Gruppentherapie: FIDDLER'S GREEN - "The Green Machine"

11.01.2024 | 22:40

Edler Single Malt oder abgestandenes Wiesn-Bier?

Während die Soundchecker schon an ihren Noten für die erste 2024er-Bestenliste feilen, schauen wir noch einmal in die Niederungen des letzten 2023er-Soundchecks. Dort finden wir auf Rang 17, zusammen mit den schon gesund therapierten EKTOMORF (zur "Vivid Black"-Gruppentherapie), FIDDLER'S GREEN. Für unseren lieben Chef ist "The Green Machine" ein Bringer irischen Glücks und so führte er vor kurzem auch ein ausführliches Gespräch mit den Erlanger Fiddlern. Andere Soundchecker waren aber nicht so wohlwollend, fanden die Musik kitschig, klischeehaft und wenig authentisch. Klare Sache für den Therapiesessel.

 

Nach mehr als dreißig Jahren weiß man größtenteils, was man von den Beute-Iren aus Franken erwarten darf. Das ist im Großen und Ganzen auch die Quintessenz von "The Green Machine", denn natürlich hat sich die Band auf ihrem neuen, ja, was ist das eigentlich, dem mittlerweile sechsundzwanzigsten (?) Studioalbum nicht grundlegend geändert.

Die für mich wichtigsten Lieder sind die fröhlich-fetzigen Abräumer wie das brillante 'Shanghaied In Portsmouth', das witzige 'The Bog' oder das mitreißende 'Good Old Irish Bar'. Übrigens sind dies die ersten drei Stücke des Albums und damit ist mein Herz offen und die Melodien im Ohr. Damit es nicht zu langweilig wird, gibt es ein paar ungewöhnliche Einflüsse, wie Country-Anleihen, für etwas Abwechslung von der typischen Thematik darf 'I Need A Volunteer' sorgen, 'A Fleecy Cloud' bringt Melancholie und etwas Ruhe in den Mix und mit 'Muirsheen Durkin' wird es authentisch irisch.

Neu? Nein. Gut? Auf jeden Fall. Die Jungs sind eine Party-Bank.

Note: 7,0/10
[Frank Jaeger]

Während die einen Franken den anderen verbieten, auf der Bühne Nippel zu zeigen, betreiben andere Franken seit 33 Jahren kulturelle Aneignung, ohne dass ein Hahn danach kräht. Nein, das ist kein Cancel-Aufruf gegen FIDDLER'S GREEN. Und wir wollen auch nicht politisieren, sonst wird man nur zynisch.

Und so können die Erlanger Folk-Musiker ihre kulturelle Lücke seit gut 30 Jahren nutzen, um ihre Interpretation des Irish Folk zu perfektionieren. Selbstbewusst schleppen sie uns in den nächsten Pub, setzen uns ein Pint vor die Nase, zeichnen grüne, hügelige Panoramen, erzählen eine Geschichte nach der anderen, und ich kann gar nicht anders, als interessiert zuzuhören. Mal heiter, mal nachdenklich, aber immer mit Leidenschaft vorgetragen. Mal zielen sie auf das Herz, mal auf das Tanzbein und meistens direkt auf die Leber. Cool, oder? Nur: Diese Stimmung halte ich nur ein- bis zweimal im Jahr aus, öfter wird man mich nicht in den einschlägigen Lokalen antreffen.

Und so geht es mir auch mit FIDDLER'S GREEN. Zum richtigen Zeitpunkt löst es viel Gutes aus. Ansonsten ist es mir ein bisschen zu aufgesetzt oder die Melodien zu ausgelutscht, und dann irritiert mich die deutsche Interpretation des Folks von jenseits des Kanals mehr, als dass sie mich begeistert.

Note: 6,5/10 (ein bis zwei Mal im Jahr kann es auch ne 7,5 werden)
[Julian Rohrer]

Nun, grundsätzlicher Respekt erstmal vor einer Band, die schon sein Anfang der 90er dieses Ding durchzieht. Bislang habe ich sie aber auch noch nie hören müssen. Oder wollen. Denn Irish Folk per se ist eher nicht so meins (Pubs mag ich trotzdem). So übel wie die ersten drei Songs, die Frank weiter oben gar als "brillant", "witzig" oder "mitreißend" bezeichnet, finde ich zumindest "echte" Vertreter des Stils, wie die DUBLINERS, aber nicht.

Alter Verwalter, so etwas Schlimmes habe ich schon lange nimmer gehört und ich war doch letzten Herbst ein paarmal auf dem Oktoberfest. Aber mein Humor ist das hier nicht, die Stimme und ihre denglische Aussprache ist ebenso furchtbar, vor allem im Kontext mit all diesen Trinker-Texten. Das ist alles so plakativ, so platt, oder aber ich verstehe einfach den Witz nicht, will ihn auch gar nicht verstehen. 'Shanghaied In Portsmouth', eieiei, du mich auch!

Kollege Stehle schreibt in seinem Kurzkommentar "Klangbild und Folkeinflüsse beißen sich". Wie recht er hat, das hier klingt eher nach aufgepimpten Wies'n-Hits als nach Folk mit Bezug zu und Respekt für alte Traditionen. Nach den besagten ersten drei Liedern wird es zwar ein wenig hörbarer, aber wird es wirklich interessant zum Hören? Nachdenklich? Gar leidenschaftlich? Wenn ja, kommt es bei mir überhaupt nicht an.

Note: 3,5/10
[Thomas Becker]

'A Good Old Irish Bar'



https://www.youtube.com/watch?v=ozdowUh9WTg

Im Gegensatz zu Kollege Rohrer wäre ich wahrscheinlich wöchentlich im Irish Pub, wenn ich nicht im kulturellen Brachland Harz leben würde. Aber egal – Guinness eingetütet und die Musik kann man ja auch in den heimischen vier Wänden aufdrehen. Und für diese Situation gibt es kein Verfallsdatum. Somit hätten wir auch gleich den Punkt erklärt, den ich mehr vergebe als Julian. Aber warum vergebe ich, als absolute Zielgruppe, nicht noch mehr Punkte? Insbesondere wo das Artwork für sich allein gesehen mir die Höchstnote aus der Tasche ziehen würde.

Weil FIDDLER'S GREEN mal wieder genau das gleiche macht wie immer. Klar gibt es leichtes Vortasten in andere Bereiche aber in Summe höre ich seit Jahren keine signifikante Weiterentwicklung mehr. Somit ist "The Green Machine" auch keine "The Answer Machine?" (SKYCLAD) geworden und liefert "business as usual". Das bedeutet, dass es weiterhin großartige Songs gibt, wie 'The Bog' oder 'Muirsheen Durkin' und nur zwei wirkliche Totalausfälle, nämlich das deplatziert poppige 'My Fairy Of The West' und die x-te Interpretation von 'The Parting Glass' (einem Song, der immerhin auf der Beerdigung meines Vaters lief). Der Rest ist guter Folk-Durchschnitt und spiegelt sich somit auch in der Note wider. Jetzt müssen wir nur noch klären, wie weit sich 'I Need A Volunteer' von 'Das kleine Küken piept' (PULCINO PIO) hat inspirieren lassen, oder ob mir meine Ohren da einen Streich spielen.

Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]

Fotocredits: Jasmin Seidel

Redakteur:
Thomas Becker

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