Gruppentherapie: NANOWAR OF STEEL - "Dislike To False Metal"

01.04.2023 | 22:13

Die Italiener NANOWAR OF STEEL haben ein neues Album am Start. So weit, so gut. Und auch nach meinem Interview mit der Truppe hätte ich nicht erwartet, wie unterschiedlich "Dislike To False Metal" aufgenommen werden kann. Ladies and gentlemen, ihr wisst was das bedeutet? It's time for a Gruppentherapie of Steel! Here we go!

Unser lieber Micha hat seine Gedanken bereits in Form der Hauptreview niedergeschrieben. Hier könnt ihr diesen folgen. Und auch Hanne hat ihre Meinung in Reviewform gegossen, die von Michas Eindrücken deutlich abweicht und die ihr hier findet.

 

Nicht viele Alben haben unsere geliebte Redaktion in den letzten Wochen derart gespalten wie es "Dislike To False Metal" der Herrschaften NANOWAR OF STEEL letztendlich tat. Doch mir kribbelt es bei all den gelesenen Zeilen kräftig unter den Fingernägeln, zeigte doch schon mein Interview mit den Italienern, mit wie viel Sarkasmus sie an ihre Alben herantreten. Die Band klingt nach Disco, nimmt die Trve-Metal-Gefolgschaft und andere Genres aufs Korn, hat sehr viel Pop-Appeal, driftet in Symphonic-Metal-Gefilde ab und ist Abwechslung pur. Und wie viel Ironie vertreten ist, zeigen 'Sober', die Kollaboration mit dem SABATON-Brodén, die Trauer über verlorene Endspiele und nahezu alle Sekunden dieses neuen NANOWAR OF STEEL-Albums, das mir inmitten einer sehr ernsthaften Zeit schlicht und ergreifend ob dieser parodistischen Herangehensweise an Stereotypen locker flockig meine Bäckchen zum Lächeln und meine Wangen zum Schmunzeln bringt. Ja, sehr häufig ist "Dislike To False Metal" auch einfach drüber und ich schüttele lachend und "Ohweia" sagend den Kopf, aber exakt das ist das Ziel der neuen NANOWAR OF STEEL-Scheibe. Denn bei genauerer Betrachtung erfüllt dieses Album seine Aufgabe: Meine doch durch Krieg, Krise und Corona sehr ernsthaften Gedanken zumindest für die Spielzeit von zehn Songs einmal mit Un-, Blöd-, Schwach- und Wahnsinn durchzuspülen und Freude am allseits bekannten Quatsch, der jedoch sehr professionell, handwerklich tiptop und sogar mit dem einen oder anderen Ohrwurm versehen, zu bekommen. Und genau aus diesem Grunde macht die Platte mir persönlich sehr viel Freude.

Note: 8,0/10
[Mighty Marcelus Rappus Of Dragonflame And Steel]

8 Punkte von Marcel für "Dislike To False Metal"? Ich glaube, ich habe noch nie etwas so komplett anders gehört, wie das mein lieber Kollege und Freund hier tut. Nun ist für mich die Kombination aus Witz und Musik schon immer schwierig und es gibt nur wenige Künstler, die wie FARIN URLAUB (zumeist solo, denn mit den ÄRZTEN blödelt er auch oftmals zu viel) oder STOPPOK pointierte Texte mit musikalischer Finesse verbinden. Andere Bands machen stattdessen eine große Arschbombe in den Kitsch-Pool, um sich in Klamauk, Blödelei und einem Humor zu suhlen, den selbst ein pubertärer Teenager zu peinlich finden würde. Zur letzeren Kategorie gehören auch die Italiener NANOWAR OF STEEL, die auf ihrem neusten Silberling wieder einmal alles parodieren, was Metal macht und nicht bei Drei auf dem Baum ist. Das Problem ist dabei, dass das Ganze so unterhaltsam ist wie eine Komödie von Bully Herbig: Ganz selten lacht man mal herzhaft auf, großteils schlägt man aber ob der flachen Witze die Hände über dem Kopf zusammen oder möchte vor Fremdscham direkt im Boden versinken. Den absoluten Tiefpunkt markiert dabei 'Disco Metal', das wohl gerne die sowieso schon unsäglichen musikalischen Ausflüge zwischen schlechtem Techno und Schlager auf die Schippe nehmen möchte, die ELECTRIC CALLBOY seit einiger Zeit gerne unternimmt. Als kurzer Clip auf Tik-Tok würden diese Parodien sicher auch funktionieren und beim flotten Scrollen durch den Feed ein kurzes Schmunzeln auslösen, doch in Form eines Albums ist das einfach zu gehaltlos und schlicht und ergreifend überflüssig. Für die handwerklichen Fertigkeiten der Musiker, die auch Marcel schon korrekterweise gelobt hat, gibt es schlussendlich 4,5 Punkte, ansonsten kann ich euch dieses Musik gewordene Folterinstrument nur empfehlen, wenn ihr in der christlichen Fastenzeit zu Kreuze kriechen möchtet und euch die Selbstkasteiung noch nicht schmerzhaft genug ist.

