Gruppentherapie: LACUNA COIL - Shallow Life
08.04.2009 | 23:22 Die Erwartungshaltung ist groß, egal, als welchem Blickwinkel man es letztendlich betrachten mag - das am 17. April erscheinende fünfte Studioalbum der emsig tourenden Chartstürmer LACUNA COIL wird nämlich die Weichen für die Zukunft stellen. Bauen die Italiener nahtlos auf den kommerziellen Erfolg auf, den sie spätestens mit "Karmacode" international erreicht haben? Oder schaffen sie gar das Spagat, ihre alten Fans zu befriedigen, ohne dabei die zahlreichen neuen Anhänger vor den Kopf zu stoßen? Die POWERMETAL.de-Redaktion hat das von Don Gilmore (AVRIL LAVIGNE, LINKIN PARK, PEARL JAM) produzierte Werk mit dem Titel "Shallow Life" einer ausführlichen Untersuchung unterzogen. Und wer sich obendrein die aktuelle Single, ein Shirt oder Poster abgreifen will, ist beim Gewinnspiel goldrichtig.
Ich finde "Karmacode", den kommerziellen Durchbruch für LACUNA COIL, immer noch klasse. Aus diesem Blickwinkel kann ich deswegen die Entwicklung zu "Shallow Life" tatsächlich nachvollziehen, ja sogar genießen, auch wenn die aktuelle Scheibe keinen neuen Höhepunkt in der Diskographie setzen kann. Der Grund dafür ist, dass die Italiener ihre Ecken komplett abgeschliffen haben. Jeder einzelne Song ist professionell gemacht, hat eine hörbare Gitarre und eingängige Melodien. Aber die kleinen metallischen Widerhaken, die auf dem Vorgänger noch zu hören waren, sind komplett verschwunden. Der letzte Rest wurde wegproduziert. Allerdings stimmt das nur, wenn man ein Metal-Album erwartete. Doch: Wer das von LACUNA COIL tatsächlich tat, lebte in einer Traumwelt. Der Schritt, den die Band gemacht hat, ist sicher der zu einem kommerziell mindestens ebenso erfolgreichen Album wie besagtes letztes Werk, inklusive diverser Hitsingles. Man sollte deshalb "Shallow Life" als Pop-Rock Album angehen und sich dann über die häufigen Gitarren-Einsätze freuen. Hey, plötzlich ist das doch tatsächlich ein wirklich gutes Werk! Jeder einzelne Track würde eine ordentliche, radiokompatible Auskopplung ausmachen, die ich nicht abstellen würde, mit Mitsing-Chören und Scabbias schöner Stimme, die vielleicht auch ein bisschen zu glatt geworden ist. Aber auch das ist in diesem musikalischen Gewässer Gang und Gebe. Deswegen: Viel Glück, LACUNA COIL, und ich wünsche hohe Chartplatzierungen. Willkommen im Mainstream, hier fühlt ihr euch offensichtlich und hörbar wohl.
[Frank Jaeger]
Das lahme 'Enjoy The Silence'-Cover bildete den Kreativitätsbodensatz des biederen und selbstgefällig vor sich hin schwofenden 2006er "Karmacode". Schattendynamik, einlullende Gesangslinien und deutlich wahrnehmbare KORN-Einflüsse, die nachteilig waren, führten zu dem bis dato schlechtesten LACUNA COIL-Album. Und es geht weiter nach unten. In Momenten akuten Desinteresses kann man dem Trugschluss aufsitzen, dass "Shallow Life" ziemlich unscheinbar, aber gut ist. Bei voller Aufmerksamkeit enthüllt sich die Wahrheit: Die Platte wird von Modern-Rock-Beliebigkeit im Pop-Mantel und sorglosen Powerchords erstickt, die im Vergleich zur Vergangenheit zügigeren Songs beleidigen mit erbärmlichem US-Charts-Anbiederungstenor, und Cristina Scabbia gibt sich keine große Mühe mehr. Effekte auf der Stimme und andere Tricks sorgen noch nicht für vernünftige Melodien. Die Klasse der 'Circle'- oder 'To Live Is To Hide'-Refrains ist eine schöne Erinnerung, und selbst die 'Heaven's A Lie'-Marke wird erneut verfehlt. Da die Sängerin mit ihrer Band ununterbrochen durch die Welt gurken und in einem gewissen Rhythmus Platten veröffentlichen muss, sind Studiohöchstleistungen von vornherein nicht zu erwarten. Vor diesem Hintergrund gewinnen 'Survive', 'Underdog' oder 'Spellbound', zu denen man auf einer Bühne geistig abwesend seine einstudierte Posingchoreographie vorstellen kann, allerdings nicht an Relevanz. Das Leben ist oberflächlich - und wer wüsste es besser als die Italiener, die Scabbia schon für "The Hottest Chicks In Metal"-Aktionen hergegeben haben -, aber diese abgedroschenen Nummern und "In the darkness you can hide / Go inside / Free your mind"-Dichtungen sind die Gülcan-Kamps-Reaktion darauf.
