GENESIS: Diskografie-Check Teil 1 | Platz 15 - 11

12.12.2024 | 14:31

Drei Sänger, etliche Line-up-Wechsel und diverse Karriereabschnitte, die legendäre Prog-Epen und auch kompakte Mainstream-Pophits hervorgebracht haben. GENESIS ist vielleicht die vielschichtigste und ungewöhnlichste Band, die wir uns in unserer Diskografiecheck-Reihe bisher vorgenommen haben. Dennoch haben wir anlässlich des 50. Geburtstags des Klassikers "The Lamb Lies Down On Broadway" die Herausforderung angenommen, uns noch einmal durch alle Alben gehört und euch unser Ranking in den folgenden Zeilen aufbereitet.

15. From Genesis To Revelation (1969)

Das Debütalbum der britischen Progger landet bei uns auf dem 15. und damit letzten Platz. Dabei ist das Scheibchen gar nicht so schlecht. Aber praktisch ist das Ganze, denn so kann ich ein bisschen auf die Entstehung der Band eingehen. Die Musiker, die eine der wichtigsten und erfolgreichsten Prog- und Rockbands aller Zeiten gründeten, trafen sich in der Charterhouse Public School, einem Internat, das viel Wert auf Disziplin legte, den jungen Männern aber auch die Möglichkeiten gab, ihre musikalischen Fähigkeiten zu entwickeln, denn an den Wochenenden gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben, nämlich Sport oder Musik. So entschied man sich für eine kleine Rebellion, Popmusik war natürlich eher unangebracht in einer Institution wie Charterhouse, obwohl Jonathan King, ein Charterhouse-Alumnus, bereits ein paar Jahre zuvor einen Charterfolg in diesem Bereich zu verbuchen hatte. King war es auch, der von der Band, die sich in der Melange aus Kirchenmusik, britischem Rock und US Pop entwickelte, kontaktiert wurde, nachdem sie ein erstes Demo aufgenommen hatte.[1]

King war begeistert und arrangierte die Aufnahmen und Veröffentlichung der ersten Single der Band, 'Silent Sun', über Decca Records. King schlug auch den Bandnamen GENESIS vor[1][2]. Trotz erster Radioeinsätze war die Single kein Erfolg und die zweite, 'A Winter's Tale', noch weniger. Trotzdem eröffnete sich die Möglichkeit für die nun GENESIS getaufte Band, ein komplettes Album aufzunehmen, wiederum mit Jonathan King als Produzent. Die Band komponierte und in kurzer Zeit entstanden dreizehn Lieder und wurden umgehend aufgenommen. Doch die musikalischen Ideen der Band und Kings waren unterschiedlich, King versuchte, eine Popband zu formen und überfrachtete das Album mit seinen Streichern, sehr zum Missfallen der Band[1].

Obendrein gab es auch noch Probleme mit dem Bandnamen, da eine andere Band in den USA bereits GENESIS hieß. Da man sich im Vorfeld aber konzeptionell auf das Thema eingeschossen hatte, erschien das Album unter dem Titel "From Genesis To Revelation" und ohne einen Bandnamen und verschwand in der Ecke religiöser Musik in den Plattenläden[1], sodass es kaum aufzufinden war[2]. Das Album war ein absoluter Flop.

Dabei kann man mit der Milde des Blickes aus der Entfernung von über fünf Jahrzehnten sagen, dass "From Genesis To Revelation" bei weitem kein schreckliches Album ist. Natürlich fehlen die Trademarks, die GENESIS später bekannt und berühmt machen sollten, aber gelegentlich scheinen schon die späteren Sounds durch, beispielsweise in 'In The Wilderness', in dem der spätere Peter Gabriel anklingt, oder in 'The Serpent', das bereits den typischen Tony-Banks-Keyboard-Sound enthält. Ja, 'The Conquerer' weist sogar schon darauf hin, was aus der Band noch werden sollte, sowohl musikalisch als auch lyrisch. Während zahlreiche Stücke harmlose Folkrock-und Popsongs sind, entfalten einige doch einen gewissen Reiz. So enthält 'In The Beginning' einen seltsam experimentellen Beginn und eine düstere Stimmung, 'The Serpent' erinnert in Stimmung und Komposition an die DOORS, die Verse von 'Am I Very Wrong?' sind geradezu brillant, bis der platte Refrain die Begeisterung zerstört, und 'One Day' scheint von THE BEATLES' "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" inspiriert zu sein.

