END, THE: Interview mit Aaron Wolff
02.04.2007 | 21:24Ein Bandname wie THE END verpflichtet. Dass die Kanadier keine Biene-Maja-E-Gitarren-Sounds mit Texten über zirpende Elfen garnieren und auf die Menschheit loslassen, ist einleuchtend. Allerdings kann man sich auch dem Ende aus verschiedenen Richtungen nähern, wie die Unterschiede zwischen dem 2004er "Within Dividia" und dem aktuellen "Elementary"-Dreher belegen. Deibelte das Quintett vor drei Jahren noch chaotisch und mächtig aggro in CONVERGE-Manier in den Abgrund, so hat es mittlerweile auch die Wucht von tiefschwarzen Ruhe-Passagen erkannt und damit die Wirkung seiner Endzeit-Klänge noch verstärkt. Aus diesem Grund hat Sänger Aaron Wolff auch kaum Verständnis dafür, wenn man ihn und seine Jungs wegen Clean-Vocals und -Gitarren gleich mit "Ausverkauf!"-Rufen belästigt.
Oliver:
Aaron, in eurer Bio, die sich klar von dem "1994 haben wird mit Band XY in Gehmirweg gespielt"-Gebrabbel abhebt, beschreibt ihr eure Musik als "zu modern für die Moderne". Wenn ihr dieses Level bereits erreicht habt, was treibt euch noch an?
Aaron:
Zuerst einmal muss ich sagen, dass die Bio ungefähr vier Jahre alt ist und auch nicht von uns, sondern von ein paar unserer Freunde geschrieben wurde. Wir klemmen uns dahinter, diese Sachen auf den neuesten Stand zu bringen. Aber ich glaube, dass wir damals Außenseiter waren und auch nach wie vor welche sind. Unsere Musik passt nicht in eine bestimmte Kategorie. Wir unternehmen Abstecher in viele verschiedene musikalische Stile, so dass wir etwas präsentieren, das aus dem Rahmen fällt. Wir mögen es, Grenzen zu verschieben und zu durchbrechen und in das Unkonventionelle einzutauchen. Das hält uns auf Zack, und hoffentlich bewirkt es dasselbe bei unseren Hörern. "Unkonventionell" ist ein Label, das ich akzeptieren kann. Es erlaubt uns, uns in jede Richtung zu entwickeln.
Oliver:
In eurer Musik spielt das Chaos eine große Rolle. Mittlerweile läuft dieses Chaos allerdings viel subtiler ab als in der Vergangenheit.
Aaron:
Da stimme ich dir zu. Ich denke, dass wir einen besseren Job gemacht haben. Wir haben eine chaotische Stimmung geschaffen, ohne unsere Instrumente chaotisch zu spielen. Alles in allem war unser erstes Album "Transfer Trachea Reverberations From Point: False Omniscient" das chaotischste. Bei der Platte war es das Ziel, totales Chaos auf eine sehr abstrakte Art zu erreichen. Die Akkorde und Noten waren sehr spastisch, die Lyrics waren in Bezug auf Tiefe und Inhalt frei, und die CD sollte schwer verständlich sein. Als wir uns dann weiterentwickelten, wurden unsere Ideen fokussierter. "Within Dividia" hatte ebenfalls ein chaotisches Feeling, aber es gelang uns langsam, dieses Feeling zu erreichen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf die musikalische Struktur lenkten. Und mit "Elementary" ist uns das nun besser gelungen als jemals zuvor. Wir waren in der Lage, die Atmosphäre einer chaotischen Welt zu kreieren, ohne unsere Instrumente extrem einzusetzen. Wir spielen weniger, erreichen dadurch aber mehr.
Oliver:
Siehst du "Elementary" als nächsten logischen Schritt nach "Within Dividia"? Einige Bands würden für die gleiche Entwicklung mindestens zwei weitere Alben brauchen.
