Gruppentherapie: BORKNAGAR - "Fall"

05.03.2024 | 14:06

Endet die Klettertour mit Gipfelglück oder mit Höhenkrankheit?

Sodele, Soundchecksieger JETZT! Volle Punktzahl gibt es für BORKNAGARs "Fall" von Tobias. "Einmalig", "meisterhaft" und ähnliche Worte fallen von den Soundcheckern zu diesem Album. Aber man liest auch Dinge wie "zu wenig Black Metal" oder "etwas zu entrückt". Erleben die Therapeuten einen Höhenflug wie Tobias oder verliert man sich in aufgesetzt-breitwandigem Pathos?

Die letzten Alben landeten immer unter den ersten fünf Positionen, aber diesmal hat es für die Pole-Position gereicht, was mich persönlich sehr freut, weil es schlicht und ergreifend ein richtig tolles, hochatmosphärisches Album ist und es die Band verdient hat. Auf "Fall" passt einfach alles, was schon beim Artwork beginnt, das ähnlich viel Aura versprüht wie BATHORYs "Twilight Of The Gods"; als ob man sich inmitten skandinavischer, frostiger Gegenden auf die Suche nach dem Sinn des Lebens macht. BORKNAGAR bringt progressiven, epischen Black Metal auf den Punkt und zeigt sich zwar angriffslustig und majestätisch wie eh und je, steigt trotzdem nochmal eine Stufe auf: "Fall" fließt aus einem Guss, ist ein Hochgenuss für Fans und Freunde komplexer, harter, düsterer, kühler Strukturen mit Herz und Verstand.

Oft thronen dabei überlebensgroße Melodien wie in 'Nordic Anthem' oder 'Stars Ablaze' über allem, und bei 'Northward' spielt man sich zum Albumabschluss in einen wahnsinnigen Rausch, ohne auch nur annähernd die Kontrolle zu verlieren. Somit zeigen die Norweger einmal mehr ihr gesamtes Können – von Epik durchleuchtend ('Afar') über eindringlich und festlich ('Unraveling') bis zu dynamisch herausragend ('Moon') und schaffen es in jeder einzelnen, so genialen Sekunde, dem wahren Norden nochmal den Rang abzulaufen. Dies ist in Anbetracht der Klasse des Vorgängers in der Tat ein wahres Kunststück.

Kunst ist ohnehin das passende Wort für "Fall", denn ob BORKNAGAR rockig, wütend, rasend, erhaben oder gefühlvoll agiert, ist das Album in Gänze ein künstlerisch wertvolles wie wunderbares, melodisches, hartes, helles wie düsteres Album geworden. Einfach toll!

Note: 9,5/10
[Marcel Rapp]

BORKNAGAR habe ich eigentlich immer als eine Band abgespeichert, die den gleichen Stil wie ENSLAVED spielt und da mich zweitere spätestens nach "Below The Lights" nicht mehr großartig interessiert, bestand auch nicht der größte Bedarf bei ersterer, die Alben der Band nachzuholen, auch wenn mir das Debüt "Borknagar" bekannt ist und ich den rasenden, kalten Klang daran sehr schätze. Springt man 28 Jahre in die Zukunft hat man "Fall" am Start, an das ich guter Dinge herangegangen bin, aber direkt beim ersten Durchlauf stark ernüchtert zurückgelassen wurde.

Einerseits ist der Sound für mich eine echte Zumutung, da das absolut nichts mehr mit schwarzmetallischer Kälte zu tun hat, womit man bei einem Majorlabel wie Century Media schon fast rechnen konnte. Andererseits befindet sich in den 55 Minuten Spielzeit entschieden zu viel Belanglosigkeit, bei der sich die Band in wenig songdienlichem Prog-Geschrubbe, sei es auf der Gitarre oder der Orgel, verirrt. Bei einem Durchlauf blieb es ja natürlicherweise nicht und so kann man hier und dort einige recht epische Momente wahrnehmen und auskosten, auch wenn dann im anderen Moment ein paar ruhige Klargesangsmomente mit zurückhaltenden Gitarren in meinen Ohren immer noch nicht passen.

Mit dem Gesang auf "Fall" ist's insgesamt eine schwere Sache. Immer wenn der Klargesang kraftvoll daherkommt, bin ich voll dabei, wenn er sich aber etwas zerbrechlicher, säuseliger und weniger voll präsentiert, dann verliere ich irgendwie den Anschluss. Der Keifgesang ist daneben über jeden Zweifel erhaben. Davon hätte "Fall" mehr gebraucht. So startet man mit 'Summits' direkt mit einem breitwandigen Epos, das zu gefallen weiß, während der zweite Track 'Nordic Anthem' im Vergleich recht schwachbrünstig und in manchen Momenten aufgesetzt klingt.

Und so merke ich am zwölften Langspieler von BORKNAGAR einmal mehr, warum mir diese Band und beispielsweise auch ENSLAVED nicht so recht in den Kram passen will. Das ist mir zu inkonsequent und zu wenig geradlinig. Wenn schon Black Metal, dann am liebsten durchgehend frostig, klirrend, kalt und nicht mit erzwungen-poppigen Prog-Versatzstücken, die dem Ganzen den Wind aus den Segeln nehmen.

