END OF GREEN: Interview mit Michael Setzer

07.10.2005 | 13:16

"Die Melancholie liegt uns im Blut, wir haben den Hang zu Moll."


Live kennt sie zumindest in Süd- und Mitteldeutschland eigentlich jeder, waren sie doch bis vor ein bis zwei Jahren omnipräsent auf jedem zweiten Festival, Jugenhaus-Konzert und Düster-Gig. Dann wurde es eine Weile ruhig um Göppingens schwermütige Söhne END OF GREEN – kreativ sein und schaffe schaffe schaffe, wie der Schwabe so schön sagt. Herausgekommen ist dabei das neue Album "Dead End Dreaming". Metal, Doom, Gothic Rock und Alternative gehen hier weiterhin Hand in Hand mit schönsten Melancholie-Vibes, allerdings hat die neue Scheibe dem früheren Material eines voraus: Es kommt wesentlich schneller auf den Punkt. Kein anderes Album der "Grünen" konnte bislang mit so vielen Mitsing- und Mitgeh-Refrains überzeugen wie "Dead End Dreaming", von der Eingängigkeit und kompositorischen Reife der all in all elf Songs umfassenden Platte ganz zu schweigen. Wie es zu diesem Fortschritt kam haben wir Gitarrist Michael Setzer gefragt.


Schon bei der Produktion fängt es an, folgten END OF GREEN doch diesmal der Devise "nicht kleckern, klotzen" und zogen bei Alex Krull in den renommierten Mastersound Studios ein, um "Dead End Dreaming" gehörig Soundpfeffer im Arsch zu verpassen. "Wenn man sich im Großraum Stuttgart nach geeigneten Studios umschaut, stößt man sehr schnell auf das Mastersound Studio", so Rotbart Michael. "Wir sind nach wie vor der Meinung, dass man nicht unbedingt nach Berlin, Schweden oder New York reisen muss, um eine gute Platte zu machen. Mit dem Ergebnis sind wir vollauf zufrieden. Alex, Thorsten Bauer und Matze Röderer (letztere beiden fungierten als Assistenz-Engineers bei der Aufnahme – d. Verf.) haben sich 100% reingehängt. Das hatte schon fast was Familiäres bei den Aufnahmen." Das kann man nur unterschreiben, der Sound des Neulings brilliert durch Transparenz und Klarheit, drückt dabei aber trotzdem mächtig gegen das Trommelfell.

Kommen wir zu den kompositorischen Qualitäten des Albums, und die haben es wirklich in sich: Düster und melancholisch gehen END OF GREEN nach wie vor zu Werke, keine Frage, aber gemessen an ihren Vorgänger-Alben haben die Jungs noch nie so genial eingängig und massenkompatibel gerockt wie auf "Dead End Dreaming": Stilistisch irgendwo zwischen TYPE O NEGATIVE und KATATONIA, finden sich Mitsing-Hymnen wie 'No Coming Home', 'Dead End Hero' oder 'Drink Myself To Sleep' en masse. Kalkül? Mitnichten. "Das war kein bewusster Umschwung", reflektiert Michael über das Songwriting. "Wir waren ja nie der Meinung, dass 'Last Night On Earth' nicht eingängig oder rockig genug sei. Unsere Musik hängt unmittelbar mit unserer Gemütslage zusammen. Das war schon immer so. Und beim Songwriting war recht schnell klar, dass 'Dead End Dreaming' etwas mehr nach vorne geht, als unsere bisherigen Platten."
Auch der Vorsatz, mit der Platte ein neues kommerzielles Level zu erreichen, fehlt komplett, wie Herr Setzer schelmisch kommentiert: "Wir haben eine gute Melodie ja noch nie von der Bettkante gestoßen. Wenn wir 'massentauglicher' hätten werden wollen, dann hätten wir ein Screamo-Album oder eine Power-Metal-Platte gemacht." Oha, wie das wohl Keller-Rock-Röhre Michelle Darkness (der Mann wechselt seine Pseudonyme so häufig wie andere Leute ihre Socken) gefallen hätte...
"Eine unserer Stärken ist sicherlich, dass wir beim Songwriting nicht verkrampfen", fährt Michael wieder ernst fort. "Wozu auch? Was du auf 'Dead End Dreaming' hörst, entspricht unserer Gemütslage der vergangenen zwei Jahre. Genauso wie alle Platten zuvor einen gewissen Zeitabschnitt umreißen."
Preisfrage: Werden Leute, die END OF GREEN bisher nicht mochten, nach dem Hören von "Dead End Dreaming" wohl ihre Meinung ändern? Eine potenzielle Chance besteht sicherlich, Michael drückt es jedoch etwas diplomatischer aus. "Es wäre natürlich überaus bezaubernd, wenn sie es täten... Aber wer uns hassen will, findet bestimmt wieder 1000 Gründe dafür. Das wird sich nie ändern." Und fügt grinsend hinzu: "Rein objektiv sehe ich aber nicht einen Grund, uns nicht mögen zu wollen. Aber ehrlich, ich halte es nach wie vor für keine Charakterschwäche, uns nicht zu mögen. Höchstens für eine Nachlässigkeit. Und auch, wenn man als Band natürlich gemocht werden will – das lässt sich weder planen, beeinflussen oder in die Praxis umsetzen. Und um den Herrn Wowereit zu strapazieren: 'Das ist gut so.'" Amen.

