Gruppentherapie OVERLORDE - "Awaken The Fury"

07.01.2024 | 21:08

Grünes Licht oder rote Karte?

So gut wie kein Album aus dem Dezember-Soundcheck 2023 konnte das gesamte Team überzeugen und auch die Alben auf dem Stockerl heimsten mindestens je eine Note unter 6 Punkten ein. Besonders gespreizt war die Notenskala beim Drittplatzierten OVERLORDE. Da gab es beinahe die Höchstnote von Kollege Stehle und ein euphorisches Review von unserem Liebhaber der kauzigen Edelmetall-Schule Holger. Dagegen stehen Kommentare wie "anstrengend" und "bleibt nichts haften". Klarer Fall, bei "Awaken The Fury" müssen die Therapeuten eingreifen. 

Ach ja, Metal kann so einfach und so schön sein. OVERLORDE beweist das mal wieder, denn die Band spielt einfach starken, typischen US Metal, aber eher der südlichen Sorte, wo es auch mal ein paar Noten mehr sein dürfen. Texas? Ja, kann man denken. Und wenn man das denkt, darf man auch schon begeistert sein. Dabei geizt die Band aber auch nicht mit komplexen, aber nicht selbstverliebten Gitarrenriffs und der neue Sänger George Tsalikis, der gelegentlich etwas unscheinbar wirkt, schafft es, die Lieder mit nachvollziehbaren Melodien zu veredeln. Das ist möglicherweise kein Schneeriese, aber viel schwächer ist die Furie auch nicht.

Note: 8,0/10
[Frank Jaeger]

Ich kannte "Return Of The Snow Giant" gar nicht und konnte ganz unvoreingenommen an "Awaken The Fury" herangehen. Und das, was ich höre, gefällt mir, auch wenn mir das letzte Quäntchen noch etwas fehlt. Was wir haben, ist feinster US Power Metal mit epischer und schwermetallischer Schlagseite, Fantasy-Themen, einer erdigen, warmen Produktion und spannendem Songwriting. Man muss sich zwar erstmal an die verschachtelten Songs und den gesamten Klang gewöhnen, da die Amis hier nicht durch die Bank weg durchheizen oder der Epik den letzten Schliff verleihen, sondern sich von vielen Tellern gleichzeitig bedienen.

Dazu leichte TWISTED TOWER DIRE-, JAG PANZER- und GOTHIC KNIGHTS-Momente und ein eigenwilliger, aber trotzdem passender Gesang und fertig ist ein starker Aha-Moment im so grauen Dezember. Alles in allem braucht das Album seine Zeit, bis es zündet, man sich dann aber in der Fantasy-Ritter-Welt mit dem Soundtrack aus dem Hause OVERLORDE sehr wohl fühlt.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]

Wie bei Marcel ist "Awaken The Fury" mein Erstkontakt mit OVERLORDE. Ich habe mir im Nachgang dann selbstverständlich auch noch "Return Of The Snow Giant" zu Gemüte geführt, welches mir deutlich besser gefällt, aber in Summe wird es wohl bei einer einmaligen Angelegenheit bleiben.

Meine Pop-verseuchten Ohren können mit einem so traditionellen, rumpeligen Klang wenig bis überhaupt nichts anfangen. Der omnipräsente Bass geht mir gewaltig auf die Kette und der Gesang ist auch, bis auf ein paar Ausnahmen, nicht die Tonlage, die ich hören möchte. Da die Band dann auch noch viel komplexer zu Werke geht als es dieser Art von Musik gut zu Gesicht stehen würde, bremst es den Faustreckfaktor unnötigerweise noch weiter aus. Das ist schon eine sehr mühsame Geschichte, obwohl mir insbesondere Songs wie 'Battle Of Marathon' mit anderer Produktion und anderer Klangästhetik sogar wirklich gefallen könnten. Somit beschreibt der letzte Track des Albums 'Migraine' perfekt meinen Zustand nach dieser viel zu anstrengenden knappen Stunde. Ich brauche eine Tablette.

Note: 5,5/10
[Stefan Rosenthal]

Also, wenn ich Stefan lese, der ja sonst einen recht erlesenen Geschmack hat, frage ich mich, ob er das gleiche Album gehört hat wie ich. "Awaken The Fury" ist natürlich ein Album, auf das Metal-Fans mit viel Vorfreude gewartet haben, denn "Return Of The Snow Giant" ist eine der besten US-Metal-Scheiben des neuen Jahrtausends gewesen. So viel sei schon mal nach wenigen Takten gesagt: Dieses Niveau wird hier nicht erreicht, aber das überrascht auch nicht.