Note: 6,5/10
[Kenneth Thiessen]

Hmmm, "hart" oder "rasend" wären jetzt tatsächlich keine Attribute, die mir in Bezug auf "Fall" direkt in den Sinn kämen. Melodisch, eindringlich, hell wie düster, das lass ich mir noch eingehen. Typisch BORKNAGAR könnte man fast schon sagen, hat man sich doch schon seit langem von den Black-Metal-Wurzeln entfernt. Man bleibt dem eingeschlagenen Weg treu, die atmosphärisch-progressiven Töne überwiegen. Und wenn Frontmann Øystein G. Brun das Album als den spirituellen Nachfolger von "True North" beschreibt, kann man das gut so stehen lassen.

'Voices' vom Vorgängeralbum war (und ist) für mich ein absoluter Übersong. Auch bei wiederholtem Hören von "Fall" finde ich nicht den einen übergroßen Song, der bei mir sofort hängen bleibt. Meine Favoriten sind 'Northward', 'Unraveling' und 'Afar', denn hier kommen die Black-Metal-Vocals schön zum Tragen. Auch ich hätte mir tatsächlich etwas mehr Härte und einfach mehr Schwärze gewünscht. Mehr Kreischen bitte! Aber das ist natürlich reine Geschmacksache. Stimmlich ergänzen sich die Sänger Vortex und Lazare hervorragend. Der Wechsel zwischen Klargesang und Kreischen gepaart mit intensiver Gitarre und nicht zu dominanten Keyboards schafft es meist, auch bei zum Teil recht langen Stücken, die Spannung hochzuhalten. Ich denke, gerade diese Pole zwischen Dynamik und getragenen Passagen machen BORKNAGAR aus.

Note: 8,0/10
[Barbara Sopart]

Ich kann verstehen, dass "Fall" einige meiner Kollegen in totale Begeisterung versetzt. Doch die Platte schafft es bei mir nicht, auch nur ansatzweise entsprechende Begeisterung auszulösen. Sobald BORKNAGAR in die "typische" Black-Metal-Raserei verfällt, keimt in mir tatsächlich Begeisterung auf, denn diese Passagen sind einfach richtig gut. Leider gibt es auf "Fall" für meinen Geschmack aber zu wenige dieser Abschnitte. Sobald BORKNAGAR jedoch epische oder progressive Tone anschlägt, verliert die Truppe mich und kann mich nicht mitreißen. Da erinnert mich die Band sehr an PRIMORDIAL, was aus meinem Mund kein positiver Vergleich ist, denn die Iren konnten mich bislang nie überzeugen.

Auch wenn mich diese Seite von BORKNAGAR nicht packt, kann ich verstehen, dass es bei anderen (bockstarken) Kollegen besagte Begeisterung auslöst, denn gut gemacht ist es allemal. Für mich persönlich dürften die Anteile ziemlich genau andersherum verteilt sein. Circa zwei Drittel im richtigen Black Metal mit Kreisch-Vocals und der Rest dann die Epik und das Progressive. Dann wäre auch eine höhere Note möglich und ich würde darüber nachdenken, mir "Fall" in die Sammlung zu stellen. So wandert die Scheibe nicht auf meinen Einkaufszettel.

Note: 7,0/10
[Mario Dahl]

"Grey Metal" - dieser selbstgeschöpfte Genrebegriff fiel mir gestern sogleich einige Minuten nach Erstkontakt mit "Fall" und mit BORKNAGAR als Band überhaupt ein. Spätestens beim fünften Stück 'Ablaze' war auch mir, als das Genre Black Metal lediglich ab und an streifendem Gelegenheitshörer, klar, dass es sich hier um eine Band handeln muss, die ihre schwarzmetallischen Wurzeln stetig durch die Weiterentwicklung ihrer kompositorischen und spielerischen Fähigkeiten verfärben und wuchern lassen konnte, bis sie an manchen Passagen der Musik kaum mehr auszumachen waren und sind.

Der sich dadurch dem Hörer offenbarende Abwechslungsreichtum ist ganz enorm und vielfältig. Hierzu werden vielfach, in meinen Ohren soundtracktaugliche Stimmungen, beispielsweise zu Beginn von 'Afar' oder in 'Stars Ablaze', sowie vielfältige Arrangements der Gesangs-Stimmen von den Herren Nedland und Hestnaes angewendet. Dabei tappt die Band manchmal auch in meiner Wahrnehmung in die von Kenni angesprochene Falle der Belanglosigkeit, wobei sich jedoch etwas in mir sträubt, die spielerische Kunst der Norweger auch als "wenig songdienliches Prog-Geschrubbe" zu bezeichnen. Das würde der in vielerlei Grautöne aufgefächerten Schwärze, ja dunklen Buntheit der musikalischen Kunst, da stimme ich Marcel unbedingt zu, von BORKNAGAR nicht wirklich Gerechtigkeit zuteil werden lassen.

