FAKE IDYLL: Interview mit Drummer Christof Kather

04.03.2014 | 07:54

Palaver über Schreckensgene, Riffsammler, japanische Kampfhörspiele und die atomisierte Gesellshaft.

"Genome Of Terror" von FAKE IDYLL gehört für mich schon jetzt zu einer der geilsten Instrumental-Metal-Scheiben der letzten Jahre (die letzte so coole war "On The Steps Of The Temple" von TEMPEL). Klare Ansage für ein Interview mit Drummer Christof Kather. Wir schreiben uns einen ganzen abend lang Mails hin und her. Und im Verlauf  dieser Korrespondenz erfahre ich, dass FAKE IDYLL ein Ableger einer wesentlich bekannteren Band ist...  


Lass uns erstmal über "Genome Of Terror" reden. Was ist das Erbgut des Terrors? Du kannst jetzt wirklich alles antworten, musikalisch auf FAKE IDYLL bezogen oder aber politisch, oder wissenschaftlich, was Du willst...

Der Begriff "Genom des Schreckens" fiel ursprünglich mal im Zusammenhang mit der EHEC-Epidemie. Als die Entscheidung fiel, nicht mehr länger auf Vocalspuren aus Colorado zu warten und die neue FAKE IDYLL instrumental zu veröffentlichen, brauchten wir schnell neue Titel für die Tracks und auch für das Album. Zunächst fanden wir "Het Circus van de Zombies" gut, also einen niederländischen Titel. Dieser war uns dann aber doch zu konstruiert und sperrig. Über das Genom des Schreckens bin ich gestolpert, als ich nach etwas ganz anderem gegoogelt hatte. Da der Titel eines Instrumentalalbums nahezu egal ist, haben wir den dann in seiner englischen Übersetzung genommen. Mit dem Genom des Schreckens kann auch das menschliche Erbgut gemeint sein.

Ich habe, bevor ich die Scheibe zum Besprechen gewählt habe, explizit unseren Scheibenverteiler gefragt, ob er sich sicher ist, dass sie ohne Gesang ist. Denn den fand ich bei Hörproben vom Vorgänger "Therapist" (damals nicht sehr gemocht von Autor Björn Backes) grauenhaft. Ich sage also danke, denn so kann ich "Genome Of Terror" in vollen Zügen geniessen.

Doch zurück zu den Song-Titeln: Ich arbeite ja in einem wissenschaftlichen Labor, das sich mit Gentechnik beschäftigt und habe die CD auch meinen Kollegen gezeigt. Die Songnamen sprechen von einem typischen, leicht nerdigen Wissenschafler-Humor. 'Coffin Break': grandios. Oder 'Petridished'. Manche Titel ('The Unbearable Lightness Of Being Connected' oder 'Text Message Breakup') veräppeln auch ein bischen die junge Handy/Facebook-Welt. Steckt hinter den Songtiteln nicht doch mehr als eher unwichtige Namen für Instrumentalsongs?

Die Titel sind in Zusammenarbeit mit dem dänischen Wissenschaftler Dr. Thomas Ottersen erbrainstormt worden, der sich viel mit Fragen der modernen Arbeitswelt auseinandersetzt. Im Groben mit der Entfremdung des Menschen in der arbeitsteiligen und atomisierten Gesellschaft. Facebook spielt in diesem Zusammenhang natürlich auch irgendwie eine Rolle. Im Grunde ist die Themenwelt jener der JAPANISCHEN KAMPFHÖRSPIELE nicht unähnlich. Bei FAKE IDYLL wollten wir aber englische Titel haben, was einen ganz neuen Inspirationsrahmen und Spielplatz für Wortspiele ermöglichte.

Atomisiert? Meinst Du individualisiert? Das passt aber nicht zu arbeitsteilig. Kannst Du bitte "Entfremdung des Menschen in der arbeitsteiligen und atomisierten Gesellschaft" ein wenig näher erläutern?

Atomisiert oder individualisiert, das ist doch dasselbe. Eine Entfremdung findet sowohl durch die Arbeitsteilung als auch durch das Individualitätsdiktat statt. Das sind natürlich keine superneuen Entwicklungen, heutzutage ist nur alles voll auf die Spitze getrieben. Wir sind jetzt aber keine Philosphen oder sowas. Wir wollen eigentlich nur basteln. Also alles rein in den Topf, kräftig umrühren und gucken, was hinten rauskommt.

Klingt nach einer Mischung aus Chemiker und Koch, haha, sehr sympathisch.

Jetzt muss ich mich aber leider bei Dir als Unwissender outen. Ich habe JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE vor genau fünf Minuten das erste Mal gehört. Aha. Was ist denn das? Ich glaube, FAKE IDYLL mag ich lieber...



Ah. Okay. Dann klär ich dich und die Leser schnell mal auf. FAKE IDYLL ist sozusagen ein Nebenprojekt von JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE (kurz JaKa). JaKa ist natürlich - nicht zuletzt durch die Vocals - unhörbar. Auch der Sound der JaKa ist nur schwer verdaulich. Wenigstens Zweiteres wird sich aber auf dem bald erscheinenden Reunionalbum ändern. Für den Mix haben wir nämlich genau denselben Mischer engagiert, der auch die "Genome Of Terror" so wunderbar transparent und ehrlich klingend gemacht hat.
Unsere Familie ist eigentlich noch größer. Die Riesenspielwiese heißt Unundeux. Da toben wir uns fernab der sozialen Netzwerke aus. Es ist ein grober Zusammenschluss von Typen, die mehr drauf haben als die anderen, an Geld oder Ruhm aber nicht sonderlich interessiert sind, weil dies beides ja meist zu Qualitätseinbußen in Sachen Kreativität führt. Mit von der Partie sind nicht nur Musiker, sondern auch Leute, die sich zum Beispiel mit Siebdruck auskennen. Und jüngst eben der Filmkomponist Carsten Benninghoff, der bei uns - jedenfalls bis wir aus Spaß mal einen Film machen - für Mix und Mastering zuständig ist. Diese Informationen hatte ich jetzt vorausgesetzt, was natürlich verrückt war, handelt es sich bei unserer sektenähnlichen Gruppierung ja eben um ein ziemlich eingeschworenes Ding.


