Edgar Allan Poe in Rock und Metal (Teil 1)

13.12.2023 | 22:29

Poe und Metal sind wie füreinander gemacht.

Das Thema: Edgar Allan Poe (1809-1849) war nicht nur der Erfinder der Kurzgeschichte und ihr wichtigster Theoretiker, er begründete auch das Genre der Detektivgeschichte und galt zudem als gefürchteter Kritiker. Auch sein lyrisches Werk ist bedeutsam, auch wenn modernistische Autoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts es teilweise negativ beurteilten. Aber die Kritik von Aldous Huxley an Poes später Ballade 'Ulalume' beispielsweise und sein Urteil, dass diese vulgär sei, teilt heute kaum noch jemand. Nach seinem frühen Tod in den USA weitgehend vergessen oder wegen seiner Alkoholsucht missachtet, machte ihn vor allem die Übersetzung Charles Baudelaires in Frankreich bekannt, der in ihm einen verwandten Geist erkannte. Auch symbolistische Dichter, die Ende des 19. Jahrhunderts schrieben, verehrten Poe. Große Wertschätzung genoss er bei H. P. Lovecraft, der ihn in einem Brief einmal als "my god of fiction" bezeichnete.

Vor allem mit seinen makabren Erzählungen schuf Poe einen unsterblichen Schatz an Bildern, Figuren und abseitigen Obsessionen, die zahlreiche Künstler in Rock und Heavy Metal inspirieren sollten. Seine Humoresken und Satiren begeistern allerdings heute nur noch wenige, weshalb diese Arbeiten auch in Rock und Metal nur wenige Musiker dazu veranlassten, sich mit ihnen musikalisch auseinanderzusetzen. Aber einige Beispiele werden uns im zweiten Teil dieses Artikels noch begegnen.

Aber auch in anderen musikalischen Genres hat der Poet und Erzähler Spuren hinterlassen. So arbeitete der französische Komponist Claude Debussy (1862-1918) zwischen 1908 und 1917 an der Oper "La chute de la maison Usher", die er aber nie fertigstellen sollte. Weitere klassische Komponisten, die Poe-Themen verarbeiteten, sind unter anderem Philip Glass, Nikita Koshkin, James Poulsen und Einojuhani Rautavaara. Der Einfluss des Dichters auf Bob Dylans Lyrik ist und bleibt bedeutsam. Der 1976 verstorbene Liedermacher und Aktivist Phil Ochs legte 1964 eine sehr schöne Version des wohltönenden Gedichts 'The Bells' vor, die textlich etwas abgewandelt ist. Vergessen wir auch nicht, dass Joan Baez im Jahr 1967 mit 'Annabel Lee' eines der bekanntesten Gedichte Poes vertonte. Auf dieses Poem bezieht sich auch die Leftfield-Kapelle ANNABEL LEE nicht nur mit ihrem Bandnamen, auch der Titel des 2015 veröffentlichten Albums "By The Sea … And Other Solitary Places" zitiert hieraus. Und der Track '1849' handelt beispielsweise von Poes Todesjahr. Aus hiesigen Landen wäre auch die Synthie-Pop-Band PROPAGANDA zu nennen, die sich 1985 das bekannte 'A Dream Within A Dream' vorknöpfte. Auch TANGERINE DREAM betitelte 2011 mit "Edgar Allan Poe's The Island Of The Fay" ein ganzes Album nach einem ätherischen Gedicht. Lou Reed erwies auf seinem 2003 veröffentlichten Konzeptalbum "The Raven", das auch Spoken-Word-Stücke enthält, den Stories und Gedichten Poes seine Reverenz. Wer eine sehr gelungene folkige Gothic-Adaptation mit dem gesamten Text von 'The Conqueror Worm' hören möchte, sollte sich mal Aurelio Voltaires gleichnamigen Song aus dem Jahr 2014 zu Gemüte führen.

Wir wollen uns hier aber mit den Werken in Rock und Metal beschäftigen, die von Poe beeinflusst oder seinem Schaffen gewidmet sind. Das von dem Schriftsteller einmal in einem Brief geäußerte Lebensmotto "I must either conquer or die" hätte selbst MANOWAR nicht besser ausdrücken können, und somit empfiehlt er sich in gewisser Hinsicht allein schon aufgrund dieser Einstellung als geistiger Vater verschiedener Spielarten des Heavy Metal.

