GATES OF DAWN: Interview mit Matthias Abel, Martina Lenz

05.04.2009 | 21:47

Im musikalisch eher unaufregenden hessischen Hanau haben GATES OF DAWN im vergangenen Dezember eine hoffnungsfrohe kleine Perle auf den Markt geworfen. Nachdem die ersten Reaktionen darauf eingesammelt und verdaut sind, reflektieren Songwriter Matthias und seine Gesangspartnerin Martina über vier Jahre Bandgeschichte und die Ambitionen der Zukunft.

Erika:
Mit "Parasite" legt ihr euer zweites Album innerhalb von drei Jahren vor. Im dazugehörigen Bandinfopapier, das mir vorliegt, ist die Rede davon, dass eure Musik ein Kaleidoskop aus nihilistischem Selbsthass und religiösen Erlösungsphantasien sei. Darüber hinaus zeigt das CD-Cover einen gekreuzigten Christus aus der Vogelperspektive. Warum habt ihr dieses Bild gewählt und was interessiert euch an religiösen Erlösungsphantasien?

Matthias:
Religion bringt die intensivsten menschlichen Gefühle und Sehnsüchte zum Ausdruck, seit je her sind sie der Motor von künstlerischer Produktivität, aber auch destruktiver Gewalt, wobei ich beides nicht zwangsläufig trennen würde. Ich selbst bin kein gläubiger Mensch, da der Glaube für mich jedoch nicht so bedeutend ist wie unmittelbare Erfahrung, ist der mystische Moment des Tremendum, des Erzitterns vor dem Geheimnis, für mich stets Vorraussetzung guter Musik, und das bleibt das Ziel unserer Konzerte. Auch der Tanz und der Körper spielt hierbei eine Rolle.
Zum Cover: Hier interessiert uns Jesus eher auf symbolischer Weise, als Sinnbild der menschlichen Existenz, denn dieser Jesus hängt ja nicht am Kreuz, sondern schwebt über dem Nichts, der Leere. Die Begegnung mit dem Nichts, der absoluten Sinnlosigkeit unseres Daseins war in meinem Leben das intensivste, schrecklichste, aber zugleich bekräftigenste Erlebnis innerer Stärke, das ich je hatte.

Erika:
Wie wichtig sind euch die Texte auf euren Alben? Ist es euch ein besonderes Anliegen, inhaltliche Botschaften zu vermitteln?

Matthias:
Text und Musik müssen eine Einheit bilden und aufeinander angewiesen bleiben. Ein Text, der ohne die Musik quasi als Gedicht funktionieren würde, verliert immer durch Musik. Ich versuche, die Texte immer als Teil des Songs zu gestalten. Ich habe in den Songs kein Anliegen, eher verfolge ich eine Programmatik, die man als Aneignung der äußeren Welt bezeichnen könnte. Ich trete in einen Spannungsraum zwischen mir und der Welt ein, in dem dann alles Äußere, Dinge, aber auch politische Ereignisse oder Kunst und Menschen zu Erfahrungen werden, die sich mit mir verbinden, mit meinen innerkörperlichen Empfindungen verschmelzen. Der Raum, in dem ich während des Arbeitens und Performens bin, ist also Vergleich mit dem, was der Psychoanalytiker Donald Winnicott den intermediären Raum genannt hat - den psychischen Zustand, in dem wir nicht zwischen Innerem und Äußerem unterscheiden müssen und von dem er annimmt, dass dies der Zustand der Kreativität, aber auch des Spielens ist. Über so etwas wie Induktion kommuniziere ich dann mit Martina, unserer Sängerin, der restlichen Band und dem Publikum.

Erika:
Ihr blickt auf eine bald vierjährige Bandgeschichte zurück. Im vergangenen Jahr hat euer bisheriger Sänger Steven Sader die Band verlassen. Hat das eine künstlerische Zäsur verursacht? Welche Folgen hatte der Sängerwechsel?

Matthias:
Jedes neue Album ist für uns eine Möglichkeit, uns neu zu erfinden, ob die Bandbesetzung sich ändert oder nicht. Natürlich gab es Veränderungen, Sader hat uns verlassen, da er in die Vereinigten Staaten ziehen musste, dazu sind wir nun ein Sänger-Duo, Martina ist ja auf "Parasite" das erste Mal dabei. Für mich als Songwriter hat sich die Arbeitsweise aber eigentlich nicht verändert, nur, dass ich nun noch intensiver mit den Liedern lebe. Etwas zu schreiben und selbst zu singen ist ein großartiges Gefühl, und es ist nun schon fast zehn Jahre her, seitdem ich das letzte Mal als Sänger einer Band fungiert habe.