Aaron:
Die "Within Dividia"-Songs wurden bereits 2002 und 2003 geschrieben. Es war also ein großer Zeitraum bis zu unserer neuen Platte. Wir hatten sehr viel Zeit, unseren Sound zu formen. Es war viel Leben zu leben, und es waren viele Erfahrungen zu sammeln. Für uns war es der einzig plausible Schritt. Wir spürten, dass wir mehr Persönlichkeit und mehr Intimität in unserer Musik benötigen. Für uns fünf war es das Wichtigste, in den Songs so viel unserer einzelnen Persönlichkeiten zu haben wie möglich. Der einzige Weg, dem Hörer ein intimes musikalisches Erlebnis zu bieten, ist, alles, was du hast, in die Songs einzubringen. Je mehr von uns in den Songs zum Ausdruck kommt, je mehr entsteht, in das man eintauchen kann.
Oliver:
Wie hat man "Elementary" bislang aufgenommen? Wenn man wie ihr plötzlich mit Clean-Vocals und Akustikgitarren experimentiert und die Aggressionen dadurch zum Teil anders ausdrückt, treten normalerweise ein paar Gestalten auf den Plan, die "Ausverkauf!" brüllen.
Aaron:
Hauptsächlich waren die Reviews sehr positiv. Es gab ein paar Ausverkauf-Kommentare, aber das ist selbstverständlich. Ich finde es lustig, dass Singen heutzutage scheinbar Hand in Hand mit Ausverkauf geht. Meiner Meinung nach ist Songwriting viel mehr als Blastbeats und Tapping-Riffs. Es gibt immer Raum für superaggressive Musik, aber ich finde auch, dass man dieselbe Art von Aggression und Zorn rüberbringen kann, ohne seine Instrumente so zu spielen. Es gibt äußerst heftige Momente auf unserer neuen Platte: Blastbeats, Geschrei – all das ist da. Aber es gibt auch Akustikgitarren und Gesang. Das ist überhaupt das Beste am Songwriting, es gibt so viele verschiedene Wege, die Gefühle der Leute anzuzapfen. Wir sind eine Band, die es vorzieht, offen für neue Wege des Songwritings zu bleiben.
Oliver:
"Elementary" ist ein intensives Album. Denkst du, das hat mit der musikalischen Vielfalt zu tun?
Aaron:
Die musikalische Vielfalt spielt dabei sicher eine große Rolle, aber ich denke auch, dass die Lyrics alles auf das nächste Level hieven. Andrew (Hercules; g. – Anm. d. Verf.) hat einen fantastischen Job gemacht. Mit all den verschiedenen Stilen sind wir in der Lage, den Hörer an alle möglichen neuen Orte zu führen, aber die Lyrics sind das, was dir direkt ins Ohr spricht.
Oliver:
Kann ein mieser Text einen guten Song zerstören?
Aaron:
Hell yeah! Die richtigen Worte können den entscheidenden Unterschied machen.
Oliver:
Gibt es für euch irgendwelche musikalischen Limits? Welche Art Song wird man nie auf einem THE END-Album finden?
Aaron:
Wir werden alles ausprobieren. Wenn es nicht gut ist, werden wir es nicht veröffentlichen. Wem schadet es, wenn man alles mal versucht? Warum nicht einen Song schreiben, ohne elektrisches Equipment zu benutzen, oder nur unter Zuhilfenahme von Synths? Wenn wir die Sache für uns nicht interessant halten, wo ist dann der Sinn?
Oliver:
Wäre ein Album wie "Within Dividia" in ein paar Jahren noch mal möglich, oder wäre das auf jeden Fall gleichbedeutend mit einem Rückschritt, den ihr nicht machen wollt?
Aaron:
Wir werden niemals ein zweites "Within Dividia" oder auch ein zweites "Elementary" schreiben. Wenn man sich unsere Veröffentlichungen von unserem '99er Demo bis heute anhört, wird man feststellen, dass keine der Platten gleich klingt. Man wird von jeder noch dies und das entdecken, wenn wir uns weiterentwickeln, aber wir versuchen unser Bestes, uns nicht zu wiederholen.
Oliver:
Obwohl ihr einen hohen künstlerischen Anspruch an euch selbst stellt, nennt ihr Rock 'n' Roll als euren einzigen Einfluss. Viele Bands, die ihrer Musik einen intellektuellen Anstrich verpassen, wehren sich dagegen, mit Rock 'n' Roll in Verbindung gebracht zu werden, und vergessen darüber, dass sie ihre Visagen ohne ihn gar nicht in CD-Booklets sehen würden. Siehst du Rock 'n' Roll als die Seele des THE END-Sounds? Oder anders gefragt: Welchen Stellenwert hat er für euch?
