Gruppentherapie: NIGHT DEMON - "Outsider"
20.03.2023 | 14:58Das dritte Album der Kalifornier hat es faustdick hinter den Ohren, was nicht nur diese formidable Platzierung in unserem März-Soundcheck unter Beweis stellt. NIGHT DEMON hat mit "Outsider" eben bockstarke neue Musik im Gepäck, die beinah durch die Bank weg zu begeistern weiß. Da es zwischen all den Lorbeeren auch einige kritische Stimmen gibt, nehmen wir dieses Album zum Anlass einer neuen Gruppentherapie. Herausgekommen ist eine der interessantesten Therapiesitzungen in der POWERMETAL.de-Historie!
Unser lieber Jens hat sich auch etwas ausführlicher mit "Outsider" beschäftigt. Zu der Review kommt ihr hier.
"Outsider" ist nicht nur ob der Tatsache, im Zuge unserer Pommesgabel mit Frontmann Jarvis gesprochen zu haben, eine meiner meistgehörten Scheiben im März dieses Jahres. Das dritte NIGHT DEMON-Album hält auch das, was es verspricht. Und das ist bockstarker, spritziger und facettenreicher Heavy Metal, wie er auch auf den vorangegangenen beiden Alben der Kalifornier praktiziert wurde. Die einzige Schwachstelle ist die kurze Laufzeit mit nur 35 Minuten, hat man nach dem 'The Wrath'-Abschluss doch noch immer Blut geleckt, um locker drei, vier neue Granaten aus dem Hause NIGHT DEMON vor den Latz geworfen zu bekommen. Umso besser, dass auch nach dem mehrmaligem Genuss noch keine Gebrauchsspuren sichtbar sind, denn sobald der Spaß mit dem Titeltrack wieder von vorne losgeht, wird die Matte geweht, die Faust gereckt, der Head gebangt und voller Inbrunst solche geilen Refrains wie 'Obsidian', 'Rebirth' oder 'Escape From Beyond' mitgesungen. "Outsider" ist ein schwermetallisches Kraftpaket, das auch ob des übernatürlichen Konzepts und des starken Artworks Pluspunkte am laufenden Band sammeln darf. Beide Daumen hoch.
Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]
Ich muss ein bisschen die Spaßbremse für Marcels Begeisterungszug spielen, denn so restlos überzeugt von "Outsider" wie mein Kollege bin ich nicht. Großteils liegt das daran, dass das Konzept hinter der Scheibe, das auf der gleichnamigen Kurzgeschichte H.P. Lovecrafts basiert, dem Songmaterial zwar ein etwas abwechslungsreicheres Gesicht verpasst, gleichzeitig aber auch die Hit-Maschine von Jarvis und seinen Mitstreitern etwas an die Kette zu legen scheint. Ich jedenfalls entdecke hier nicht so viele zweifellose Volltreffer, wie ich sie ansonsten von NIGHT DEMON gewohnt bin. Schlecht ist der Silberling natürlich dennoch beileibe nicht und Jarvis ist mit seinem charismatischen Organ noch immer das Feuer im oldschooligen Heavy-Metal-Ofen, dessen Sympathie und Energie sich problemlos auch ins heimische Wohnzimmer übertragen und einen von der bequemen Couch holen. Ebenso kratzen 'Obsidian' und 'Rebirth' am Hit-Status und sind für mich die klaren Höhepunkte einer Scheibe, die ingesamt aber eben nicht so viele Ohrwürmer bietet wie etwa "Darkness Remains". Doch auch mit diesen minimalen Einschränkungen bleibt NIGHT DEMON eines der heißesten Eisen im klassischen Schwermetall-Sektor und so geht der Sieg in unserem Soundcheck im März auch mehr als in Ordnung.
