Gruppentherapie: ALL FOR METAL - "Legends"
26.07.2023 | 21:31Don't bore us - get to the chorus!
Wie jetzt, bei POWERMETAL.de gibt man nicht alles für den geliebten Metal? ALL FOR METAL wird im brandneuen Juli-Soundcheck von der Hälfte der Soundcheck-Redakteure mit Fünfern nach Hause geschickt und nur einer der Checker, nämlich Kollege Wilkens, liebt die Ohrwürmer auf "Legends"?
Stop. Kollegin Hanne ist auch eine "All-in"-Metallerin! Sie schwärmt in ihrer Hauptrezension von gänsehäutenden Kompositionen und bekommt große, leuchtende Augen. Andere Therapeuten befinden diese Musik aber als krank, weil sie unter Refrainitis leide. Auch die böse KI wird wieder herbeizitiert.
Also, die Videos von ALL FOR METAL sind natürlich ganz, ganz fürchterlich. Das ist schon ganz stark alles, was ich im Metal nicht haben will und schreit nach den Tribünen der Festivals, auf die ich wirklich nicht gehen will. Das Interessante ist: Wenn ich es - irgendwie - hinbekomme, das auszublenden, dann muss ich mir eingestehen, dass das eigentlich zwar stumpfer, aber ziemlich cool gemachter traditioneller Metal ist, irgendwo zwischen MANOWAR in der Bierzelt-Phase, HAMMERFALL, JUDAS PRIEST, MAJESTY und DREAM EVIL.
Natürlich tut sich die Band mit Optik und Auftreten keinen Gefallen und verliert damit viele potentielle Fans. Denn nach drei oder vier Bierchen dürfte das auf schönen Festivals auch ganz gut funktionieren. Ich befürchte nur: Da wird sich keiner trauen, ALL FOR METAL zu buchen. "Legends" ist alles in allem ein ordentliches, durchaus traditionelles Metal-Album, nicht mehr, aber auch nicht so viel weniger, wie man nach den Videos befürchten müsste. Und in einer Gruppentherapie geht es eben um die Musik.
Note: 7,5/10
[Jonathan Walzer]
Wenn sich ein neues Metal-Projekt anschickt, mit aller Macht auf den Markt zu drängen, dann ist das aller Ehren wert. Und AFM Records legt sich mächtig ins Zeug, um ALL FOR METAL einen Platz auf dem metallischen Olymp zu sichern. Im Fahrwasser von späten MANOWAR und aktuellen SABATON soll der Metal-Mainstream angesprochen werden. Es wäre leicht, die simplen Songstrukturen, die ironiefreie, dickflüssige Klischeesoße und die generelle Herangehensweise zu kritisieren (Jhonny erwähnte DREAM EVIL, die haben das damals aber cooler hinbekommen).
Aber wenn man die eigenen Vorurteile mal kurz beiseite lässt, entpuppt sich "Legends" als gut hörbares und sympathisches Sommer-Metal-Album. Man merkt, dass hier ein erfahrenes und auf Erfolg getrimmtes Produzententeam am Werk war. Instrumental stehen alle Lampen auf Grün. Herausragend ist die Gesangsleistung des melodischen Sängers Antonio Calanna. Er gibt dem Album die richtigen Vibes, macht es zu einem Bastard aus schwedischem und italienischem Power Metal.
Einzig der Einsatz von ASENBLUT-Frontmann Tim "Tetzel" Wagner bewegt sich zwischen schrecklich und bestenfalls akzeptabel. Geht sein Gesang bei den durchschnittlichen Heiden von ASENBLUT noch in Ordnung, so klingt er hier meist wie der schwachbrüstige und blutleere Bruder von SABATON-Sänger Joakim Brodén. Wenn Tetzel im Hintergrund singt, ergibt sich manchmal ein netter Kontrast, wenn er einen Song selbst tragen muss, klingt es unbeholfen bis anstrengend. Hier hätte mehr Stimmtraining im Vorfeld gut getan. Insgesamt aber doch ein gut hörbares Album mit klaren Skip-Kandidaten.
