Gruppentherapie: DREAM THEATER - "Dream Theater"
23.09.2013 | 23:14Das neue Album der größten Progmetal-Band in der Gruppentherapie.
Bei der Bewertung des zwölften Studioalbum von DREAM THEATER herrscht in der Redaktion weitestgehend Einigkeit. Auf die Traumnote von unserem Jünger Nils Macher (zum Review) kommt hier keiner mehr, toll findet es aber trotzdem jeder, auch wenn die Zugangscodes für den Einzelnen recht unterschiedlich sind.
Es kann eine ganz schöne Bürde sein, wenn man bereits mit den ersten beiden Alben zwei unsterbliche Klassiker zuwege gebracht hat. Jeder kann wahrscheinlich aus dem Stand zwei Hände voll Bands aufzählen, die immer wieder an dem Versuch scheitern, das Niveau der eigenen Frühwerken wieder zu erreichen. Bei DREAM THEATER ist das anders. Seit 24 Jahren erfindet sich diese Truppe immer wieder neu und bringt dabei das Kunststück fertig, stets 100% nach DREAM THEATER zu klingen. Und so ist es auch im Jahre 2013. Wobei das mit der Neuerfindung wohl doch ein bisschen übertrieben ist; vielmehr könnte man "Dream Theater" als eine virtuose Selbstreflektion bezeichnet. Das Oeuvre von Petrucci und seinen Mannen umfasste bisher einerseits maximal konzentrierte, fokussierte Alben mit intensiv-eindringlichen, bei aller Technikschau sehr stringent komponierten Songs, andrerseits freier schwebende, verspieltere, weitläufigere Werke von geradezu verstörender Eigensinnigkeit. "Dream Theater" vereint beide Seiten: Wie es sich für ein selbstbetiteltes Album wohl auch gehört, sind alle Trademarks dieser großartigen Band besonders scharf heraus gearbeitet. Was mich aber auch zu meinem Kritikpunkt bringt, denn die einzelnen, strahlend schönen Elemente greifen nicht immer optimal ineinander. So könnten zum Beispiel manche zart verträumten Parts die Spannungsbögen besser stützen und die eine oder andere Frickelabfahrt dürfte besser in die Kompositionen integriert sein. Am Ende fehlt mir trotz gigantischer Songs wie 'The Looking Glass' auch das letzte Fünkchen melodischer Genialität. Somit schneidet "Dream Theater" in meiner Bewertung etwas schlechter ab als zuletzt die göttlichen "A Dramatic Turn Of Events" und "Black Clouds & Silver Linings" und ist in etwa auf Augenhöhe mit "Systematic Chaos" und "Octavarium" einzuordnen.
Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]
Selten ist es schwieriger, Alben nach sechs Wochen Hörzeit abschliessend zu bewerten als bei DREAM THEATER. Die Band bietet auch mit "Dream Theater" einen solchen Überfluß an musikalischen Kabinettstückchen und Zungenschnalzern, dass man als Hörer kaum hinterherkommt. Es ist wie Bergsteigen. Man muss sich langsam vortasten und einen sicheren Standplatz finden, wo man dann seinen Karabiner einhängt und nun die Seile auszuwirft um sich in gefährlicheres Terrain vorzuwagen. Ich bin momentan im ersten Basislager von "Dream Theater". Das Gelände ist gesichtet, ein Besteigungsplan ist erstellt, erste Expeditionen zum Gletscherbruch wurden durchgeführt. Ob der Berg "Dream Theater" später ein ähnlich unvergessliches Gipfelerlebnis werden wird wie "Images & Words" oder "Awake" (es waren die Zeiten, in den man Bergsteigen für sich entdeckt hat) ist momentan schwer vorherzusehen. Es wurden mittlerweile schon viele Berge ähnlicher Kategorie bestiegen, nicht nur die von DREAM THEATER, und vielleicht ist die Faszination für diesen gestimmten Bergtyp ein klein wenig abgeebbt. Die große Freude kommt jedoch sowieso immer erst dann auf, wenn man auf dem Weg ist. Wer eine fundiertere Beurteilung der Gipfelregion haben möchte, den verweise ich voller Vertrauen an Speedgänger Nils. Der war schon oben.
