Gruppentherapie: HAUNTED PLASMA - "I"
15.06.2024 | 20:51Spannende Erweiterung des Hörkosmos oder doch Quälerei für den Soundchecker ?
Einen haben wir noch! Genau, eine Gruppentherapie-Session für den Mai-Soundcheck haben wir noch im petto und dabei wagen wir uns weit über den Tellerrand. Es geht um HAUNTED PLASMA aus Finnland; ein Projekt, das uns in düstere elektronische Gefilde entführt. Für Hauptrezensent Björn ist das schlicht "I" betitelte Debütalbum eine "phantastische Reise durch Raum und Zeit", einige Soundchecker waren davon aber gar nicht begeistert. "I" erreicht folglich nur Platz 21. So entsteht - neben zahlreichen Versuchen, die Musk treffend zu beschreiben - auch eine Debatte, ob solche Musik überhaupt in unserem Soundcheck vertreten sein sollte.
[Thomas Becker]
Nun, die Hauptbands der drei Haupt-Akteure hinter HAUNTED PLASMA stehen nicht unbedingt weit oben auf meinen Hörlisten. Denn weder ORANSSI PAZUZU, noch BEASTMILK, noch AAVIKKO oder K-X-P drehen ihre Runden in meinem musikalischen Kosmos. Die Erwähnung der HEXVESSEL-Stimme Mat McNerney als eine der Gaststimmen hingegen hat mich etwas hellhörig werden lassen.
Nach mehrfachem Genuss des Albums bin ich allerdings noch immer etwas ratlos, denn die fünf, zumeist sehr langen Songs, bauen eher auf Atmosphäre als sich auf herkömmliche Songmuster zu beschränken. Das ist keine Musik, die man mal eben so nebenher bewerten kann. Demnach kann ich nur versuchen eben jene Atmosphäre zu beschreiben, die mit den fünf Nummern erzeugt wird.
Basierend auf pulsierenden Synthie-Klängen wird eine düstere Klanglandschaft produziert, die minimalistisch, aufsaugend und hypnotisch wirkt. Ich könnte mir diese Songs wunderbar als Untermalung von "Twin Peaks"-Folgen vorstellen, denn der Zuhörer wird gefordert, genauer hinzuhören, denn man merkt schnell, dass mehr geschieht als man aufs erste Ohr zu hören glaubt. Immer wieder werden weitere Schichten übereinander geschaufelt, sodass schlussendlich zumeist ein düsterer Notenkoloss im Ohr kleben bleibt. Die irgendwo erwähnten Black-Metal-Einflüsse höre ich als Schwarzfuss-Laie eher nicht, aber das mag auch an meinem Unverständnis liegen. 'Reverse Engineer' und 'Machines Like Us' sind auf jeden Fall Songgebilde, die man einmal gehört haben sollte, wenn man mit offenen Ohren durch die Welt wandert.
Note: 7,0/10
[Holger Andrae]
Boah liebe Kollegen, was hab ich eigentlich verbrochen? Reicht es nicht, dass ich dieses Produkt im Soundcheck hören oder besser gesagt ertragen musste? Musstet ihr dazu jetzt noch eine Gruppentherapie machen und gar erwarten, dass ich da mitmache? Eigentlich will ich mir gar keine Gedanken mehr um diese Songs machen müssen und sie einfach nur schnell vergessen.
Erst einmal hat die Musik von HAUNTED PLASMA für mich nichts mit Rock, Hard Rock oder gar Metal zu tun. Das ist DEPECHE MODE trifft Techno mit düsterer Atmosphäre. Da höre ich aber bei DEPECHE MODE mehr Gitarren raus. Vielleicht ist es ja die Atmosphäre, die Verbindungen zum Psychedelic Black Metal erahnen lässt, doch finde ich eben jene Atmosphäre unerträglich. Zuletzt habe ich mich beim Hören einer Scheibe von ORANSSI PAZUZU so gequält gefühlt, und da schließt sich offensichtlich der Kreis, schließlich ist ein Mitglied von ORANSSI PAZUZU auch bei HAUNTED PLASMA.
