Gruppentherapie: MICHAEL SCHENKER GROUP - "Don’t Sell Your Soul"
12.11.2025 | 16:18Hormonstress oder doch zu alt für das Ganze?
Kollege Walter attestiert dem verehrten Herrn Schenker in seiner Hauptrezension einen zweiten Frühling. Andere zählen derer hier sogar noch mehr. Tatsächlich könnte man ihm zumindest musikalisch den x-ten Frühling anheften, hat der mittlerweile 70-jährige Jungspund doch immer mal wieder große und größere Alben veröffentlicht. Eines dieser könnte "Don't Sell Your Soul" werden, nicht wahr? Platz 5 im aktuellen Soundcheck dürfte die These untermauern. Wir befragen dazu das Team.

Ich habe eine Schwäche für den Schenker-Michael. Seit ich das sensationelle "One Night At Budokan"-Doppel-Live-Album vor über 40 Jahren gefühlt ein Jahr lang auf meinem Walkman laufen hatte, bin ich ein bisschen Fan. Klar, in der Zwischenzeit gab es ein längere Phase mit weniger zwingenden Veröffentlichungen, aber in letzter Zeit haut er wieder ordentlich einen raus. Wie die jeweilige Konstellation nun heißt, für mich ist es immer ein Fest in meinem Tempel. Erst recht, wenn UFOs landen.
Heute gibt es nun mal wieder ein MSG-Album. Auch fein. Elf Songs voller Hooklines, die sofort kleben bleiben, aber die auch nicht abnutzen. Dies alles eingebettet in einen warmen, organischen Klang, bei dem ich gern noch ein bisschen mehr Bass gehabt hätte, aber das ist ein Nörgel-Ei mit viel Nivea. Die gewohnt erstklassigen Sänger verstehen es allesamt bestens zu unterhalten. Wer es etwas härter mag, wird mit dem rasanten 'Surrender' mit amtlichem Double-Bass-Feuer unter Strom gesetzt, während es mit 'Janey The Fox' wunderbar verträumten Spät-80er-AOR gibt, der mein flauschiges Himbeer-Herz sofort erobert hat.
In eine ähnliche Kerbe schlägt das treibende, von Michael Voss gesungene, 'Sign Of The Times'. Dagegen gibt mit dem knackigen 'The Chosen' oder dem dunklen 'Sixtstring Shotgun' (einer von zwei Robin-Mc-Auley-Nummern) aber auch Material mit weniger Kuschel-Effekt. Wobei gegen eben diesen ja in gewissen Momenten wenig auszusetzen ist. Vor allem dann nicht, wenn Michael mit seiner Flying V kuschelt. Hier hätte es gern noch ein bisschen intensivere Streicheleinheiten geben können, denn der Meister hat es immer noch mehr als drauf. Seine Riffs sind noch immer super griffig und die Soli gehen eh noch immer unter jede Entenpelle. Tolle Scheibe!
Note: 8,0/10
[Holger Andrae]
Meine Ausgangslage ist der von Holger nicht unähnlich, denn auch ich hab gerade als Gitarrist schon seit Jahren eine Schwäche für Michael Schenker. Ein Umstand, mit dem ich übrigens lange nicht alleine dastehe, denn ich wette, dass viele eurer Lieblingsgitarristen Mr. Schenker ebenfalls verehren. Der gute Mann hat an der Flying V eben einen unnachahmlichen Touch, den man sofort heraushört.
Trotzdem war ich mit den letzten Album-Ausflügen unter diversen Bannern seit den MICHAEL SCHENKER'S TEMPLE OF ROCK-Tagen nicht zu 100% glücklich, auch wenn es natürlich immer Highlights zu hören gab. Das ändert sich nun glücklicherweise mit "Don't Sell Your Soul", denn auf seinem neuesten MICHAEL SCHENKER GROUP-Langspieler liefert der Maestro mit diversen starken Gastsängern auf ganzer Linie ab.
Viele Highlights hat Holger bereits genannt, wobei ich persönlich den Titeltrack mit seinem famosen Gitarren-Hook noch einmal ganz besonders hervorheben möchte. 'Sign Of The Times' ist dagegen ein unheimlich vielseitiger Track, während 'Surrender' tatsächlich das Tempo ungewohnt anzieht und zeigt, dass Michael sich wirklich in jeder Spielart der Rockmusik wohlfühlt. Mehr Fingerflitzer-Einlagen vermisse ich dagegen nicht so sehr wie Herr Andrae, denn für mich war Michaels größte Stärke schon immer, dass er genau wusste, wie man sich mit Soli und Leads in den Dienst des Songs stellt. Entsprechend gibt's von mir auch einen Zähler mehr und einen gezogenen Hut vor einem Spätwerk, von dem sich viele Kollegen drei Scheiben abschneiden könnten.
Note: 9,0/10
[Tobias Dahs]
MSG hat nach meiner Ansicht drei brillante Alben veröffentlicht: Das waren die ersten beiden Studioalben und das Doppellivealbum, alle mit Gary Barden als Sänger. Das setzte so derbe hohe Standards, die die nachfolgenden Werke nicht erreichen konnten. Das neue Album "Don't Sell Your Soul" wartet wieder einmal mit Gastsängern auf, was ich bedauere, denn mir würde Erik Grönwall reichen: Er ist der mit Abstand beste Vocalist für MSG, man höre 'Mother Mary' vom UFO-Gedenkalbum. Okay, er singt wohl die meisten der Tracks, wie ich gerade sehe, daher ist es okay so.
