Gruppentherapie: IN FLAMES - "Foregone"

21.02.2023 | 21:16

Die Erwartungen, die wir wohl alle an "Foregone" hatten, waren in Anbetracht der vorab veröffentlichten Kostproben immens. Doch Fakt ist, dass die neue IN FLAMES-Scheibe unsere Redaktion ziemlich bewegt hat und wir es uns aus diesem Grunde auch nicht nehmen lassen, eine hübsche Gruppentherapie zum neuesten Output der Melo-Death-Großmacht zu wagen. Lest selbst, ob die Lorbeeren angemessen sind.

Selbstverständlich möchten wir euch an dieser Stelle auch auf die Voll-Review unseres lieben Tobias aufmerksam machen, die ihr hier nachlesen könnt. Doch was hat der Rest über "Foregone" zu erzählen?

Offen gesprochen war ich nie der riesengroße IN FLAMES-Fan, mochte aber speziell die Phase zwischen "Colony" und "Soundtrack To Your Escape" zumindest zum Großteil. Aus diesem Grund habe ich die letzten drei, vier Veröffentlichungen zwar kopfnickend zur Kenntnis genommen, doch eine intensive Auseinandersetzung erübrigte sich ob des stilistischen Kuddelmuddels der Schweden. Doch mit "Foregone" gelingt IN FLAMES genau jener Back-To-The-Roots-Schritt, den ich der Band definitiv nicht mehr zugetraut hätte. Bin ich überrascht? Ohja! Bin ich angefixt? Kann man so sagen! Gefällt mir das Album in Gänze? Nun, extrem starke Brecher wie 'Foregone Pt. 1', 'State Of Slow Decay' und 'End The Transmission' gehen Anhängern der älteren Göteborger Schule runter wie Öl, 'Meet Your Maker' und 'Cynosure' machen müde Melodic-Death-Metaller munter und auch 'Bleeding Out' entwickelt sich in seiner zunächst etwas unspektakulären Art zumindest nach einiger Spielzeit zu einem kleinen Hit. Selbst Fridén klingt wesentlich glücklicher als noch auf den letzten Alben. Nicht alle Songs sind vollends gelungen, doch endlich habe ich wieder Freude daran, mich intensiv mit einem IN FLAMES-Album, mit dem aktuellen Stand der Schweden so weit auseinanderzusetzen, dass ich auch über kleinere B-Noten-Abzüge hinwegsehen kann. Manchmal kann man auch einfach froh sein, wenn die Schuster wieder zu ihren Leisten gefunden haben.

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

Im Endeffekt kann man der Review von Tobias nur kopfnickend zustimmen, jedoch sollte man festhalten, dass IN FLAMES nicht nur eine eigene Retrospektive veranstaltet, sondern auch mit allen Sinnen im Jahr 2023 angekommen ist. Das heißt neben den bereits gefeierten Melodic-Death-Nummern, welche auch ich erstmalig wieder auf "Come Clarity"-Niveau sehe, gibt es jede Menge Songwirting-Entscheidungen, welche in dieser Form nicht nur auf den letzten Alben zu finden sind, sondern auch dezente Weiterentwicklungen, die die Band auf ein neues Level heben. Und so kommt es, dass Tobias und ich was die Toptracks des Albums betrifft, plötzlich doch auseinanderdriften. Mögen für jemanden der tief im ursprünglichen Stil der Band verwurzelt ist und zugleich noch einen vollkommen natürlichen Fokus auf die Gitarrenarbeit der Band legt, Songs wie 'Meet The Maker' oder 'The Great Deceiver' die Highlights sein, so sind es für mich abermals genau die Lieder, die sich eher auf Gesangslinien, Productionvalue und entsprechend poppige Eingängigkeit konzentrieren. Für mich ist 'End Of Transmission' kein solider Durchschnittstrack, sondern ein gelungenes Albumfazit mit einer stark geschriebenen Bridge und einem herrlich ohrwurmartigen Singalong, welche man in dieser Konsequenz auch noch nicht von den Schweden gehört hat. Ebenfalls hat Marcel vollkommen Recht, wenn er in 'Bleeding Out' den Hit erkennt, welcher er ohne Zweifel ist. Was für ein starker Chorus!

