EXODUS: Interview mit Gary Holt

25.11.2007 | 19:18

EXODUS sind derzeit wieder blendend im Metalgeschäft unterwegs. Und das nicht ohne Grund. Denn die Band hat mit "The Atrocity Exhibition - Exhibit A" ein Langeisen veröffentlicht, das bei der Wahl der Metalscheiben des Jahres 2007 sicherlich ganz oben mitmischen wird. Ein gut gelaunter Gary Holt plauderte mit mir unter anderem über kreative Hochphasen, die Absage des BANG YOUR HEAD-Festivals 2006 und natürlich über das neue Album.


Martin:
Hi Gary! Wie geht es dir?

Gary Holt:
Mir geht's gut. Danke der Nachfrage.

Martin:
Ihr habt ja gerade euer neues Album "The Atrocity Exhibition - Exhibit A" veröffentlicht. Das Album ist echt eine Killerscheibe geworden.

Gary Holt:
Vielen Dank!

Martin:
Euer Originaldrummer Tom Hunting ist ja 2007 wieder zu EXODUS zurückgekehrt. Fiel es Paul Bostaph wirklich so leicht, den Schlagzeughocker für Tom Hunting zu räumen? So, wie es in verschiedenen Pressemitteilungen zu lesen war?

Gary Holt:
Ja, eigentlich schon. Es war ja bekannt, dass dieser Zeitpunkt kommen könnte. Paul Bostaph ist ein unglaublich guter Schlagzeuger. Ich meine, dass ich das den Leuten nicht extra sagen muss. Jeder weiß, wie gut der Mann spielt. Er ist auch menschlich eine der großartigsten Personen, die ich kenne. Aber Paul Bostaph wusste auch, dass das so ziemlich die beste Sache war, die EXODUS passieren konnte. Er wusste, dass das eine freudige Nachricht für uns war. Und er weiß auch, dass Tom Hunting einer meiner allerbesten Freunde ist, seitdem ich etwa siebzehn bin.

Aber alles passiert aus irgendeinem Grund. Die Zeit mit Paul als Schlagzeuger war der Hammer und wir sind froh, dass er bei EXODUS spielte. Wir haben Tom die Zeit gegeben, wieder vollständig gesund zu werden und um wieder bei uns spielen zu können. Und nach dem, was ich gehört habe, wird Paul Bostaph ja jetzt wohl bei TESTAMENT spielen. Von daher sind eigentlich beide Seiten mit dieser Entscheidung zufrieden.

Martin:
Ich vermute mal, dass du etwa 95 Prozent des neuen Albums quasi im Alleingang komponiert hast. Wie sieht es denn mit Lee Altus aus? Schreibt er keine Songs?

Gary Holt:
Lee hat fast die gesamte Musik von 'Children Of A Worthless God' geschrieben. Wir haben bis jetzt vier Songs für ein weiteres Album, wobei Lee einen dieser Songs geschrieben hat. Er arbeitet derzeit an zwei weiteren Liedern.

Die ganze Band setzt sich zusammen und bespricht jeweils, mit welchen Liedern wir weiter arbeiten. Und der andere Song, den Lee geschrieben hat, der würde unserer Meinung nach einen hammermäßigen Opener für das nächste Album abgeben. Ich bin vielleicht etwas langsamer beim Songwriting, als andere. Lee ist sozusagen der Wissenschaftler unter uns. Er hat so sein eigenes Labor und sein Mikroskop. Er experimentiert und er nimmt die Songs immer wieder auseinander. Ich musste da auch schon drüber lachen und meinte dann: Mensch, Lee. Du musst da immer Tausende von Kombinationen ausprobieren. Mach's doch einfach so und nimm dieses oder jenes Stück, denn das klingt killermäßig.

Martin:
Ihr habt schon den zweiten Teil von "The Atrocity Exhibition" angekündigt und ihr habt schon vier Stücke fertig. Sag mal, gibt es einen besonderen Grund dafür, dass du derzeit derart kreativ und inspiriert bist?

Gary Holt:
Ich glaube, dass das darauf zurückzuführen ist, dass Lee nun bei EXODUS spielt. Er hat ja einen Song des neuen Albums - 'Children Of A Worthless God'- fast komplett geschrieben und dieses Stück ist mein derzeitiger Lieblingstitel des Albums. Und dann war da noch der Umstand, dass wir am Anfang sogar zwei Stücke übrig hatten, die wir noch auf das Album hätten packen können. Aber es war so, dass wir das alles gar nicht auf eine CD hätten packen können. Und von der Idee, eine Doppel-CD herauszubringen, waren wir nicht so begeistert. Denn die Produktionskosten für die Scheibe wären ja dann auch doppelt so hoch ausgefallen. Es hätte uns einfach zu viel Kohle gekostet, eine Doppel-CD herauszubringen. Von daher haben wir einige Songs für das nächste Album aufgespart und wir sind dann zu der Überzeugung gelangt, eine Album zu machen, das aus zwei separaten Teilen besteht.

