GAMMA RAY: Interview mit Dirk Schlächter

22.12.2009 | 16:02

Nach der Listening Session zu GAMMA RAYs neuer Veröffentlichung "To The Metal" hatte ich die Ehre Dirk Schlächter (Bass) über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Band auszufragen.

Jakob Ehmke:
GAMMA RAY veröffentlichen auf konstant hohem Niveau Musik, die in die Schublade "Power Metal" eingeordnet wird. Inwiefern seid ihr damit einverstanden?

Dirk Schlächter:
Das ist eine interessante Frage! Genau darüber hatte ich mich gestern mit einem englischen Journalisten auseinandergesetzt. Was ist denn "Power Metal"?

Jakob:
Hm. Power Metal steht für eine bestimmte Art von Texten, die sich oftmals mit romantischen Themen befassen (Drachtentötung etc.). Was auf GAMMA RAY eigentlich nicht unbedingt zutrifft.

Dirk:
Das sehe ich auch so.

Jakob:
Die Musik wird relativ schnell gespielt, ist sehr Double Bass-lastig und hat sehr einprägsame Melodiebögen. Der Sänger singt eigentlich immer in hohen Tonlagen. Das passt besser, oder?

Dirk:

Ja, und das Merkwürdige ist, dass heute viele Bands zum Genre "Power Metal" gehören, obwohl sie gar nicht aus der Zeit stammen, in der das Genre durch bestimmte Bands geprägt wurde.

Jakob:
Moment, ich muss das erstmal festhalten. Sorry für die kleinen Pausen, die während des Schreibens auftreten...

Dirk:
Das macht gar nichts! Sich Zeit zu nehmen, ist sehr wichtig. Früher hatte man z.B. beim Recording mehr Zeit durch einfache Tätigkeiten wie das Spulen der Räder der Tonbandmaschine, was ich sehr angenehm empfand. Heute werden die Ohren mehr belastet, aber man schafft auch mehr.

Jakob:
Gibt es weitere Veränderungen durch die zunehmende Digitalisierung bei Recordings?

Dirk:

Das Problem bei den modernen Aufnahmetechniken ist, dass man nie alles wissen kann. Man tauscht Erfahrungen aus, experimentiert nach eigenen Vorstellungen: "Wie bekomme ich den Sound hin, der mir gerade im Kopf vorschwebt?"

Jakob:

Apropos Aufnehmen: Ich empfinde die neuste Aufnahme "To The Metal" um einiges stärkes als den Vorgänger "Land Of The Free II". Siehst du das auch so?

Dirk:
Ich sag nicht, dass die alte CD besser ist als die neue. Darum geht es nicht. Ich sehe unsere Veröffentlichungen als Status Quo, "so sind wir". Wir verschieben lieber den Release, wenn unbedingt nötig. Bevor wir uns der neuen Tracks nicht sicher sind, denken wir gar nicht an einen Release.

Jakob:
20 Jahre GAMMA RAY, internationaler Erfolg, zehn Studioalben, hunderte Konzerte. Müsst ihr trotz eurer hohen Popularität Nebenjobs verrichten oder lebt ihr nur vom aktiven Musizieren? Und zweitens: Ist das alles bereits selbstverständlich für euch oder könnt ihr den Erfolg noch wertschätzen?

Dirk:
Zum ersten Teil: Jeder macht Nebenjobs. Ich produziere selbst neben GAMMA RAY auch andere Bands, Henjo (Gitarre) ist Grafiker, Daniel (Drums) gibt Schlagzeugunterricht und spielt Drums bei FREEDOM CALL, auch Kai hilft oft bei anderen Bands aus. Durch die Insolvenz von unserer alten Plattenfirma SPV mussten wir uns einen neuen Vertrieb suchen. Der neue Deal mit "Edel" gab uns nochmal einen Kick nicht alles selbstverständlich zu sehen. Von Plattenverkäufen kann heutzutage aber keine Band mehr leben. Ohne ausführliche Touren kann man es vergessen.

Jakob:

Zum Bestehen der Metalwelt trägt aber auch vor allem die große Fangemeinde bei oder?

Dirk:
Die Metalfans sind die Loyalsten, absolut! Zum zweiten Teil deiner Frage: Ja, wir können unseren Erfolg wertschätzen. Ich würde am liebsten für immer Musiker bleiben und mehr Zeit haben, das ist mein Ziel. Mit 15 war es noch eine Idee, zehn Jahre später wurde es Wirklichkeit. Es ist aber auch normal geworden über die Jahre, aber ich weiß, dass es verdammt kurz davor ist, dass es nicht mehr so ist. Heutzutage ist es als Band höllenschwer auf so ein Level wie GAMMA RAY zu kommen...

Jakob:
Was mir auffällt ist, dass viele Veröffentlichungen, auf den Punkt gebracht, nicht zu gebrauchen sind. Ich höre viele Sachen, die eigentlich nur eine schlechte Kopie des Originals sind. Wie können sich Plattenfirmen in schwierigen Zeiten, wie du sie angedeutet hast, solche Bands leisten?