Dennoch kann ich die von Herrn Rapp weiterhin genannten Attribute "rasend" und "wütend" neben "rockig", "erhaben" und "gefühlvoll" nur zu etwa einem Drittel der Musik ausmachen und muss Kollege Dahl somit voll zustimmen: Ein Twist in den Anteilen der musikalischen, stilistischen und somit härtegradtechnischen Dynamik würde "Fall", beziehungsweise den zukünftig entstehenden Nachfolgern, gut zu Gesicht stehen. Was den von ihm beschriebenen, kontrollierten, wahnsinnigen Rausch in 'Northwards' angeht, schrammte unser Chef damit wohl knapp an der Erschaffung eines neuen, schicken Oxymorons vorbei. Als besondere Wohltat empfinde ich den angenehmen, nicht zu harschen, aber auch nicht unpassend verwässerten Klang des Albums. Vor allem das Schlagzeug ertönt wunderbar organisch und livehaftig, was die vielen rhythmischen Feinheiten und Kniffe gut heraushören und nachvollziehen lässt. Bisher hat mich die Musik beim nunmehr fünften Durchgang noch nicht völlig gepackt, allerdings schlummert in "Fall" von BORKNAGR vermutlich großes Wachstumspotential, so dass ich selbst gespannt bin, was ich am Ende des Jahres zu diesem Album sagen werde.

Note: 7,5/10
[Timo Reiser]

Was ist denn nun los, Herr Rosenthal? "Fall" nicht Album des Monats? Müssen wir denn hier über eine Enttäuschung reden? Nein, nicht wirklich, zum einen hat mich CHAPEL OF DISEASE (zur Gruppentherapie von "Echoes Of Light") mit seiner unbekümmerten Herangehensweise komplett weggeblasen und zum anderen hat BORKNAGAR mit dem Nachfolger zu "True North" den erwartbar schweren Stand. Wir sprechen hier immerhin von meinem Lieblingsalbum von 2019. Diese Benchmark erreicht "Fall" (noch) nicht. Dabei macht die Band alles richtig, indem sie auf der einen Seite den Weg, der spätestens seit "Winter Thrice" beschritten wird, konsequent weiterverfolgt und doch wieder an so vielen Stellschrauben dreht, dass auch dieses Album einen komplett eigenen Charme entwickelt und nicht nur fantastische Einzeltracks liefert, sondern auch in Rückschau auf die eigene Diskografie nie obsolet erscheint. Das finde ich aktuell nur noch bei ENSLAVED in dieser Form und Qualität. Dabei sind die Jungs um Øystein G. Brun immer noch einen Hauch epischer und deutlich melodischer unterwegs als ihre Landsmänner.

Doch wo nun liegen die Unterschiede zwischen "Fall" und "True North"? Ich bin der Meinung, dass das neue Album deutlich mehr Zeit benötigt, um seine ganze Erhabenheit und Schönheit zu offenbaren. Der Opener 'Summits' ist dafür ein großartiges Beispiel, denn analog zu einer Gipfelbesteigung braucht man schon eine gewisse Geduld, denn wenn einen die Höhenkrankheit einholt, sollte man abbrechen und es zu einem anderen Zeitpunkt erneut versuchen. Nur so bekommt man peu à peu die Routine in dem Metier und kann bei späteren Klettertouren auch mal die Aussicht genießen und hat den Kopf frei, um zu erkennen, was rechts und links des Weges noch so passiert. Da war der Vorgänger doch schon straighter und zugänglicher unterwegs. Ich kann mir aber vorstellen, dass "Fall" im Gegensatz zum Albumtitel im Laufe des Jahres noch gewaltig in meiner Wertschätzung steigen wird. Ob es für das Gipfelkreuz 2024 reicht, werden wir sehen.

Note: 9,5/10
[Stefan Rosenthal]

Ich höre das Album auf Arbeit in meinem Büro, da kommt mein Chef rein. "Kein Metal heute?", fragt er. Ich antworte: "Eigentlich schon, hört sich aber gerade echt nicht so an." Ich denke, das dürfte die Kritik, die Kenneth, Mario und Timo an "Fall" üben, gut zusammenfassen. Ich mag diese Form von BORKNAGAR sehr gerne, vor allem ICS Vortex hat es mir als Sänger schon seit langem angetan und seine wasserfall-klare Stimme zu hören, ist mir immer wieder eine Freude.

Zugegebenermaßen verliere ich heuer auch hin und wieder den Anschluss. Ja Stefan, auf dieser Klettertour muss man doch ab und an mal nach dem Weg suchen. So gut markiert wie jene in den "wahren Norden" ist diese aktuelle Route nicht. Und manchmal wird es auch ein wenig neblig (ich meine hier den mitunter etwas verwässerten Klang). Aber machen solche Touren, wenn man sie beenden kann, oft nicht am meisten Spaß? Meine Note da unten ist somit eher ein Zwischenstand nach einer kleinen Jause.

Note: 8,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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