Gruppentherapie RUNNING WILD-"Shadowmaker"

19.04.2012 | 11:17

Große Gruppentherapie zum kontrovers diskutierten Comeback-Werk von RUNNING WILD!

RUNNING WILD: Das ist für viele Metaller nicht nur irgendeine Metalband. Die Band hat in den 80ern und 90ern Lieder geschrieben, die als die Essenz des deutschen Metals gelten, Lieder, mit denen ein Stück - vielleicht auch durch das konsequente Piratenimage - metallisches Lebensgefühl verbunden wird, Lieder, die an Zeiten erinnern, an die man sich wahnsinnig gerne zurückerinnert. Aber auch Lieder, die die nächste Generation an Metalfans anspricht und an die Musik heranführt. Leider liefen die Piraten in den 00er Jahren Gefahr, ihr Schiff zu versenken. Kontrovers diskutierte Alben ("The Brotherhood", "Rogues en vogue"), grummelige Interviews, die Drumcomputergeschichte (Stichwort: Angelo Sasso) und vieles mehr führten dazu, dass Rock n' Rolf (Rolf Kasparek) seinen Kredit bei einigen Fans verspielt hat. 2009 wurde die Band nach einem Abschiedsgig beim Wacken Open Air dann aufgelöst. Nun aber, anno 2012, sorgte die Ankündigung eines neuen Albums und die Rückkehr von RUNNING WILD für einen Bombenschlag bei den Metalfans. Auch bei uns wurde schon im Vorfeld viel diskutiert und die Diskussionen wurden noch deutlich lauter, als "Shadowmaker", so der Titel des Comeback-Albums, durch unsrere heiligen Hallen schallte. Ein vorletzter Platz im aktuellen Soundcheck sorgte für weiteren Zündstoff. Grund genug, eine ausführliche Gruppentherapie durchzuführen. Hier die gesammelten Meinungen von Fans und Skeptikern, quer durch die Alters- und Geschmacksklassen unserer Redaktion. Viel Spaß!

 

 

Was sagte einst ein guter Freund? "RUNNING WILD ist wie Eis, geht immer, schmeckt immer“". Diese These wird zumindest bei Alben wie "Port Royal", "Death Or Glory" oder "Pile Of Skulls" definitiv bestätigt. Ein Feuer, ein unbändige Spielfreude und die Stärke Rock’n Rolfs, Hymnen und Melodien für die Ewigkeit zu schreiben,  all dies war vor rund zwei Dekaden felsenfest im Flaggschiff verankert. Doch leider fehlt dies beim Wiedervereinigungsalbum "Shadowmaker".  Denn richtig zwingend und einprägend sind die Stücke nur zu einem gewissen Teil. Sicherlich ist und war die Freude, RUNNING WILD wieder verehren zu können, besonders in unserer Redaktion immens. (Na ja... - PK) Viele von uns haben ihre musikalischen Wurzeln bei den Hamburger Pionieren, wodurch verständlicherweise nicht ganz objektiv an die Sache herangegangen werden kann. Die Füße wippen bei Songs wie 'Piece Of The Action', 'Riding On The Tide' und 'Black Shadow', das Mid-Tempo wird mal angezogen ('I Am Who I Am'), mal etwas verschleppt ('Me And The Boys') und der abschließende Doppelschlag 'Into The Black'/'Dracula' kann sich durchaus sehen und hören lassen. Aber irgendwie wirkt das Prozedere etwas blutleer und, obwohl "Shadowmaker" durchaus gute Ansätze und Stücke besitzt, kann es den gewissen Zauber, die Magie und die Gänsehaut von damals einfach nicht erzeugen. Das mag auch daran liegen, dass die Mehrheit der Songs (besser gesagt: ihr Aufbau und ihre Struktur) zu ähnlich und vorhersehbar klingt. Ein Schnellschuss nur fünf Monate nach Reunion-Verkündigung? Vielleicht. Ein weiterer Meilenstein in der sagenumwobenen Diskographie? Bestimmt nicht. Ein objektiv doch gutes Album, an dem man schlicht und ergreifend zu viele Erwartungen geknüpft hat? Bestimmt.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]

 

