aber gemeint, dass sie die Zeit einfach brauchen, für die Band, für die Musik, dass sie einfach so viel dafür arbeiten möchten und müssen.

Julian:
Also ist der Glaube an die Sache dermaßen ausschlaggebend?

Chrigel:
Ja, ja, das Wichtigste war immer, das Ziel im Kopf zu behalten und so ist es insofern super schön zu erleben, dass es eben funktioniert, dass wir vorwärts kommen. Aber noch einmal: Es steckt einfach unglaublich viel Arbeit dahinter.

Julian:
Was ist das für ein Gefühl, die Leinen zu kappen? Ich denke doch, dass der Job der letzte Sicherheitsanker zum "normalen" Leben war.

Chrigel:
Ja, es ist schon spannend. Wenn ich jetzt von der Tour nach Hause komme, weiß ich beispielsweise, dass ich genug Geld haben werde, um meine Wohnungsmiete und Steuern und so bezahlen zu können, aber ich weiß noch nicht, wie ich im nächsten Monat mein Essen kaufen werde. Oder Kippen – keine Ahnung, ob ich Geld für sowas haben werde, ich weiß es schlicht nicht. Und daher sind wir echt darauf angewiesen, dass mit der Band was läuft. Wir sind darauf angewiesen, dass im nächsten Monat noch ein paar Konzerte reinkommen, bei denen ein bisschen was rausspringt. Insofern ist das Ganze natürlich ein Wagnis. Aber es lohnt sich.

Julian:
Nun kommen wir so langsam an das Ende unserer (Interview-)Zeit, deshalb kurz vor Schluss eine nicht ganz ernst gemeinte Frage: Wenn Rivella euch einen Endorsementvertrag anbieten würde – würdet ihr den annehmen?

Chrigel:
(lacht) Klar! Warum nicht? Wenn die sowas anbieten würden. Wir haben ja einen Jägermeister-Endorsementvertrag und – Hand aufs Herz – die bieten uns eine Jägermeister-Zapfmaschine für den Proberaum und außerdem bekommen wir jeden Monat eine Jägermeisterlieferung – warum sollten wir dazu "Nein" sagen? Ist doch geil!

Julian:
Ah, ich verstehe, das war also dann das Ziel der beiden Obdachlosen, die im Proberaum gelebt haben, oder? Anstatt dem fließend Wasser...

Chrigel:
(lacht) Ja, ganz genau.

Julian:
Dann will ich dir in guter Tradition zum Schluss noch den Raum für ein paar persönliche Worte geben.

Chrigel:
Alles was zu sagen bleibt ist: Herzlichen Dank für's Interview und vielen, vielen Dank an alle Leser für euer Interesse!

Redakteur:
Julian Rohrer

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