Bei allen Neuerungen bleibt doch eine Konstante im END OF GREENschen Grundkonzept, und das ist die Melancholie. END OF GREEN und Schwermut gehören zusammen wie Ernie und Bert, Tim und Struppi, Wallace und Gromit (Liste beliebig fortsetzbar). Trotzdem: Besteht die Möglichkeit, dass es jemals ein fröhliches Album der Jungs geben wird? "Das glaube ich nicht", macht der Gitarrist alle Spekulationen zunichte. "Die Melancholie liegt uns im Blut, wir haben den Hang zu Moll. Allerdings sehe ich auch überhaupt keinen Anlass, ein fröhliches Album zu machen. Das überlassen wir denen, die das besser können. Wir befassen uns aus täglich gegebenem Anlass eher mit der dunkleren Seite der Existenz als mit 'in Zeitlupe und Weichzeichner über grüne Wiesen rennen' oder was fröhliche Menschen sonst so den ganzen Tag machen." Verdammt, warum muss ich jetzt nur an David Hamilton-Filme denken? Egal, weiter im Text. "Das soll aber nicht heißen, dass wir ständig schlecht gelaunt auf dem Dachboden rumhängen würden. Wir sind nur eben der Meinung, dass man sich seinen Abgründen stellen muss, um auch die glücklichen Momente ein bisschen genießen zu können."
A propos Neuerungen: 'Sick One', 'She's Wild' und 'Drink Myself To Sleep' glänzen durch wunderbares Cello-Spiel, was den Stücken viel zusätzliche Tiefe verleiht. Das gab es in der Form vormals auch noch nicht im END OF GREEN Lager. "Die Idee kam von unserem Gitarrist Oliver, der Gine (die Cellistin – d. Verf.) auch kennt", erzählt Michael. "Ich finde, dass das Cello perfekt zur Stimmung von beispielsweise 'Sick One' passt. Als Experiment sehe ich das gar nicht. Es fügt sich in die Musik ein." Ob das Instrument auch live zum Einsatz kommen wird, ist allerdings fraglich. "Wenn, dann nur ab und an und nicht als fester Bestandteil."

Mittlerweile ist die Promomaschinerie für "Dead End Dreaming" richtig angelaufen. Dazu gehört auch angestrebte Präsenz in der TV-Landschaft, und so wurde unlängst in Göppingen ein Clip zum Song 'Dead End Hero' abgedreht. "Der Dreh war in Göppingen in einem Club namens HiFi Six, in dem unsere Musik vermutlich nicht mal beim Putzen aufgelegt werden würde", witzelt der im "normalen" Leben bei einem Stuttgarter Stadtmagazin arbeitende Klampfer. "Aber der Laden sieht toll aus und freundlicherweise ließen uns die Betreiber einen Tag rein. Zusammen mit 60 tapferen Komparsen und Michael Schneider haben wir da einen kleinen feinen Rock'n'Roll-Clip gemacht. Keine große Geschichte, keine Explosionen – nur Rock'n'Roll." Was wohl MTV und Viva von dem Resultat halten werden? "Härtere" Bands haben es heutzutage ja nicht wirklich leicht mit den großen Musiksendern. Michael sieht's gelassen: "Ob die zwischen all den Klingeltönen ein Plätzchen für uns haben, steht in den Sternen. Freuen würde uns das sicherlich. Wenn nicht, gibt es aber hundert gute Möglichkeiten, den Clip anderweitig zugängig zu machen. Wir werden jetzt definitiv nicht die Sender abklappern und dort alle Verantwortlichen bestechen und zum Essen einladen oder was Bands und Managements heute so alles tun, um im Fernsehen zu laufen."
Sei's drum, auch ohne Unterstützung der mächtigen TV-Syndikate hat "Dead End Dreaming" auf jeden Fall das Zeug, END OF GREEN auch außerhalb Deutschlands zum Karrieresprung zu verhelfen. Angesprochen auf das Thema sitzt Meister Setzer schon wieder der Schalk im Nacken: "In erster Linie wollen wir erstmal die Leute hierzulande und im angrenzenden Ausland davon überzeugen, dass wir besser sind, als die Bands, die sie normalerweise hören. Ähm." Ein gesundes Selbstvertrauen hat noch keinem geschadet.
Was Touren angeht, so ist deren Planung ebenfalls bereits angelaufen: Eine Headlinertour durch Deutschland im Herbst ist quasi schon unter Dach und Fach. "Wir spielen live ja auch gerne ein bisschen länger als 45 Minuten." Wie steht es mit einer europaweiten Tour im Vorprogramm eines bekannteren Acts? "Ein logischer Schritt wäre natürlich, sich mal an eine größere Band ranzuhängen", pflichtet Michael bei. "Hast du die Telefonnummer von Bono?" Sorry, gerade leider verlegt.

Ende grün, äh gut, alles gut – zum Abschluss Michaels Worte an die Welt: "Wir sagen danke und wenn wir schon mal dabei sind: 'Nein!' zu Angela Merkel und ihren Freunden und 'durchhalten!' an alle, die es sollten." Over und aus.


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Redakteur:
Kathy Schütte

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