Note: 8,5/10
[Tobias Dahs]
Wenn Tobi sich mit seinen 8,5 Punkten als "Spaßbremse" bezeichnet, kommen jetzt die Rufe aus dem Wäschekeller. Aber stop, zunächst ein Disclaimer: Ich werde Jarvis Leatherby für immer dafür dankbar sein, dass er es schaffte, den Metal-Leviathan CIRITH UNGOL wieder zum Leben zu erwecken. Mit NIGHT DEMON tritt er allerdings bewusst aus dem Schatten des Urgesteins und versucht sich an einer eigenen Interpretation des klassischen Metals - deswegen muss ich meine Sympathie für den Backenbartträger zugunsten einer ehrlichen therapeutischen Betrachtung zurückstellen. Die Band bedient sich nahezu aus allen Epochen der harten Musik. 70er PRIEST trifft auf 2000er Skate-Rock-Elemente, MAIDEN auf Doom. Das ist erst mal cool, denn nichts ist langweiliger als die wiederholte Best-Of-Kompilation von Kultbands, die nicht von den Bands selbst kommt - wobei Ausnahmen wie THEM/KING DIAMOND natürlich die Regel bestätigen. Noch cooler wäre es allerdings, wenn das Ergebnis nicht so abgehangen klingen würde. Denn mehr als das Prädikat nett erreicht der Nachtdämon zu keinem Zeitpunkt. Eher fallen die Ausreißer nach unten ins Gewicht: 'A Wake' nervt in seiner Nöligkeit (bitte bei GRAVEYARD zur Nachhilfe gehen), 'Beyond The Grave' möchte viel, vergisst aber, dass Epik nicht durch pseudoverkopftes, zerrissenes Songwriting entsteht. Für mich klingt das Album blutleer, ohne Punk in der Faust.
Wenn ich auf Ursachenforschung gehe, wandere ich gedanklich nach Norwegen: AUDREY HORNE hatte eine tolle Phase, in der die Band Historisches mit Verve in einen ganz eigenen Mix gebracht hat - und durch einen herausragenden Sänger sowie einen Ausnahmegitarristen ihren eigenen Stempel aufdrücken konnte. NIGHT DEMON scheitert daran: Weder ist das Songwriting einzigartig, noch sind es die Musiker in ihrem Spiel, und auch Leatherby kann mich mit seiner Röhre nicht mitreißen. Am Schluss lässt sich festhalten: "Outsider" ist Musik zum Wäsche aufhängen: nicht überfordernd, teils sogar ein spritziger Motivationsschub zum Socken aufschütteln - aber meistens recht bieder und Dienst nach Vorschrift. Und irgendwie bin ich danach froh, wenn die Wäsche hängt und die 35 Minuten durchgestanden sind.
Note: 6,0/10
[Julian Rohrer]
Man könnte meinen, der Julian hätte die aktuelle GATEKEEPER-Scheibe im Player gehabt anstatt der wunderbaren NIGHT DEMON. Für mich ist und bleibt NIGHT DEMON eine härtere Variante von HIGH SPIRITS und glänzt auf "Outsider" durch eine dynamische Lockerheit, die so vielen verkrampften und hüftsteifen Metal-Platten dieser Tage abgeht. Man hat das Gefühl, hier wird auf höchsten Level mit einem Augenzwinkern musiziert. Bei mir jedenfalls sorgt "Outsider" jenseits aller Detailanalysen vor allem mal für gute Laune - und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wenn dann ab und zu noch mal das coole SLOUGH FEG'sche Schrägietum durchschimmert, passt in meinen Ohren einfach alles zusammen. Und ganz ehrlich: Das lyrische Konzept ist mir hier ziemlich egal. Darum erkenne ich auch nicht, was an 'Beyond The Grave' falsch sein soll. Höchstens, dass man hier mit etwas dickeren Eiern und einem Organ wie dem von David Wayne ein 'Watch The Children Pray' draus hätte machen können. Aber das ist nun Klagen auf ganz hohem Niveau. Auch wenn Songs wie 'Rebirth' mit tollen Melodien vor sich hin mäandern, erkenne ich hier keine Ziellosigkeit, sondern eine erwachsene Spielfreude, die mich einfach nur glücklich macht. Abschließend sei noch die Bemerkung erlaubt, dass es viel mehr Alben mit 35 Minuten Laufzeit geben sollte. Ich habe nie verstanden, warum man so etwas fast schon zwanghaft mit Mittelmaß und Ausschuss auf eine Stunde strecken muss. Somit beide Daumen hoch für NIGHT DEMON und ein stilsicheres Metal-Album ganz nach meinem Geschmack.
