FATES WARNING: Interview mit Ray Alder

03.11.2020 | 21:48

"Das letzte Ausrufezeichen? oder: Die Zweifel des verrückten Professors"

Ich habe es in meiner Rezension geschrieben, ein FATES WARNING-Album ist immer ein Festtag, so natürlich auch "Long Day Good Night", das mit 72 Minuten Spielzeit zudem ungewöhnlich üppig ausfällt. Ein letztes Festessen also bevor der Vorhang endgültig fällt? Rays Aussagen in anderen Interviews implizieren dies, aber natürlich möchten wir dies von ihm selbst wissen. "Nun, das kann schon sein. Jim hat das durchaus angedeutet, aber als er mit mir darüber reden wollte, war ich gerade ganz schön im Stress, weil ich die Vocals für das Album aufgenommen habe und von daher habe ich das ein bisschen weggedrückt. Aber ja, er hat das angedeutet, allerdings haben wir noch nicht wirklich zusammen gesessen und darüber geredet. Von daher war ich bei früheren Interviews vielleicht ein bisschen vorschnell. Letztendlich sollte ich das auch gar nicht verkünden, denn das ist Jims Sache, denn FATES WARNING ist in erster Linie Jims Band. Und es ist durchaus möglich, dass er keine Interviews für dieses Album gibt, um diese Frage nicht jedes Mal wieder beantworten zu müssen." Was darauf hindeuten könnte, dass er noch nicht sicher ist. "Ja, das ist schon möglich. Bereits bei den letzten beiden Platten hat es Jim etwas widerstrebt diese zu machen und ich finde immer noch, dass vor allem "Theories Of Flight" ein ganz tolles Album geworden ist, das uns zudem auch in Sachen Tourneen an viele neue Orte geführt hat. Diese Unsicherheit ist also nichts Neues, aber dieses Mal hat es sich eben etwas anders angefühlt. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt." Ich persönlich werte dieses Statement als Hoffnungsschimmer.

Kommen wir also auf das Album zu sprechen, das mit 13 Songs in 72 Minuten zum einen - wie bereits oben erwähnt - ungewöhnlich lang ist, zum anderen aber auch ungewöhnlich kompakt und ziemlich eingängig, ohne dabei flach zu sein. 'Shuttered World' hatte ich einen Morgen im Ohr, ohne dass ich genau wusste, welchen Refrain ich da gerade singe. "Ha, das sind doch immer die besten Songs, oder?", lacht Ray. "Ich liebe es, wenn das passiert. Man hört ein neues Album ein paar Mal, vielleicht auch nur so semi-bewusst, weil man etwas nebenher macht und plötzlich hat man einen Ohrwurm. Ich finde, das sind immer ganz besondere Songs und fühle mich da fast ein bisschen geadelt", schmunzelt Ray weiter. "Dass es dieses Mal 13 Songs geworden sind, lag schlicht an der Tatsache, dass Jim so viele tolle Songs geschrieben hat. Er wollte eigentlich zehn oder elf Nummern auf das Album packen, aber ich meinte dann zu ihm, dass die Songs doch alle toll sind und wir auf unserem 13. Album doch auch ruhig 13 Songs nehmen können. Er hat erst etwas gezweifelt und dann ewig lange an der Tracklist gearbeitet, um zu sehen, ob das auch wirklich funktionieren kann. Da ist er dann wie ein verrückter Wissenschaftler im Labor, aber dann kam er doch am Ende zu dem Ergebnis, dass ich recht habe", schallt es lachend durch den Hörer.

fates warning long day good night cover

Sehr entscheidungsfreudig ist Jim offensichtlich nicht. "In Bezug auf die Musik ganz sicher nicht", lacht Ray wieder. "Es ist schon so, dass ich ihn häufiger mal davon überzeugen muss, dass ein Song so wie er ist, dann auch wirklich gut ist. Und er nicht mehr gekürzt oder verlängert oder mit einem anderen Sound oder einem anderen Effekt versehen werden muss. In den allermeisten Fällen machen seine Ideen die Songs schon besser, aber manchmal eben nicht. Und wir arbeiten jetzt so lange zusammen, dass er dann auch manchmal auf mich hört." Dieser Perfektionismus hat bislang ausnahmslos großartige Musik hervorgebracht, von daher wurde da alles richtig gemacht.