Absolute Glanzstücke sind in meinen Augen jedoch die Halbballade 'Pure Light Of Mind', bei welcher sich Anders Fridén gesangstechnisch auf seinem persönlichen Zenit befindet und mir den ersten pathetischen Ohrwurm des jungen Jahres liefert und das kleine Kunstwerk 'In The Dark'. Während ich Erstgenannten nicht mehr aus dem Kopf bekomme und ständig an amerikanischen Stadionrock denken muss, passiert in den vier Minuten von 'In The Dark' so unglaublich viel, dass sich dieser Track kaum abnutzen wird. Zusätzlich ist er das bestmögliche Beispiel, wie man die Wünsche von verschiedenen Fangruppen in einem Song sinnig vereinen kann und steht damit als Synonym für ein Album, das fast wie selbstverständlich für jeden Fan der Band genug Höhepunkte bereithält und niemanden enttäuschen sollte.

Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]

"Ist Jesper Strömblad zurück bei IN FLAMES?" Das war die erste Reaktion meines Bruders auf die ersten Töne von 'State Of Slow Deacy'. Und die Frage ist berechtigt, denn so heavy hat IN FLAMES seit einer Ewigkeit nicht mehr geklungen, und die Gitarrenarbeit im Opener von "Foregone" erinnert sehr stark an Stömblad und sein früheres Nebenprojekt DIMENSION ZERO, wobei mich das Gitarrenspiel vor dem Refrain an ARCH ENEMY erinnert. Auch die Vocals von Anders treffen endlich mal wieder ins Mark. Der Track zeigt direkt, dass IN FLAMES einen massiven Sprung zurück in Richtung der Bandwurzeln gemacht hat. Okay, das folgende 'Meat Your Maker' zeigt, dass der Sprung für meinen Geschmack nicht weit genug war, denn man scheint "nur" bei der "Reroute To Remain" oder "Come Clarity"-Ära angekommen zu sein und ich persönlich mag die Phase davor noch deutlich lieber. Aber ganz ehrlich, ich habe nichtmal mehr eine Rückkehr von IN FLAMES zum Sound der benannten Ära erwartet. Ich habe es nichtmal zu träumen gewagt. Daher bin ich mit dem Ergebnis auf "Foregone" auch mehr als happy. Also bitte nicht falsch verstehen, auch wenn der Track nicht an meine Lieblingszeit der Band erinnert, ist 'Meat Your Maker' trotzdem ein fantastischer Song. Mit 'Foregone Pt. I' und 'Pt. 2' haben die Schweden auch nochmal richtig geile Melo-Death-Geschosse im Gepäck, die für mich mit dem Opener, 'Pure Light Of Mind' und 'The Great Deceiver' die absoluten Highlights der Scheibe sind. "Foregone" ist ein Album, das ich der Band überhaupt nicht mehr zugetraut habe und es ist für mich auf jeden Fall die Überraschung des Monats, wobei ich mir derzeit nicht vorstellen kann, welche Band dieses Jahr ein Album veröffentlichen könnte, das mich so positiv überraschen könnte. Ganz stark!

Note: 8,5/10
[Mario Dahl]

Ich gebe zu, dass ich von IN FLAMES im Grunde nichts mehr erwartet habe. Immer das Gleiche gab es die letzten Jahre, und letztlich war es nichts mehr, was mir gefallen hat. Die letzte IN FLAMES-Scheibe, die mich begeisterte war "Soundtrack To Your Escape", die letzte wirklich gute Scheibe dann noch "Come Clarity". Nach "A Sense Of Purpose" war ich quasi raus, obwohl ich alle Alben danach kannte. "Foregone" konnte also letztlich nur gewinnen - und tat es auch. Machen wir uns nichts vor: Die Hitdichte früherer Jahre kehrt so wohl nicht zurück, und wer sich den seeligen Melo-Death der mittleren Neunziger zurückwünscht, kann nur enttäuscht werden. Es gibt aber wirklich einen fetten, hochklassigen Sound und Songs, die mir - anders als das ganze Material der letzten über zehn Jahre - wirklich im Ohr hängen bleiben. Natürlich ist das immer noch moderner (im Sinne von "nach 2000") Metal, aber in dieser Stilrichtung gehört IN FLAMES jetzt plötzlich wieder zur Elite, und das war nun seit 2010 wirklich nicht mehr der Fall. Nein, "Foregone" ist kein Meisterwerk. Aber ja, es ist das beste IN FLAMES-Album seit "Come Clarity", und das ist schon richtig gut. Ich bin doch ein klein wenig begeistert.

Note: 8,0/10
[Jonathan Walzer]

Was ich vorweg zugeben muss: Die neue IN FLAMES ist tatsächlich besser, als ich das erwartet hätte. Doch leider heißt das nicht viel, denn der Anfang vom Ende meiner positiven Verbindung zu dieser Band war der Lettenmann von anno 2000. Danach kam tatsächlich nichts mehr, was bei mir irgendeine Art von Begeisterung ausgelöst hätte. Kurz ließ mich der Auftakt zum neuen Album zwar hoffen, dass sich das nun ändern könne, doch leider bleibt das Intro auch das beste Stück des Werkes.

