Gruppentherapie: ATLANTEAN KODEX - The Course Of Empire

26.09.2019 | 12:20

Da ist es nun, das Album, auf das einige im deutschen Metal-Untergrund bewanderte Kameraden schon sehnsüchtig gewartet haben! ATLANTEAN KODEX haut den dritten Langspieler raus und lockt unserem Raphael Päbst eine halbe Dissertation aus der Feder. Auch im Soundcheck kann sich "The Course Of Empire" mehr als nur behaupten und fährt mit gleich drei Höchstnoten den Sieg ein. Ja, ist er es denn nun, der heilige Gral? Oder kochen die Bayern am Ende auch nur mit Wasser - vielleicht aber mit besonders klarem?

"The Course Of Empire". Für manchen Metalfan eher "The Curse Of Empire", denn bei ATLANTEAN KODEX streiten sich mal wieder die Gelehrten. Dabei ist die Sache für mich ganz klar: Mir ist total egal, in welchen Kreisen welche Band zu sehr abgefeiert wird, wenn es in diesem Kontext überhaupt ein "zu sehr" geben kann. Denn mir geht es in diesen Tagen so wie vielen Anhängern traditionellen Stahls. Ich darf ein Album hören, das mich gleich auf mehreren Ebenen packt. Selbst ohne die Verknüpfung von Mythologie, Geschichte und eigener Deutung des Zeitgeschehens ist die Musik einfach bärenstark. Auch wenn in Reviews und Foren oft von "Gänsehaut" gesprochen wird - tatsächlich fühlen kann ich diese ehrlich gesagt nur bei einer sehr überschaubaren Anzahl von Bands. Bei ATLANTEAN KODEX gelingt das jetzt mit dem zweiten Album in Folge und meine Euphorie ist auch nach Wochen des Hörens noch nicht wieder gesunken. Nach ein paar Startschwierigkeiten aufgrund der entrückten Produktion, die - wie ich inzwischen finde - aber perfekt zum Album passt, stürze ich mich täglich auf dieses Jahreshighlight. Mit 'He Who Walks Behind The Years', 'The Innermost Light' oder 'Chariots' (eigentlich könnte man hier alle Songs nennen) bietet die Band so ziemlich alles, was ich von Heavy Metal erwarte: Faustfaktor, Ohrwurmpotenzial sondergleichen und ein Feeling, das längst nicht mit der Musik endet. Und wenn mal wieder jemand meint, die ganze Aufmerksamkeit über die Truppe nervt, streichle ich über die Lavish-Edition der Vinyl und freue mich, dass ich mich ganz auf den Inhalt dieses Kunstwerks einlassen kann.

Note: 10,0 / 10
[Nils Macher]

 

Man kann zu ATLANTEAN KODEX stehen wie man will, aber in Sachen Konzeption, Texte & Artwork ist die Truppe wirklich "best in class". Daran ist absolut nix zu rütteln. Musikalisch allerdings ist "The Course Of Empire" in meinen Ohren nicht so stark ausgefallen wie der sehr gute Vorgänger "The White Goddess". Das liegt zum einen an der eigenwilligen Produktion, mit der ich mich noch nicht so recht anfreunden konnte. Vielleicht habe ich in letzter Zeit auch zu viel AOR gehört, aber das klingt mir doch etwas verwaschen und wenig ausgewogen. Zudem finde ich fast jeden Song eine Spur zu lang und könnte wohl überall eine Minute streichen, was ich so weder auf "The Golden Bough" noch auf "The White Goddess" empfand. Ich finde, dass da eine Band wie BATTLEROAR besser auf den Punkt kommt. Auch die neue EREB ALTOR hat da für mich die Nase vorn. Verbessert hat sich hingegen noch einmal Sänger Markus Becker, den ich in der Vergangenheit immer etwas, nun ja, austauschbar fand. Vielleicht hatte ich da früher auch nur was an den Trommelfellen, oder er macht hier einfach einen guten Job. Anyway, wer viel Wert auf das Gesamtwerk legt,sollte hier zugreifen, wenn er epischen Metal mag. Wem es vor allem um die Musik geht, der kann stattdessen auch die Originale oder Bands wie BATTLEROAR oder EREB ALTOR hören. Die sind in meinen Ohren besser.

