Gruppentherapie: LEPROUS - "Bilateral"

27.08.2011 | 21:17

LEPROUS nennen sich die etwas anderen Progger aus Norwegen, die mit "Bilateral" in unserer Soundcheck-Redaktion für Begeisterung sorgten und auf einen überraschenden zweiten Rang sprangen. Hier erfahrt ihr, warum.

Bei dem Namen hatte ich etwas ganz Anderes erwartet. Umso interessanter und spannender ist da der tolle Opener und Titelsong von "Bilateral". Und irgendwie Bi ist er auch, denn er verbindet Progressive Metal mit richtiger Heavyness. Toller Chorus inklusive. Die Norweger verbinden so einige skandinavische Bands miteinander, und vielleicht trifft es "eine Mischung aus ANDROMEDA, FREAK KITCHEN und PAIN OF SALVATION" an besten, denn sie verbinden klassischen Prog mit abgefahrenen Sounds und üppigen Arrangements. Dabei wird keine Rücksicht auf den Hörer genommen, so zum Beispiel bei 'Mb. Indifferentia', bei dem man irgendwie nie so recht weiß, wo die Band hin will. Aber nach ein paar Durchgängen wird das Stück nicht nur erträglich, sondern sogar gut. Danach gibt es auf die Nase, und im Laufe des Albums dann sogar noch Growls. Die lassen einfach nichts aus. Coole Sache, aber auch eine Hürde, da das Album ein bisschen zusammengestückelt wirkt, irgendwie wie ein Prog-Sampler. Aber ein guter!

Note: 8,5/10
[Frank Jaeger]


So mag ich meinen Prog - ohne unnötiges Gefrickel oder sonstigen Schnickschnack, dafür aber als buntes Stilgemisch und mit einigen geschickt eingestreuten Überraschungen. "Bilateral" ist ein absolut vielseitiges Album und damit enorm spannend geraten, vor allem da abtörnende Selbsthuldigungen komplett ausgespart werden. Außerdem ist es auf diesem Rundling nicht wie so häufig, dass nur entweder die ruhigen Passagen oder das ruppigere Gekeule so richtig klasse ist - LEPROUS haben ein Händchen für beides und gestalten sowohl die gefühlvollen Momente als auch die heftigen Eruptionen gleichermaßen packend. Dies spiegelt sich auch in der Gesangsleistung wider, die mit fast schon betörendem Charme, aber - wenn es sein muss - auch düsterem Growling sehr überzeugend ausfällt. Und was dann in einem Song wie 'Waste Of Air' passiert, wirkt in diesem Kontext zunächst möglicherweise etwas irritierend, offenbart aber ebenso einen Hauch von Genialität und als Kontrapunkt zur harmonischen, häufig recht beschaulichen Gangart vorher auch ein gewisses Augenzwinkern. Dieses plötzlich eingestreute wilde und impulsive Geklampfe mit einem gewissen abgedrehten Touch, das schließlich in eine regelrecht exzessive Passage mündet, ist nicht nur Aha-Effekt, sondern in dieser Eindringlichkeit auch nur konsequent. Wenn schon, dann richtig. Bei allem Facettenreichtum kommt man zwar manchmal nicht so richtig auf den Punkt ('Thorn' und 'Cryptogenic Desires' lassen sich da als Beispiel aufführen), dies ist allerdings auch der einzige Kritikpunkt an "Bilateral". Ansonsten ein rundum gelungener Rundling mit jeder Menge Begeisterungspotenzial, und das nicht nur für Proggies.

Note: 9,0/10
[Stephan Voigtländer]

Die Tatsache, dass ich mich nach wie vor nur schwer mit progressiven Elementen anfreunden kann, dürfte ebenso offensichtlich sein, wie jene, dass es in unserer Redaktion zum Glück eine Vielzahl von Leuten gibt, die dieser etwas schwer zugänglichen Sparte eine weitaus bessere Resonanz bieten können. Wenn sich hierbei überdies leichte Avantgarde-Teilchen im Progressive-Kuchen verirren, so komme ich nicht drum herum, dem objektiv wirklich guten "Bilateral" voreilig den Stempel aufzudrücken. Bei den ersten Durchgängen wirkt das neue Werk der Norweger von LEPROUS zwar äußerst frisch und steckt voller hervorragender Ideen. Das gesamte Konzept jedoch ist mir zu undurchsichtig und wenn zwei Genres, die mir nicht zusagen, aufeinanderprallen, so springt auch "Bilateral" auf den Zug in Richtung Niemandsland. Trotz starker Momente, wie man sie reichlich beim melodischen Titeltrack, dem hymnischen 'Painful Detour' oder in Punkto Gesangsleistungen findet, fehlt mir im Großen und Ganzen einfach dieser berühmte rote Faden, der sich auch beim x-ten Durchlauf irgendwann wie von Geisterhand auflöst und "Bilateral" für Nicht-Kenner schwer durchdringbar erscheinen lässt. Da ich jedoch im Team, Gott sei Dank, zur Minderheit gehöre, fällt meine doch mäßige Bewertung nicht sonderlich ins Licht und LEPROUS können sich ungeachtet dessen über eine glänzende Silbermedaille freuen.