Note: 7,0/10
[Julian Rohrer]
Das Debüt von ALL FOR METAL enthält hauptsächlich kompakte, fett produzierte Lieder, die sofort auf den Punkt kommen; ultra-eingängige, hymnische Metal-Songs mit Refrains, die man nach einmaligem Hören mitsingen kann. Es gibt keine nennenswerten Intros und nur die letzten beiden Lieder überschreiten knapp die Grenze von vier Minuten. Bei diesen Songlängen ist kein Platz für ausgiebige Solo-Parts, auch wenn die Gitarren immer wieder positiv aufblitzen und kurze, effektive Soli spielen; das Herz eines jeden Songs ist der Refrain. "Don't bore us - get to the chorus!" Das letzte Stück ist die wirklich schöne Ballade 'Legends Never Die', die das Album gediegen und mit einem Hauch Epik ausklingen lässt.
Mit zwei gegensätzlichen Sängern zu arbeiten, ist prinzipiell nichts Neues, man denkt da sofort an die typische Konstellation von einem Growler und einer weiblichen Opernstimme. Hier hat man aber zwei Herren der Schöpfung, die sich den Gesang teilen. Beide machen ihre Sache gut, Tims rauer Gesang steht jedoch in einem starken Kontrast zur wirklich exzellenten, variablen Stimme von Antonio, der das Gesangsduell deutlich gewinnt.
Auf einzelne Songs gehe nicht nochmal im Detail ein, das hat Hanne in ihrem Review ausführlich getan und ich kann ihr da auch nur zustimmen. Das Album lässt sich gut hören, macht mir viel Spaß und ist musikalisch längst nicht so simpel, wie es eventuell beim ersten Hören der Songs bzw. dem Lesen der ersten Zeilen dieses Reviews rüber kommt – hört einfach mal hin, was die beiden Gitarristinnen spielen.
Die Songs sind aufgrund der extremen Eingängigkeit auch für ein Festivalpublikum geeignet, dem die Musik der Band bislang unbekannt ist. Man darf auf die Zukunft gespannt sein; ich hoffe, dass ALL FOR METAL keine Eintagsfliege bleibt. Für "Legends" gibt es kleine Abzüge wegen einiger doch arg strapazierter Klischees in Sachen Texte sowie des hier und da etwas eindimensionalen Gesangs von Tim, und manch ein Refrain ist etwas zu platt - aber 8 Punkte sind auf jeden Fall gerechtfertigt.
Note: 8,0/10
[Maik Englich]
Leute, ihr macht es mir wirklich schwer, mich hier stimmig zu positionieren, denn ich muss zugeben, dass es mir von Anfang an fast unmöglich schien, dieser Band im aktuellen Soundcheck gerecht zu werden. Warum das so ist, das findet sich recht treffend in euren Ausführungen wieder, wenn Jhonny von den aus seiner Sicht fürchterlichen Videos erzählt, Julian davon, dass hier ein Metalprojekt flankiert von einem auf Erfolg getrimmten Produzententeam mit aller Macht auf den Markt dränge, und Maik betont, dass die Band es für überflüssig zu halten scheint, die Zuhörer in nennenswertem Umfang mit anderen Dingen zu langweilen als mit dem Refrain. Damit haben wir all die Zutaten beisammen, die den Mainstream-Metal des dritten Jahrtausends immer näher in Richtung Schlager schieben, und das findet wahrlich nicht jeder gut. Nun bin ich trotz meiner großen Vorliebe für etwas mehr Erdigkeit und Reduziertheit einerseits, sowie ein Mindestmaß an kompositorischem Tiefgang andererseits wahrlich kein Generalinquisitor der reinen Lehre und habe zudem durchaus eine bekannte Schwäche für stampfenden Mitsingstahl europäischer Prägung. Selbst bei SABATON und POWERWOLF nehme ich nicht Reißaus. Auch wenn sich die Bandmitglieder von ALL FOR METAL auf MANOWARs Mainstream-Phase als Inspiration berufen, bin ich sicherlich der Falsche, um sie dafür zu schelten, denn auch hier wird "Warriors Of The World" absolut geschätzt, obschon es nur etwa 3,74% der denkbaren MANOWAR'schen Brillanz abbildet.
