Gruppentherapie: HELLOWEEN - "7 Sinners"

07.11.2010 | 15:23

Die Kürbisse stehen immer noch für Qualität. Wie der zweite Platz im letzten Soundcheck beweist. Und das, wo nicht jeder unvoreingenommen war. Aber lest selbst.


Man kann es drehen und wenden wie man will: HELLOWEEN sind das Flagschiff in Sachen Melodic Speed Metal. Und das nicht nur in Deutschland, sondern global. Wer daran nach dem unbewaffneten Jubiläumswerk Zweifel hegte, wird gleich mit der eröffnenden Triplekeule 'Where The Sinners Go', 'Are You Metal' und 'Who Is Mr. Madman' eines besseren belehrt. Überhaupt ist "7 Sinners" sicher eine der härtesten Scheiben der Bandgeschichte geworden, so als würde man zu den stellenweise deutlich überzogenen Kritikerattacken für "Unarmed" den Gegenbeweis antreten wollen. Dass dabei Abwechslung und Entwicklung groß geschrieben werden, ist man bei den Hanseaten gewohnt. Hymnen, tolle Riffs, Banger, präzises Drumming, Epen, Querflöte ('Raise The Noise'), massenhaft eingängige Refrains (ganz vorne die Grosskopf-Nummern 'World Of Fantasy' und 'If A Mountain Could Talk') und sachdienliche Keys: alles dabei, was ein HELLOWEEN-Album der Neuzeit ausmacht. Es wird Zeit, dass die Kiske-Fans und Skeptiker der vergangenen Jahre einsehen, dass Weiki & Co. immer noch das Nonplusultra einer sonst viel zu häufig kitschigen, süßlichen und gleichförmigen Szene sind. Klasse.

Note: 8,5/10

[Peter Kubaschk]

Der Veröffentlichungszeitpunkt des neuen HELLOWEEN-Albums könnte in der Tat nicht passender sein. Da wird es für mich endlich mal Zeit, mich als Frischling dieser Band zu widmen. Natürlich müsste es anders herum sein, aber die Instrumentalisierung erinnert mich nicht selten an finnische Melodic-Deather wie CHILDREN OF BODOM oder NORTHER. Das hätte so auch auf einem ihrer Alben sein können – verspielt, melodisch, kraftvoll. Sehr schön! Mit 'Are You Metal?' hauen HELLOWEEN gleich an zweiter Stelle eine wahre Hymne raus; das dürfte der neue Live-Gassenhauer werden. Doch mein persönliches Highlight ist das Flötensolo am Ende von 'Raise The Noise'. Auch der Rest des Albums kann was, obwohl die Spannung gegen Ende etwas nachlässt. 'The Sage, The Fool, The Sinner' ist der letzte Titel mit richtigem Hitpotenzial. Aber die Hamburger sind nicht nur auf Party aus, sondern regen mit 'If A Mountain Could Talk' zum Nachdenken an. Mit "7 Sinners" haben sich HELLOWEEN auf Anhieb in den Kosmos meiner Lieblingsbands katapultiert.

Note: 9,0/10

[Pia-Kim Schaper]

Ich komme aus dem Hamburger Grünland und bin mit den Kürbissen groß geworden. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass ich sie seit über einer Dekade nicht mehr wirklich mag. Der Prophet im eigenen Land und so. Ich konnte mich nie so richtig mit der Stimme von Andi Deris anfreunden und immer, wenn ich HELLOWEEN hören durfte, war mir das nach kurzer Zeit zu fröhlich. Happy Metal, gut gemacht zwar, aber nicht mein Heavy Metal. Albern? Vielleicht. Aber so war halt mein Empfinden. Als ich nun aufgrund meiner Zugehörigkeit zum Soundcheckteam quasi dazu gezwungen wurde, mich intensiver mit "7 Sinners" zu beschäftigen, war mir das zuerst gar nicht recht. Beinahe widerwillig habe ich den Silberling zur ersten Karussellfahrt in den Player gelegt. Nur, um bereits nach wenigen Sekunden völlig baff unterm Kopfhörer zu sitzen und mich vergewissere, ob ich denn die richtige CD im Gerät habe. Okay, als die Stimme erklingt, weiß ich, dass es HELLOWEEN ist, aber die bombastische Brachialität, die uns hier entgegen brettert, sorgt schon mal für Verblüffung. Das ist heavy, modern zwar, aber stimmig und mitreißend. Da stören mich sogar die teils recht auffällig in Szene gesetzten Synthies nicht einmal. Über das gesamte Album verteilen die Hanseaten extrem eingängige Melodien, die unwillkürlich gute Laune verbreiten und selbst mir nicht zu kitschig klingen. Man hört quasi das Dauergrinsen der Musiker beim amüsanten 'Are You Metal?' und über die erstaunten Gesichter beim Flötensolo in 'Raise The Noise' werden die Jungs bei den Aufnahmen wohl auch ihre Witzchen gerissen haben. Mit 'Smile Of The Sun' und dem superben 'If A Mountain Could Talk' hat man dann mal eben zwei der besten Melodic-Metal-Nummern seit langer Zeit aus dem Ärmel geschüttelt und der epische Ausklang 'Far In The Future' sorgt dafür, dass man gerne die "Repeat"-Taste drückt. Eine echte Überraschung für mich!

