Gruppentherapie - SEETHER - "The Surface Seems So Far"

17.10.2024 | 11:34

Richtig gute Aminosäuren oder doch zu harmlos?

Die aktuelle Gruppentherapie ist für diejenigen unter euch, die in den 2000ern noch jung waren. Es ist die große Zeit von EVANESCENCE und CREED, und SEETHER wird mit diesen Größen in einem Atemzug genannt. Unser Tobi zeigt sich in seiner Hauptrezi als großer Fanboy und feiert "The Surface Seems So Far" mit fast maximaler Punktzahl ab. Andere Soundchecker sind hier aber weniger begeistert. Nils bittet, beim Hören der Musik abwesend zu sein, andere sind davon dezent gelangweilt. Vielleicht sollten sie ja mal das Interview mit Dale lesen. Nichtsdestotrotz schippert das Album grad mal so vor KANONENFIEBER (zur Gruppentherapie) als Fünfzehnter ins Ziel und damit direkt auf die Therapiebank.

Wenn man ALICE IN CHAINS, SOUNDGARDEN und STONE TEMPLE PILOTS schätzt, aber auch die sanfteren Nachfolgebands der späteren, etwas angepassteren Generation, könnte man für den ultimativen Retro-Flash hier einen Hör riskieren. Es empfiehlt sich, das neue Album "The Surface Seems So Far" nicht nur einmal abzuspielen und Fragezeichen über dem Kopf zu haben, sondern es mehrmals und konzentriert zu genießen. Es ist nämlich durchgängig melodisch und raffiniert sperrig zugleich. Und auch recht dunkel, was zumindest mich überrascht hat. Auch das, was als "modern" bezeichnet wird, kommt nicht zu kurz. Groove, Passagen zum Mitfiebern und Faustballen, ruhige Einsprengsel, intensiv vorgetragen von einem über alle Zweifel erhabenen Sänger, das stimmt uns schon fein, während wir gerade die Hantel bearbeiten.

Songs wie 'Judas Mind', das härtere 'Paint The World', 'Dead On The Vine' oder 'Lost Control' marschieren unnachahmlich voran, Hindernisse werden einfach beiseite gefegt. Manchmal hält SEETHER auch inne: 'Same Mistakes' eröffnet still, doch dann werden die Muskeln angespannt  dank guten Aminosäuren gelingt auch hier der Abflug in die Wolkenpracht über uns. Für 'Walls Come Down' gilt das gleiche Prinzip. 'Regret' taucht tief in den azurenen Pool. Wir sind hier in der Stadt, nicht am Strand. Der angenehm nölige Gesang, diese schrägen Songaufbauten und das trotzige Element müssen mir einfach zusagen.

Die Band wird zu Unrecht unterschätzt. Mein Fave: Das ruhige, lässige, an RED HOT CHILI PEPPERS gemahnende 'Beneath The Veil' (ginge auch als Black- oder Death-Metal-Titel, oder?), das uns dann doch noch mit dem Mustang in Richtung Beach befördert. Klar, wir haben ja auch irgendwann mal Feierabend.

Fazit: Das Album erinnert an alte Zeiten, 2000 ist immer präsent; es ist durchgängig gut, auch die nicht genannten Tracks. Tipp: Amerikanischen Straßenkreuzer von Papi entnehmen, ein paar Freunde dazu, ordentlich PS auf die Straße bringen und ab in Richtung untergehender Sonne.

Note: 8,5/10
[Matthias Ehlert]

Der Sound einer ganzen Generation. Nein, an SEETHER war vor 15, 20 Jahren kein Vorbeikommen möglich. Dieser unverwechselbare Post-Grunge, diese Stimme, dieses gewisse Feeling  ich mochte SEETHER schon immer, auch wenn ich die Jungs nicht so im Detail verfolgt habe. Trotzdem fand ich "Si Vis Pacem, Para Bellum" ziemlich gut und auch das neueste Werk "The Surface Seems So Far" hat ziemlich viel zu bieten.

Zugegeben, im direkten Vergleich finde ich den Vorgänger noch einen Hauch stimmiger, etwas konsequenter, auch wenn die Band aktuell mit etwas mehr Zugkraft agiert. Allein 'Judas Mind' ist ein Statement vor dem Herrn, ein Ausrufezeichen, dass das Quartett direkt an den Anfang positioniert, dem allerdings im weiteren Kontext nicht mehr allzu viele, ähnlich dicke, fette Ausrufezeichen folgen. Trotzdem ist "The Surface..." ein gutes Album, das dem Vorgänger jedoch nicht in Gänze das Wasser reichen kann, für gelungene Ausflüge in die musikalische Jugend mir dennoch ausreicht und Freude bereitet.

Note: 7,0/10
[Marcel Rapp]


Also, ich kam vor 15-20 Jahren an SEETHER vorbei und bin exakt aus Marcels Generation. Aber den Sound kannte ich natürlich zu Genüge. Trotzdem ist "The Surface Seems So Far" quasi mein erster ernsthafter Kontakt mit der Band. Geboten wird gefälliger Post-Grunge / Alternative Rock, der nicht weh tut. Das ist erst Mal auch völlig ok  ich höre gerne CREED, 3 DOORS DOWN, ALTER BRIDGE oder LIFEHOUSE. Wobei gerade ALTER BRIDGE teils deutlich härter ist als SEETHER hier.