Martin:
Also mir fällt es schwer, einzelne Tracks von "The Atrocity Exhibition" hervorzuheben, weil sie alle verdammt stark sind. Welchen Titel würdest du als besonders herausragend bezeichnen?

Gary Holt:
Also ich habe die Scheibe jetzt seit mehreren Monaten nicht mehr gehört. Das ist nicht so mein Ding. Manche tun das und das ist natürlich klasse. Unser Sänger Rob Dukes hört sich die Songs des neuen Albums fast jeden Tag an, haha. Aber nachdem ich die Lieder geschrieben, aufgenommen und gemastered habe, habe ich die Stücke schon tausend Male gehört. Ich lege mal eine Pause ein, haha. Mein Lieblingstrack ändert sich ständig. Im Moment ist es wohl 'Children Of A Worthless God'. Davor war es der Titeltrack 'The Atrocity Exhibition' und dann 'As It Was As It Soon Shall Be'. Im Moment kann ich es kaum abwarten, rauszugehen und das Zeug live zu spielen.

Martin:
EXODUS standen ja zunächst auf dem Billing des BANG YOUR HEAD-Festivals im Juni 2006. Aber euer Auftritt wurde von eurem Management abgesagt. Laut Pressemitteilungen der Veranstalter hattet ihr euch geweigert, den Aufritt wegen der eurer Ansicht nach schlechten Positionierung im Billing zu spielen. Denkst du nicht, dass eine Menge Leute sehr enttäuscht waren deswegen? Ich meine, das BYH ist ja ein ziemlich großes Festival, zu dem an die 20.000 Leute kommen!

Gary Holt:
Okay, was das anbetrifft, haben wir halt diese Entscheidung getroffen. Aber die hatte eher mit der Einstellung und Grundhaltung des Veranstalters zu tun als mit allem anderen. Der Typ hat das ja in die Öffentlichkeit hinaus posaunt und nicht wir. Aber der war einfach ein verdammter ... Das war wirklich nicht nett, was da ablief. Wir hatten auch eine Liveshow, die mit dem Auftritt auf dem BANG YOUR HEAD kollidierte. Wir versuchten also die Show auf den anderen Tag des BYH zu verlegen und er hat uns den miesesten Platz in diesem verdammten Billing gegeben.

Wir haben bisher noch nie eine Show wegen einer schlechten Platzierung im Billing platzen lassen, weil wir bisher immer den Eindruck hatten, dass wir fair behandelt wurden. Und wir haben als Band schon eine weit zurückreichende Geschichte, in deren Verlauf wir schon Shows gespielt hatten, von denen wir wussten, dass wir dafür nie Geld erhalten würden. Da hatte der Promoter sogar gesagt, dass er nicht in der Halle aufkreuzen wird und dass er uns auch kein Geld für unseren Auftritt zahlen würde. Und EXODUS sind trotzdem aufgetreten. Denn die Fans tragen ja keine Schuld. Wir haben dann die Show gespielt und halt gesagt, dass die Fans die Veranstalter oder die Verantwortlichen nicht unterstützen sollen.

Aber der Veranstalter des BYH hat halt das Ganze öffentlich gemacht und zu etwas "hochstilisiert", was es nicht war. Ich meine, Bands sagen doch ständig irgendwelche Festivalauftritte jedes Jahr ab. Es gibt ja auch Dutzende europäische Bands, die Festivals abbrechen. Und sicher nicht deshalb, weil einer oder mehrere von denen krank sind. Insgesamt ist das schon recht unglücklich mit dem BYH gelaufen. Auch, nachdem ich schon so viele positive Dinge über das Festival gehört habe.

Martin:
Stehst du eigentlich noch in Kontakt zu eurem früheren Sänger Steve "Zetro" Souza oder Ex-Gitarrist Rick Hunolt? Was treiben die denn jetzt?

Gary Holt:
Ich habe Zetro wieder mal gesehen und wir haben keine Probleme miteinander. Aber man kann halt nicht mehr mit ihm in einer Band spielen. So richtig in einer Band zu spielen mit einem solchen Lebensstil, das will er nicht mehr. Er will das vielleicht zusammen noch eine Woche im Jahr machen, um Rock'n'Roll zu spielen. Er hat jetzt eine Band namens DUBLIN DEATH PATROL, die mehr oder weniger ein Spaßprojekt ist.

Rick habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Aber ich lebe ja auch nicht mehr in der Bay Area, sondern ich bin jetzt drei Stunden entfernt weiter nördlich wohnhaft.

Martin:
Auf einer recht aktuellen DVD des deutschen Rock Hard-Magazins kann man Robb Flynn von MACHINE HEAD sehen, der da behauptet, dass du mal bei MACHINE HEAD vorgespielt hast, um dort einzusteigen. Stimmt das? Und falls das so war, wie lief denn das Vorspielen?

Gary Holt:
Ich hatte zu dieser Zeit nichts zu tun und da dachte ich: Okay, ich probiere es. Ich habe also bei Robb angerufen und ich habe bei der Probe richtig vom Leder gezogen.