Note: 8,5/10
[Thomas Becker]
Ich beneide Nils, dass er sich noch so sehr auf ein Album seiner Helden freuen kann. Dieses Gefühl hatte ich bei DREAM THEATER auch mal. Das letzte Mal im Jahr 2003. Danach war meine Begeisterung für die Band abgeschwächt und daher hält sich meine Euphorie im Vorfeld auch etwas im Rahmen. Allerdings lässt mich der angenehm warme Klang des instrumentalen Intros namens "False Awakening" erst einmal entspannt aufatmen. Da werden sogar Erinnerungen an "Images & Words" wach. Sehr hübsch. Überhaupt habe ich den Eindruck, man habe sich von modernen Einflüssen befreit und würde sich auf die großen alten Stärken zurückbesinnen. Das ist ja schon mal toll. Weshalb aber trotzdem keine Höchstnote? Der Grund ist schnell erklärt: Das Songmaterial zündet deutlich langsamer als es das des besagten Wunderalbums tat und noch immer tut. Zu langatmig erscheinen einzelnen Passagen heuer und beim instrumentalen 'Enigma Machine' muss ich mich krampfhaft wach halten. Ganz zu schweigen vom über zwanzig Minuten langen Rausschmeißer. Wo es der Band früher gelang einen so langen Song kurz klingen zu lassen, in dem die einzelnen Passagen schlüssig und rund ineinander griffen, da höre ich heute Stückwerk. Es fehlen Übergänge. So passt die beruhigende, drei Minuten andauernde Streichereinlage dort gar nicht hin und zerstört jede bis dahin aufgebaute Spannung. An den restlichen Nummern gibt es wenig auszusetzen, außer der Tatsache, dass mir an allen Ecken die ganz großen Emotionen fehlen. Ein Umstand, der übrigens nicht an James LaBrie liegt. Der singt nämlich ganz wunderbar. Vielleicht bin ich der Band auch nur "entwachsen".
Note: 8,5/10
[Holger Andrae]
Ich bin hier in vielen Punkten beim Kollegen Holger. Meine letzte echte Euphoriedosis gab es bei mir zwar 2005, aber ansonsten ist unser Werdegang mit der Band sehr, sehr ähnlich. Widersprechen muss ich aber ein wenig, was die Erinnerungen an "Images & Words" angeht. Die gab es auf dem Vorgänger "A Dramatic Turn Of Events" sehr viel deutlicher. Ja, das Album war so etwas wie eine Werkschau des Schaffens der Neunziger, während "Dream Theater" nicht ganz zu Unrecht selbstbetitelt ist und einen Ausblick darauf gibt, was man von DREAM THEATER erwarten darf und wofür die Band heute steht. Und das ist meist frischer, griffiger und oft verhältnismäßig kompakter Progressive Metal, der einmal mehr von einem hervorragenden James LaBrie veredelt wird. Songs wie 'The Bigger Picture' oder 'Enemy Inside' sind die besten Beispiele dafür. Und doch - und da bin ich wieder bei meinem Vorschreiber - hat das zwölfte Studiowerk auch diverse Längen, die vor allem beim 20-minüter 'Illumination Theory' zu begutachten sind. Dennoch bleibt das Traumthater weiterhin die absolute Spitze, wenn es um technisch komplexen, mit ausgefeilten Arrangements versehenen Progressive Metal geht.
