END OF GREEN: Interview mit Sad Sir

25.01.2025 | 20:35

Fast 30 Jahre später schlägt das END OF GREEN-Debüt noch immer immens hohe Wellen. Fraglos haben die Jungs mit "Infinity" damals der Szene einen besonderen Stempel verpasst. Und um den neuen Deal mit Reaper Entertainment gebührend zu feiern, wird "Infinity" noch einmal komplett neu eingetütet. Wir haben uns daher mit Gitarrist Sad Sir einmal zusammengesetzt und über die Absichten der druckvollen Neueinspielungen und die Wirkung des Debüts unterhalten.

Grüß dich, mein Lieber, wie geht es dir, wie ist die Stimmung bei END OF GREEN?
Hallo Marcel. Sieht man davon ab, dass ich mich nicht mehr traue, die Tagesschau anzugucken, eigentlich ganz gut. Platte ist raus, die Hündin schnarcht neben mir. Wir wollen nicht klagen.

Bei dir ist es eine Hündin, bei mir ein Kätzchen. Euer letztes reguläres Album hat sieben Jahre auf dem Buckel – doch langweilig wird es bei END OF GREEN nie. Was ist denn seit "Void Estate" bei euch passiert und wie habt ihr euer 30-jähriges Jubiläum feiern können?
Ich habe die Zeit seit "Void Estate" eigentlich gar nicht so lange in Erinnerung. Aber da war eben diese Pandemie, die zumindest rückblickend allerlei vernebelt hat. Die wichtigste Neuerung bei uns seit "Void Estate" ist aber, dass Hampez keine Lust mehr hatte und wir in Hundi, oder wie Experten sagen – Hound E. Baskerville – einen sehr tollen Menschen für den Bass und Getränke gefunden haben. Das 30-Jährige im LKA, Stuttgart haben wir gebührend gefeiert - und Hampez hat uns auch bei einem Stück auf der Bühne begleitet. Also, alles gebührend gefeiert im familiären Bereich.

Anlass des Gesprächs ist kein neues Album im klassischen Sinne, sondern die Neuaufnahme eines meiner Lieblingsalben im Dark-Rock-Segment: "Infinity". Wie entstand denn die Idee zum düsteren, zeitgemäßen Zwilling "Twinfinity"?
Wir sind bisweilen recht impulsgetrieben beziehungsweise anfällig für Schnapsideen. Das war so eine. Einfach mal ein altes Stück neu aufnehmen, dann noch eines und noch eines und dann eben die ganze Platte. Einige Lieder haben wir ja live immer wieder gespielt und 'Away' hat sich dadurch ja auch mit uns verändert in den vergangenen Jahren. Naja, wir wollten gucken, wie das klingt, wenn wir mit ähnlicher Gemütslage auch an die anderen Stücke rangehen. Nichts erzwingen, nichts wollen. Einfach mal machen.

Wenn du mal drei Dekaden Revue passieren lässt, wie hat sich der Sound von END OF GREEN von "Infinity" zu "Twinfinity" über all die Jahre entwickelt? Ihr habt mit eurem Debüt 1996 quasi ein neues Genre mitbegründet…
Ein neues Genre kann ich nicht beurteilen, aber ich glaube, dass wir schon recht früh klarstellen konnten, dass wir uns nur selbst treiben - und uns nicht von anderer Menschen Erwartungen treiben lassen können. Umso glücklicher sind wir natürlich, dass so viele Menschen mit uns mitgegangen sind - und sich darauf einlassen wollten. Wir sind fünf Leute, die musikalisch in alle erdenklichen Richtungen ausschlagen und was dann passiert, ist END OF GREEN. Mir gefällt das.

Wie viel Nostalgie steckte in den Aufnahmen? Und was sind die schönsten Erinnerungen, die währenddessen im Zuge der damaligen "Infinity"-Veröffentlichung aufkamen?
Ich war damals ja noch nicht dabei, deshalb ist es für mich besonders lustig, den anderen bei der Nostalgie zuzuhören. Ein Haufen Jugendlicher, losgelassen, mit Instrumenten und ein paar Liedern … und dann ab dafür. Bei den neuen Aufnahmen haben wir die Nostalgie nicht überstrapazieren wollen - lieber behutsam an die Vergangenheit ran, aber nicht vergessen, dass wir da nichts klonen müssen. Das wäre ja Quatsch gewesen.

Dieses Album – also "Infinity" – hat auch fast 30 Jahre später noch etwas ungemein Magisches, etwas ganz Besonderes. Und das habt ihr mit "Twinfinity" wirklich gut aufnehmen können. Kannst du dieses Magische, Besondere benennen? Welchen Stellenwert hat das Album rückblickend in der kompletten Diskografie?
Für END OF GREEN war das natürlich eine ungeheuer wichtige Platte. Das erste Mal im Studio, Platte kommt bei Nuclear Blast raus - und der Schlagzeuger ist noch nicht mal volljährig. Toll. "Infinity" ist unser Startpunkt und wird das auch immer bleiben. Was die Magie angeht - ich weiß es nicht, ob das jetzt Magie ist, aber es gibt diese Momente, in denen wir irgendwie alle zu einem Ding verschmelzen und plötzlich kommt eine wahnsinnige Melodie von links oder uns fällt was anderweitig Wunderbares auf den Kopf. Wir denken da nicht drüber nach, freuen uns eher, wenn’s passiert. Das ist alles pur, roh und auch irgendwie unschuldig. Wir sind dagegen miserabel, wenn wir zu viel nachdenken oder planen. Treiben lassen ist besser.