Aber zu dieser Zeit haben sie wohl dann gedacht, dass sie nicht jemanden wie mich in der Band haben wollen, weil sich in dieser Band natürlich alles um MACHINE HEAD dreht und sich eine "EXODUS-Frage" nicht auftun sollte.

Martin:
Und in welchem Jahr fand dieses Vorspielen statt?

Gary Holt:
Da war wohl nach dem zweiten MH-Album. Ich weiß gar nicht mehr, wann das genau war ["The More Things Change..." erschien 1997 - Anm. d. Verf.]. Wir sind jedenfalls immer noch gute Freunde. Ich denke, dass sie mit Phil [Demmel] eine clevere Personalentscheidung getroffen haben. Weil ich war, sagen wir mal, doch nicht der richtig Typ dafür. Ich wäre wahrscheinlich der Falsche gewesen. Ich hätte da ziemlich viel üben müssen, denn ich war damals ziemlich im Eimer.

Aber MACHINE HEAD sind ja jetzt mit epischen Killersongs zurück und sie haben Phil, der richtig schreddernde Gitarrenleads abliefert. Rob und Phil sind wieder da und da schwingt 'ne Menge Brutalität bei MACHINE HEAD mit.

Martin:
Vor drei Jahren las ich einem Interview, dass du und auch die anderen Bandmitglieder zur Zeit des Livealbums "Another Lesson In Violence" (1997) ziemlich abgebrannt waren und dass ihr Drogenprobleme hattet. Du und auch andere Bandmitglieder waren von Speed abhängig. Seit Jahren bist du ja clean. Könntest du dir vorstellen, Kampagnen gegen den Missbrach harter Drogen zu unterstützen? Denkst du, dass es notwendig ist, die Leute über die Risiken der Einnahme harter Drogen zu informieren und aufzuklären?

Gary Holt:
Zunächst mal: Jack [Owen, Bassist - Anm. d .Verf.] war der einzige, der nicht von harten Drogen abhängig war. Alle anderen schon. Er raucht heute noch sein Gras und ihm geht es absolut blendend. Aber wir vier, wir waren komplett fertig. Ich persönlich bin nicht der Typ, der zu den Leuten hinausgeht und hier den Dinge predigen will. Wenn es jemanden gibt, der diesbezüglich Ratschläge von mir haben will, dem werde ich diese geben. Auf dem letzten Album haben wir ja den Track 'Deathamphetamine'. Der Text beschreibt halt, was es heißt, auf Droge zu sein. Das Zeug ist Gift! Ich habe kein Problem, damit in irgend etwas involviert zu sein, das dazu dient, dass Menschen von Drogen los kommen. Jetzt im Dezember 2007 werden es übrigens fünf Jahre sein, dass ich clean bin.

Martin:
Hat diese Nicht-Abhängigkeit von dem Zeug in irgendeiner Art deine Arbeitsweise und dein Gitarrenspiel selbst beeinflusst?

Gary Holt:
Oh ja! Wenn ich den Absprung nicht geschafft hätte und clean geworden wäre, dann hätte wir niemals "Tempo Of The Damned" aufgenommen. Ich habe meine kreative Energie nicht gefunden, bis ich clean wurde. Ich konnte nicht mit guten Riffs ankommen, denn wenn du abhängig bist, dann willst du immer mehr von dem Stoff. Wir waren zum Beispiel damals im Proberaum und dort war alles an Equipment, was sich ein Gitarrist wünschen kann: überall Gitarren. Ich habe aber fast nicht gespielt. Vielleicht zehn Minuten, wenn es hoch kommt. Dann habe ich wieder Drogen genommen. Vielleicht zwei Stunden später habe ich wieder nur zehn Minuten gespielt.

Martin:
Wann lassen sich EXODUS denn endlich mal wieder in Deutschland sehen?

Gary Holt:
Wir hoffen, dass wir Anfang März 2008 wieder nach Europa kommen. Wir haben verschiedene Optionen. Wann genau wir spielen werden steht noch nicht fest. Aber wir werden nach unserer US-Tour nach Europa kommen.

Martin:
Also Gary, ich bin mit meinen Fragen durch. Willst du noch irgendeine Nachricht an die EXODUS-Banger und an unsere Leser richten?

Gary Holt:
Ich danke den Fans für die jahrelange Unterstützung! Ich kann es kaum in Worte fassen, wie viel es uns bedeutet, dass die Fans immer zu uns gehalten haben. Auch in dunklen, schlechten Zeiten und in Zeiten, in denen es bei uns chaotisch und abgefuckt zuging. Aber EXODUS werden nicht die Flinte ins Korn werfen. Da müssten schon andere Dinge passieren, dass es EXODUS nicht mehr geben sollte. Ich kann es kaum erwarten, die Fans auf unserer Tour zu treffen.

Martin:
Ich danke dir für dieses Interview! Weiterhin alles Gute und viel Erfolg mit "The Atrocity Exhibition - Exhibit A", das von meiner Warte aus ein EXODUS-Klassiker geworden ist.

Gary Holt:
Ich habe zu danken. Bis bald!

Redakteur:
Martin Loga

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