Aber selbst die anderen, stark nach Sixties-Pop und Folk klingenden Stücke sind keine völligen Ausfälle, sondern gehen als erste Versuche der jungen, unerfahrenen Musiker durch, deren Richtung zu diesem Zeitpunkt vor allem von Jonathan King bestimmt wurde, der jedoch ein Popmusiker war mit den Augen auf den Charts und die schon bald durchscheinenden Fähigkeiten der jungen Musiker noch nicht erkannte, vielleicht auch nicht erkennen konnte. Immerhin half er den Fünf, darunter Gründungsmitglied Anthony Philipps, der nur auf diesem Album spielen sollte, und Aushilfsdrummer John Silver, den ersten Schritt zu tun. Wer weiß, ob die Band jemals den Sprung in die Professionalität gewagt hätte ohne seine Handreichung?

[1] Bowler, Dave, and Dray, Bryan (1992): Genesis A Biography; Sidgwick & Jackson, London
[2]Rutherford, Mike (2014): The Living Years; Constable & Robinson, London

[Frank Jaeger]

 

14. Abacab (1981)

Vom Beginn der Karriere der britischen Prog-Legenden springen wir nun ein gutes Stück nach vorne in die Achtziger und zu einem Album, das in Fankreisen massiv umstritten ist und ganz offensichtlich auch unsere Redaktion nicht wirklich begeistern kann. So sind Stephan mit einem neunten Platz und meine Nennung auf der zehnten Position auch die Höhepunkte für "Abacab", während alle anderen Kollegen den Langspieler aus dem Jahr 1981 auf den letzten beiden Rängen unterbringen.

Dabei standen die Zeichen während der Aufnahmen im damals im Umbau befindlichen Bandstudio "The Farm" eigentlich auf maximale Kreativität, förderten die Sessions doch so viel Material zu Tage, dass die Scheibe eigentlich ein Doppelalbum hätte werden sollen. Aus kommerziellen Gründen entschloss man sich schließlich aber doch dazu, die Songauswahl einzudampfen und das überschüssige Material auf der EP "3 x 3" und der vierten Seite von "Three Sides Live" zu veröffentlichen. Ein Glück für die damals zum Trio um Phil Collins, Mike Rutherford und Tony Banks geschrumpfte Band, denn schon zum Befüllen der regulären Spielzeit eines Studioalbums hat "Abacab" eigentlich zu wenig zwingendes Material anzubieten.

Deutlich nach oben korrigiert wird der Eindruck dabei mit Sicherheit vom Opener und Titeltrack, der für mich zu meinen absoluten Lieblingen dieser GENESIS-Trio-Pop-Ära gehört und angeführt vom stabilen Groove und genialen Keyboards zum ungewohnt sperrigen, dennoch eingängigen Kracher mutiert, den man einfach nicht mehr aus dem Gedächtnis bekommt. Danach verläuft man sich aber zusehends in belanglosen und poppigen Kompositionen, die nie so recht auf den Punkt kommen und selbst auf einem Collins-Soloalbum wohl eher eine schwache Figur gemacht hätten.

Kaum ein anderer Song sticht dabei so heraus wie 'Man On The Corner', der von Collins im Rahmen der Arbeiten an seinem Solodebüt "Face Value" geschrieben wurde und sich auf selbigem Langdreher deutlich besser gemacht hätte. So gut der Track nämlich auch ist, mit GENESIS hat er herzlich wenig zu tun, was irgendwie in Teilen auch für uninspirierte Nummern wie 'Me And Sarah Jane' oder 'Another Record' gilt. Einzig beim Longtrack 'Dodo/Lurker' kommt ein bisschen Prog-Flair auf, auch wenn wir uns weit von den Klassikern in diesem Bereich aus der Trio-Ära befinden. Daneben gibt es eben auch viel Belangloses zu hören ('Keep It Dark') oder gänzlich abgedrehte Experimente wie 'Who Dunnit?'. Wie austauschbar die Scheibe dabei in ihrer Gesamtheit wirkt, wird auch vom Titel unterstrichen, der nicht etwa eine tiefere Bedeutung hat, sondern schlicht aus der Songstruktur des Titeltracks entstand, für den die Band die einzelnen Songbestandteile als Part "a" bis "c" bezeichnete und den Ablaufplan schließlich in den Titel ummünzte.