[Oliver Schneider]
Merkwürdig. Ich hatte LACUNA COIL als die gute Band des Wechselgesangsektors in Erinnerung. Doch nachdem ich "Shallow Life" ein halbes Dutzend Mal gehört habe, muss ich erst noch einmal "Unleashed Memories" auflegen, um mein Hirn davon zu überzeugen, dass die Dame und die Herren wirklich mal gehaltvolle Songs geschrieben haben. Das tun sie auf "Shallow Life" nämlich kaum noch. Lediglich das flotte 'Spellbound' und der Opener 'Survive' können mit wirklich eingängigen Refrains und einem nachvollziehbaren Wechselspiel beim Gesang noch punkten. Der Rest verliert sich in bemüht auf Radiotauglichkeit beschnittenen Songs, denen jeder Raum zur Entfaltung fehlt. Da wundert es nicht, dass die Titel auf perfekte Singlelänge (zwischen 3:20 und 4:00 Minuten) zurecht gestutzt wurden. Wenn dann noch Nicht-Refrains wie in 'I Like It' und 'Unchained' hinzukommen, wird es beinahe ärgerlich. Die große Masse liegt aber im blassen Grau zwischen den beiden guten und schlechten Songs. Überraschungsarm, mutlos, kalkuliert, glatt. Das ist besonders schlimm, wenn man weiß, wie viel Potential in den Italienern steckt. Sehr schade.
[Peter Kubaschk]
Die italienische Band um Frontfrau Cristina Scabbia und ihren männlichen Counterpart Andrea Ferro hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 1996 sehr flott an die Spitze der gleichermaßen metallisch, gotisch und poppig angehauchten Szene gespielt und mit zunehmender Popularität auch die Metal-Elemente im engeren Sinne mehr und mehr reduziert. Diesen Trend setzt auch das neue Scheibchen "Shallow Life" ungebremst fort. Die Melodien sind extrem eingängig, die modern produzierten Gitarren zwar wuchtig, aber ohne nennenswerte Ecken und Kanten. Das ziemlich kalt klingende Ambiente liegt irgendwo in der Schnittmenge aus GARBAGE, EVANESCENCE und DIE HAPPY, wobei wir den fünf Italienern nicht einmal mehr die früher etwas stärker präsente Metal-Note attestieren dürfen. Ein Stück wie 'I'm Not Afraid' hat beispielsweise einen relativ starken und gefälligen Refrain, dessen Struktur mit den effektbeladen ineinander überlappenden männlichen und weiblichen Gesangspassagen aber so was von da gewesen und bewusst charttauglich konstruiert wirkt, dass dem Rezensenten in erster Linie teilnahmsloses Gähnen bleibt. Das zumeist auf simplen Akkordfolgen basierende Riffing ist ebenfalls sehr flach und kein bisschen spannend, kratzt in den besten Momenten ein bisschen an PARADISE LOST zu "Draconian Times"-Zeiten, was aber umgehend wieder durch aufdringlich elektronisch-verloopt klingende Passagen konterkariert wird und unter anderem 'I Like It' ziemlich nervig gestaltet. Ob dem Nörgler auch was Positives zu "Shallow Life" einfällt? Nö. Eigentlich nicht. Ach ja, Cristina kann natürlich immer noch singen, keine Frage. Aber zum einen ist das einstmals originelle Element des LACUNA-COIL-Gesangs inzwischen einer sehr massenkompatiblen Duett-Singerei gewichen, und zum anderen sind beide Gesangsakrobaten meistens so mit Hall und Effekten zugekleistert, dass keine emotionale Regung mehr durchkommt. Das relativ heavy aus den Boxen kommende 'Spellbound' lässt im Einstieg kurz aufhorchen, doch mit dem Einsetzen des Gesangs sind wir wieder da, wo wir nicht hin wollen: Im MTV-kompatiblen Videoclip-Sound des modernen Chartrocks mit melancholischer Note und zeitgemäß verchromtem Gitarrenklang. Einzig das akustisch geprägte 'Wide Awake', das Cristina etwas emotionaler singt, finde ich trotz eines gewissen Plätscherfaktors durchwegs gelungen. "Shallow Life" läuft beim Nebenbei-Hören ganz passabel rein, aber die Intensivkur entpuppt sich als ähnlich seicht wie der Neusiedler See. Modern-Rocker mit Schwäche für Wechselgesang und Ohr am Puls des Mainstream mögen das vielleicht anders sehen.