Musikalisch ist das alles sehr fein gemacht; hier sind Profis am Werk, die zurecht seit vielen Jahren einen Namen in der Szene haben. Am besten gefällt mir das Album, wenn der Härtegrad doch etwas angezogen wird. 'Illusion' zum Beispiel ist schon näher an ALTER BRIDGE als an LIFEHOUSE. Da kann man durchaus von Hard Rock sprechen. Insgesamt ein ordentliches Scheibchen, das mich aber nie wirklich begeistern kann.

Note: 7,0/10
[Jonathan Walzer]

 

Mit SEETHER verhält es sich bei mir folgendermaßen: Ich kenne die Band nur flüchtig, aber sie hat in der Vergangenheit ein paar Ohrwürmer geschrieben, denen ich mich von Zeit zu Zeit wochenlang nicht entziehen konnte. So habe ich immer zumindest ein halbes Auge auf die Band gehabt, die ursprünglich ja aus Südafrika stammt. Auf Albumlänge oder gar mit der kompletten Diskografie habe ich mich dagegen noch nie wirklich beschäftigt. Einzig durch diese (in meinen Ohren) Mega-Hits hat sie sich für mich aus der Masse an Post-Alternative-Grunge-Bands abgehoben, die Anfang des neuen Jahrtausends im Zuge des CREED-Erfolgs wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.

Und nach einigen Umdrehungen des neuen Albums "The Surface Seems So Far" kann ich mit Fug und Recht behaupten, einen richtigen Hit haben sie dieses Mal nicht drauf. Ein paar nette Songs wie 'Illusion', 'Dead On Vine' oder 'Beneath The Veil' sind schon vorhanden, verweilen aber nicht dauerhaft in meinen Gehörgängen. Die Scheibe hat eine gewisse Schwere und Melancholie, aus der sie selbst bei abrupten Wutanfällen nicht auszubrechen vermag. Somit rauschen die 47 Minuten an mir vorbei, lassen mich gelegentlich mal aufhorchen, nur um mich dann wieder zu verlieren.

Das Album ist angenehm zu konsumieren. Ein Umstand, der die Band wurmen dürfte, habe ich doch SEETHER bisher eher unangepasst, leicht schnodderig und eckig in Erinnerung  aber eher nicht als "angenehm". Shaun Morgan ist dagegen aber unbestritten ein grandioser Sänger, der diese fast weinerliche, stets traurig-frustrierte Grundstimmung perfekt transportiert. Das gelingt ihm auch auf dem neunten Studioalbum super, aber eben leider ohne die ganz großen Melodien im Gepäck. Schade.

Note: 7,0/10
[Chris Staubach]



Jetzt haben die Kollegen schon einige Vergleichsbands genannt, nur noch nicht die Assoziationen, die mir bei "The Surface Seems So Far" durch den Kopf schießen. SEETHER mixt Post-Grunge nämlich nicht nur mit Alternative-Rock der neuen Generation und etwas NU-Metal der Jahrtausendwende, sondern hat auch ein nicht zu leugnendes Faible für TOOL und A PERFECT CIRCLE. Besonders die Gesangslinien bei einer Vielzahl von Tracks (die fast unheimliche TOOL-'Illusion' mal als Anspieltipp genannt) haben Maynard James Keenan mehr als nur einmal über die Schulter geschaut.

Diese Referenzen sind natürlich ein perfekter Nährboden, um sich mal intensiver mit der Band auseinanderzusetzen. Und dabei stellt man fest, dass die Südafrikaner weit mehr sind als ein Abziehbild der bisher genannten üblichen Verdächtigen. Der Gesang von Shaun Morgan Welgemoed ist trotz aller Ähnlichkeiten zu Maynard oder Kurt Cobain immer noch sehr selbstständig und kann auch eigene Akzente setzen; auch die musikalische Mixtur ist sehr schön ausgewogen. So ein Kracher wie 'Walls Come Down' wäre bei jeder Party im Studentenwohnheim in den 2000er ein Überhit geworden. Jetzt wirkt er etwas aus der Zeit gefallen, was aber nichts an seiner Großartigkeit ändert.

Leider haben nicht alle Songs eine solche Intensität oder das Gespür für die finale zwingende Hook, so dass am Ende ein paar Tracks auch erschreckend emotionslos an mir vorbeilaufen. Und das ist etwas, was bei dieser Art von Musik nicht passieren darf. In Summe trotzdem ein lohnendes Album, dem ich in der richtigen Verfassung nicht nur einen halben Punkt mehr zusprechen würde, sondern sogar attestiere, in seiner Sparte eines der stärksten Alben des Jahres zu sein.

Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]

Fotocredits: Alex Berger

Redakteur:
Thomas Becker

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