"Twinfinity" ist euer Einstiegswerk bei Reaper Entertainment. Wie kam der Deal zustande und welche Möglichkeiten offenbaren sich dadurch für euch?
Achim Ostertag vom Summer Breeze hat jahrelang gemeinsam mit Michael Trengert (Ruhe laut, T.) unsere Platten bei Silverdust veröffentlicht. Das war herrlich. Achim hat uns von diesem neuen Label erzählt und uns mit Flori und Greg in Verbindung gebracht. Wir hatten da schnell so familiäre Silverdust-Vibes gespürt. Kurze Wege, kein Rock’n’Roll- oder Karriere-Geschwätz - einfach nur ein paar Menschen, die sich für Musik interessieren und sich voll reinhängen. Das reicht uns eigentlich schon. Ehrlich im Umgang und familiär, so muss das sein und so ist das bei Reaper. Wir haben Schnapsideen, sie haben welche, dann lachen wir und machen das so. Genial, eigentlich.

END OF GREEN generell hat eine ganz spezielle Atmosphäre. Gibt es irgendein besonderes Ritual oder dergleichen, um euch in die richtige, melancholische END OF GREEN-Stimmung vor Aufnahmen oder Konzerten zu bringen?
Bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass das was mit, äh, Liebe zu tun hat. Wir kennen uns in- und auswendig, wissen uns zu schätzen, auch wenn mal einer einen Scheißtag hat. Und dann sind wir eben auf engstem Raum zusammen, lachen viel und der Tag ist dann plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Ja, ich glaube - so kitschig sich das anhört - Lachen, Quatsch und Liebe, das ist unsere Grundlage. Äh, also abgesehen von Musik.

Hand aufs Herz, gibt es noch ein weiteres Ereignis oder gar ein Album, das retrospektiv den ähnlichen Stellenwert hat für euch wie "Infinity"? Oder ist das für euch das Maß aller Dinge?
Ja, auf jeden Fall. Hundi mal ausgenommen, hat jeder von uns mittlerweile mehr Zeit seines Lebens mit und in dieser Band gelebt als ohne. Alleine das ist ja schon der Wahnsinn. In dieser Zeit hatten wir das Privileg, so viel erleben und machen zu dürfen. Ich darf da gar nicht darüber nachdenken, wie viel Glück wir da haben und gehabt haben. END OF GREEN ist zumindest für mich mit ganz vielen wichtigen Momenten verbunden, die zusammen dieses Bauchgefühl ergeben, diese schräge Heimat im Herzen. "Infinity" ist der Startpunkt und gerade deshalb sehr wichtig.

Natürlich muss auch diese Frage beantwortet werden, aber stehen auch neue Songs oder gar ein gänzlich neues Album im Raum oder konzentriert ihr euch erst einmal auf dieses besondere Unterfangen "Twinfinity"?
Ha! Es gibt neue Songs, ziemlich viele sogar. Und sollten wir uns entscheiden können, welche wir zuerst aufnehmen sollen, dann stehen die Chancen ziemlich gut, dass wir euch allen künftig wieder viel häufiger mit Platten auf die Nerven gehen.

Bestehen Pläne, mit der kompletten "Infinity"-Scheibe auf Tour zu gehen oder möchtet ihr erst einmal abwarten, wie die Neuaufnahmen bei den Fans ankommen?
Nee, auf Tour nicht. Wir werden vereinzelt Konzerte spielen, aber uns in der Hauptsache auf eine oder vielleicht mehrere neue Platten konzentrieren. Danach werden wir sicherlich wieder regelmäßiger touren. Aber dass wir uns live ein bisschen rarer gemacht haben, ist auch der Tatsache geschuldet, dass wir ein paar medizinische Problemchen in den Griff bekommen mussten und nicht wirklich ganze Tourneen planen konnten. Wenn alles klappt, rücke ich aber nächste Woche endlich ins Krankenhaus ein und dann wird alles spitze. Die olle Hüfte ist kaputt, muss in die Werkstatt.

Ihr seid im Dark Rock schon alte Haudegen und was wäre die düstere Welt ohne END OF GREEN?! Wie würdet ihr generell die deutsche Dark-Rock-Szene im Hier und Jetzt bewerten?
Hahaha, "Haudegen" gefällt mir. Das klingt ein bisschen schwerhörig und versehrt, aber glücklich. Nehm ich. Mir gefällt, dass es mittlerweile wahnsinnig viele Facetten von "dunkler" Musik gibt, die in völlig unterschiedliche Richtung ausschlagen. MORAST, BERLIN 2.0 oder DIE NERVEN kann man beim besten Willen nicht vergleichen, aber alle sind angenehm dunkel und irgendwie echt - glaube ich zumindest. Was Goth Rock angeht, habe ich leider etwas den Überblick verloren, freue mich aber über Band-Empfehlungen. Mich fasziniert gerade, wie viel guten Death Metal es derzeit gibt. Irre. Falls jemand gerade Langeweile hat: SLIMELORD aus England. Sensationell.  

Danke dir! Was möchtest du euren Fans und unseren Lesern von POWERMETAL.de noch mit auf den Weg geben?
Wir danken! Von ganzem Herzen. Passt auf euch auf, bitte. Und auch wenn die Nachrichten täglich hoffnungsloser erscheinen, bitte anständig bleiben. Man vergisst bei der Weltlage derzeit ja leicht, dass es trotz allem noch immer die Option gibt, kein dummes Arschloch zu sein.

Redakteur:
Marcel Rapp

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