Gruppentherapie: GOJIRA - "Fortitude"

29.04.2021 | 14:24

Zugegeben: "Fortitude" sorgte überwiegend für gemischte Gefühle. Das zeigt auch unsere Gruppentherapie.

Das war eine Überraschung, als GOJIRA plötzlich aus dem Nichts mit dem neuen Song 'Born For One Thing' um die Ecke kam und gleichzeitig für den 30. April 2021 den Album-Release von "Fortitude" ankündigte. Das bewegte unser Team nicht nur dazu, Sänger und Gitarrist Joseph Duplantier in unserem Podcast "Pommesgabel" zu interviewen, sondern auch zu einem Diskografie-Rückblick mit Podcast-Folge. Im Soundcheck schnitt das Album mit Platz 7 immerhin im oberen Bereich ab und das obligatorische Review von Jakob Ehmke gibt es natürlich auch.

Lest hier weitere Meinungen zum neuen GOJIRA-Werk.

GOJIRA ist eine Band, die mich wie kaum eine zweite nachhaltig beeinflusst hat. Die Mischungen aus Brutalität und Intelligenz, Technik und Rhythmus wie sie bei GOJIRA stattfinden, werden selten erreicht. Die gleichförmigen, mantraartigen Gitarrenriffs sind sicherlich das, was den meisten direkt beim Gedanken an das Quartett einfällt. Ich denke außerdem an super präzises Drumming, das die Gitarren des Öfteren in den Schatten stellt. Da ich Tieftöner mag, gefällt mir auch der zeitweilige Fokus auf den Bass. Dazu kommen Joseph Duplantiers Vocals, die er über die Jahre immer stärker variiert. Ich bin eine große Freundin der Werke von "Terra Incognita" bis "The Way Of All Flesh". Mit "L'Enfant Sauvage" hat mich GOJIRA irgendwie nicht überzeugen können, mit "Magma" schon gar nicht. Kann mich also nun "Fortitude" wieder einfangen? Bedingt! Denn das Album bringt die Band ein Stück weit zu den Wurzeln zurück, "Magma"-esque Einflüsse sind aber nicht von der Hand zu weisen und – wo ich gerade von Variation im Gesang schrieb – Joseph Duplantier probiert sich an einem Gesangsstil, der meiner Musik gerne fernbleiben darf: Chants. So ist "Fortitude" für mich viel Licht, aber auch viel Schatten, denn die jüngeren Single-Auskopplungen 'Born For One Thing' und 'Amazonia' wissen mich vollends zu überzeugen. Auch 'Sphinx', 'Into The Storm' und das Mitte 2020 erschienene 'Another World' gefallen und beim letzten Song 'Grind' frage ich mich, warum eigentlich nicht das gesamte Album so klingen kann. Denn das Midtro 'Fortitude' und das folgende 'The Chant' treffen absolut nicht meinen Geschmack. 'Hold On' verstehe ich beim besten Willen nicht und 'The Trails' ist mir für GOJIRA zu melodiös und zu atmosphärisch. Damit bleibt "Fortitude" leider hinter den geschürten Erwartungen zurück. Der eine oder andere Song findet bereits den Weg in meine Playlists, aber es gibt zu viele Schwächen, als dass ich "Fortitude" am Stück genießen könnte.

Note: 7,5/10 Punkte
[Pia-Kim Schaper]

Als für mich bis dato begreifbarstes und empfänglichstes Album, fand ich anfangs - zumindest dachte ich es - recht schnell den Zugriff auf "Fortitude". Aber wie man GOJIRA nunmal kennt, offenbaren sich nach dem fünften und sechsten Durchgang noch etliche Passagen, die ihre Wirkung erst wesentlich später zeigen. Entsprechend werde ich noch Wochen, wenn nicht sogar Monate, brauchen, um das siebte Album der französischen Extreme-Metaller auch entsprechend einsortieren zu können. Vorab kann ich aber sagen, dass es mich zumindest aus meiner Alltags-Lethargie weckte, mich zum Nachdenken, bisweilen sogar zum Bewegen brachte. Ob es nun das mächtige 'Amazonia', der Ohrwurm 'New Found' oder das verhältnismäßig simpler gestrickte 'Another World' sind, die die "Fortitude"-Fahne in den Himmel halten, als einfachen "Magma"-Nachfolger kann man die Scheibe nun wahrlich nicht bezeichnen. Auch ist es kein Album, das zeigt, wo GOJIRA musikalisch 2021 steht, sondern - und hier besteht der Mehrwert auch im Vergleich zu vorherigen Gaben - eine weitere Facette der Band offenbart: eine Schicht, die irgendwo zwischen "L'Enfant Sauvage" und eben "Magma" ihre Kreise zieht, mir wie eine Zwiebel im rohen Zustand die Tränen in die Augen treibt, aber bei entsprechender Verarbeitung unheimlich gut mundet und vielseitig wie fast kein Gemüse ist.