Aaron:
Ich weiß nicht so recht, was ich auf die Frage antworten soll, du hast bereits alles für mich zusammengefasst. Rock 'n' Roll hat die Zeit überdauert. Er wurde immer und immer wieder neu geformt, aber die Kernidee hat sich nie geändert: Er ist 'ne Attitüde, er ist Seele, er ist Rhythmus, er ist, was er verdammt noch mal sein will, und er sagt: "Fuck you! Ich werde tun, was immer ich möchte." I fucking love Rock 'n' Roll!
Oliver:
Auch der Text des Openers 'Dangerous' transportiert diese Rock-'n'-Roll-Attitüde. Er scheint zu sagen: "Das hier ist der Sound, vor dem euch eure Eltern immer gewarnt haben."
Aaron:
Um ehrlich zu sein, reicht der Inhalt sehr viel tiefer. Ohne ins Detail zu gehen – ich will nicht die Vorstellung, die die Leute von dem Song haben, ruinieren – 'Dangerous' lädt zu mehr als einem bloßen Song ein. Er animiert dazu, den eigenen Schutzschild aufzugeben und sich für eine kurze Zeit seines Lebens der Musik hinzugeben. Wenn man sehr gut aufpasst, wird man möglicherweise etwas für sich herausziehen können. Alles läuft heutzutage so schnell ab, und niemand hat mehr die Zeit, sich hinzusetzen und zu lesen und zuzuhören. Der Song ist sehr aggressiv und präzise, ab und an brutal klingend. Das ist manchmal der einzige Weg, um die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen.
Oliver:
Kann man diesen Worten noch etwas Positives entnehmen, so sind die übrigen Lyrics insgesamt ziemlich pessimistisch und hoffnungslos.
Aaron:
Sie sind wie 'ne Therapie für uns. Wenn wir unsere Ideen zu Papier oder auf eine CD gebracht haben, können wir sie hinter uns lassen. Es fühlt sich an wie ein Gewicht, das von unseren Schultern genommen wird. Wir leben unsere Leben nicht zwangsläufig konstant deprimiert oder pessimistisch, aber diese Dinge fühlen wir bisweilen. Sie müssen einfach ausgedrückt werden. Ich denke, dass es falsch ist, wenn Menschen solche Emotionen scheuen. Wenn man sich mit diesen Aspekten auseinandersetzen würde, anstatt vorzugeben, sie würden nicht existieren, wären wir um einiges besser dran, glaube ich.
Oliver:
Welche Fanschichten erreicht ihr eigentlich mittlerweile? Sind es nach wie vor eher die CONVERGE-Supporter?
Aaron:
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich denke, dass CONVERGE ein guter Ausgangspunkt sind. Sie haben diese Punkrock/Rock-'n'-Roll-"Fuck you!"-Einstellung, mit der ich mich identifizieren kann, und im Verlauf ihrer Karriere viele verschiedene Dinge ausprobiert. Die Leute, die dieser Band zuströmen, können damit was anfangen. Ich glaube, dass CONVERGE-Fans tendenziell recht offene Musikfans sind.
Oliver:
Auch deine Offenheit ist sicher irgendwann erschöpft. Was ist der grottigste Song, den du je gehört hast?
Aaron:
Der brandneue AVRIL LAVIGNE-Song 'Girlfriend'. Ich dachte, dass sie jetzt, da sie sich 'ne Auszeit genommen und geheiratet hat, erwachsen geworden ist. Ich dachte, dass sie mit Klavier und 'nem schönen kleinen Song wiederkommt. Aber ich wurde getäuscht. Ihr neuer Song ist das schlimmste Stück Pop-Mist, das ich jemals gehört habe. In dem Video gibt es eine Tanz-Szene, wo sie billige kurze Shorts trägt; das ist grauenhaft, ich möchte kotzen.
- Redakteur:
- Oliver Schneider