Wer nach fast 20 Jahren aus der Versenkung zurückkehrt, liefert in der Regel keinen Meilenstein. Aber es gibt super soliden US Metal mit viel Gitarrengedudel, der natürlich an Texas-Metal erinnert, wie Frank verständlicherweise feststellt. Natürlich fehlt Bobby Lucas. Aber George Tsalikis macht einen guten Job und sorgt dafür, dass die guten Songs ins Ohr gehen. Es klingt gleichermaßen kauzig wie zugänglich, und diese Mischung ist super. Nein, kein Meilenstein, aber: So viel besser geht US Metal in 2023 nicht. Und es ist wohl oder übel immer noch der edelste Metal-Stil.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]

Ich fühle mich hier an eine Zeit Anfang/Mitte der 90er erinnert. Nach den Erfolgen von PSYCHOTIC WALTZ und DREAM THEATER versucht der junge Thomas tiefer in die Progmetal-Szene einzutauchen, bestellt auch mal ungehört ein Demo und ist stolz, Mucke zu hören, die sonst keiner kennt. Gute Sachen habe ich damals entdeckt, NEW EDEN, DIVINE REGALE, MYSTIC, TRAGEDY DIVINE. Doch es war auch viel Zeug dabei, das in meinem Ohr viel heißer gekocht als gegessen wurde. Einiges davon klang in etwa so wie "Awaken The Fury" von OVERLORDE. Im Prinzip nicht schlecht, aber irgendwie ungar.

Ich verstehe Stefan, es ist schwierig, in diese Musik hineinzufinden, sie ist sehr seltsam produziert und gemischt. Der Bass schwummert irgendwo halb verlassen auf dem linken Ohr, die Gitarren kratzen sich mittig in die obere Kopfhälfte, der mehrlagige Gesang schwebt gar ganz abseits der Musik in eigenen Sphären. Ich habe einfach nicht das Gefühl, eine Band zu hören, die zusammenspielt. Ja Stefan, der Bass. Der spielt sich eigentlich die ganze Zeit den Allerwertesten ab, das wäre sehr beeindruckend, würde man ihn nicht so verpuffen lassen.

So bleibt die ganze Scheibe, die noch dazu sehr lang ist, ein einziges Rätsel für mich. Ich glaube schon, dass hier viele gute Hooklines vorhanden sind, ich bekomme sie aber nicht zu fassen. Ich denke auch, dass man hier gute Riffs zu hören bekommt, aber sie sind so unscheinbar in Szene gesetzt, dass man sie einfach kaum wahrnimmt. Wo hört unser lieber Hauptrezensent Holger hier "zehn Saiten, die gnadenlos alles niedersägen"? Und wie kann es sein, dass bei unserem oft klangsensiblen Gefühls-Hörer so unglaublich steril klingende Klapperdrums ohne Erwähnung toleriert werden?

Im Prinzip mag ich solche Musik ja, Anfang der Neunziger hätte ich es auch noch als Exot durchgehen lassen, aber hier und heute ziehe ich doch mal die rote Karte. Das geht definitiv besser!

Note: 5,5/10
[Thomas Becker]



In der Tat ist "Awaken The Fury" wohl das, was man eine "schwierige Platte" nennt. Sie destilliert die eigenwilligen Trademarks des klassisch-verschrobenen US Metal heraus und packt das Ergebnis in ein fast schon provokativ unzeitgemäßes Klanggewand. Als ob das nicht schon genug wäre, präsentiert OVERLORDE diesen Sound anno 2023 auch noch in sperrig-verschachtelte Kompositionen verpackt. Da ist es fast schon selbsterklärend, dass weniger Genre-affine Kollegen sich mit Grausen abwenden.

Ich kann mich gut an zahlreiche eigene Erfahrungen dieser Art mit bestimmt tollen Djent-, Metalcore- oder Black-Metal-Alben erinnern. Nee, "Awaken The Fury" ist was für Liebhaber, für schrullige Freaks, die solche Alben eben für die Abwesenheit eingängig-hymnischer Hooklines und Firlefanz jeglicher Art schätzen. Hier darf man endlich mal die "reine Lehre" bestaunen und feiern, wenn man denn möchte.

Ich gehöre definitiv zu den beinharten Fans dieser Schule und freue mich diebisch über die gegen den Strich gebürsteten, blubbernden Bass-Läufe, die doppelbödigen Gesangsmelodien, die unorthodoxen Arrangements, den Anfang-1990er-Demo-Sound und die Verweigerung jeglicher Massenkompatibilität in allen Belangen. Die hier aufgerufenen Vergleiche zu TWISTED TOWER DIRE, GOTHIC KNIGHTS und ZANDELLE sagen doch schon alles: "Awaken The Fury" ist charismatischer Underground US-Metal vom Feinsten und somit per Definition ein Nischenprodukt. Alles richtig gemacht, Dudes!

Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]

Redakteur:
Thomas Becker

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