Note: 8,5/10
[Peter Kubaschk]
Ich hätte noch kein neues DREAM THEATER-Album gebraucht. "A Dramatic Turn Of Events" gefällt mir bis heute so gut, dass sich, obwohl ich ein großer Fan der Band bin, gar kein Hunger nach neuem Material einstellen konnte - und auf einmal hauen die New Yorker ein neues, selbstbetiteltes Werk auf den Markt. Vorfreude geht anders. Doch dann stellt es sich doch ganz schnell ein, dieses wunderbare Gefühl, das man beim Traumtheater nur allzu gut kennt, nachdem fünf Minuten einer Platte vergangen sind: Die Welt ist plötzlich ganz wunderbar. So auch im Falle "Dream Theater", wo mich nach dem schicken Instrumentalintro 'False Awakening' das (überraschend) harte, (von den üblichen Solo-Ausflügen mal abgesehen) geradlinige und toll gesungene (LaBrie an die Macht!) 'Enemy Inside' direkt zu einem Dauergrinsen animiert, das ich, entgegen aller Versuche, einfach nicht loswerde. Überhaupt hat man den Eindruck, dass das zweite Album mit Mangini an den Kesseln irgendwie weniger abgefahren und stattdessen songdienlicher angelegt wurde. Das wird aus meiner Sicht jedoch allerhöchstens die Leute stören, die am liebsten Petruccis Skalen analysiert haben anstatt sich in die Songs fallen zu lassen - und letzteres ist vielleicht sogar leichter möglich denn je. Bevor jetzt jemand Sorge hat, dass DREAM THEATER "trivial" geworden ist: Blödsinn. Es ist einfach eine etwas andere, tolle Version des Sounds, den wir so lieben. Konventionelle Schönheit und nebulöse Mystik verschlingen sich erneut wunderbar ineinerander. Von kurz bis lang, von soft bis hart ist alles in genau dem richtigen Maße vorhanden. Lediglich 'Along For The Ride' hätte etwas mehr Pepp vertragen können. So bleibt mir nach dem Schlussepos 'Illumination Theory' auch nur festzustellen: Natürlich brauchte ich ein neues Album, ich wusste es nur nicht. Und ich möchte "Dream Theater" fortan auch nicht mehr missen, sondern die nächsten zwei Jahre ausgiebig erforschen. Ich liebe diese Band einfach.
Note: 9,0/10
[Oliver Paßgang]
Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]
Selten ist es schwieriger, Alben nach sechs Wochen Hörzeit abschliessend zu bewerten als bei DREAM THEATER. Die Band bietet auch mit "Dream Theater" einen solchen Überfluß an musikalischen Kabinettstückchen und Zungenschnalzern, dass man als Hörer kaum hinterherkommt. Es ist wie Bergsteigen. Man muss sich langsam vortasten und einen sicheren Standplatz finden, wo man dann seinen Karabiner einhängt und nun die Seile auszuwirft um sich in gefährlicheres Terrain vorzuwagen. Ich bin momentan im ersten Basislager von "Dream Theater". Das Gelände ist gesichtet, ein Besteigungsplan ist erstellt, erste Expeditionen zum Gletscherbruch wurden durchgeführt. Ob der Berg "Dream Theater" später ein ähnlich unvergessliches Gipfelerlebnis werden wird wie "Images & Words" oder "Awake" (es waren die Zeiten, in den man Bergsteigen für sich entdeckt hat) ist momentan schwer vorherzusehen. Es wurden mittlerweile schon viele Berge ähnlicher Kategorie bestiegen, nicht nur die von DREAM THEATER, und vielleicht ist die Faszination für diesen gestimmten Bergtyp ein klein wenig abgeebbt. Die große Freude kommt jedoch sowieso immer erst dann auf, wenn man auf dem Weg ist. Wer eine fundiertere Beurteilung der Gipfelregion haben möchte, den verweise ich voller Vertrauen an Speedgänger Nils. Der war schon oben.
Note: 8,5/10
[Thomas Becker]
Ich beneide Nils, dass er sich noch so sehr auf ein Album seiner Helden freuen kann. Dieses Gefühl hatte ich bei DREAM THEATER auch mal. Das letzte Mal im Jahr 2003. Danach war meine Begeisterung für die Band abgeschwächt und daher hält sich meine Euphorie im Vorfeld auch etwas im Rahmen. Allerdings lässt mich der angenehm warme Klang des instrumentalen Intros namens "False Awakening" erst einmal entspannt aufatmen. Da werden sogar Erinnerungen an "Images & Words" wach. Sehr hübsch. Überhaupt habe ich den Eindruck, man habe sich von modernen Einflüssen befreit und würde sich auf die großen alten Stärken zurückbesinnen. Das ist ja schon mal toll. Weshalb aber trotzdem keine Höchstnote? Der Grund ist schnell erklärt: Das Songmaterial zündet deutlich langsamer als es das des besagten Wunderalbums tat und noch immer tut. Zu langatmig erscheinen einzelnen Passagen heuer und beim instrumentalen 'Enigma Machine' muss ich mich krampfhaft wach halten. Ganz zu schweigen vom über zwanzig Minuten langen Rausschmeißer. Wo es der Band früher gelang einen so langen Song kurz klingen zu lassen, in dem die einzelnen Passagen schlüssig und rund ineinander griffen, da höre ich heute Stückwerk. Es fehlen Übergänge. So passt die beruhigende, drei Minuten andauernde Streichereinlage dort gar nicht hin und zerstört jede bis dahin aufgebaute Spannung. An den restlichen Nummern gibt es wenig auszusetzen, außer der Tatsache, dass mir an allen Ecken die ganz großen Emotionen fehlen. Ein Umstand, der übrigens nicht an James LaBrie liegt. Der singt nämlich ganz wunderbar. Vielleicht bin ich der Band auch nur "entwachsen".
