Gruppentherapie: HYPOCRISY - "Worship"
23.11.2021 | 15:33Kaum zu glauben, aber nach Jahren der Unsicherheit und unklaren Aussagen von Mastermind Peter Tägtgren liegt es hier: ein neues HYPOCRISY-Album! "Worship" ist der Name des 13. Langeisens der Schweden, das von den fast schon zum Repertoire gehörenden Aliens auf dem Cover bis zu tonnenschweren Death-Metal-Riffs mit epischer Keyboard-Untermalung alles zu bieten hat, was man von Tägtgren und Co. gewohnt ist. Aber hat der Mastermind nach einer langen Durststrecke auch die nötige Inspiration gefunden, wieder richtig knackige und prägnante Songs für seine Hauptband zu schreiben? Das klären unsere Redakteure in der Gruppentherapie:
"Worship" ist ein seltsames Album. Einerseits wird hier der totale Trademarksound zelebriert, man hört sofort, wer hier musiziert, andererseits fehlt es den Songs am gewissen Etwas. Mir geht es zumindest so, dass ich mich nach fast jedem Song gefragt habe: "huch, schon vorbei?". Vielen Tracks fehlt irgendwie das gewisse Highlight, man hat sie schnell erfasst und "durchgehört", das trifft es vielleicht am besten. Dabei klingen Peter Tägtgren und seine Crew einfach super, allen voran Tägtgren selbst, aber auch die Gitarrenarbeit ist wieder herrlich melo-deathig, Horgh spielt zwar sehr songdienlich, ich vermisse aber ehrlich gesagt den einen oder anderen Blast-Beat des IMMORTAL-Schlagzeugers. Ich denke, dass Fans mit dem Album zufrieden sein können, ich muss aber auch sagen, dass nach 8 Jahren vielleicht etwas mehr hätte drin sein können, zumindest was die Nachhaltigkeit und Tiefe der Songs betrifft. Es macht aber dennoch 'ne Menge Spaß!
Note: 7,5/10
[Jakob Ehmke]
Ich habe mir ja tatsächlich nicht mehr erlaubt zu träumen, dass es nochmal ein neues Album von HYPOCRISY geben wird. Insbesondere deshalb nicht, weil Peter Tägtgren vor einiger Zeit bei Facebook hat verlauten lassen, dass es ihm für HYPOCRISY an Ideen, Inspiration und Motivation fehle und er die Fans gefragt hat, was ihnen lieber sei: ein weiteres Album oder eine Tour? Die Antwort damals war eindeutig, denn die Fans wollten lieber noch eine Tour als uninspirierte neue Lieder. Nun, diese Tour gab es in doppelter Form bereits, zum einen mit KATAKLYSM und zum anderen einen 30-Minuten-Slot auf der Tour mit AMON AMARTH und ARCH ENEMY, was für mich für diese Death-Metal-Legende einen absoluten Frevel darstellte. Aber nun gibt es tatsächlich ein neues Album. Aber bei dieser Vorgeschichte ist die Angst natürlich groß, ein uninspiriertes, halbgares Album zu bekommen. Zumal die letzten drei Alben mich schon nicht mehr so fesseln konnten, wie alles vorher Veröffentlichte von HYPOCRISY. Aber diese Angst hatte sich schon bei Veröffentlichung der ersten Single 'Chemical Whore' erledigt. Was ein geiler Track! Wie Jakob schon schreibt, hört man von der ersten Sekunde von "Worship" bereits, dass hier HYPOCRISY am Werk ist. Dieser Sound ist in meinen Ohren unverkennbar. Wo ich Jakob nur bedingt zustimmen kann, ist die Nachhaltigkeit der Songs. Ja, die Strophen wissen nicht so ganz hängen zu bleiben, dafür prägen sich die Refrains extrem gut ein. Egal ob 'Worship', besagtes 'Chemical Whore', 'Greedy Bastards', das mächtig stampfende 'We're The Walking Dead' oder 'Children Of The Gray', insbesondere die Refrains und die Riffs und Melodien prägen sich schnell ein und sorgen für Ohrwürmer.
Wenn ich "Worship" mit anderen HYPOCRISY-Alben vergleichen müsste, sehe ich in erster Linie Parallelen zu "The Arrival" und "The Final Chapter", aber auch zum letzten Werk "End Of Disclosure". Ich bin auf jeden Fall extrem begeistert und sehr glücklich mit dieser Langrille. Weshalb ich hier nicht zur Höchstnote greife? Nun, zum einen gibt es in der Bandgeschichte bereits 10er-Platten wie "Abducted", "The Final Chapter" oder "Into The Abyss" und diese Werke sind tatsächlich noch etwas besser als "Worship". Zum anderen growlt Peter mir ein wenig zu viel. Mir wäre es noch lieber gewesen, wenn Peter noch häufiger zu seinen heiseren Screams ansetzen würde. Die Musik auf "Worship" bekommt von mir 8,5 Punkte. Einen halben Bonuspunkt bekommt die Scheibe noch für das sensationelle Cover, das in meinen Augen das beste Cover der HYPOCRISY-Geschichte ist.