Note: 8,0/10 Punkte
[Marcel Rapp]

Also, die von Marcel angesprochene Zwiebel "Fortitude" mundet mir noch nicht so richtig gut, weshalb sich meine generelle Meinung auch eher im ersten Text von Pia wiederfindet. Warum mir das siebte Album der Franzosen nicht so gut reingeht, vermag ich dabei nicht so recht zu erklären, denn gerade in den eröffnenden Minuten legt der Vierer gut los. 'Born For One Thing' ist ein guter GOJIRA-Song, der so auch auf "Magma" hätte stehen können und das bereits seit längerem bekannte 'Another World' überzeugt mit unwiderstehlichem Groove und tollen Hooklines. Ganz großer Glanzpunkt ist für mich aber 'Amazonia', das mit seinen Instrumentierung die "Roots"-Jahre von SEPULTURA zitiert, ein so simples, wie wirkungsvolles Riff auf den Hörer abfeuert und mit den taumelnden Gitarren im Refrain schlussendlich jeden vom heimischen Sofa in den imaginären Moshpit zerren sollte. In meinen Ohren der beste Song, den die Franzosen seit "The Way Of All Flesh" geschrieben haben. Danach verliert mich "Fortitude" aber irgendwie. Mit 'The Chant' tue ich mich ähnlich wie Kollegin Pia noch sehr schwer und auch 'New Found' wirkt für GOJIRA-Verhätnisse ungewohnt belanglos im ersten Moment. Dafür wecken zumindest 'Into The Storm' und das abschließende 'Grind' mein Interesse, auch wenn mich die Nummern noch nicht komplett mitreißen. Was für eine Wertung wähle ich für "Fortitude" also? Ich halte es hier nach den Erfahrungen mit dem Vorgänger "Magma" ganz einfach und enthalte mich einer abschließenden Note. Warum? Auch "Magma" hat mich zum Release-Zeitpunkt nicht komplett gepackt, sondern eher richtig enttäuscht, ist über die Jahre aber zu einem meiner absoluten Lieblinge im Katalog der Franzosen herangereift. Eine ähnliche Entwicklung kann und will ich auch bei "Fortitude" nicht ausschließen, das ich alleine schon wegen 'Amazonia' und 'Another World' häufiger auflegen werden. Fragt mich also am besten in ein paar Monaten nochmal nach meinem abschließenden Fazit.

Note: ?/10 Punkte
[Tobias Dahs]