Da das Thema hochkomplex und weitverzweigt ist, bin ich meinen Kollegen aus der Redaktion sehr dankbar, dass sie mir die Recherche mit ihren Hinweisen erleichtert haben. Erschöpfend behandelt werden kann die Materie aber nicht. Den einen oder anderen Song werdet ihr sicherlich vermissen.

Die Bandnamen

Bevor wir zur Musik kommen, die dem Schaffen des Schriftstellers verpflichtet ist, sei kurz erwähnt, dass auch Bandnamen oft einen Poe-Bezug haben. So huldigte der 2017 leider verstorbene Warrel Dane mit seiner Band NEVERMORE dem wohl bekanntesten Gedicht des Autors: dem im Jahr 1845 veröffentlichten 'The Raven'. Auch gibt es mehrere Gruppen mit dem Namen LIGEIA, etwa die Metalcore-Formation (gegründet 2003, aufgelöst 2011) oder die deutschen Metaller aus Nersingen. Die extremen Metal spielende Band THE RED DEATH aus Bath, New York war von 2003-2008 aktiv. Noch deutlicher ist da die spanische Formation EDGAR ALLAN POE, die mit der Metal-Oper "Legado de una Tragedia" in den ersten drei Teilen (2008, 2014 und 2016) dem Schaffen Poes huldigt. Es gibt hier viele Bezugnahmen auf seine Gedichte und Erzählungen, aber alles ist eingebettet in eine eigene Konzept-Story mit einer Fülle von Charakteren. Dann ist da noch die auf den Azoren gegründete Gothic/Doom-Band A DREAM OF POE, die aber seit einigen Jahren ihr Hauptquartier in Edinburgh hat. Erwähnen sollte man noch die Noir-Rock-Truppe EDGAR ALLAN POETS aus Los Angeles und ihren Song 'Poe Parade' aus dem Jahr 2016, der auf mehrere Werke des Dichters Bezug nimmt. Bei der deutschen Horror-Punk-Band THE OTHER trägt ein Mitglied das Pseudonym Rod Usher, eine Verkürzung für Roderick Usher und somit eine Referenz auf eine der drei Figuren der Erzählung 'The Fall Of The House Of Usher'.

Alben mit ausgeprägtem Poe-Bezug

Die bereits erwähnte unvollendete Oper von Debussy hat für die Rezeption des Schriftstellers in der Welt des Rocks große Bedeutung, denn das Debütalbum "Tales Of Mystery & Imagination" von THE ALAN PARSONS PROJECT aus dem Jahr 1976 wurde direkt angeregt von der fragmentarischen Komposition Debussys und zitiert ausführlich aus ihr. Bekannte Sänger, wie etwa John Miles und Arthur Brown, interpretieren die Stücke, die sich auf makabre Erzählungen und Gedichte beziehen. Der Titel bezieht sich auf eine Sammlung von Erzählungen des Schriftstellers, die erstmalig 1919 unter diesem Titel erschien. Ein ganzer dem Meister des Makabren gewidmeter Langspieler war damals etwas Besonderes und so stellt "Tales Of Mystery & Imagination" einen Meilenstein der Poe-Rezeption in der Rockmusik dar.
Weitere Werke, die vorwiegend dem Heavy Metal in unterschiedlichen Schattierungen entstammen, sollten folgen, wobei einige Veröffentlichungen vollständig, andere in Teilen auf Texten des Dichters beruhen.

MANILLA ROAD, die Helden des Underground aus Wichita in Kansas, hatten 1987 das Album "Mystification" am Start, das zu großen Teilen dem Werk des Meisters verpflichtet ist und schon mit dem gründlich misslungenen Artwork auf die Erzählung 'Masque Of The Red Death' verweist. In unserem kürzlich veröffentlichen Diskografie-Check belegte "Mystification" einen starken zweiten Platz. Michael Romeo, Gitarrist von SYMPHONY X, packte auf sein Instrumentalwerk "The Dark Chapter" von 1997 gleich mehrere Songs, die auf Poe Bezug nehmen. Ähnliches initiierte GRAVE DIGGER 2001 auf dem Langspieler "The Grave Digger", denn auch auf diesem ist Poe allgegenwärtig. 2011 veröffentlichte die im selben Jahr aufgelöste norwegische Black-Metal-Truppe TREMOR die EP "The Poe Sessions – And Random Pieces Of Black Metal", wobei einige Titel sofort als klare Bezugnahmen erkennbar sind. Die Symphonic Black Metaller NIMPHAION aus Russland stellten auf "Quoth The Raven" (2018) ebenfalls ein ganzes Album mit Stücken zusammen, die vor allem auf Gedichte, aber auch auf Erzählungen Poes zurückgreifen. Die Symphonic Gothic-Band SHADOWHISPERS aus Luxemburg brachte in diesem Jahr erst den Langdreher "Poe" heraus.