Note: 7,5 / 10
[Peter Kubaschk]

 

Ich gebe ehrlich zu, musikalisch mag der Kodex schon stärker gewesen sein, will heißen, eingängiger, hymnischer oder packender. Ein fast schon partytaugliches 'The Atlantean Kodex' oder gar eine emotionale Offenbarung wie 'Twelve Stars And An Azure Gown' finden sich (zumindest nach elf Hördurchgängen) auf dem neuesten Album nicht. Insofern stimme ich Peter zu. Aber wozu sollte man eine solche Messlatte anlegen? Erstens funktioniert die atlantische Faszination eben nicht nur rein über die Musik, sondern auch über das bereits ausführlich erwähnte Drumherum, wie etwa die meisterhaften Texte und die hingebungsvolle Leidenschaft, die man auch auf "The Course Of Empire" wieder zu jeder Sekunde spürt. Zweitens ist die musikalische Klasse dennoch außerordentlich hoch. "The White Goddess" mag mystischer, "The Golden Bough" entrückter gewesen sein, wir haben es hier aber trotzdem mit einem grandiosen Album zu tun, das noch dazu homogener wirkt als die Vorgänger. Meine Höhepunkte sind, wie auch für Nils, 'He Who Walks Behind The Years' und 'The Innermost Light'. Und der Rest ist nur unwesentlich weniger genial. 'Lion Of Chaldea' und 'People Of The Moon' funktionieren zum Beispiel live hervorragend. Vergleiche zu anderen Bands mögen bisweilen hilfreich sein, ATLANTEAN KODEX hat sie indes kaum mehr nötig. Und "The Course Of Empire" ist für mich wieder einmal ein perfektes Album. In jeder Beziehung. Dazu gehören eben auch die Ecken und Kanten, die es besitzt.

Note: 10,0 / 10
[Jakob Schnapp]

 

Ein neues ATLANTEAN KODEX Album war schon immer etwas besonderes für mich. Ich bin seit der ersten EP dabei und hatte bei den Vorgedanken an "The Course Of Empire" auch ein bisschen Angstgefühle durchzustehen, denn schließlich ist "The White Goddess" ein absolutes Überalbum gewesen. Ich rechne es der Band hoch an, dass sie nur etwas veröffentlichen wollte, was diesen Standard halten kann. Nach einem Dutzend Spins würde ich mal behaupten: Es ist der Band gelungen, ein Album auf einem ähnlichen Niveau zu veröffentlichen. Aber die absolute Magie des Vorgängers wird für mich nicht ganz erreicht. Klar steht die Scheibe dagegen über "The Golden Bough" und "The Pnakotic Demos". Das liegt zum einen an Markus Becker, der wohl auch durch die Arbeit mit SEPTAGON zu einem wirklich starken Metalfronter (auch live) geworden ist. Da ist ein qualitativer Sprung zu bemerken, der sich auf dem Vorgänger schon ziemlich angedeutet hatte, heute aber offensichtlich ist. Hier sollte niemand mehr Schwierigkeiten mit der Band haben. Auch die Produktion ist mächtig, und im Bereich der Chöre hat man sich massiv verbessert. Zu den Höhepunkten zählt für mich 'People Of The Moon' (wie von Jakob angesprochen auch live eine Macht), die Hobbit-Anspielung in 'The Innermost Light', das rhythmisch-rockige 'Lion Of Chaldea' und der phänomenale Abschluss mit 'The Course Of Empire' / 'Die Welt von gestern'. Noch nicht völlig mitgerissen werde ich von 'Chariots', den viele ja als den besten Song anpreisen. Ich bin nicht so textaffin wie manche andere, und trotzdem begeistert mich diese Band fast vollumfänglich. Trotzdem zücke ich noch nicht die 10, denn diese Scheibe muss den Test Of Time bestehen und zeigen, dass sie auf Augenhöhe mit dem Vorgänger agieren kann. Das ist aus meiner Sicht trotz etlicher starker Songs noch nicht der Fall. Aber wahrscheinlich ist es das beste Metalalbum 2019. Was will man mehr?

Note: 9,5 / 10
[Jonathan Walzer]

 