Ich muss gestehen, dass ich diese Gruppentherapie tatsächlich zum Anlass nahm, um mich zum ersten Mal überhaupt gezielt mit GOJIRA auseinanderzusetzen und meinen musikalischen Horizont zu erweitern. Geläufig waren mir bisher lediglich der Bandname, die Nationalität und, dass sie ziemlich dick im Geschäft sind. Dem vortrefflich ausgewählten Albumtitel "Fortitude" war es dann auch letztendlich zuzuschreiben, mein erstmaliges Interesse an der Musik der Band geweckt zu haben. Es gibt da nämlich eine gleichnamige Sci-Fi-Serie mit dem Titel "Fortitude", deren erste Staffel ich bis heute absolut brillant finde. Ich bin also sehr gespannt, ob die Jungs einen ebenso bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen können. Ok, ich mache es kurz: Es gelingt ihnen über Albumlänge leider nicht, annähernd an die Qualität besagter Fernsehserie anzuknüpfen. Die Produktion ist naturgemäß sehr stark und druckvoll, wie man sie von einer Band dieser Größenordnung auch erwarten darf. Die Musiker sind äußerst versiert an ihren Instrumenten, aber dennoch will der berühmt-berüchtigte Funke einfach nicht so richtig überspringen. Dies liegt vor allem an den teils sehr komplexen Songstrukturen, die mir einen Hördurchlauf am Stück wirklich sehr schwer machen. Ich habe den Eindruck, als wolle die Truppe zu viele, durchaus gute Songideen in "nur" elf Nummern packen. Zu oft wird mir zudem die Laut-Leise-Schiene gefahren, sodass diese gar ihrer Wirkung beraubt wird. Es finden sich immer wieder einzelne großartige Parts in den Songs und auch die Melange aus SOULFLY meets SYSTEM OF A DOWN klingt stellenweise wirklich ziemlich cool. Aber wie gesagt, leider nur stellenweise. Hier wäre weniger mehr gewesen. Ich vermute, dass die Zielgruppe dies sicherlich anders sehen wird, aber so ist das halt mit dem persönlichen Geschmack. Mich jedenfalls konnten die Jungs mit "Fortitude" nicht auf ihre Seite ziehen, was bestimmt keinen allzu großen Einfluss auf eine sicherlich hohe Chartplatzierung des Albums haben wird.

Note: 6,5/10 Punkte
[Mahoni Ledl]

Fünf lange Jahre haben die stolzen Franzosen ihre Fans mächtig auf die Folter gespannt. Die Videoauskopplungen im Vorfeld haben die Erwartungen ins schier Unermessliche getrieben. Darüber hinaus hat Pia in jeder Podcast-Folge Lobpreisungen angestimmt und dem geneigten Zuhörer damit den Mund wässerig gemacht. Jetzt ist er also endlich da, der siebte Streich von GOJIRA. Und nun? Ist "Fortitude" das angekündigte Gesamtkunstwerk? Das unbestrittene Album des Jahres? Eher nein. Dafür geht dem Werk schon recht früh die Puste aus, lässt es Dynamik und Spannungsbogen vermissen und erschafft kein bildgewaltiges, poetisches Kopfkino. Der bockstarke Eröffnungssong 'Born For One Thing' schraubt mächtig an der Rübe, das geschickt mit südamerikanischen Elementen angereicherte 'Amazonia' und das hymnische 'Another World' sind durchaus richtig gute Songs, auch 'Into The Storm' und 'New Found' können was, nur rauscht die (fast) komplett im Mid-Tempo gehaltene Scheibe auch nach mehrmaligem Hören ohne richtige Eruptionen an mir vorbei. Die Jungs, die zweifellos allesamt großartige Musiker sind, schaffen es nicht, mich über die gesamte Dauer zu fesseln, zu packen und zu schütteln, einzunehmen und im Anschluss wieder auszuspucken. Die von Pia so schön beschriebenen mantraartigen, einsaitigen Gitarrenriffs sind anfangs cool, aber irgendwann eben auch gleichförmig und austauschbar. Interessant wird es, wenn sie Leine geben und sich musikalisch austoben – was leider viel zu selten passiert. Ich hätte mir noch mehr Feuerwerk, noch mehr Chaos gewünscht. Der Gesang von Gitarrist Joseph, der normalerweise für die Ankerpunkte zuständig wäre, ist in dieser mächtigen Produktion so dezent in den Hintergrund gemischt worden, dass er nur als schmückendes Beiwerk angesehen werden kann. Tatsächlich könnte GOJIRA für mich auch als reine Instrumentalband mit gelegentlichem Refrain funktionieren. Was schreibe ich denn da? Ich mag die Band doch eigentlich, besitze ihre komplette Diskografie und auch dieses Album hat wirklich großartige Momente. Waren die Erwartungen einfach zu hoch? Vielleicht. Ist das nur Jammern auf sehr hohem Niveau? Definitiv. Am Ende muss eben jeder für sich selbst entscheiden, ob die oftmals vor sich hin laufenden Stücke atmosphärisch und emotional oder doch eher langatmig und eintönig sind. Inständig hoffe ich, dass "Fortitude" in den nächsten Wochen und Monaten noch wachsen wird, aktuell funktionieren bei mir jedoch nur einzelne Songs (die dann aber richtig).

Note: 7,0/10 Punkte
[Chris Staubach]

Redakteur:
Pia-Kim Schaper

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