Danke für die Erklärung. Nun, hier soll es aber in erster Linie um FAKE IDYLL gehen. Ich denke ja, um "Genome Of Terror" zu mögen, muss man kein Freak und auch kein Riesen-Insider sein. Zwei meiner Arbeitskollegen - non-Metaller - fanden das im Auto auf Anhieb cool. Und für einen Metal-Fan ist das ein wahres Sammelsurium aus Black- Death- und Thrash-Riffs, gewürzt mit Djent und Sludge und ein bischem obskurem. Und das mit einem wirklich tollem Sound!

Mir gefällt die Platte auch. Ich komme zwar aus dem Metal, höre aber privat eher weniger Hartes. "Genome Of Terror" ist in der Tat die erste Platte, auf der ich spiele, die ich auch wirklich angenehm anzuhören finde. Das ist jetzt kein Witz. Bei JaKa zählen für mich andere Aspekte. JaKa sollen ja weh tun, und man muss sich damit beschäftigen, wenn man sie hört. Die FAKE IDYLL kann man auch mal nebenbei laufen lassen. Bei "Genome Of Terror" haben wir mal ausprobiert, was für Musik wir auch noch spielen können neben Death Metal und Grindcore.


Seid ihr Riffsammler und -Aneinanderreiher oder ist die Musik schon vorher als großes Ganzes geplant und durchstruktiriert?


Entstanden ist die Platte in der für uns typischen Arbeitsweise. Und zwar schreiben wir Stücke, während wir sie schon aufnehmen. Zuerst wird improvisiertes Schlagzeug aufgenommen, dann kommen Gitarren dazu, die ebenfalls improvisiert werden. Über die Drumstracks eben. Zwischendurch wird das sich so ergebende Material mehrmals zerschnitten und anders zusammengesetzt. Das Basteln an den Tracks, also das Ändern der Arrangements ist auch dann noch nicht abgeschlossen, wenn dann irgendwann der Bass dazu kommt. Es kann halt den ganzen Entstehungsprozess über alles passieren und keiner der Beteiligten hat anfangs auch nur die leiseste Ahnung davon, wie das Endergebnis klingen wird. Moderne Technik macht diese Art Stücke zu schreiben möglich. Wir achten aber immer darauf, dass es organisch klingt und spielbar bleibt. Bei "Genome Of Terror" sind wir wie gesagt selbst ganz überrascht gewesen, wie interessant und gleichzeitig verdaulich das Album geworden ist.





Bei mir läuft die Scheibe während unserer Mails jetzt schon zum dritten Mal durch. Ich bin ja auch eher der Schöngeist der Redaktion. Mag Frauengesang, Frickelprog, New Artrock und RADIOHEAD. Hier könnte ich aber dauerbangen, so geile Rhythmen, und immer wenn die Knobelei etwas wirr zu werden droht, kommt die Killermelodie. Ich werf mal ein paar Bands in den Raum, die meiner Meinung etwas mit FAKE IDYLL zu tun haben und Du sagst was dazu? BLOTTED SCIENCE, NEVERMORE, MESHUGGAH, CYNIC und: RADIOHEAD!


Da kenne ich nur drei von. RADIOHEAD mag ich auch. Ich kann aber definitiv sagen, dass wir uns von keiner speziellen Band haben beeinflussen lassen. Parallelen gibt es sicher.

Naja, der Ron von BLOTTED SCIENCE fotografiert z.B. Wolken, schreibt die in Noten um spielt das dann auf seiner Gitarre. Erinnert etwas an eure Schnibbelei. Beides klingt zwar abgefahren aber immer noch erstaunlich natürlich.

Ah ja. Das ist natürlich auch eine geile Herangehensweise. Noten können wir nicht. Glaube ich jedenfalls. Robert (Nowak, Gitarren, T.B.) kann vielleicht welche. Aber der kifft dafür nicht.

Dann die letzte Frage: Klingt denn FAKE IDYLL live genauso wie auf Platte, oder habt ihr da auch ein paar besondere Improvisations-Tricks. Und wann darf man das sehen? Und plant ihr auch, das Ausland zu besuchen, z.B. Bayern? Dann steh ich in der ersten Reihe und bange um die Olympiagoldmedaille.


Oha. Da muss ich dich enttäuschen. Liveshows sind mit FAKE IDYLL nicht geplant. Robert und ich sind als nächstes erstmal wieder mit JaKa unterwegs. Wenn "Genome Of Terror" jetzt plötzlich voll der Renner werden würde, könnte man sich überlegen, auch damit mal ein paar Shows zu spielen. Das sehe ich aber nicht unbedingt kommen.

Schade. Aber vielleicht trifft man sich ja mal anderweitig. Vielleicht ja auf einem Konzert der wiederbelebten JAPANISCHEN KAMPFHÖRSPIELE.

Redakteur:
Thomas Becker

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