Note: 4,5/10
[Tobias "Slayer Of Comedic Metal Nonsense" Dahs Of Fire]

Nein, einfach nein. So in etwa war meine Reaktion auf die Rezension von Kollege Micha. Und nun tritt auch noch Tobias auf die bereits von vernichtenden Reviews geschundenen Italiener ein. Dabei muss es doch klar sein, dass Humor noch mehr als Musik bei jedem anders funktioniert und somit auch nicht ausdiskutiert werden kann. Vielmehr geht es doch darum, was will uns NANOWAR OF STEEL sagen und warum funktioniert es für mich anscheinend signifikant besser als bei JBOs "Pink Planet"? Ganz einfach, das Konzept ist stimmig, die einzelnen zu parodierenden Elemente sind stark herausgearbeitet und musikalisch großartig umgesetzt. Um mal eine künstlerisch unbestrittene Referenz zu nennen, verweise ich auf die ERSTE ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG, welche auch mit Songs wie 'Drei weiße Tauben' etwas karikiert (deutschen Schlager), indem sie diesem den Spiegel vorhält. Genauso funktioniert "Dislike To False Metal", wo sich die Band genau die Sub-Arten und Bands vornimmt, welche eh schon in der Metalgemeinschaft für Stirnrunzeln auf der einen Seite und feuchtfröhliche Begeisterung auf der anderen sorgen. Es geht wohl also nicht ohne Track by Track-Analyse.

Die ALESTORM-Persiflage 'Sober' als Opener ist nicht nur deutlich erkennbar, sondern hätte auch perfekt zwischen 'Cannonball' und 'P.A.R.T.Y.' auf "Seventh Rum Of A Seventh Rum" gepasst. Dass man dem volltrunkenen Malle-affinen Festivalpublikum so simpel die Realität aufzeigt, ist schon gelungen (auch wenn es im Real-Case seine Wirkung nicht erzielen wird). Die Schuppen-Hymne 'Winterstorm In The Night' ist zwar textlich wirklich totaler Mumpitz, aber das sind viele der sogenannten Hymnen von BEAST IN BLACK und BATTLE BEAST auch und dieser AOR-Schunkler mit weiblichem Gastbeitrag und grauenhaft klebrigem Synthgeklimper hätte auch perfekt von einer dieser übertrieben gehypten Truppen stammen können. Mission completed. Mit 'Disco Metal' kriegen dann alle Trancecore-Bands und ihre Vorliebe für Eurodance einen auf die Mütze. Die Autotune-Vocals sind traumhaft stümperhaft und der Beat hat sich direkt in meine 1990er-Playlist gesprengt. Stumpf ist Trumpf. Mit 'Muscle Memories' folgt die typische 80er USA-Schmalzballade, welche auch heute noch von vielen in der Szene so abgefeiert wird. THE NEW ROSES, JOHN DIVA oder KISSIN' DYNAMITE dürfen sich ruhig angesprochen fühlen. Wie großartig ist eigentlich das überlange 'Chupacabra Cadabra'? An einer solchen Pagan-Folk-Crossover-Nummer hatte ich seit 'Stone Cold Metal' von ENSIFERUM nicht mehr gefühlt so viel Spaß. Wahnwitziges Storytelling und eine Heldengeschichte, welche so absurd episch erzählt wird, dass ich nicht weiß, wie die Originale das zeitnah toppen wollen.