Die Gedichte

'The Raven' (1845) ist mit Abstand das bekannteste Gedicht Poes, ja eines der berühmtesten lyrischen Werke Amerikas überhaupt und ist nicht mehr aus der gehobenen Kulturszene, aber auch nicht aus der Popkultur wegzudenken. So darf es auch nicht auf "Tales Of Mystery & Imagination" von THE ALAN PARSONS PROJECT fehlen. Mit symphonischen und elektronischen Elementen und phasenweise auch mit Vocoder wird ein eher bombastischer Ansatz verfolgt. Das nur etwas mehr als eine Minute währende 'Nevermore' von QUEEN (1974) zitiert nicht direkt aus dem Poem, ist aber von ihm inspiriert. Unter diesem Namen stellt sich der Rabe dem über den Verlust seiner Geliebten trauernden Sprecher der Zeilen vor. GRAVE DIGGER lässt auf dem schon erwähnten Poe-Album 'Raven' bombastisch beginnen, macht aber dann einen echten straighten Metal-Song daraus. Ich finde, das ist einer der besten Songs der Totengräber aus dieser Phase. 2002 packte die deutsche Formation LIGEIA 'Nevermore' als ersten Song auf ihr Zwei-Track-Demo.

Aber auch heftigere Töne verträgt unser Rabe, denn die Death-Metal-Band CONDUCTING FROM THE GRAVE röchelt und keift auf dem Album "Revenants" (2010) den Song 'Nevermore' und setzt dabei lyrisch eigene Akzente. TRISTANIA gestaltet das Stück 'My Lost Lenore' (2015) mit den Mitteln von Gothic und Symphonic Metal und präsentiert dazu ein kitschiges Video, über dessen Daseinsberechtigung sich diskutieren lässt. 'Nevermore' von ROTTING CHRIST aus dem Jahr 2019 nähert sich dem Thema mit eigenen Lyrics, inkorporiert aber auch Textfragmente aus Poes Gedicht als gesprochenen Text. Auch die schon erwähnte Formation SHADOWHISPERS hat einen Song 'The Raven' zu bieten. Die Band TREMOR hat sich mit dem Albumtitel "For A Glance Of The Lost Lenore" (2008) der Textstelle "sorrow for the lost Lenore" aus 'The Raven' angenommen, während die EP "Sorrow For The Lost Lenore" von A DREAM OF POE aus dem Jahr 2009 sogar direkt aus dem Gedicht zitiert. Die russische Band NIMPHAION schenkt mit 'Raven' dem Text ihre besondere Aufmerksamkeit, denn ihre Interpretation ist zwölfeinhalb Minuten lang.

Dem erst posthum veröffentlichten Gedicht 'Alone' erweisen die norwegischen Avantgarde-Metaller von ARCTURUS (1997) und GREEN CARNATION (2006) in einer folkigen Akustik-Version, recht ätherisch wiederum SHADOWHISPERS ihre Reverenz. ARCTURUS und GREEN CARNATION übernehmen den Text unverändert, während SHADOWHISPERS die Zeilen umstellt.

'Haunted Palace' (1839) wurde in die Erzählung 'The Fall Of The House Of Usher', die im zweiten Teil dieses Artikels noch ausführlich Thema sein wird, eingebaut. MANILLA ROAD und GRAVE DIGGER nahmen sich dieses Gedichts gesondert an. Beide Versionen sind richtig schön metallisch.

 

 


Das im Todesjahr Poes veröffentlichte 'A Dream Within A Dream' gehört zu den von THE ALAN PARSONS PROJECT behandelten Texten. Der gleichnamige Song ist zu Beginn ein von Orson Welles gesprochener Text, dessen letzte Zeilen ein direktes Zitat aus dem Gedicht des Meisters sind. Ansonsten ist der Song ein stimmungsvolles Instrumental. Die Rezitation wurde übrigens mit dem Erscheinen der CD-Version im Jahr 1987 erstmalig verwendet. Auch SHADOWHISPERS und NIMPHAION ließen sich die großartige literarische Vorlage nicht entgehen. Meiner Meinung nach spielt auch das göttliche 'The Ivory Gate Of Dreams' auf dem Album "No Exit" von FATES WARNING (1988) auf 'A Dream Within A Dream' an, da es ähnliche sprachliche Bilder verwendet.

