GRACE.WILL.FALL - Musikalische Evolution statt politische Revolution
05.05.2010 | 11:30
Ist das denn zu glauben? Das vom Elchtod heimgesuchte Schwedenland weiß nicht nur mit modernmetallischen Exportgütern wie dem Göteborg-Sound im Allgemeinen oder speziell mit einem Hitmacher wie IN FLAMES aufzuwarten, nein, nach REFUSED kommt nunmehr das nächste Hardcore-Highlight aus dem für diese Stilistik gewöhnlich doch eher stillen Hinterland. Pornographisch hart und ruppig wie ein Säbelzahntiger.
Es gibt nicht mehr allzu viele, die ihn spielen: den traditionellen, altgedienten, proletarischen, gegen die Mainstream-Pop-Bourgeoisie kämpfenden Hardcore-Punk, der weder exklusivistisch sich gegen alles Andere und Fremde abgrenzt, noch versucht mehr zu sein, als er eigentlich ist. Überall wird progressiv aufgeblasen, voyeuristischer Crossover betrieben, unbeschwert metallisiert, pluralistisch ausgeweitet und sich promotiontechnisch der Arsch abgespielt. Zwar würde man die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, wenn man gegenwärtige Trendströmungen und dessen Voraussehbarkeiten und "Durchspielbarkeiten" einfach so als "undefinierbar" abstempelt, doch ist es heute schwerer denn je, klare Grenzen zwischen den verschiedenen Sub-Kulturen zu ziehen, ja manche taten dies schon bewusst zu Anfang nicht. Dass in diesem Falle unweigerlich diskursive Keilereien entstehen, scheint fast selbstverständlich. Da fällt der Apfel einfach nicht weit genug vom Stamm. In diesem Zusammenhang sollte man dessen eingedenk einfach nicht vergessen, dass die Essenz des Ganzen nach wie vor die Musik als solche ist und nicht das Ausbilden und Umzäunen von Szenefundamenten oder sich selbst kasteiende, katharsishafte Reinwaschungen, um Außenstehenden den Zugang zu verweigern oder ihnen es zu erschweren, an der makrokosmischen Lebenskultur teilhaben zu dürfen.
Die Hardcore-Haudegen von GRACE.WILL.FALL sind sicherlich ebenfalls keine reinen Vertreter der alten Schule und auch nicht darauf aus, irgendetwas rein zu erhalten oder einem vermessenen Klischee zu dienen. Laut, hart, extrem – so wie Druck machende Pornographie ist ihre Musik. Hardcore eben. "Wir sind nicht wirklich in dieser oder überhaupt in irgendeiner Art von Szene involviert. Wir wünschten mehr Leute könnten bloß eine offenere Haltung, eine tolerantere Einstellung gegenüber Musik hegen und nicht so genre-orientiert sein." Das war die Antwort auf die Frage, wie die Band die Hartkern-Weiterentwicklung zu Metal- und DeathCore betrachtet. Politische Angelegenheiten stellen für GRACE.WILL.FALL zwar denkbare lyrische Auseinandersetzungsmöglichkeiten dar, doch ist der Ursprung der Band eigentich weniger in aufrührerischen Weltverbesserer-Obsessionen begründet. "Für uns, denke ich, ist es die Freiheit im Schaffensprozess des harte Musik Machens. Hardcore ist nach wie vor relativ jung verglichen mit anderen musikalischen Stilen und es gibt von ihm so viele Variationen, dass es einfach ist, ihn mit neuen Ideen zu mixen. Die Leute, die Hardcore hören, sind zumeist sehr offen für neue Sichtweisen, neue Sounds und neue Methoden, wie man Instrumente behandelt bzw. misshandelt. Das ist für uns sehr wichtig, denn wir mögen es zu denken, dass wir uns als Band weiterentwickeln und uns trauen, verschiedene Sachen auszuprobieren. Für uns ist die Idee, eine Art Agenda in Bezug auf Musik zu haben, etwas irritierend, denn wir sind ja schließlich alle fünf verschiedene Individuen mit verschiedenen Meinungen über eine Menge Dinge. Jedenfalls bin ich überzeugt davon, dass wir ziemlich sozialbewusste Menschen sind und dass unsere Ansichten und Meinungen sich in unseren Lyrics niederschlagen, aber der Hauptgrund für die Existenz von GRACE.WILL.FALL war von Anfang an, harte Musik zu erschaffen, so gut wir das mit unseren Fähigkeiten zustande bringen können. Also ist das die Sache, worum es bei GRACE.WILL.FALL geht und nicht anderen Leuten zu versuchen zu erzählen, was sie zu tun haben oder dass unsere Ansichten überlegener oder ausgeklügelter als die ihrigen sind."