Der folgende Track lässt sich dann noch ganz gut an, tatsächlich im Melodic-Death-Fahrwasser alter Schule, doch mehr Wurzelkur im Marcel'schen Sinne ist nicht, denn wenn der Herr Fridén dann meint, clean singen zu müssen, dann ist der Ofen halt schon wieder aus. Aber immerhin, ein nettes Stück. Das kann man in der Folge leider kaum einmal behaupten, denn schon ab Track Nummer drei fängt das Leiden wieder richtig an: Die bereits bejammerten und für mich wirklich fürchterlichen cleanen Emo-Vocals des Frontmanns, elektronische Einsprengsel, poppige Melodieläufe.

Die harten Momente wirken eher wie metallische Feigenblätter einer poppig pinken Bubblegum-Bombe. Was IN FLAMES früher ausgezeichnet hat, war es, metallische Härte durchgängig in melodischer Weise zu zelebrieren und daraus ein schlüssiges, harmonisches Ganzes zu schaffen, das wegweisend war, wenn auch stilistisch zugegebenermaßen limitiert. Das machte für mich den Reiz der Band bis "Colony" aus, und das verkehrte sich ab "Clayman" ins Gegenteil, wohl weil die Band der stilistischen Sackgasse entkommen wollte, auf ewig Maidenriffs mit Schreihals zu zelebrieren.

Leider wirken aber beim hauseigenen Alternativprodukt auf mich Härte und Melodie nicht mehr untrennbar verschmolzen, sondern wie mit Klebeband aneinander geklebt. Die harten Momente und der harsche Gesang wurden deutlich melodiefreier, die melodischen Momente im Gegenzug zuckersüß und überkandidelt, wie man es auch vom gemäßigten Metalcore und der New Wave of American Metal kennt, und das ist in meiner Welt leider keine gute Sache, denn dadurch verlieren beide einstigen Qualitäten der Band deutlich. Was Stefan vom amerikanischen Stadionrock sagt, kann ich daher auch ansatzweise nachfühlen, doch leider ist das halt nicht der gute alte Stadionrock der Siebziger, kein KISS und kein Ted Nugent, sondern eher der des neuen Milleniums, und dessen große Namen stehen hier im Giftschrank. Kann man nichts machen.

Note: 6,5/10
[Rüdiger Stehle]

Zu IN FLAMES und der gesamten Schweden-Melo-Death-Szene hatte ich noch nie so die tiefe und enge Verbindung, sodass ich weder die Alben der 90er vergöttern würde, noch dass so einige unliebsame Veränderungen im Sound mancher Bands wie es auch bei den Mannen um Anders Fridén der Fall war, zum Abfall von der alten Liebe führen würden. Wirklich Erwartungen an das Album hatte ich nicht, ich erwartete sogar ein Album, das mich nicht im Geringsten packen könnte, was besonders auf der Single 'Meet Your Maker' basierte, die für mich all das darstellte, was modernen Metal zumindest aus meiner Sicht oft so unhörbar macht. Auf der einen Seite wären da die aufgesetzt wirkenden härteren Passagen und auf der anderen Seite der Schmachtgesang im Refrain, ohne den übrigens fast kein Song auf dem Album auskommt, was einer der größten Kritikpunkte sein dürfte.

Auch wenn IN FLAMES wahrscheinlich eine der größten Einflüsse für Bands ist, die modernen Metal oder Metalcore spielen, so klingt "Foregone" in meinen Ohren wie ein weiteres Album, das man in genau der gleichen Form heutzutage schon zigmal gehört hat. Doch diese Aussage sollte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich innerhalb der zwölf Songs auch einiges an tollem Material findet, wenn man bereit ist, einige Genregrenzen zu überschreiten und auch mal etwas modernere Elemente zuzulassen, die aber für mein Empfinden in einigen Momenten nicht wirklich passen. So hätte beispielsweise 'The Great Deceiver' nach dem tollen Einstiegsriff auch ohne den Part mit dem verzerrten Schlagzeug auskommen können.

Insgesamt finden sich daneben weitere Ungereimtheiten, die man nicht immer ganz ausblenden kann. Doch am Ende des Tages überwiegen auf "Foregone" für mich gut geschriebene Songs, die ohne den ganzen modernen Schnickschnack zu einem noch viel tolleren Album geführt hätten.

Note: 7/10
[Kenneth Thiessen]

Redakteur:
Marcel Rapp

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