Mit "Shadowmaker" droht Routinier Rock'n'Rolf zum Dieter Bohlen des Metal zu werden. Für den peinlich verkrampft wirkenden, versuchten Sleazerock von 'Piece Of The Action' fehlt es RUNNING WILD eindeutig an Lässigkeit. Auch dem klumpigen 'Riding On The Tide' nimmt man einfach nicht ab, dass die Inspiration zu dem Stück aus dem darin besungenen 'being on with the wind' herrühren soll. Dass auch die monolithische Produktion keinerlei Spielraum für Dynamik hergibt, lässt das Album noch statischer wirken als das übersättigt und an musikalischem Fastfood orientiert wirkende Songwriting. 'I Am Who I Am' bemüht sich trotzig, an alte Tugenden anzuknüpfen, wirkt dabei jedoch etwas blutleer und formularisch. Wenigstens erinnert der Song daran, dass RUNNING WILD einst für einen Heavy Metal standen, der sich mit läppischen Ein-Riff-Fleddereien wie 'Black Shadow' oder dem diesjährigen Titeltrack nicht zufrieden gegeben hätte. Immerhin noch durchschnittlich auf einem ansonsten wirklich verzichtbaren Album: Schunkeliges B-Seiten-Material von der Stange ('Locomotive'), biederer Hardrock mit Schmackes ('Me And The Boys'), der obligatorische eingängig-melodische Midtempo-Song ('Sailing Fire') und die bandtypische Hymne 'Into The Black' - doch im 12. Jahr des jungen Jahrtausends ist das bei Weitem nicht mehr ausreichend. Einzig 'Dracula' lässt erahnen, dass diese - wenn schon in den Achtzigern steckengebliebene - Band auch heute noch mehr sein könnte als Alteisen.

Note: 5,0/10
[Eike Schmitz]


Tja, was passiert wohl, wenn alte Piraten nochmal ihre Dritten rauskramen, die Klampfe von den Spinnweben reinigen, 'ne Büddel voll Rum aufmachen und ihren Angelo Sasso polieren? Richtig: Es werden olle Kamellen aufgewärmt, die den Nachwuchs schon nach dem ersten "damals, ja damals, da hing der Jolly Roger noch ein wenig straffer" nerven. Die zittrigen Hände packen das Vibrato schon per Direktfahrschein auf den Sound, aufgrund der Gicht reicht es eh nicht mehr für Power, vielmehr kommt nurmehr ein kleines Päuerchen raus - aber gut, wofür gibt es denn die Zivis? Oh, stimmt, gibt ja gar keine mehr. Also muss man doch alles selber machen. Also noch kurz den Jopi-Heesters-Gedächtnis-Rock ausgepackt und Texte gesüffelt, mit denen sich der Achtziger-Rock'n'Rolf wohl das Koks von der Nase gewischt hätte. Doch anscheinend waren diesmal tatsächlich Drogen im Spiel, denn anders kann man sich das grenzdebile Neunziger Word-"Art"work kaum erklären. Die Songs auf "Shadowmaker" passen eher auf den angestaubten Tanztee eines baufälligen Seniorenheims, in dem um 16:00 Uhr das Licht ausgeht und die Alten allenfalls von Eddie gehört haben, weil die Pfleger sie damit vor der Dunkelheit warnen und verhindern wollen, dass die gebrechlichen Alten unter dem Bett nach Monstern schauen. RUNNING WILD sind so wild wie eine Horde Schildkröten auf Metal Cruise oder eine Schnecke auf Venlafaxin. Das Jahr 2012 hat auf alles gewartet, aber sicher nicht auf dieses Comeback in Form eines neuen Albums. Hoffen wir auf den Weltuntergang, damit nicht genug Zeit bleibt, um zu checken, wie traurig diese Seefahrt eigentlich ist - gerade im Hinblick auf die Großtaten der RW-Vergangenheit.