Note: 8,5/10
[Holger Andrae]


Als alter HELLOWEEN-Fan seit ihrer ersten EP haben die Kürbisse natürlich einen besonderen Stellenwert bei mir. Zumal ich ihren Humor immer schon witzig fand. Ja, ich kann darüber lachen. In ihrer langen Karriere gab es natürlich so einige halbgare Alben, was aber besser ist, als sich permanent zu wiederholen, weswegen ich jedem Album ein Ohr schenke. Aber diesmal machen die Herren mit meinem Ohr etwas anderes als in den letzten Jahren, denn diesmal klingen nicht nur bekannte und hochwertige Songs durch meine Gehörgänge, sondern mal wieder echte Hits. Und noch wichtiger: Keinen einzigen Ausfall. Dabei loten sie die Extreme deutlicher aus als zuvor, sind härter, aber auch kitschig in ihrer Ballade ('The Smile Of The Sun'), und der Flöteneinsatz ist sicher noch eine Nachwirkung des "Unarmed"-Krachers. International gelten HELLOWEEN eh als echte Bank, und Spötter im eigenen Land mögen bitte endlich verstummen und anerkennen, dass die Band deutschen Metal wie kaum eine andere geprägt hat. Und das Schöne ist: Sie tun es auch weiterhin. "7 Sinners" ist ein deutliches Ausrufezeichen und ihr bestes Album seit langer Zeit! Bin ich jetzt "Metal", Jungs?

Note: 8,5/10
[Frank Jaeger]

Meine letzte Begegnung auf Albumlänge mit HELLOWEEN erfolgte über "Chameleon", ein damals umstrittenes Werk, das für manche wohl einfach zu gut war, um es noch würdigen zu können. Irgendwann später kamen noch "Master Of The Rings" und "The Dark Ride" heraus, die ich aber nur kurz anschnitt, danach herrscht Dunkelheit auf meinem mentalen Bandfahrplan. Soweit die Erinnerung. Jetzt der Wiedereinstieg. Eröffnet wird das Album von einem tighten Stück ganz ohne die Trademarks alter Kamellen, welches sich aber die Option zumindest offenhält, dass die Band immer noch Sahnebonbons abliefern kann. Eine offene Herangehensweise, wie beim Hören einer neuen Band, wird dadurch möglich. Dennoch sei ein Vergleich gestattet: Mehr Thrash, weniger Speed; so sind die Songs rhythmisch dichter gestaltet, wurde die ehemals notorische Zwangseingänig- bis Ohrwurmigkeit weitgehend in den melodisch flüssigen Leitgesang zurückgedrängt. Dafür gibt es jetzt nette Spielereien wie das Flötensolo im ersten Anspieltipp 'Raise The Noise'. Diese Band wagt keine Experimente mehr, sondern konzentriert sich auf ihre Stärken, nämlich das Spielen von Powermetal europäischer Prägung - einer Prägung, die sie selbst einst mit ins Leben rief. Dabei klingt HELLOWEEN souverän genug, sich vor Klischees nicht zu scheuen, und modern genug, sich dabei nicht im Kitsch zu verlieren. HELLOWEEN grenzt sich von der Metal-Kollegschaft nicht ab, sondern integriert deren Beiträge selbstbewusst in den eigenen Sound. Der blinde Wächter scheint sich in 'World Of Fantasy' eingeschlichen zu haben; der Spirit der '80er-Jahre blitzt, in '90er-Jahre-Metal gehärtet, noch einmal bei 'Long Live The King' auf; die laute und etwas gepresste Produktion stammt klar erkennbar aus dem jetzigen Jahrzehnt. Wer offenere Klänge bevorzugt, könnte bei 'The Smile Of The Sun' auf seine Kosten kommen, inklusive Klaviersahnehäubchen und eines Grooves wie bei den jüngeren AMORPHIS. 'You Stupid Mankind' trillert und wogt hart durch die moderne Botanik, 'If A Mountain Could Talk' erinnert trotz Keyboardeinsatz an klassischeres Material, und 'The Sage, The Fool, The Sinner' bringt den inzwischen deutlich härteren Melodic Power Metal, den HELLOWEEN auf diesem Album spielt, recht repräsentativ auf den Punkt: Zweiter Anspieltipp! Auch sonst ist "7 Sinners" durchweg solide geworden. Kommen wir zum Nachteil: Weder das choral anmutende 'My Sacrifice', noch das für weitere Abwechslung sorgende Zwischenspiel 'Not Yet Today', noch die Härte von Stücken wie 'Are You Metal?', 'Who Is Mr. Madman?' und dem episch angelegten, fast achtminütigen Finale 'Far In The Future' lassen mich darüber hinweghören, dass es "7 Sinners" trotz makelloser Qualität einfach an vollkommen begeisternden Hits mangelt. Für Genrefans ist das dennoch empfehlenswert, doch sicher nicht mehr neue Maßstäbe setzend.

Note: 6,5/10
[Eike Schmitz]

Redakteur:
Peter Kubaschk

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