Und damit sind wir dann auch am Knackpunkt angelangt: Bei ALL FOR METAL kollidieren zwei Welten, und zwar eine Welt des Minimalismus, und eine Welt der Megalomanie. Derartige Spannungsfelder sind hin und wieder durchaus geeignet, große Kunst zu inspirieren, doch manchmal lassen sie den Hörer auch ratlos zurück. Hier gerät die Band zumindest aus meiner subjektiven Sicht leider in die zweite Kategorie, denn wenn sie auf der technischen Seite klotzt, dann mag das alles sehr eindrucksvoll sein, doch leider wird am kompositorischen Ende allenfalls gekleckert. Wo die Gitarristinnen blitzsauber spielen und auch tolle Soli vorhanden sind, da ist auch der klare Gesang von Antonio Calanna wirklich großartig und erinnert manchmal gar ein wenig an Joacim Cans oder Andy Mück. Im Gegensatz zu Julian finde ich sogar den rauen Kontrast durch Tim Schmidts Stimme gelungen. Was "Legends" für mich allerdings versenkt, das ist exakt das, was Maik sehr treffend mit "Don't bore us - get to the chorus!" umschrieben hat. Es stellt sich da einfach die Frage, ob ich Songs hören will, die gefühlt nur aus Chorus und Produktion bestehen und in Struktur und Aufbau durchwegs völlig vorhersehbar sind.
Meine Tendenz geht hier eher zu "Please don't bore us with only chorus!", und so sehr ich ALL FOR METALs Liebe zu MANOWAR teile, so schade ist es dann doch, dass die Inspiration durch dieses große Vorbild offenbar nicht auch zu den außergewöhnlichen, eigenwilligen, progressiven und epischen Werken geführt hat, sondern nur bis zu den Mitgrölhymnen der Spätphase. Vor allem ist es deswegen schade, weil die Band im Gegensatz zu vielen Mitanbietern eben tatsächlich unheimliches musikalisches Potential hat, das für mein Empfinden in den viel zu stark auf den kommerziellen Erfolg schielenden Kompositionen weitgehend verschenkt ist. Sollte sich jener einstellen, wird es der Band egal sein, was diese olle Zausel hier in die Tasten hackt. Andernfalls wäre es cool, versuchte man sich beim nächsten Mal vielleicht an ein wenig mehr Ecken und Kanten, und weniger Refrainitis.
Note: 5,0/10
[Rüdiger Stehle]
Ich muss mich wirklich fragen, ob meine Kollegen hier versehentlich "Fighting The World" von MANOWAR in der CD-Hülle von ALL FOR METAL stecken hatten? Nur das würde die Noten erklären, die hier gezückt werden. Wenigstens Rüdiger scheint durch die Marketing-Maschine zu blicken und den reichlich ausgehöhlten musikalischen Kern zu erblicken. Doch bevor ich hier auch den Miesepeter heraushängen lasse, möchte ich erst einmal deutlich machen, dass ich vor den Musikern und Musikerinnen hinter ALL FOR METAL großen Respekt habe. Handwerklich ist das hier alles sauber und höchst professionell umgesetzt und etwa Gitarristin Jassy schätze ich abseits der Band sehr, wobei gerade ihre Livestreams immer unheimlich unterhaltsam sind.