Dirk:
Es gibt viele soundtechnisch gute Sachen, die musikalisch aber Müll sind, das stimmt. Das liegt daran, dass die Plattenfirmen einen möglichst großen Katalog brauchen.

Jakob:
Habt ihr euch musikalisch bisher alle Wünsche erfüllt? Wie z.B. an besonderen Locations zu spielen oder mit speziellen Bands aufzutreten?

Dirk:

Fremde Länder sind immer was Schönes. Musikalisch baue ich gerne Neues ein. 'Empathy', 'Somewhere Out In Space' und 'Wannabees' sind Beispiele dafür. Was zu engstirnig gesehen wird, ist mir zuwider. Es gibt auch guten Country oder Western. Ich bin sowieso der Überzeugung, dass es in jeder Musikrichtung, außer deutschem Schlager, gute und schlechte Musik gibt. Jemand der sagt, Metal sei alles, der wäre nicht so auf meiner Wellenlänge.

Jakob:

Wo seht ihr euch in 20 Jahren? Und habt ihr euch VOR 20 Jahren dort gesehen, wo ihr jetzt seid?

Dirk:
Ich habe mir damals gewünscht, dass es irgendwie geht. Ich habe mir jedoch vor 20 Jahren keine Gedanken darüber gemacht, wie es sein wird. Jetzt mache ich mir schon Gedanken darüber. Ich habe einerseits zwei Kinder (fünf und 16 Jahre alt), andererseits gehen im Business viele Dinge den Bach runter. Ich habe keine Angst, ich weiß aber auch, dass es so nicht weitergehen kann und im Business noch schlechter wird. Kritisch, aber hoffnungsvoll. Das spiegelt sich auch auf dem neuen Album wider. Aufstehen, nach vorne schauen, positiv denken.

 

 

Jakob:
Hat irgendwer von euch eine musikalische Vorbildung genossen?

Dirk:
Ja, ich habe ca. 2 1/2 Jahre eine klassische Gitarrenausbildung absolviert, danach kam 2 1/2 Jahre Blockflöte, dann wollte ich Schlagzeug lernen. Im 4. Stock eines Hochhauses ging das aber nicht. Also hat mir meine Mutter vorgeschlagen E-Gitarre zu lernen. Da hatte ich aber anfangs gar keinen Bock drauf. Nach der zweiten Stunde hat es aber Spaß gemacht. Dass es zur Profession werden sollte, wurde dann kritisch gesehen. Ich kann nun nicht mehr vom Blatt spielen, das möchte ich aber wieder lernen nach der Tour. Frank Zappa war diesbezüglich genial. Meine Technik ist nun ein großes Plus. Alle in GAMMA RAY genossen musikalische Ausbildungen. Daniel hat Jazz-, Fusion-, Funk-, Latin- und Rockschlagzeug studiert, Henjo hat lange Piano-Unterricht genommen. Kai lernte ich 1989 während dem Pop-Kontaktstudiengangs in Hamburg kennen. Er brachte mir Metalgitarre bei. Ich war zuerst Basser, dann Gitarrist, habe später auch die Keys übernommen, das wurde mir aber schnell zu viel. Dann wurde ich wieder Basser. Ich bin Musiker...

Jakob:
Die Komponisten der einzelnen Tracks sind auf "To The Metal" scheinbar nach Plan gelaufen: 6 Tracks sind von Kai, der Rest wurde unter der Band mit jeweils zwei Tracks aufgeteilt. Ist dem so?

Dirk:
Nein, das wurde nicht geplant, das kommt bei uns zufällig. Henjo hatte sogar mehr Songs mitgebracht, die waren aber nicht ausgearbeitet. Die kommen dann auf die nächste Platte.

Jakob:
Was mich persönlich mal interessieren würde: Wie läuft die Bezahlung eines professionellen Musikers mit Label ab? Werdet ihr einmal monatlich entlohnt oder wie muss man sich das vorstellen?

Dirk:
Das läuft überall unterschiedlich. Bei "Noise" hatten wir einen Vorschuss, also ein Kontingent, das wir uns monatlich auszahlen lassen konnten. Heute bekommen wir auch einen Vorschuss: die Hälfte bei Produktionsbeginn, die andere Hälfte bei Abgabe des Master-Tapes. Dann kommen noch die Lizenzabrechnungen dazu. Die bekommst du, wenn du mehr CDs verkaufst, als dir vorgeschossen wurde. Hinzu kommen GEMA- und GVL-Einnahmen, sowie Beträge vom Verlag und der Plattenfirma. Ganz wichtig sind Tourneen, der Merchandise-Verkauf und die besagten Nebenjobs.

Jakob:
Als letzte Frage: Was für Tipps habt ihr an junge, aufstrebende Bands?

Dirk:
1. Gute Songs schreiben.
2. Einen guten "alten Hasen" finden, der einem bei der Produktion und mit Verträgen hilft.
3. Nicht den erstbesten Vertrag unterschreiben.
4. Machen, machen, machen. Nicht zu viel nachdenken.
5. Eine gute Band. Viele Bands sind leider nur noch Projekte.

Redakteur:
Jakob Ehmke

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