"Erstkontakt" lautet bei mir das Stichwort und ist vielleicht auch eine gute Erklärung für die Tatsache, dass ich dem Album keine neuneinhalb oder gar zehn Zähler verpassen kann. Für mich steht - egal bei welcher Band oder welchem Künstler - ganz grundsätzlich zuerst die Musik im Vordergrund. Da kann das einhundertseitige Digibook mit Fell bespannt sein, die Nummerierung der Limited Edition in die Rückseite der zweiten Splattered-Gold-LP von Hand eingraviert sein, oder das Albumkonzept durch ein fabelhaftes Artwork komplettiert werden - solange mich die Musik nicht vollends überzeugen kann, halte ich mich mit der Bewertung zurück. Natürlich, das ist jetzt reichlich überspitzt dargestellt, aber mit Aussagen wie "ATLANTEAN KODEX war musikalisch schon besser" und "die Faszination funktioniert nicht allein über die Musik" gepaart mit einer Maximalpunktzahl habe ich so meine Problemchen. Für mich handelt es sich bei "The Course Of Empire" keineswegs um ein schlechtes oder auch nur mäßiges Stück Musik, sondern um ein handwerklich tolles Album im epischen Metal-Segment. Das Album ist kurzweilig und ohne Frage stimmig gestaltet; jedoch der magische Funke, er will bei mir nicht so recht überspringen. Da ist auf der einen Seite die schon angeklungene dumpfe Produktion, die der Musik in meinen Ohren einiges an Magie raubt, und auf der anderen Seite auch der Gesang des Herrn Becker, der für mich nicht einhundertprozentig mit dem Stil der Band harmonieren will, auch wenn Kollege Walzer der Ansicht ist, dass mit den Vocals niemand mehr Schwierigkeiten haben sollte. Ich kann verstehen, dass man dieser Musik aus den eigenen Landen viel oder auch sehr viel abgewinnen kann und auch ich selbst werde mir vielleicht zukünftig das eine oder andere Produkt aus der bayrischen Stahlschmiede ins heimische Regal stellen; an dieser Stelle aber vom heiligen Gral zu sprechen, der keine Vergleiche mehr nötig hat, halte ich für deutlich über das Ziel hinausgeschossen.

Note: 7,0 / 10
[Daniel Lindhorst]

 

Jo, ATLANTEAN KODEX ist also mit einer neuen Scheibe am Start. Wir wurden schon vor vielen Wochen bemustert, doch irgendwie wagte ich mich nicht daran, die Promo anzuhören. Oder besser gesagt, ich hatte gar keine Lust dazu. Man mag es Querulanz des Rezensenten nennen, oder einfach Abscheu vor zu viel Gekulte und zu vielen Superlativen in der Rezeption: Die ganzen Vorschusslorbeeren, die ganzen Fans und Kollegen, die sich im Vorfeld schon quasi sicher waren, dass hier das Album des Jahres kommen würde; und einer nach dem anderen, der sich die Promo angehört hatte, schien ihr zum Opfer zu fallen und zum Teil und Instrument dieses nahezu sektenhaft anmutenden Kultes zu werden. Also ward beschlossen, das Album erst zu hören, wenn es denn veröffentlicht und in physischer Form angekommen ist, denn natürlich interessiert auch mich das neue Werk dieser von vielen verehrten und mythologisierten, von anderen unverstandenen oder gar abgelehnten Band, der auch ich bisher seit Anbeginn ihrer Karriere nur Zehner und Neuneinhalber verpasst habe. Seit gestern ist "The Course Of Empire" nun hier im Haus und bisher hatte das Album erst fünf Durchläufe, deren erster für mich fordernd und zehrend war, und zwar auf positive Weise: Dies vor allem der intensiven Lyrik, der wohlformulierten und geschmeidigen, aber dabei auch sehr bedeutungsschwangeren und emotionalen Texte wegen, die von Ben Harff wunderschön kalligraphisch umgesetzt und illustriert worden sind. Ja, die Geschichten vom Aufstieg und Fall menschlicher Kulturen wissen zu packen, und Markus Becker singt sie emotional, wunderbar klar und er vermag damit, den Hörer in diese Welt der vergangenen Reiche zu entführen. Musikalisch lebt der Epic Metal der Oberpfälzer erneut von jener, der Band ureigenen Mischung aus frühem MANOWAR-Schaffen, den nordisch inspirierten Werken BATHORYs und dem mystischen Doom der Briten SOLSTICE, allerdings eben - wie gesagt - auf sehr individuelle und unverkennbare Weise verwoben zu einem eigenen Stoff und mit allerlei weiteren Facetten metallischer und hartrockender Tradition, wie etwa jener Gesangspassage am Ende von 'Chariots', die ich nur als sehr schöne, kleine Verneigung vor Paul DiAnno empfinden kann. Im Endeffekt bleibt also, so sehr mich allzu überschwänglich feiernde und sich in Superlativen suhlende Kultprozessionen im metallischen Untergrunduniversum gemeinhin irritieren, für mich die Erkenntnis, dass jeder, der hier feiert, sicherlich einen sehr guten Grund zum Feiern hat, und dass auch ich nur ein weiteres Mal ganz tief den Hut vor ATLANTEAN KODEX ziehen und mich zögerlich, aber doch auch voll und ganz überzeugt in die Prozession einreihen muss, denn es ist wirklich selten, dass es einer Epic-Metal-Band gelingt, ein auf allen künstlerischen Ebenen - Artwork, Lyrik, Konzept, Musik - so präzise, so überzeugend und mit so viel Liebe zum Detail ausgearbeitetes, schlüssiges Gesamtwerk mit wirklich großen Melodien zu präsentieren.

Note: 9,5 / 10
[Rüdiger Stehle]

Redakteur:
Daniel Lindhorst

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