So, wo das jetzt gesagt ist, lasst mich bitte endlich mit dieser Scheibe in Ruhe, ich mag da nicht mehr dran denken.
Note: 3,0/10
[Mario Dahl]
Nun aber mal langsam mit den jungen Pferden, Herr Kollege Dahl! Ich bin durchaus der Meinung, dass solche Musik auch auf POWERMETAL.de etwas verloren hat, immerhin gibt es auch unfassbar spannende Industrial- und Electro-Veröffentlichungen, die in Sachen Atmosphäre und Düsternis locker so manche Schunkel-Metalband in den Schatten stellen. Ich denke da vor allem an Maestro Trent Reznor, der mir mit NINE INCH NAILS immer wieder die namensgebenden Nägel in die Seele haut, oder auch wie von Mario erwähnt, an DEPECHE MODE, deren aktuelles Werk "Memento Mori" die Trauer um den verstorbenen Andrew Fletcher ziemlich markerschütternd und trotzdem eingängig aufbereitet. Da können sich recht banale Unterhaltungsmetaller wie ALL FOR METAL oder SABATON zwei oder drei Scheiben abschneiden.
Eine Daseinsberechtigung im Soundcheck hat HAUNTED PLASMA also definitiv und ich finde auch, dass hier musikalisch einige spannende und durchaus interessante Ansätze vorhanden sind. Mehr sogar, teilweise erreichen die Songs auf "I" sogar ihr Ziel und lassen mich auf den Wellen meiner Gedanken und der Musik davon driften, wie es eigentlich nur gute Musik vermag.
Das Problem ist nur, dass selten einmal eine Idee auf diesem Silberling konsequent oder gar zielführend umgesetzt wird. Alle fünf Tracks sind in meinen Ohren deutlich zu lang geraten, mäandern zu lange auf den gleichen musikalischen Themen herum und stellen Atmosphäre zu weit über funktionierende und kompakte Kompositionen. Das sorgt insgesamt dafür, dass HAUNTED PLASMAs "I" für mich trotz vieler guter Ansätze zu einer Gedulds- und Nervenzerreißprobe wird, die ich ungern noch einmal auf mich nehmen möchte. Schade, da wäre mehr drin gewesen.
Note: 5,5/10
[Tobias Dahs]
Es gibt sie noch, diese Überraschungsalben, die ich per se wohl niemals angetestet hätte, die aber im Zuge des Soundchecks an der Tagesordnung standen und irgendetwas in mir auslösen. Was es genau ist, kann ich hier und jetzt noch nicht sagen. Aber das HAUNTED PLASMA-Debüt hat eine so faszinierende wie einlullende Art an sich, mit stark psychedelischen und leicht mystischen Elementen, die es versteht, mich mit zunehmender Spielzeit immer mehr in den Bann zu ziehen.
Ihr habt Recht, Parallelen zum Black Metal, wie wir ihn kennen, sind überschaubar, die Musik ist eher mit Synthesizer-Cosmic-Rock zu vergleichen und daher finde ich "I" anfangs schwer zu greifen. Doch dann sagt dieses kleine Zukunftsmännchen auf der Schulter sitzend, dass ich doch am Ball bleiben und 'Echoes' und der Bandnummer 'Haunted Plasma' noch eine Chance geben soll, nachdem 'Machines Like Us' schon unsere Gehörwände durchkreuzt hat.
Irgendwann ist man dann so tief im HAUNTED PLASMA-Kosmos, so gefesselt, dass diese Faszination in Gefallen wechselt. Bis dahin ist es zwar ein langer, steiniger Weg, doch da ich ohnehin mein Faible für Science-Fiction anscheinend gefunden habe, lohnt sich ein Lauschangriff auf dieses vielleicht untypische, aber auf seine ganz eigene Art und Weise doch hypnotisierende Album.
Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]
Nach der für mich doch einigermaßen verstörenden "Kritik" des Kollegen Dahl bin ich nun doch halbwegs erleichtert, dass nach Holg nun auch zwei andere Kollegen noch mehr oder minder halbwegs versöhnliche Worte für dieses musikalisch in allen Belangen außergewöhnliche Meisterwerk gefunden haben. Es gibt Alben, die können und wollen eben nicht einfach nur gehört werden. Es gibt Werke, die reichen dir generös die Hand und laden dich auf eine musikalische Expedition ein. Auf einen Trip ins Unbekannte, auf den man sich einlassen muss, für den man dann aber möglicherweise im Gegenzug auch reich und fürstlich belohnt wird, wenn man sich dem Werk hingebungsvoll anvertraut und den eigenen Geschmackskosmos nach kurzem Reset einfach mal komplett verlässt.
Allein all die verschiedenen atmosphärischen und musikalischen Aggregatzustände, die der Eröffnungstrack 'Reverse Engineer' inklusive genial wahnwitziger Spannungswechsel bietet, bis hin zu den einfach nur abgefahrenen choralen und kontrapunktischen Frauenstimmen im letzten namensgebenden Stück und psychedelischen Looping-Trip 'Haunted Plasma' sind allein schon diese Reise wert. Ich könnte nun auch noch die abartig geilen ätherischen CYNIC-artigen Verzerr-Vocals und die fantastischen tribalmäßigen Percussions in 'Spectral Embrace' erwähnen. Das sind allerdings alles nur sehr kleine Bruchteile dessen, was den Hörer bei dieser Entdeckungsreise noch so alles erwartet, für die ich hier definitiv das Aufsetzen vernünftiger Kopfhörer empfehlen würde. Ich selbst habe das Album vermutlich bereits gute zwanzig Mal intensiv gehört und stoße dabei noch immer auf dezente Feinheiten, die bei mir nichts anderes als viele kleine, stoßartige Ohrgasmen verursachen.
Keine Frage, die sehr simplen und monotonen Elektrobeats, die ausnahmslos alle Songs durchziehen und nur sehr selten bis gar nicht variiert werden, mögen anfänglich mehr als gewöhnungsbedürftig anmuten, ergeben aber im Kontext der hier dargebotenen Soundcollagen am Ende eben absolut Sinn. Black-Metal-Referenzen? Vielleicht nicht auf den ersten Hör, allerdings erkenne ich hier tatsächlich viele Parallelen zum letzten ORANSSI PAZUZU-10/10-Album "Mestarin Kynsi". Ach, bevor ich hier jetzt wieder Richtung Longreview tendiere, verweise ich auf die ausführliche und gelungene Rezi des Kollegen Björn und schließe ab: Das hier ist nicht weniger als "L'art pour art" in Reinkultur. Also, ich schicke dafür gerne Geld Richtung Svart Records, und Ihr so?
Note: 9,0/10
[Stephan Lenze]
Was soll ich sagen? Der Lenze hat recht. Ja, das ist ein Punkt. Könnte aber auch ein Ausrufezeichen sein, denn ich finde es auch herrlich haarsträubend, dass der Mario sich wundert, wo denn die Gitarren seien, und warum HAUNTED PLASMA bei uns stattfindet. Leute, wir hatten schon ganz andere Kaliber an Bord, bei denen man sich hätte fragen können, was die im Soundcheck eines Magazins verloren haben sollen, dessen Zielgruppe nicht primär das Publikum des ZDF-Fernsehgartens ist.