Als nächstes kommt der Hit der Scheibe und ein echtes 10-Punkte-Monster. Punkt. Der Song klingt auch ohne Joakim Broden schon zu 100% nach SABATON und ist dabei besser als vieles, was die Schweden auf ihren letzten Alben veröffentlicht haben. Dieser Song ist aber viel mehr. Ständig werden sie zurecht für ihren unsensiblen und unkritischen Umgang mit der Kriegsmaterie kritisiert und nun setzt NANOWAR OF STEEL das in den Fußball-Kontext und definiert somit den Begriff Fußballschlacht (wie Pasadena 1994) neu. Textzeilen wie "Baresi shot towards Japan like a North Korean warhead" und "Albertini lights up the crowd as napalm in Vietnam" sind sowas von outside the box, dass man eine Debatte über politische Korrektheit gar nicht mehr anstoßen braucht. Dabei kritisieren die Italiener nicht nur die ungefilterte Konsumbereitschaft der SABATON-Hörer, sondern auch auf einer zweiten Ebene die Gewaltbereitschaft und Militarisierung der italienischen Fußballseele, welche Spiele mit Kriegserfahrungen gleichsetzt und so fast unweigerlich zu Ausschreitungen und Gewaltzuspitzungen führt. Ja, 'Pasadena 1994' ist mehr als nur ein fetter, kleiner Hit, sondern eine zutiefst bitterböse Pille, die uns hinterfragen lässt, was wir halt alles so konsumieren, ohne kritisch einzuordnen.

Das nachfolgende 'Metal Boomer Battalion' präsentiert sich dann als textlich gelungene Situationsbeschreibung der täglichen Grabenkämpfe im World Wide Web. Musikalisch passt der Kampfanzug aus etwas POWERWOLF und modernen (natürlich) MANOWAR bestens. Mit 'Dimmu Boogie' folgt zwar eine schöne Rockabilly-Nummer, welcher aber inhaltlich nicht so wirklich zum Rest des Albums passen will und für mich etwas wie ein Fremdkörper wirkt. Ähnliches gilt auch für die Boygroup-Verarsche 'Protocols (Of The Elder Of Zion)', welche aber auch in Summe wie ein schlechter WEIRD AL YANKOVIC- Rip-off klingt. Bleibt der Albumabschluss und die namensgebenden Landsmänner von RHAPSODY OF FIRE dürfen nochmal unter die Räder kommen. Hyperspeed ohne Sinn und Verstand, wirre zusammenhanglose Querverweise aus anderen Genres und Fantaghirò-und Muppets-Chöre bis zum Fremdschämen. Zum Schluss also noch mal eine Punktlandung in Form von 'The Power Of Imodium'. Die Band schafft es also konsequent die Diskografie der parodierten Bands um einen jeweils weiteren erstklassigen Song zu erweitern. Dafür verdient sie meine Hochachtung, auch wenn ich mit dem jeweiligen Genre oder der Combo nichts anfangen kann. Dieses darf und kann aber meine Note nicht beeinflussen, denn das, was die Italiener wollen, haben sie bis auf zwei Ausnahmen konsequent und stark umgesetzt. Also vielleicht nicht euer Humor und auch nicht eure Musik, aber auf jeden Fall Prädikat: künstlerisch wertvoll.

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal] [Unser Stefan ist bereits ein Superheld, sodass er kein Pseudonym braucht. - Anm. MR]

Puh, ob überhaupt noch jemand meine Meinung liest nach Stefans ausführlicher Stellungnahme zu "Dislike To False Metal"? Nun, ich hoffe es einfach mal. Und das, was Stefan positiv hervorhebt, nämlich die gelungenen Band-Parodien, sind mir bislang nicht besonders als Parodien aufgefallen, da ich nicht sonderlich auf die Texte geachtet habe. Natürlich sind auch mir die musikalischen Parallelen zu ALESTORM in 'Sober', zu SABATON in 'Pasadena 1994', zu GLORYHAMMER in 'Metal Boomer Battalion' oder zu ELECTRIC CALLBOY in 'Disco Metal' nicht verborgen geblieben. Okay, wo ich es schreibe, fällt mir alleine an den Songtiteln auf, dass es sich um Parodien handelt. Aber auch das stört mich letztlich nicht an "Dislike To False Metal". Mich stören diese dauerhaften Stil-Wechsel. Natürlich sind die bei dem Konzept des Albums zwingend erforderlich. Aber spätestens ab 'Chupacabra Cadabra' fängt es an, mich richtig zu nerven und die Songs gehen mir ehrlich gesagt immer mehr auf den Sack. Wenn mal ein einzelner Track irgendwo läuft, hätte ich damit keine großen Probleme, aber auf Albumlänge, da bin ich ganz bei Tobias, funktioniert es für mich einfach nicht und erreicht letztlich das Gegenteil von dem, was NANOWAR OF STEEL eigentlich erreichen möchte, denn statt guter Laune hab ich schlechte Laune, bin nur genervt und brauche dringend andere Musik. Wo ist die neue HATESPHERE? Die brauche ich jetzt...

Note: 4,5/10
[Mario "The Mighty Magic Mammoth" Dahl]

 

Fotocredits: Napalm Records

Redakteur:
Marcel Rapp

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