Nein, die Sternstunden des GENESIS-Kosmos liegen definitiv woanders, weshalb am Ende auch der 14. Rang in unserer Endabrechnung vollkommen in Ordnung geht. Den Titeltrack solltet ihr dennoch kennen, ist er für mich persönlich doch wirklich ein absolutes Highlight im späten Schaffen der Briten, auch wenn der Track den Silberling alleine natürlich nicht auf seinen Schultern tragen kann.

[Tobias Dahs]

 

13. ...Calling All Stations... (1997)

Für den nächsten Rang springen wir dann weit in die Zukunft, um genau zu sein zum bisher letzten Eintrag der GENESIS-Diskografie, der auf den Namen "...Calling All Stations..." hört und im Jahr 1997 veröffentlicht wurde. Viele Fans der Band würden die Scheibe sicher am liebsten aus ihrer Erinnerung verbannen, betrachten sie die elf Tracks wegen der Veränderungen im Line-up nicht als "echtes" GENESIS-Album.

Doch was war passiert? Nun, nach dem Megaseller "We Can't Dance" aus dem Jahr 1992 verliefen sich die Wege der drei verbliebenen Bandmitglieder Tony Banks, Mike Rutherford und Phil Collins wie gewohnt, während alle ihren diversen Solo-Karrieren frönten. Nur dieses Mal kam Collins nicht mehr zurück. Er selbst schob es nach seinem sehr persönlichen Album "Both Sides" auf die Tatsache, dass er die Songs von GENESIS nicht mehr fühlte und sich auf der Bühne mehr wie ein Schauspieler vorkam, der eine Rolle spielte.

1995 folge schließlich die offizielle Ankündigung, dass Collins GENESIS verlassen hatte. Doch Banks und Rutherford dachten nicht etwa ans Aufhören, sondern begaben sich gemeinsam ins Studio, um neue Songs zu schreiben. Als selbige Form annahmen und vielversprechend klangen, wurde schließlich ein neuer Frontmann gesucht. Nach einem langen Auswahlprozess wurde zu guter Letzt Ray Wilson von STILTSKIN für den Job auserkoren, auch wenn er schlussendlich dank der Tatsache, dass sämtliche Tracks bei seinem Einstieg bereits geschrieben waren, wenig kreativen Input zum Endergebnis beisteuern konnte.

Komplettiert wurde die Mannschaft im Studio von den Schlagzeugern Nir Zidkyahu und Nick D'Virgilio (SPOCK'S BEARD), nachdem Collins auch den langjährigen Kollaborateur Chester Tompson mit in seine Soloband aufgenommen hatte. Der entscheidende Dominostein im Bezug auf die Zukunft der Band war aber natürlich Wilson, dessen raues und dunkles Timbre eine komplette Abkehr vom sauberen Vortrag der späten Jahre mit Collins darstellte.

Und auch musikalisch ist "...Calling All Stations..." lange nicht so poppig-eingängig wie der direkte Vorgänger, sondern findet für meine Ohren einen gelungenen Querschnitt aus proggigen Momenten und den radiofreundlichen Popsongs der Trio-Ära. Selbst einen kleinen Hit hat der Silberling mit 'Congo' im Gepäck, das mit seinen afrikanischen Einflüssen ungewohnt, aber auch unheimlich eingängig aus den Boxen schallt und als einziger Song dieser Phase auch auf späteren "Best Of"-Veröffentlichungen berücksichtigt wurde.

Besonders stark ist das fünfzehnte Studioalbum aber immer dann, wenn es ausladender und vertrackter wird. Allen voran wäre da der Titeltrack zu nennen, dessen wuchtige Gitarren mich auch nach Jahren noch fesseln und begeistern. Ebenfalls gehört das Epos 'The Dividing Line' zu den großen Momenten der Platte und steht für mich problemlos in einer Reihe mit späten GENESIS-Epen wie 'Fading Lights' oder 'Domino'. Doch auch die kompakteren Momente funktionieren teilweise gut, etwa im düsteren 'Uncertain Weather' oder im balladesken 'Shipwrecked'.