Die Präferenzen im Privatbereich bekräftigen dies noch einmal mehr. "Wir haben alle in unserer Heimatstadt sehr viel mit Musik zu tun und hören eine ganze Menge neue Musik die ganze Zeit, deswegen würde ich sagen, dass Musik im Allgemeinen etwas sehr Wichtiges für uns alle ist. Wir haben sehr unterschiedliche musikalische Geschmäcker, aber hier sind ein paar Favoriten: Tragedy, Ben Folds, Lamb Of God, The Bronx, The Dillinger Escape Plan, Clutch, Mastodon, Blood Brothers, Björk."
Sicherlich kommt auch hier Grenzüberschreitung und das Nicht-interessiert-sein an kollektiven Zwangsjacken zum Ausdruck. Erwähnenswert ist, dass die aus Schweden stammenden Teufelskerle eine immer größer werdende Anzahl verschiedenster Fans begeistern, die allen voran die sehr ungestelzte, handgreiflich warme Live-Dynamik und die äußerst straighte Synthese aus Hardcore, Metal und melodischem Punk zu schätzen wissen. Ihren staatlichen Berufsgenossen von REFUSED machen sie damit auf alle Fälle ernsthaft Konkurrenz. Der Grundtenor ist dabei stets der erbarmungslose Tonnenhammer, der zum Monsterpogo animiert.
Alt ist das musische Unternehmen jedoch nicht. "GRACE.WILL.FALL wurde von Gitarrist Björn Isaksson und Schlagzeuger Olof Gardestrand Winter 2002 gegründet. Wir hatten irgendwie das Gefühl, dass es einen Mangel an echten Hardcore- und Punk Rock-Bands gab, machten uns auf die Suche und fanden tatsächlich die Leute, von denen wir wussten, dass sie in so einer Band spielen wollen würden." Nach einigen Line-Up-Wechseln steht nunmehr seit vier Jahren die Besetzung. "Das erste Album war ein wahrer Augenöffner für uns. Wir nahmen es selber auf, schickten die Promos zu Labels und bekamen einen Plattenvertrag. Nach dem Release des Albums kümmerten wir uns darum, Promotion zu machen. Danach dachten wir, all die harte Arbeit würde sich nun endlich bezahlt machen, aber ganz plötzlich passierte sehr viel weniger, als wir es uns erhofft hatten und nichts lief so richtig. Wir hatten ein klassisches Rock 'n' Roll-Moment bei unserer Release-Show, als wir eine Gitarre zerschlugen und sie in ihre Einzelteile zerlegten… so cool das auch klingen mag, aber anschließend erhielten wir eine Rechnung vom Tontechniker, um den Schaden zu beheben, der durch den Aufprall der Gitarre auf der Bühne entstanden war. Darauf folgte eine verhältnismäßig schlecht organisierte Tour und danach kam eine Handverletzung, die uns gut zwei bis drei Monate davon abhielt, spielen zu können. Wir gewahrten, dass wir die Dinge selber in die Hand nehmen mussten. Genau das taten wir auch und im Jahre 2008 besuchten wir sieben Länder, die Tourneen verliefen super und wir nahmen eine Menge neuer Songs auf für unsere zweite Platte. Das Album wird nun diesen April erscheinen (dieses ist bereits im April 2009 erschienen – Anm. d. Verf.), wir haben eine Menge neuer Tourneen, die anstehen, mehr Musik zum Aufnehmen und wir freuen uns wirklich, rauszukommen und wollen unsere Freunde on the road wiedersehen, genauso möchten wir natürlich auch eine Menge neuer Leute kennenlernen." Zum Schluss wird uns Folgendes noch mit auf dem Weg mitgegeben: "Akzeptanz für Unterschiede". Griffig und einleuchtend, weniger pornographisch-hart.
- Redakteur:
- Markus Sievers