Die Girarrenarbeit ist über jeden Zweifel erhaben. Die Songs bedienen melodischen Rock, manchmal mit härterer Schlagseite, meist aber ohne Axt, eher mit Lockenbürste. Ich bin für so etwas überhaupt nicht die Zielgruppe, dennoch gefällt mir Schenker immer noch. Warum nur?
Das Ganze ist zwar nicht mehr "Aaaaarmed Aaaaand Readyyyyy" wie auf dem Livealbum, aber mit Grönwall hat Michael einen Sänger, der seine Ideen nicht nur begleitet, sondern optimal mitfiebert und der echtes 80er-Flair herstellen kann: Er geht hoch, wenn es dramatisch werden soll, rockt, wenn das Solo naht und schmachtet, wie es Herren mittleren Alters tun, wenn das Bier kühl, die Dame des Herzens etwas jünger und der Bizeps angeschwollen ist. So entstehen elf gefühlvolle Rocknummern mit einer Prise Heavyness, die bisweilen richtig lässige Licks aus dem Ärmel schütteln: 'Janey The Fox' ist solch ein cooler Track, in dem der Hunter endlich jagen darf, wahrscheinlich nicht Schergen aus dem Karnutenwald, sondern haarspray-geschönte Damen mit Lederjacke und High Heels. Wir wissen es nicht, diese Musikform reproduziert immer auch Hormonstress.
MSG mag natürlich auch kitschige Herzschmerzklänge. Da denke ich kurz an NAGLFAR und DISSECTION und wenn dann der nächste Song sich meldet, bin ich wieder dabei. Mir liegt 'Sixstring Shotgun', rough and ready sozusagen. Im Grunde kann man das so völlig mainstreamige, uninnovativ-klassische Album hören, um locker und entspannt zu bleiben - ähnlich etwa DEF LEPPARD, MONTROSE, WHITESNAKE oder D:A:D. Und das ist auch eine Qualität, oder?
Note: 7,5/10
[Matthias Ehlert]
Unser blonder Saitenartist liefert in seinem - wievielten eigentlich? - Frühling durchgehend starke Alben ab. Das könnte auch das Fazit zu seinem 2025er Werk sein, denn allzu große Änderungen im Bandsound darf man von Michael und seiner Truppe natürlich nicht mehr erwarten. Stattdessen eben Qualitätsware mit wechselnden, durchgehend großartigen Sängern und dem typischen Gitarrensound des Niedersachsen in fetten Hardrock-Hymnen, die er in diesem Fall ein wenig mehr in Richtung AOR rückt.
Trotzdem gibt es keine besonderen Neuerungen im MSG-Camp, und das ist gut so! Einzig das Albumcover finde ich ausgesprochen hässlich, aber das muss ich mir beim Hören der Platte ja nicht anschauen.
Note: 7,5/10
[Frank Jaeger]
Mein erster nennenswerter Kontakt mit der MICHAEL SCHENKER GROUP ist noch frisch: Eher durch Zufall stand ich dieses Jahr plötzlich auf einem Festival vor der Bühne – und es gefiel mir doch ziemlich gut. Mir fehlen insofern die Vergleiche mit älteren Alben, die die Kollegen hier anführen, aber "Don't Sell Your Soul" knüpft an den positiven Eindruck vom ersten Live-Auftritt an.
Insofern schließe ich mich den bisherigen Ausführungen an. Gefällige und zeitlose Rock-Kost mit starken Gitarren-Sequenzen vom offensichtlichen Altmeister – die Band ist acht Jahre älter als ich. Erik Grönwall hat mich schon live überzeugt und tut das auch hier auf dem Album durch die Bank. Besondere Highlights sind für mich der titelgebende und sehr harmonische Track 'Don't Sell Your Soul' sowie das etwas schmutzigere 'Sixstring Shotgun'.
Note: 7,0/10
[Nils Pfennig]
Nun muss ich doch zumindest ein wenig skeptischere Töne anschlagen. Auch ich habe keinen besonderen Bezug zu den Frühwerken und betrachte den Künstler und seine Musik daher mit einer gewissen Distanz. "Don't Sell Your Soul" liefert elf solide Hard-Rock-Nummern – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist zwar schön, mal wieder ein wenig "Wah-Wah-Wah"-Sound zu erleben, doch insgesamt leistet sich das Album zu viele Fragezeichen auf dem schmalen Grat zwischen Zeitlosigkeit und gepflegter Altbackenheit.
Vieles klingt nach "Dad-Rock" und zwar mehr, als meinen Ohren gut tut. Hinzu kommt, dass der Fokus erwartungsgemäß stark auf der Gitarre liegt, während die Vocals etwas in den Hintergrund geraten. Prägnantere Hooks und eingängigere Refrains hätten dem Ganzen gutgetan, auch auf die Gefahr hin, sich dann dem Vorwurf zu poppiger Arrangements auszusetzen. Ja, selbst mit Ü70 hat man es künstlerisch nicht leichter.
Darüber hinaus hätte der Gesang eine Spur mehr Rauheit vertragen dürfen, und auch das Schlagzeug bleibt über weite Strecken zu brav und kraftlos. Am Ende ist das Album vor allem etwas für eingefleischte Fans, denn alle anderen finden in der umfangreichen Diskografie genügend alternative Höhepunkte für den (Wieder-)Einstieg. Oder sie halten es wie ich und greifen lieber zu vermeintlich "frischeren" Bands wie H.E.A.T oder ECLIPSE.
Note: 6,5/10
[Stefan Rosenthal]
Fotocredits: Ross Halfin (Promo-Foto) und Frank Jäger (aufgenommen auf dem Bang Your Head-Festival 2019)
- Redakteur:
- Marcel Rapp