Gibt es daneben auch Füllmaterial wie 'Small Talk' oder 'One Man's Fool'? Mit Sicherheit, aber tun wir nicht so, als hätte es selbige in der Ära der Pop-Megahits nicht ebenso gegeben. So muss es am Ende der Gesang Wilsons und der Mangel an echten Hits sein, der "...Calling All Stations..." in der Gunst unserer Redaktion durchfallen lässt. Mit mir und Maik vergebens jedenfalls nur zwei Redaktionsmitglieder den sechsten Rang, während zumindest Jens noch gerade so zu einer Platzierung in den Top 10 kommt. Ansonsten hagelt es für den Schwanengesang der Prog-Pop-Legenden nur Platzierungen auf den hintersten Rängen, womit die Redaktion aber großteils die allgemeine Fangemeinde spiegelt, die so wenig Interesse an der letzten GENESIS-Inkarnation zeigte, sodass die geplante US-Tour zum Album erst in kleinere Hallen verschoben und schlussendlich gänzlich abgesagt werden musste.

Der Mangel an kommerziellem Erfolg beendete dann schlussendlich auch das Kapitel Wilson vorschnell, denn zumindest ich hätte gerne gehört, was diese Konstellation mit etwas mehr Zeit auf die Beine hätte stellen können.

[Tobias Dahs]

 

11. Duke (1980)

Vom erwartbaren Abstrafen des Wilson-Experiments direkt zu einem Album, das ich eigentlich erst deutlich später in unserem Ranking erwartet hätte. Dabei geht es um "Duke" aus dem Jahr 1980, das seinerzeit nach dem etwas luftleeren "...And Then There Were Three" eigentlich als kleiner Befreiungsschlag empfunden wurde. Dabei war die Entstehungsgeschichte des Albums durchaus etwas holprig, was vor allem an Phil Collins' Umzug nach Vancouver lag. Der Frontmann versuchte mit diesem radikalen Schritt seine damalige Ehe zu retten, während Mike Rutherford und Tony Banks sich die Zeit mit neuen Soloalben vertrieben und GENESIS erst einmal auf Eis lag.

Bereits im April 1979 kehrte Collins allerdings nach dem endgültigen Scheitern seiner Ehe ins Vereinigte Königreich zurück und nutzte die restliche Zeit der vereinbarten Pause, um mit seinem Nebenprojekt BRAND X zu touren und den Großteil des Materials zu schreiben, das er später zu "Duke" beisteuern und für seinen Solo-Megaseller "Face Value" verwenden sollte. Als sich GENESIS schließlich im Herbst 1979 im Proberaum wiederfanden, um an "Duke" zu arbeiten, steuerte schlussendlich jedes Bandmitglied zwei im Alleingang verfasste Songs bei, während das restliche Material in gemeinsamen Proben und Jam-Sessions entstand.

In Collins' Fundus war zu diesem Zeitpunkt übrigens auch ein kleiner Song namens 'In The Air Tonight', bei dem Tony Banks es Jahre später noch bereute, dass er den Song nicht für GENESIS beanspruchte, sondern 'Please Don't Ask' und 'Misunderstanding' schließlich den Vorzug bekamen. Die besten Resultate brachte schlussendlich aber das gemeinsame Songwriting hervor, wo gut die Hälfte des Materials ursprünglich als ein langer 30-Minuten-Song unter dem Titel 'Duke Suite' entstand, der die fiktive Geschichte des Charakters Albert erzählt. Doch auch wenn sich die Prog-Fans nach einem solchen Epos mit Sicherheit die Finger geleckt hätten, beschlossen Banks, Rutherford und Collins schlussendlich, den Mammutsong in einzelne Tracks aufzubrechen, auch um besser Singles auskoppeln zu können.

Heraus kamen dabei 'Behind The Lines', 'Duchess', 'Guide Vocal', 'Turn It On Again', 'Duke's Travels' und 'Duke's End' die ich in großen Teilen allesamt als die Höhepunkte des Albums betrachte. Gerade 'Behind The Lines' ist einfach zum Niederknien schön und transportiert eine unbestreitbare Epik, die mich auch über 40 Jahre nach dem ursprünglichen Release restlos packt. Kaum auszumalen, wie spannend diese Reihung von Tracks hätte sein können, wären sie nicht geteilt und quer über das Album verteilt worden.