Note: 9,0/10
[Mario Dahl]
Endlich ist Peter Tägtgren wieder zurück mit seiner Hauptband HYPOCRISY. So sehr ich auch PAIN mag, für mich gehört der Schwede einfach hinter das Mikrofon dieser vom Sound her einzigartigen Death-Metal-Combo! Doch bei aller Vorfreude hatte ich angesichts der Vorgeschichte ähnliche Bedenken wie mein Kollege Mario, die aber glücklicherweise von der bärenstarken ersten Single 'Chemical Whore' sofort weggewischt wurden. Auch anno 2021 sind von den sphärischen Keyboards, über die mächtigen Gitarrenwände bis hin zu den Melodie-Widerhaken alle Trademarks vorhanden, die Fans der Schweden lieben. Und auch auf Albumdistanz setzt sich der starke Eindruck der Single fort, denn über weite Strecken jagt hier ein Highlight das andere. Ganz besonders möchte ich dabei 'Children Of The Gray', 'We're The Walking Dead' und das wunderbar bissige 'They Will Arrive' hervorheben, die für mich die ganz großen Höhepunkte markieren. Die von Mario erwähnten Parallelen zum Vorgänger "End Of Disclosure" und dem Überalbum "The Arrival" höre ich ebenfalls, auch wenn das neue Album qualitativ nicht an die letztgenannte Scheibe herankommt. Den direkten Vorgänger stellt sie aber locker in den Schatten und stampft auf Augenhöhe mit dem tollen "A Taste Of Extreme Divinity" aus dem Jahr 2009 aus den Boxen. Warum gibt es am Ende dann doch nur 8,5 Punkte von mir? Nun, ähnlich wie vielen Alben in der heutigen Zeit hätte auch "Worship" eine Kürzung gut zu Gesicht gestanden. So hätte der Rotstift etwa bei den uninspirierten Death-Metal-Walzen 'Dead World' und 'Another Day' angesetzt werden sollen, was den Silberling auf die von mir sowieso bevorzugte Länge von 8 oder 9 starken Tracks gebracht hätte. Aber auch mit diesen kleinen Kritikpunkten wird "Worship" definitiv in meinen Jahrescharts auftauchen und das ist viel mehr als ich mir angesichts der Vorgeschichte erhofft hatte!
Note: 8,5/10
[Tobias Dahs]
Ich bin ein wenig hin- und hergerissen. Das Aushängeschild bei HYPOCRISY sind sicherlich die epischen Melodien und eingängigen Refrains, doch bei diesem Album beeindruckt mich eher das fiese Gemetzel der Marke 'Greedy Bastards' oder 'They Will Arrive'. Das schnelle todesmetallische Riffgewitter und die heiseren Screams von Peter, die mir bei HYPOCRISY genau wie Mario besser reinlaufen als das tiefe Growling, sorgen für Freudestrahlen und schmerzende Nackenmuskeln. Auch das getragene, in dieser Gruppentherapie noch gar nicht erwähnte 'Bug In The Net' fixt mich ziemlich an. Doch auf der anderen Seite empfinde ich ebenso wie Tobi einen Song wie 'Dead World', oder auch 'Brotherhood Of The Serpent', als unnötiges Füllmaterial der Scheibe. Und obwohl ich den HYPOCRISY-eigenen Melodic-Death-Metal-Stil sehr gerne mag, nutzen sich die melodischen Hymnen wie 'Children Of The Gray' oder 'We're The Walking Dead' dieses Mal in meinen Ohren recht schnell ab, wodurch das Album insgesamt keine wesentliche Langzeitwirkung entfaltet. Wenn ich da beispielsweise an 'Eraser' von der "The Arrival" denke... - der Song hat mich damals total umgehauen und ist auch heute noch absolut großartig. Ein wenig versöhnt mich der krönende Abschluss 'Gods Of The Underground' (wie auch Frank in seiner Einzelrezi schreibt), aber dennoch bleibt als Fazit die Einschätzung bestehen, dass es sich bei "Worship" nur um ein partiell mächtiges Album handelt, das im HYPOCRISY-Kontext für mich allerdings keine allzu großen Lorbeeren einheimst. Also: Ich bin ein wenig hin- und hergerissen, aber in Summe doch mehr "her" als "hin(-gerissen)".
Note: 7,0/10
[Stephan Voigtländer]
Fett und voll auf die Fresse. Stolze acht Jahre ist es her, dass Tätgren uns echten Death Metal geboten hat, jetzt ist er wieder da. Nachdem ich seine LINDEMANN-Ausflüge sogar noch anstrengender fand als PAIN, bin ich froh, dass er jetzt wieder die Musik macht, für die er aus meiner Sicht zurecht zur Szeneikone wurde. Insgesamt ist das Album soundtechnisch natürlich großartig. Auch der Mix aus melodischen Zutaten und Brutalität funktioniert weiterhin. Manchmal ist es für mich aber einen Tick zu zäh; in den langsamen Songs denke ich mir, dass das jetzt bei ASPHYX oder BOLT THROWER einfach noch mächtiger klingen würde. Am Besten ist die Scheibe daher, wenn die Songs etwas schneller sind, und wenn die episch-melodischen Gitarrenharmonien viel Raum gewinnen. Wenn das nicht der Fall ist, handelt es sich nur um eine ganz ordentliche Todesblei-Scheibe - die guten Nummern dagegen gehören schon zur Extraklasse. Ein zwiespältiges Werk.
Note: 7,0/10
[Jonathan Walzer]
- Redakteur:
- Tobias Dahs