Martina:
Den Sängerwechsel hab ich mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Zum einen habe ich mit Steven ein knappes halbes Jahr gesungen, was mich in Bezug auf meine Kreativität im Bereich Gesang eher Zurückhaltung üben ließ, wiederum aber auch Selbstbewusstsein in meinen Soloparts gab. Steven Sader ist ein großartiger Sänger mit einer starken Stimme, da er ja der Leadsänger von GOD war und erst mit meinem Eintreten in die Band Teil eines Duetts wurde.
Mit Matthias die Songs im Duett zu singen, die ich vorher mit Steven sang, ermöglichte mir, viel positiver und selbstbewusster mit meinem Gesang umzugehen, dadurch, dass ich die Songs kannte. Es gehörte aber auch eine enorme Umstellung dazu, da Matthias und Steven zwei völlig unterschiedliche Sänger sind.

Erika:
Wie bewertet ihr generell das bisher Erreichte? Hattet ihr euch 2005 Ziele gesetzt, die es zu erreichen galt? Wo steht ihr nach eurer Auffassung und welche Pläne habt ihr im Hinblick auf das Vorankommen eurer Band für die Zukunft?

Matthias:
Wir haben noch nicht genug. Zur Zeit sind wir aber in Verhandlungen mit einem Label und das war tatsächlich unser Ziel 2005, insofern hat es etwas länger gedauert, aber vier Jahre sind schon in Ordnung, um sich zu finden, auch wenn man einen Besetzungswechsel kompensieren muss. Die Stimmung innerhalb der Band und die positiven Reaktionen auf "Parasite" machen uns aber glücklich und regen unsere Kreativität an, denn wir funktionieren als Projekt nur im Zusammenspiel mit den Menschen, für die wir Musik machen.

Martina:
Ich würde mir mehr Gigs wünschen, nur so kommt man mit dem Publikum, den Menschen, die die Musik lieben, in Kontakt. Es gibt nichts Schöneres als auf der Bühne zu stehen und die Atmosphäre eines begeisterten Publikums in sich einzusaugen.

Erika:
Ihr stammt aus Hanau in Hessen, nicht gerade eine Metropole, die für eine lebendige Musikszene bekannt ist. Oder täusche ich mich?
Wie bewertet ihr die Gothic- und Metalszene in eurer Region? Nehmt ihr einen Zusammenhang zwischen eurem Erfolg als Band und der regionalen Szene wahr? Seht ihr euch selbst überhaupt als Teil einer Szene an oder legt darauf wert?

Matthias:
Hanau ist absolut tot, es gibt zwar wirklich interessante Bands, etwa CONTURA, die ich euch an dieser Stelle herzlich ans Ohr legen möchte, aber auch solche Juwelen spielen größtenteils außerhalb Hanaus.
In der Rhein-Main-Szene gibt es natürlich mutige und engagierte Veranstalter, von denen vor allem Sub-Kultur zu nennen ist, die dafür sorgen, dass exquisite Musiker sich in unsere tristen Gefilde verirren. Dennoch, eine wirkliche Musiker-Szene gibt es nicht in so einem Maße, wie ich es etwa aus dem Ruhrgebiet kenne. Unser Erfolg hängt aber sicherlich eher mit überregionalen Verbreitern wie dem Internet zusammen und unserer mittlerweile europaweiten Korrespondenz, vor allem mit Österreich.

Martina:
Eine Szene existiert für mich überhaupt nicht mehr. Allein im Bereich Gothic gibt es so viele verschiedene Musikstile, dass sich die Leute sogar innerhalb der so genannten Szene anfeinden. Das Gefühl von "wir sind eine große Familie" gibt es nicht und hat es wahrscheinlich nie gegeben. Leider ist die Gothic-Szene zu einem Partyvolk mutiert. Ich kann nur sagen, dass die Metal-Szene viel positiver auf mich wirkt, da sie ehrlicher ist.

Erika:
Es gibt inzwischen eine Vielzahl junger Bands unterschiedlicher Stilrichtungen, die versuchen, sich erfolgreich aufzustellen. Spürt ihr eine Art Konkurrenzdruck, der es euch schwer macht, euer Publikum zu finden? Immerhin ist euer musikalisches Konzept, insbesondere der Wechselgesang zwischen männlichen und weiblichen Vocals auf den ersten Blick nicht innovativer als das vieler anderer Bands. Inwiefern hebt ihr euch nach eurer Auffassung von vergleichbaren Bands im Genre ab?