DEPECHE MODE? Ja, vielleicht, aber anders. Kein Black Metal? Doch, aber anders. Es ist in der Tat die düstere, kalte, technoide Stimmung, die uns Anknüpfungspunkte an den Black Metal der Mitt- und Spätneunziger liefern kann, aber auch an den Post Black Metal der Neuzeit. Schon der Opener 'Reverse Engineer' ist ein Monster von einem Song, der genau auf den Punkt bringt, warum das so ist: Die ersten sphrärischen Klänge könnten nicht nur zu einer "Twin Peaks"-Folge passen, wie der Holg sagt, sondern auch zu einem alternativen "Dune"-Soundtrack, und genau dort liegt der Hase im Pfeffer. Die zweite Black-Metal-Welle und deren Epigonen näherten sich immer und immer wieder technoiden, sci-fi-mäßigen, ambienten Klanglandschaften. Der Spannungsaufbau, den HAUNTED PLASMA hier betreibt, erinnert an den 'Jupiterian Vibe' von SAMAEL, und wenn dann kurz nach der dritten Minute der Warp-Antrieb zündet, ja dann, Herr Kollege Dahl, fetzen die Gitarren aber mal alles weg, und das tun sie auch sonst immer wieder, sparsam aber effektiv eingesetzt. Was für ein Monsterriff ist das denn?
Natürlich ist das kein Black Metal, was ja auch niemand behauptet hat. Aber ich bleibe dabei: Die Stimmung, welche dieses Album transportiert, ist ohne Weiteres geeignet, bei zahlreichen Fans von MYSTICUM, SAMAEL und ULVER auf weit geöffnete Segelohren zu stoßen. Die haben nämlich alle auch - mal mehr, mal weniger - Sci-Fi-Techno-, EBM- oder gar Trip-Hop-Elemente mit düsteren Gitarrenklängen verbunden. Und genau dieser Mix schlägt bei HAUNTED PLASMA zwar stärker in die Elektrorichtung aus, und auch der klare Gesang führt vom Black Metal weg, ebenso bei 'Machines Like Us' die herrlichen Westerngitarren-Fragmente, die immer mal wieder durchblitzen; oder bei 'Spectral Embrace' die Gamelan-artige, perkussive Einleitung. Aber ja, ganz gleich, wie wir das Genre denn nennen wollen: Meine Rezeptoren für gute, eindringliche, finstere, mitreißende und dynamische Musik schlagen hier tausendmal stärker an, als bei... nun, ihr könnt euch ja denken, wobei. Lockere acht Punkte mit starker Tendenz nach weiter oben!
Note: 8,0/10
[Rüdiger Stehle]
Vielleicht ist das Debüt von HAUNTED PLASMA nicht unbedingt das beste Album im Mai-Soundcheck 2024, aber mit Sicherheit das spannendste. Dabei kann man noch so sehr versuchen, diesen Klang in Worte zu fassen und muss konstatieren, dass sich jeder Leser bei den Referenzen und Schlagwörtern, welche meine Kollegen mit in die Waagschale werfen, doch etwas ganz anderes vorstellen wird, als einem "I" schlussendlich serviert.
Ich muss gestehen, dass auch ich im Laufe des Albums deutlich mehr Trance-Vibes aufnehme als Metal-Elemente erkenne. Das hat mich vor dem ersten Hören dann schon in eine falsche Richtung geschickt und ich finde, dieses Album sollte man komplett ohne Erwartungshaltungen aufsaugen und am Stück genießen. Wenn man nicht auf ein bestimmten Genre festgefahren ist, dann ist das ein echtes Highlight. "I" arbeitet viel mit elektronischen Sounds aus der Goa- und Cosmic-Trance-Ecke und entfaltet dadurch eine ungeheure mystische Sogwirkung. Das mag zuweilen schon repetitiv sein, fördert aber sehr stark diesen psychedelischen Ansatz der Musik.
Ob die fehlenden zwei Punkte zur Höchstnote der gewünschte LSD-Puffer ist, der diese Scheibe zum Meisterwerk macht, werde ich wohl nie erfahren, aber auch so entfaltet sich HAUNTED PLASMAs erstes Werk zu einem veritablen Reisebegleiter durch Raum und Zeit.
Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]
Fotocredits: Samuli Alapuranen
- Redakteur:
- Marcel Rapp