Note: 9,0/10
[Martin van der Laan]
Obwohl ich fraglos der größte CIRITH UNGOL-Fan im Hause sein dürfte, bin ich unterm Strich allein vom Gefühl her leider erst einmal eher bei Julian als bei den anderen drei Kollegen, die vor mir sprachen, denn bei allem riesigen Respekt für Jarvis Leatherby und seine Band, bin ich doch nie so richtig warm mit NIGHT DEMON geworden. Der Dämon ist eine tolle Liveband, immer schweißtreibend und mit wahnsinnigem Drive, und auch auf den Alben weiß es durchaus zu gefallen, was Jarvis und seine beiden Mitstreiter so in bestem NWoBHM-Worship vom Stapel lassen, doch der letzte Kick fehlt mir irgendwo, ohne dass ich es so recht an Punkten festmachen könnte, die mich wirklich stören würden. Wobei Martin vielleicht das richtige Stichwort geliefert hat, indem er HIGH SPIRITS erwähnte, denn mit den Jungs aus Illinois geht es mir ebenso: Toll, so lange es läuft, aber es bleibt echt wenig hängen, weil es doch sehr glatt durch die Lauscher flutscht. Das rockt, das bockt, und ist zu jeder Zeit sehr gefällig, aber mir fehlen die großen Momente, ja, vielleicht fehlt mir die Epik, und die SLOUGH FEG'sche Eigenwilligkeit finde ich halt nicht einmal im Ansatz wieder. Dessen ungeachtet - und daher ist die Note am Ende besser, als es die vorstehenden Sätze erwarten ließen - hat die Scheibe aber richtig fette Riffs zu Hauf, ist Jarvis' dunkle Stimme dann doch irgendwo etwas Besonderes, und zudem hat das Album einen verdammt coolen Basssound, der immer mal wieder auch Herrn DeMaio ein Schmunzeln abringen dürfte. Dass es mit 'Beyond The Grave' dann auch noch einen richtigen, veritablen, halbballadesken Hit gibt, tut ein Übriges.
Note: 8,0/10
[Rüdiger Stehle]
Julians Investigativ-Bericht aus dem Rohrerschen Wäschekeller weckte eine tief in mir schlummernde Assoziation mit einem unterbehosten Hinterteil, nämlich dem von "Cirith" Leatherby oder wahlweise Jarvis "Ungol". Jenes drückte sich nach NIGHT DEMONs-Zusatz-Gig am 30.05.2017 urplötzlich verschwitzt an die Seitenscheibe des vor der "Zille" in Göppingen stehenden Kleinbusses, neben dem ich mir gerade ein Getränk zuführte. Doch genug von verstörenden Musiker-Wäschewechseln: Ich bin ganz im Lager Julian/Rüdiger! Die Musik der "Must see"-Live-Maschine NIGHT DEMON auf Tonkonserve gebannt, konnte mich bisher noch nicht wirklich derart begeistern, dass es zu Dauerrotationen geführt hätte, und das trifft auch auf "Outsider" wieder zu: Da fehlen mir einfach überwiegend wirklich prägnante Hits und Riffs. Ja, das von Rüdiger beschriebene "glatte-durch-die-Lauscher-Flutschen" trifft es schon recht gut bei mir. Die teils durchschimmernde brachiale Härte, die ebenfalls auch auf den vorausgegangenen drei Tonträgern ausgemacht werden kann, ist ein massives Live-Element der drei Mannen aus Ventura, das speziell auf der neuen Scheibe zwar immer mal wieder, jedoch insgesamt nur punktuell eingebracht wird. Tatsächlich finde ich die langsamen, klangvollen Gitarrenparts am verlockendsten und, das neue Album betreffend, am Besten gelungen; vor allem die etwas rüde durch den harschen Beginn des nachfolgenden Titeltracks unterbrochene 'Prelude' hat es mir angetan. Julian hört auf "Outsider" Skate-Rock-Elemente heraus und ich stimme dem zu: Vor allem 'Outsider', 'Escape From Beyond' und 'A Wake' weisen in Gesang und Gitarrenarbeit klangliche Parallelen zu Li-La-Laune-College-Rock auf, womit ich vielleicht den wahren Grund für Martins überbordende Glücksgefühle beim Hören dieser Scheibe gefunden hätte. "Bockstark", um Marcel zu zitieren, finde ich entgegen Herrn Rohrers Erleben gerade eben 'A Wake', weil es atmosphärisch für mich der zweitbeste Song des Albums ist. Den diesbezüglich besten verschmäht J.R. ebenfalls, der hört auf den Titel 'Beyond The Grave'. Summa summarum: Da ich Julians 6 Punkte als etwas hart empfinde und Rüdigers deren 8 als zu nett, sortiere ich mich in unserem Bewertungsreigen mit 7 Zählern ein.
Note: 7,0/10
[Timo Reiser]
- Redakteur:
- Marcel Rapp