Matthias:
Leider kenne ich überhaupt keine vergleichbaren Bands. Natürlich gibt es eine Menge Bands mit männlichem und weiblichem Gesang und eine gewisse Anzahl von Retro-Gothic-Acts. Aber deutsche Bands, die Gothic Rock jenseits des Spaßsektors (69 EYES) im ursprünglichen Sinne als ekstatische Feier der Schönheit und Eleganz verstehen und sich gleichzeitig dem Abgründigen öffnen, gibt es doch nur wenige. Hier fallen mir vor allem die hoch geschätzten ADVOCATUS DIABOLI ein, die wohl zurzeit eine neue Sängerin suchen. Außerdem kommen die SISTERS auf Tour. Freude!

Martina:
GATES OF DAWN spielen nicht mit Klischees, das unterscheidet uns gewaltig von anderen Acts.

Erika:
Ich will mal meine Antwort auf diese Frage verraten. Mir gefällt, dass ihr in der Lage seid, eingängige Melodien zu erschaffen, die im Ohr bleiben und nicht sperrig sind. Dass Martina Lenz nicht die so gern im Gothic Rock verwendete Sopranstimme aufweist, sondern in der Lage ist, ein paar Oktaven tiefer zu singen, finde ich dabei insbesondere erfrischend. Daher meine Bitte an Martina: Erzähle doch kurz etwas über deinen Werdegang als Sängerin. Hast du eine Gesangsausbildung genossen? Welche Erfahrungen hast du in anderen Genres oder Projekten? Hast du eine Verbindung zur Klassik oder zum Jazz?

Martina:
Erst mal vielen Dank für das Kompliment! Die ersten Erfahrungen im Bereich Musik habe ich als Gitarristin in der Punk-Rock-Band MEDUSAS GEHEIMNIS gesammelt. Kurze Zeit später sang ich, übrigens auch mit Matthis, im Duett bei LATEX LOVERS, einer Death-Punk-Goth-Rockband, welche sich leider nach zwei Jahren auflöste. Eine Gesangsausbildung habe ich nicht genossen, es kommt oder es kommt nicht. Ich finde, man verliert seinen eigenen Stil, den man behalten sollte, man muss nicht perfekt sein, sondern etwas ausdrücken, was den Zuhörer natürlich auch nicht quälen sollte. Meine Vorliebe für tiefen Gesang kommt durch mein Interesse an Bands wie SIOUXIE AND THE BANSHEES, CHRISTIAN DEATH, 4 NON BLONDES etc. Diese Bands zogen mich sofort durch die ausdrucksstarken Stimmen der Sängerinnen in ihren Bann. Eine Verbindung zur Klassik und zum Jazz habe ich nicht, allerdings schätze ich Jazzsänger und -sängerinnen sehr!

Erika:
Zwei Dinge sind mir beim Hören eurer Scheibe aufgefallen, die ich ja bereits in meinem Review angemerkt habe. Ich finde, das Keyboard klingt zuweilen etwas blechern und die Violine von Tina Thomasberger empfinde ich als kaum vernehmlich. Könnt ihr diese Sichtweise nachvollziehen? Kommentar? Warum ward ihr bei der Violine so zurückhaltend?

Matthias:
Ganz einfach: Die Platte wurde aufgenommen noch bevor unser Schlagzeuger Carsten und Tina T. in die Band eintraten. Der Plan war, eine Elektroplatte aufzunehmen und da uns das Resultat gefallen hat, haben wir nicht viel verändert. Erst bei den Live-Konzerten haben wir dann festgestellt, wie entscheidend echtes Schlagzeug und Violine die Songs verändert haben. Da gab es ja überhaupt erst die begeisterten Reaktionen, und ich selbst war völlig überwältigt. Auf der nächsten regulären CD werden Violine und Drums eine viel tragendere Rolle spielen. Außerdem nehmen wir zurzeit eine CD mit ausschließlich akustischen Instrumenten auf, da ist auch ein echtes Klavier dabei, das nicht so blechern wie meine Samples, die alle aus den 90ern stammen, klingt.

Erika:
Ein Blick ins soeben begonnene Jahr: Was habt ihr konkret vor? Gibt es einige Festivals, auf denen euch das Publikum zu sehen bekommt? Eine eigene Tour oder eine Tourbeteiligung?

Matthias:
Ich weiß es noch nicht, das wird dann das Label organisieren. Wir werden aber auf jeden Fall Videos drehen.

Erika:
Und zum Schluss wie immer die Möglichkeit für euch, hier etwas an die Leser von POWERMETAL.de loszuwerden, das euch wichtig ist.

Matthias:
Liebe Leser, ich habe kein Lebensmotto, so sage ich nur: Danke, dass ihr euch Zeit genommen habt, meine schwammigen Antworten zu lesen. Und danke POWERMETAL.de, dass ihr seit Jahren meine Musik kritisch und fair begleitet habt.

Erika:
Danke für eure Bereitschaft zu diesem Interview und viel Erfolg für euer weiteres Schaffen.

Redakteur:
Erika Becker

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