 

 

Auch Poes Juvenilia sind durchaus Thema im Metal. In 'Notes To Tamerlane' wenden sich die allseitig interessierten GRAVE DIGGER dem 1827 erschienenen Gedichtband "Tamerlane And Other Poems" zu, von dem heute nur noch zwölf Exemplare erhalten sind. Der erst 18-jährige Dichter veröffentlichte diese von ihm selbst finanzierte Sammlung nicht unter seinem eigenen Namen, sondern zeichnete sie mit dem Vermerk "by a Bostonian". Mit dieser Gedichtsammlung setzt sich auch die Symphonic-Black-Metal-Truppe LEGACY OF EMPTINESS aus Norwegen auseinander. Ihr Album "Over The Past", das 2017 beim Label Black Lion Records erschien, enthält mit 'Evening Star' eine sehr gelungene Hommage an das gleichnamige Gedicht. Dem früh entstandenen 'Spirits Of The Dead', das 1827 aber noch den Titel 'Visits Of The Dead' trug, widmeten sich wiederum die Schwarzmetaller TREMOR, die Symphonic Metaller SHADOWHISPERS, die Schwarzmetaller NIMPHAION und GRAVE DIGGER, die sich für einen schnellen Rocker mit Doublebass-Ausbrüchen entschieden. Die EP "Arche" der Death/Gothic Metaller LUMINARIA aus Polen (2005) enthält mit 'Al Aaraaf' eine Adaption eines frühen lyrischen Werks, das 1829 erstmals publiziert wurde, aber von Poe nach seinen eigenen Angaben schon vor seinem 15. Geburtstag verfasst wurde und das von der siebten Sure des Qur'an inspiriert ist.

Das aus vier Strophen bestehende elegische Gedicht 'To One In Paradise', das 1835 entstand, wird von Terry Sylvester von THE HOLLIES auf dem bereits mehrfach erwähnten Langspieler von THE ALAN PARSONS PROJECT gesungen. Auch hier geht der Text durchaus eigene lyrische Wege.

 

Das änigmatische 'Dream-Land' (1844) wurde wie so oft von GRAVE DIGGER und SHADOWHISPERS musikalisch verarbeitet, aber auch von der progressiv-symphonischen Formation GREEN LABYRINTH aus der Schweiz, die in diesem Jahr erst den Originaltext vertonte. Die Black-Metal-Truppe CRESCENT aus Ägypten betitelte ihr 1999 erschienenes Demo mit "Edgar Allan Poe's Dreamland".

'The Conqueror Worm', das 1843 zunächst als eigenständiges Gedicht erschien, dem 1845 aber einer revidierten Fassung der berühmten Erzählung 'Ligeia' beigefügt wurde, ist thematisch ein Memento mori. Es wäre also eigentlich eine Steilvorlage für alle Doom-Bands. Tatsächlich vertonten aber die Symphonic Metaller ODES OF ECSTACY auf ihrem 2000er Album "Deceitful Melody" den gesamten Text in männlich-weiblichem Wechselgesang. Die Symphonic Black Metaller NIMPHAION, auf ihrem mehrfach erwähnten Langspieler, gaben ebenfalls dem gesamten Text einen schwarzmetallischen Anstrich. Auch die Blackgaze/Post Black Metaller SEPULCHRE BY THE SEA können mit 'Conqueror Worm' (2020) aufwarten.

'The Valley Of Unrest' (1831) kann in Bearbeitungen der üblichen Verdächtigen MANILLA ROAD, NIMPHAION und SHADOWHISPERS genossen werden.

Für einige Gedichte konnte ich bisher nur metallische Bearbeitungen von einzelnen Bands nachweisen. Hierzu zählen: 'Lenore' (1843), 'The Sleeper' (1831) und das eingangs genannte 'Annabel Lee' von NIMPHAION, 'Silence' (1839) und 'The Bells' (1848) von GRAVE DIGGER, 'O Tempora O Mores' (möglicherweise bereits 1825 entstanden) und 'Bridal Ballad' (1837) von SHADOWHISPERS.

Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir uns dann mit den Erzählungen Poes beschäftigen. Da wird auch der traditionelle Heavy Metal eine größere Rolle spielen. Auch große Namen werden vertreten sein. Versprochen!

 

 

Hier kommt ihr zum zweiten Teil.

 

Redakteur:
Jens Wilkens
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