Am Ende behält das Trio mit seiner Entscheidung aber wohl recht, denn als Mittelteil eines 30-Minuten-Epos und ohne eine Verlängerung nach dem Herauslösen aus dem Muttersong wäre 'Turn It On Again' sicher nicht zur Hitsingle mutiert. Wo wir gerade von Hits sprechen, selbige finden sich im alleine verfassten Material der drei Mitglieder nicht wirklich. Klar, 'Misunderstanding' war ebenfalls eine sehr erfolgreiche Single, doch abseits davon vermag nur noch 'Man Of Our Times' aus der Feder von Mike Rutherford gänzlich zu überzeugen, während das übrige Einzelmaterial doch etwas blass erscheint im Gegensatz zum Prog-Pop-Pomp der 'Duke Suite'.

Gut, immerhin 'Cul-De-Sac' ist für Keyboard-Liebhaber eine kleine Erleuchtung, die ein paar feine Melodien im Gepäck hat, während 'Please Don't Ask' wirklich wie einer der schwächeren Songs auf einem späteren Collins-Soloalbum klingt und als kleiner Tiefpunkt herhalten muss, bevor das Duke-Doppel schlussendlich den Silberling wieder famos beendet.

Angesichts dieser sehr geteilten Trackliste verwundert die etwas zwiegespaltene Einordnung unserer Redaktion auch nicht mehr so sehr, wobei Jonathan und ich dem Album mit dem neunten Rang noch am meisten abgewinnen können. Ansonsten gibt es Wertungen zwischen Platz 10 und 13, sodass die Einordnung auf dem (geteilten) 11. Rang am Ende wohl in Ordnung geht und wieder einmal beweist, dass der GENESIS-Katalog trotz so vieler Richtungswechsel am Ende so stark ist, dass selbst ein Album mit den Qualitäten von "Duke" nicht einmal die Top 10 knackt.

[Tobias Dahs]

 

11. ...And Then There Were Three (1978)

In der Geschichte von GENESIS gibt es ein paar wenige, aber sehr entscheidende Besetzungswechsel. So musste man erst Peter Gabriel ersetzen und nun Steve Hackett. Tatsächlich war die Band dadurch erneut gezwungen, sich neu zu erfinden. Steve Hacketts Pfad hatte sich bereits zuvor von der Band entfernt, er hatte sich eine Weile auf sein Soloalbum konzentriert, was zu Lasten der Band ging[2], er fühlte sich unwohl und seine Kompositionen nicht angemessen berücksichtigt[1], sodass es direkt im Anschluss an den Mix des Live-Albums "Seconds Out" zu einer zumeist freundschaftlichen Trennung kam. Das Live-Album markiert damit das Ende einer Ära, ein Gefühl, das tatsächlich sowohl der Gitarrist als auch der Rest der Band teilten[1].

Die verbliebenen drei Bandmitglieder fühlten sich unwohl bei dem Gedanken, ein zusätzliches neues Mitglied von außen hinzuzuziehen, sodass Mike Rutherford die Gitarre übernehmen sollte. Komponieren zu dritt war für Tony, Phil und Mike nichts Ungewöhnliches, sowohl "Lamb Lies Down On Broadway" als auch für "Wind And Wuthering" waren so entstanden, diesmal war die Vorgabe jedoch, kürzere Lieder zu schreiben, um mehr Ideen auf einem Album unterbringen zu können[1][2]. So ging es in die Relight Studios in Hilvarenbeek, Niederlande, wo auch schon das Album "Wind And Wuthering" aufgenommen worden war. Die Lieder entstanden vor allem aus bereits existierenden Ideen und Jams[1] und viele Lieder, mehr als durchschnittlich, sind einem einzelnen Musiker zuzuschreiben.

Ich nehme es vorweg: Das Ergebnis ist zwiespältig. Die Gitarre ist weniger prominent, die Keyboards dafür dominanter, die epischen Momente sind verschwunden. Auch wenn dies mit Absicht geschehen ist, dem alten GENESIS-Freund fehlen sie natürlich. Die Band selbst scheint dagegen in einer Phase der Zufriedenheit zu sein, "...And Then There Were Three" ist so entspannt, wie man es sich nur vorstellen kann. Es klingt wie aus einem Guss, eine Ansammlung von Liedern, die durch eine positive Grundstimmung verbunden sind, geschaffen von versierten Komponisten, die aber hier mit beiden Beinen bereits im Pop stehen und einiges von dem vorwegnehmen, was sie in den Jahren 1981 bis 1991 so erfolgreich machen sollte.