Note: 3,0/10
[Julian Rohrer]


Um meine verhältnismäßig hohe Note zu verstehen, muss man wissen, mit welcher Erwartung ich an dieses Album heran gegangen bin. Mit der Erwartung, völlig genervt zu werden. Mit der Band konnte ich nämlich nach "Branded & Exiled" nichts mehr anfangen. Und das hat wenig damit zu tun, dass bei mir immer nur die alten Scheiben einer Band toll sind. Ich konnte weder mit dem Piraten-Image noch mit dem biederen Teutonen-Gebrummel etwas anfangen. Das war Lichtjahre von der total großartigen Band entfernt, die mich mit "Gates To Purgatory" beinahe prägen konnte. Insofern schaue ich drei Mal auf meinen Player während das eröffnende 'Piece Of The Action' läuft. Ohne den typischen Gesang von Rolf hätte ich die Band niemals erkannt. Die Nummer geht schön nach vorne los, hat ein treibendes Rock-Feel und erinnert so gar nicht an RUNNING WILD. Macht Laune. SO hätte es gerne weiter gehen dürfen, aber – natürlich – wird die musikalische Seefahrt in härteren Gewässern fortgesetzt. Das ist mir dann erwartungsgemäß zu blubberig und weckt erst beim stampfenden 'Black Shadow' wieder meine Aufmerksamkeit. Danach fällt die Qualitätskurve dann allerdings ins Bodenlose, denn 'Locomotive' klöngelt dermaßen steril mit der Rhythmusmaschine, dass es mich schaudert. Schade, denn Rolf macht hierbei gesanglich eine gute Figur. Aus der Nummer hätte man mehr machen können. Aber es kommt noch besser: 'Me And The Boys' ist allerbester Schunkel-Metal, voran getrieben von einem Flippers-Drumbeat und versehen von einem Text, der jeder Authentizität spottet. Mit dem so gepriesenen Rock'n'Roll hat die synthetische Notenansammlung nämlich so gar nichts gemeinsam. Und wer die "Boys" sind, mit denen Rolf da "crazy" geht, erschließt sich mir auch nicht. Genug der bösen Worte. Es folgt mit 'Shadowmaker' eine versöhnlich stimmende Metalnummer, die gut abgeht, und auch das abschließende 'Dracula' kann man hören. Insgesamt ist also mehr Musik auf 'Shadowmaker", die ich recht gut finde, als erwartet. Ob RUNNING-WILD-Fans das auch so sehen, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ich hätte es authentischer gefunden, wenn Rolf eine lupenreine Rockplatte aufgenommen hätte.


Note: 5,5 /10
[Holger Andrae]

 

 

Under Jolly Roger' oder 'Port Royal' dürfen meinetwegen Metalklassiker sein, bei denen ich sogar mitmache, meine Faust zu recken, wenn sie mal gespielt werden. Ansonsten habe ich keinerlei emotionale Bindung zu RUNNING WILD, obwohl sie gerade groß waren zu der Zeit, als ich angefangen habe, Metal zu hören. Also ist für mich "Shadowmaker" nichts als eine weiteres Soundcheckalbum, das in meinem Player unter 'R' nach REZET kommt. Bei dieser nüchternen Betrachtung fällt mir dann schon nach zwei Songs auf, daß dieses "Shadowmaker" wohl ein ganz besonderes Lowlight werden wird. Ich höre nur Gitarren ohne Pepp, stupide Drums und einen gelangweilten Sänger ohne Ausdruck, ohne Volumen und mit einem fast unangenehm nasalen Unterton. Dieser Eindruck wird leider nach mehreren Spins nicht besser, eher bin ich genervt, ob einer Sammlung der dämlichsten Refrains seit der letzten FREEDOM CALL. Nur daß ich bei denen den Eindruck habe, dass sie wissen, was sie tun und voll dazu stehen. Songs wie 'I Am Who I Am' (mit dem großartigen Refraintext 'I Am Who I Am Who I Am') oder 'Me And The Boys' (klingt fast nach etwas verbrecherischerem als Fernsehwerbung) sind doch nur noch unfreiwillige Parodien auf unseren geliebten Heavy Metal. In unserer Notenbeschreibung heisst es bei drei Punken: 'Punkte gibt es u.a fürs einzelne Ideen, fürs Cover, für die Produktion, fürs solide Handwerk.' Für Cover? Nö. Solides Handwerk? Denen is doch selber langweilig dabei. Die Produktion? Falls es eine Metalproduktion sein soll: Thema verfehlt! Ich sag Euch, wofür es Punkte gibt: Einen für die Aussage meiner Schwägerin, die Metal hasst ("Thomas, ganz ehrlich, ich hasse Heavy Metal"), dass 'Me And The Boys' "doch etwas hat". Einen zweiten für die Feststellung meines Bruders, diese Musik könne auch im Marktkauf laufen, wenn man sie nur leise genug dreht. Daraus schließe ich, daß es doch eine Zielgruppe geben könnte. Und einen dritten gibt es von mir für 'Shadowmaker', den Titeltrack, weil man da zumindest mal den Eindruck bekommt, daß dieses Gemüse hier von einer ehemaligen Heavy Metal Band kommt.