[Rüdiger Stehle]
Die Italiener habe ich in den letzten Jahren mit dem Bewusstsein ignoriert, sie eigentlich gut zu finden. Denn: Immer, wenn ich sie bei Bekannten gehört oder live gesehen habe, gefiel mir das Gehörte. Entsprechend motiviert gehe ich also an "Shallow Life" heran. Aber was ist das? Außer der wirklich tollen Stimme von Cristina Scabbia rock-poppeln die ersten drei Nummern völlig belanglos an mir vorbei, auch wenn die klebrigen Refrains beinahe irgendwo im Innenohr hängen geblieben wären. Erst das mit härteren Grooves versehene 'I'm Not Afraid' lässt meinen Fuß wippen. Aber auch dieser Track nutzt sich schnell ab, da er absolut Null Überraschungen aufweist. Für Radiosender, die Metal spielen oder ähnlich gelagerte Hüpfzentren mag diese Musik sicherlich sehr gut geeignet sein und ich denke, darauf haben es LACUNA COIL auch abgesehen. Das Problem ist nur, dass es auch Leute geben soll, die ein Album gerne mehr als drei Mal komplett hören wollen, ohne dass ihnen dabei die Nasenhaare verwelken. Für diese seltene Spezies Musikkonsument hätte man zumindest zwei oder drei Spannungsmomente in die Tracklist einflechten können. Die gibt es aber einfach nicht. Mal ist es etwas flotter, mal etwas getragener. Mal singt Andrea Ferro - nicht verwirren lassen, das ist die männliche Stimme -, mal halt Cristina. Beide machen ihre Sache gut, aber mit der Möglichkeit des Wechselspiels hätte man allein schon mehr Dynamik erzeugen können. Hat man sich mit all diesen Tatsachen abgefunden, kann man sehr entspannt ins Cabrio steigen und cruisen.
[Holger Andrae]
Was ist schlimmer als schlechte Musik? Belanglose! Und wenn ich ehrlich sein, soll dann hab ich in den letzten Monaten nichts Belangloseres gehört als die neue Scheibe aus dem Hause LACUNA COIL. Lediglich die ersten (härteren) Momente vom Opener 'Survive' beinhalten ein wenig Spannung. Aber sobald Cristina in den Song einsteigt, wird es vorhersehbar und wahnsinnig langatmig. Da nützt es nix, nur radiotaugliche 3-Minuten-Tracks auf "Shallow Life" zu platzieren. Denn ein durchschnittlicher Refrain wird auch nach anderthalb Minuten schnell langweilig. Und so ziehen wir ohne Ecken und Kanten von einem Radio-Rock-Pop-Song zum nächsten. Mal singt Cristina, mal darf Andrea ran. Doch irgendwann nimmt man gar nicht wahr, dass hier zwei verschiedene Stimmen am Werke sind. Nach drei Songs verschwimmt alles zu einem ultraklebrigen Brei. Ausfälle gibt es nicht - aber Highlights sucht man eben auch vergebens. Bis auf den Opener und mit einigen Einschränkungen noch 'Spellbound' hat sich auch nach vier Wochen Rotation nichts in das Gehirn eingebrannt. Da hab ich lieber ein unbequemes Album, was die Gemüter spaltet, als solch einen Rohrkrepierer, der jedem gefallen möchte und dabei viel zu brav ausfällt. Die zweite Halbzeit des Rückspiels Bayern München gegen Sporting Lissabon war spannender als die dreiviertel Stunde "Shallow Life".
[Enrico Ahlig]
Wie sehr ich "Karmacode" doch abgefeiert hatte ... Dementsprechend habe ich hohe Erwartungen an den neuen Rundling "Shallow Life" der Italiener LACUNA COIL. Klar klingt das alles hier MTV-tauglicher und schielt auf dicken Radio-Airplay. Aber wieso nicht? Irgendwie muss man ja seine abendlichen Spaghetti auf'm Teller verdienen. Das hat zur Folge, dass so mancher Song zwar in der Belanglosigkeit versinkt ('Not Enough', 'Underdog'), diese aber zum Glück zur Minderheit gehören. Ja, so manches Lied vermeint dann auch in den Kitsch zu verfallen ('I Like It'), musikalisch wie lyrisch ("Today I'm gone fly, there's nothing that can keep me on the ground, touch the sky, I'm free inside"). Dass man es durchaus auch anders kann, zeigen aber Nummern wie 'Survive', 'I Won't Tell You', das schöne 'The Maze', 'I'm Not Afraid' oder 'Unchained'. Auch das leicht elektronisch angehauchte 'The Pain' kann einen eigenen Charme verstreuen. Nachdem der Titeltrack den Schlusspunkt uninteressant langsam gesetzt hat, bleibt die Erkenntnis, dass man hier zwar die Songs so eingängig und unkompliziert wie möglich gestalten wollte, dieses aber nach 45 Minuten mehr ein "aha, ganz nett" als ein überwältigendes "wow, großartig" hervorbringt. Technisch okay, mir gibt das streckenweise trotzdem nicht viel.
[Daniel Schmidt]
- Redakteur:
- Elke Huber