Das ist einerseits Fluch, wenn man die Mainstream-Phase der Band nicht mag, andererseits ein Zeichen für die Entwicklung, die die Drei nehmen sollten. So ist der Opener 'Down And Out' ein vertrackter Song, der mit seiner ungewöhnlichen Rhythmik auf einen falschen Pfad führt und einen ebenfalls auf dem Album einzigartig aggressiv-gehetzten Gesang enthält. So interessant 'Down And Out' ist, gleich mit dem folgenden 'Undertow' setzt GENESIS den Ton mit einer seichten Ballade, die zwar einerseits schön ist, aber hier stellvertretend für zu viele balladeske Stücke steht, die das gesamte Album in seichte Gewässer zieht, in gefällige Melodien ohne Widerhaken, die dafür sorgen, dass das elf Stücke lange Werk harmlos am Hörer vorüberzieht. Ich nenne da 'Snowbound', 'Burning Rope' trotz gelegentlicher interessanter Prog-Ideen, 'Many Too Many', 'Scenes From A Night's Dream', obwohl ein durchaus akzeptabler Popsong, und sogar 'It's Alright Joe', das eigentlich über den bereits genannten steht, aber durch die späte Position in der Trackliste heruntergezogen wird.

Was bleibt also übrig? 'Ballad Of Big' punktet einfach damit, dass das Stück ein bisschen Drive mitbringt, auch wenn es sicher kein Bandklassiker ist, 'Deep In The Motherlode' dagegen ist nach dem Opener der erste Song, der die Klasse der Band wirklich zeigt. Hier stimmen die Emotionen und Melodien, aber verpackt in einen komplexen, spannenden Song, genauso schafft es spät nochmal 'The Lady Lied' den alten Fan abzuholen, auch wenn hier der Gedanke, was eventuell mit Hacketts Gitarre möglich gewesen wäre, unweigerlich in die Gehirnwindungen kriecht.

Und dann ist da natürlich 'Follow You Follow Me', der absolute Überhit, der von allen drei verbliebenen Musikern gemeinsam komponiert wurde und das ganze Album überstrahlt. Das Publikum der Band hatte sich verändert, man war weniger verkopft und nerdig, alles was fehlte war ein Hit. 'Follow You Follow Me' sollte eben dieser Hit sein, der GENESIS quasi über Nacht zu einer Mainstream-Band machte. Die Reaktionen auf das Album waren gemischt, aber "...And Then There Were Three" war der Durchbruch in die kollektive Aufmerksamkeit des normalen Popmusik-Konsumenten, erreichte in den UK Charts Platz 7 und kletterte in verschiedenen US-Charts hoch, darunter bis Platz 23 der wichtigen Billboard Hot 100. In Deutschland konnte die Single 28 Wochen in den Charts verweilen und kam bis Platz 8 voran, im Kielwasser erreichte der Longplayer Platz 2 der Albumcharts.

So ist "...And Then There Were Three" in der Diskographie der Band wohl kein herausragendes Album, die Votierungen auf Plätzen 8 bis 12 sprechen da eine klare Sprache, auch wenn Jens es mit Platz 4 viel deutlicher lobt, aber was man dem Album sicher hoch anrechnen muss, ist die Tatsache, dass es den Grundstein legte für das, was später an großen Charterfolgen noch kommen sollte.

[1] Bowler, Dave, and Dray, Bryan (1992): Genesis A Biography; Sidgwick & Jackson, London
[2]Rutherford, Mike (2014): The Living Years; Constable & Robinson, London

[Frank Jaeger]

 

Und damit sind wir auch schon am Ende des ersten Teils unseres Rankings angekommen. Wie es auf den Plätzen 10 - 6 weiter geht, erfahrt ihr in wenigen Tagen an dieser Stelle im zweiten Teil, wo sich dann auch die Frage klären dürfte, ob die Redaktion generell die Pop-Phase oder doch die klassischen Prog-Jahre mit Peter Gabriel bevorzugt.

Redakteur:
Tobias Dahs

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