Note: 8,5/10
[Holger Andrae]
Ich bin hier in vielen Punkten beim Kollegen Holger. Meine letzte echte Euphoriedosis gab es bei mir zwar 2005, aber ansonsten ist unser Werdegang mit der Band sehr, sehr ähnlich. Widersprechen muss ich aber ein wenig, was die Erinnerungen an "Images & Words" angeht. Die gab es auf dem Vorgänger "A Dramatic Turn Of Events" sehr viel deutlicher. Ja, das Album war so etwas wie eine Werkschau des Schaffens der Neunziger, während "Dream Theater" nicht ganz zu Unrecht selbstbetitelt ist und einen Ausblick darauf gibt, was man von DREAM THEATER erwarten darf und wofür die Band heute steht. Und das ist meist frischer, griffiger und oft verhältnismäßig kompakter Progressive Metal, der einmal mehr von einem hervorragenden James LaBrie veredelt wird. Songs wie 'The Bigger Picture' oder 'Enemy Inside' sind die besten Beispiele dafür. Und doch - und da bin ich wieder bei meinem Vorschreiber - hat das zwölfte Studiowerk auch diverse Längen, die vor allem beim 20-minüter 'Illumination Theory' zu begutachten sind. Dennoch bleibt das Traumthater weiterhin die absolute Spitze, wenn es um technisch komplexen, mit ausgefeilten Arrangements versehenen Progressive Metal geht.
Note: 8,5/10
[Peter Kubaschk]
Ich hätte noch kein neues DREAM THEATER-Album gebraucht. "A Dramatic Turn Of Events" gefällt mir bis heute so gut, dass sich, obwohl ich ein großer Fan der Band bin, gar kein Hunger nach neuem Material einstellen konnte - und auf einmal hauen die New Yorker ein neues, selbstbetiteltes Werk auf den Markt. Vorfreude geht anders. Doch dann stellt es sich doch ganz schnell ein, dieses wunderbare Gefühl, das man beim Traumtheater nur allzu gut kennt, nachdem fünf Minuten einer Platte vergangen sind: Die Welt ist plötzlich ganz wunderbar. So auch im Falle "Dream Theater", wo mich nach dem schicken Instrumentalintro 'False Awakening' das (überraschend) harte, (von den üblichen Solo-Ausflügen mal abgesehen) geradlinige und toll gesungene (LaBrie an die Macht!) 'Enemy Inside' direkt zu einem Dauergrinsen animiert, das ich, entgegen aller Versuche, einfach nicht loswerde. Überhaupt hat man den Eindruck, dass das zweite Album mit Mangini an den Kesseln irgendwie weniger abgefahren und stattdessen songdienlicher angelegt wurde. Das wird aus meiner Sicht jedoch allerhöchstens die Leute stören, die am liebsten Petruccis Skalen analysiert haben anstatt sich in die Songs fallen zu lassen - und letzteres ist vielleicht sogar leichter möglich denn je. Bevor jetzt jemand Sorge hat, dass DREAM THEATER "trivial" geworden ist: Blödsinn. Es ist einfach eine etwas andere, tolle Version des Sounds, den wir so lieben. Konventionelle Schönheit und nebulöse Mystik verschlingen sich erneut wunderbar ineinerander. Von kurz bis lang, von soft bis hart ist alles in genau dem richtigen Maße vorhanden. Lediglich 'Along For The Ride' hätte etwas mehr Pepp vertragen können. So bleibt mir nach dem Schlussepos 'Illumination Theory' auch nur festzustellen: Natürlich brauchte ich ein neues Album, ich wusste es nur nicht. Und ich möchte "Dream Theater" fortan auch nicht mehr missen, sondern die nächsten zwei Jahre ausgiebig erforschen. Ich liebe diese Band einfach.
Note: 9,0/10
[Oliver Paßgang]
- Redakteur:
- Thomas Becker