Doch das was hier unter diesem neuen Banner musikalisch zelebriert wird, ist halt einfach so spannend und schmackhaft wie drei Monate altes Toastbrot. Wohin die Songs gehen, kann man schon aus zehn Meilen Entfernung erkennen, gesanglich ist gerade Tetzel hier lange nicht über jeden Zweifel erhaben und die Refrains sind so dicht am Schlager dran, dass sie eben auch der letzte Besoffene auf dem nächsten Festival mitgrölen kann, ohne je etwas von ALL FOR METAL gehört zu haben. Dazu kommt das reichlich klischeehafte Image, bei dem offensichtlich der gewinnt, der am meisten Leder und Nieten im Schrank hat, ergibt zusammen meinen Band gewordenen Albtraum. Wie Rüdiger schon richtig sagt, wird das der Band reichlich egal sein, wenn sich der Erfolg flott einstellt und die Festivalbesucher grölen, und das ist auch richtig so, denn Musik ist nun einmal eine der subjektivsten Dinge der Welt. Mir persönlich ist das hier aber zu sehr auf Mainstream und Klischee gebürstet, um mehr als gut gemeinte 5 Punkte zu geben.
Note: 5,0/10
[Tobias Dahs]
Dann wollen wir den Hattrick an kritischen Stimmen perfekt machen. Zuerst möchte ich Jhonny aber einmal widersprechen, denn die Jungs hatten sich direkt mal einen Slot auf dem diesjährigen "Rockharz"-Festival ergattert. Das aber nur als Randnotiz, denn ich bin nicht hingegangen. Denn selbst wenn die Songs von "Legends" bierselig doppelt so gut wie auf Platte funktionieren, kann ich vor dieser metallischen Variante von einem RALPH SIEGEL-Albtraum nur die Flucht ergreifen. Warum, das haben Rüdiger und vor allem Tobias schon mehr als deutlich aufgezeigt. Ebenso warum sich ein totaler Verriss dann auch nicht anbietet, da instrumental und insbesondere bei 50% des Gesangs alles im grünen Bereich ist.
Für mich persönlich gibt es zwei Hauptprobleme mit ALL FOR METAL. Zum einen klingt die ganze Chose deutlich mehr nach KI-generiert als die letzte SCAR SYMMETRY (und die wollte das) und nach einem Abarbeiten einer Bucket-List für Metaleinsteiger, und verhagelt mir im Kern auch "Stumpf ist Trumpf"-Hymnen wie die Bandhymne. Zum anderen fehlt mir gänzlich eine Form der Authentizität, die ich den Beteiligten auch gar nicht absprechen möchte, aber eben zu keiner Sekunde spüre.
Somit kann ich aktuell tatsächlich nur mit dem Opener in bestimmten Situationen Spaß haben. Dass der Rest des Albums mit der Zeit weiter zulegt, kann ich mir nicht vorstellen. Tütenwein wird ja auch nicht besser.
Note: 5,5/10
[Stefan Rosenthal]
Bereits ohne einen Ton von dieser Band zu hören, war eigentlich klar, dass mir ALL FOR METAL nicht gefallen würde. Nein, nicht gefallen durfte. Denn mit Klischee und Abklatsch dieser Art kann man mich eigentlich jagen. Rein theoretisch würde ich mich den Fünf-Punkte-Kollegen anschließen, sogar alles blanko unterschreiben. Aber dann ist es geschehen. Wie auch immer das passieren konnte, das Album rattert durch und ich komme nicht umhin, sofort einen zweiten Durchlauf nachzulegen. Ja, das Ganze ist bisweilen peinlich und mit allerlei Kitsch behangen. Und natürlich ist die Produktion auf breiten Massenkonsum ausgelegt. Dazu noch billige Hooks, banale Refrains und Songtitel, die für die Kirmes taugen. Aber zum Leidwesen meiner zum Glück nicht komplett zementierten Grundsätze trifft fast jeder dieser Songs ins Schwarze. Irgendwie macht das Album süchtig, so sehr ich mich dagegen auch wehre. Hin und wieder darf ich als glühender Fan der härteren Musik eben auch mal den Stock aus dem Allerwertesten ziehen und mich über günstigen Discounter-Metal freuen.
Note: 9,0/10
[Frank Wilkens]
- Redakteur:
- Thomas Becker