Note: 6,5/10

[Marcel Rapp]


Wer hinter dem Bandnamen LEPROUS genau wie ich eine bestenfalls drittklassige Death-/Thrash-Combo aus Guatemala vermutet hatte, könnte falscher nicht liegen. Diese norwegische Formation legt mit ihrem dritten Album "Bilateral" ein höchst verstörendes und doch faszinierendes Werk vor. Es treffen hier so unterschiedliche Stilrichtungen wie gepflegter Prog-Rock/-Metal, Melodic Death, Symphonic Metal und modern-ruppige Sounds aufeinander, erstaunlicherweise ohne dass dieses auf dem Papier abstrus anmutende Gebräu den Urhebern sofort um die Ohren fliegt. Immer mal wieder regen sich für ein paar Takte Assoziation zu Bekanntem, die sich aber sofort wieder in Luft auflösen. Besonders prägend ist der überaus facettenreiche Gesang, der wunderbar melodisch-melancholisch, aber auch hysterisch bis wütend klingen kann und die teils doch krassen Wendungen der Musik raffiniert begleitet. Dieses komplexe Fundament erhält in den Händen der Aussätzigen auch noch einen experimentellen, schrillen Überbau, der unbedarften Hörern schon einiges an Geduld abverlangen wird. Den Zugang zu "Bilateral" findet man am besten über kurze und relativ einfach zugängliche Nummern wie den Opener und Titelsong, das knackige 'Cryptogenic Desires' oder das gefühlvoll unter die Haut gehende 'Acquired Taste'. Der tolle Longtrack 'Forced Entry' ist ein schillernder, runderneuerter und kräftig modernisierter Prog-Metal-Opus der Extraklasse. An anderen Stellen geht es deutlich kantiger und hektischer zu. Im entrückten, fesselnden 'Thorn' laufen einem auch mal freakig-jazzige Bläser über den Weg, während der Anfang an Finn Zierlers BEYOND TWILIGHT erinnert. Völlig schräg ist 'Waste Of Air', das mit amtlichem Geballer beginnt und sich dann in psychedelische Instrumental-Orgien entlädt. Manche dieser spacigen Passagen wirken wie eine ziemlich authentische Vertonung des wuseligen Lebens einer modernen westlichen Großstadt. Ein wirklich großartiges Stück spart man sich mit dem intensiven, spannenden 'Painful Detour' bis ganz zum Schluss auf. Neugierige, offene und geistig-ästhetisch wendige Musikliebhaber sollten sich unbedingt mal näher mit dieser wirklich außergewöhnlichen, hoch interessanten Band befassen. Einer noch höheren Wertung steht nur im Wege, dass nach meinem Empfinden das Exzentrische und Wechselhafte stellenweise zum Selbstzweck gerät und exzellente Kompositionsansätze manchmal unnötig wieder zerlegt werden. Aber das mag der eine oder andere ja gerade reizvoll finden.

Note: 8,0/10

[Martin van der Laan]


Wenn sich auf dem Artwork lauter hübsche, bunte Schwammerln befinden, dann dürfen wir davon ausgehen, dass es auf dem Album nur bedingt geradlinig und direkt zugeht. So verhält es sich dann auch bei den Norwegern von LEPROUS, die sich aus Meister Ihsahns Livemusikern rekrutieren und sich dem progressiven Metal verschrieben haben. Wo indes der EMPEROR-Fronter allein schon durch seine Stimme, aber auch durch die begleitenden Riffs an allen Ecken und Enden extremmetallische Momente einbringt, da fehlen diese bei den Aussätzigen aus Notodden in der Telemark. Rhythmisch vertrackt, gesanglich zwischen schön klar und bizarr abgedreht, und kompositorisch zwischen faszinierend und verstörend, ist den fünf Herren ein Album gelungen, das sich durchwegs auf höchstem Niveau bewegt, aber leider hier und da auch ein wenig an den Nerven zerrt. Daher bricht bei mir keine völlig Begeisterung aus, aber gut ist das schon, was die Band hier abliefert. Die bisherigen Durchläufe haben somit zwar noch Wünsche offen gelassen, aber ich werde der Band noch weitere Chancen geben, und vielleicht brechen doch noch die Dämme und das Album steigt noch höher in meiner Gunst. Ausschließen lässt sich das nicht.

Note: 7,0/10

[Rüdiger Stehle]

Redakteur:
Peter Kubaschk
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