Musikalisch gibt es auf "Long Day Good Night" natürlich auch wieder Einiges zu entdecken. Besonders hervor sticht der Longtrack 'The Longest Shadow Of The Day'. "Oh man, ich liebe den Song", beginnt Ray. "Tatsächlich habe ich ihn bis kurz vor Fertigstellung des Albums nie ganz gehört gehabt. Jim meinte immer nur, dass er da an einem wirklich langen Song arbeitet und ich ihn dann zu hören bekomme, wenn er fertig ist. Ich wusste also nur, dass mein Teil nur einen kleinen Part der Komposition ausmacht, aber wie es drumherum aussieht, wusste ich nicht. Als Jim mir den Song dann geschickt hat, kam er mit einem Disclaimer von ihm, dass ich ganz offen an den Song herangehen sollte. Auch wegen des Saxophons. Und ich dachte nur: 'Was zur Hölle? Ein Saxophon?'. Und dann habe ich ihn gehört und die Nummer hat mich einfach umgeblasen. Das Saxophon kommt ja nur kurz, so vielleicht acht Sekunden vor, aber der ganze jazzige Beginn ist einfach großartig. Ich finde es fantastisch, dass auch Joey und Bobby da mal wirklich im Mittelpunkt stehen. Und dann der harte Teil! Meine Güte, was sie da abziehen, ist einfach unglaublich. Ich hatte fast ein bisschen Angst, dass mein Gesangspart dagegen abstinkt, aber Jim hat das einfach wunderbar zusammengesetzt. Du merkst schon, ich mag den Song wirklich", schallt es aus dem Telefon. Ich ja auch, aber warum wird er ausgefadet? "Hahaha, das ist eine schöne Überraschung, oder? Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, was Jim sich dabei gedacht hat, weil wir schon seit Ewigkeiten keinen Song mehr haben ausfaden lassen. Das ist ja auch so ein Ding der Siebziger. Vielleicht ist das noch mal der ultimative Überraschungsmoment, aber genau weiß ich das ehrlich gesagt gar nicht."

fates warning

Mein Favorit ist bislang das großartige 'The Way Home'. "Dazu gibt es auch ein bisschen eine besondere Geschichte und die habe ich bislang tatsächlich noch niemandem erzählt", beginnt Ray. "Wenn ich Melodien schreibe, dann mache ich das immer einfach mit Worten, die keinen Sinn ergeben. Einfach Nonsens. Nur, um nicht irgendwelche Melodien summen zu müssen. Hier war das anders, denn ich hatte zuvor mit Jim eine Unterhaltung über den vermissten malaysischen Flug 370. Und Jim hat mir ein paar Artikel dazu geschickt und ich dachte mir, dass das eine gute Inspiration für einen Text sei. Und so habe ich 'The Way Home' von Beginn an mit diesem Gedanken im Kopf getextet. Es ist keine Verschwörungstheorie oder so, sondern einfach eine Story, die sich mit dem Piloten und den Passagieren beschäftigt. Wenn du den Text liest, wird das sicher Sinn machen." Das gilt es noch zu überprüfen. "Das war übrigens auch einer der Songs, wo Jim mit einer Änderung kam. Er kam mit diesem wirklich großen Chorus, den ich liebe. Und einen Monat später kam er dann und meinte, wir sollten lieber den alten Chorus nehmen. Ich rief nur: "Oh, nein! Der Song funktioniert so viel besser!". Jim war dann erst etwas unsicher, aber ich konnte ihn dann schlussendlich überzeugen, dass es so besser ist." Ungehört glaube ich, dass das die richtige Entscheidung war.

Redakteur:
Peter Kubaschk

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