Note 3,0/10
[Thomas Becker]


Wenn nicht so ein großer Name drauf stünde, könnte man dieses Album schnell wegsortieren. "Shadowmaker" enthält zehn Mal steril produzierten, recht gleichförmig klingenden Party-Pop/Rock, der mit laut abgemischten Gitarren auf Metal getrimmt wurde. Ganz auf die eingängigen und simplen Bretzel-Riffs und Hooklines fokussiert, eignet sich diese Scheibe ohne Ecken und Kanten vorzüglich als Stimmungsmacher auf der nächsten Samstagnacht-Dorffest-Metal-Disco (Saturday night's alright for fighting, you know!). Zumindest war das im letzten Jahrtausend so; ob das anno 2012 zumindest in Bad Hintertupfingen noch einen Hund hinterm Ofen hervorlockt – keine Ahnung. Traurig ist nur, dass dieses Produkt der gefühlten RTL2-Unterhaltungsindustrie unter dem Namen RUNNING WILD veröffentlicht wird. Denn für meine Generation (Jahrgang 1974) stand dieser Namen viele Jahre lang für kraftvollen, traditionellen Edelstahl mit Fantasie und Energie, der sich auch gerne mal "off the beaten tracks" bewegte – gerade in den true-metallisch überwiegend bitteren 1990ern. Jetzt mit einer so blutleeren Dschungel-Camp-Metal-Scheibe zu kommen ist für alle "Death And Glory"- und "Blazon Stone"-Fans ein Schlag ins Gesicht. Mehr mag ich nicht schreiben; ich benote die Scheibe geschichtsvergessen als das, was sie ist: belangloser Durchschnitt.

Note: 5,5 / 10
[Martin van der Laan]

 

So gut ich die Einschätzungen meiner Kollegen nachvollziehen kann, so schwer tue ich mich damit, die gleiche Bewertung vorzunehmen. Auf der einen Seite steht das beste Songmaterial seit "Masquerade", ein wieder motiviert wirkender Rolf und ein deutlich besserer Sound als auf dem Vorgänger, auf der anderen der Wunsch, dass aus der Platte irgendwie noch etwas mehr wird, und der bittere Beigeschmack dieser so zügigen Reunion. Ich kann meine Gedanken kaum klar sortieren, denn trotz meines relativ jungen Alters bin ich nun schon fast zehn Jahre lang großer RUNNING-WILD-Fan - und somit ist dies für mich eine höchst emotionale Angelegenheit. Mein Körper schüttet Glückshormone ohne Ende aus, sobald der Kapitän das Steuer an sich reißt, zu singen beginnt und in die Saiten greift. Das funktioniert bei mir wohl losgelöst von jeglicher "objektiven Betrachtung" des Songmaterials (wenn es so etwas überhaupt gibt). Aber auch ich merke, dass hier mehr drin gewesen wäre. Ein wirklicher Ausfall ist bis auf 'Me And The Boys' nicht zu verzeichnen, stattdessen gehen die meisten Tracks richtig gut nach vorne und rocken luftig und leicht mit vielen typischen Trademarks durch die See. Aber dieses packende Element, was die RUNNING-WILD-Platten der frühen und mittleren Phase zu (für mich) unsterblichen Zeugnissen deutscher Metalkultur machte, das fehlt leider. Hier und da bekommt man den Eindruck, dass die Songs nur noch ein wenig hätten reifen müssen, denn die Ansätze stimmen überall. Nichtsdestotrotz macht mir die Platte wirklich und vollkommen ungezwungen Spaß. Und den Richtlinien unserer Notengebung folgend muss ich somit acht Zähler verteilen, denn ich werde es auf jeden Fall häufiger und gerne auflegen.


Note: 8,0/10
[Oliver Paßgang]

Redakteur:
Thomas Becker

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