Gruppentherapie: OVERKILL - "Scorched"

18.04.2023 | 14:12

Unfassbar, aber wahr: Seit 19 Alben ist OVERKILL eine absolute Bank! Und auch Bollwerk Nummer 20 verspricht eine Abrissbirne der feinsten Thrash-Metal-Art zu werden. Darüber sprachen wir bereits im Podcast ausführlich mit Frontsirene Bobby. Was die übrige Redaktion zu "Scorched" zu sagen hat, erfahrt ihr in unserer neuesten Gruppentherapie.

Auch ein ausführliches Review darf natürlicht nicht fehlen. Das kommt diesmal von Mario und lässt sich hier nachverfolgen.

 

Auf OVERKILL ist einfach Verlass. Seit dem Überalbum "Ironbound" und meiner Wiederentdeckung dieser durch und durch tollen Truppe servieren uns Bobby und Co. in regelmäßigen Abständen die Thrash-Metal-Leckerbissen und jedes, aber auch wirklich jedes Mal munden sie. "Scorched" bildet da keine Ausnahme, auch wenn ich auf diesem saftigen Stück Fleisch etwas länger rumkauen musste als noch auf "The Wings Of War" oder eben dem 2010er Bolzenschneider. Doch nach dem dritten, vierten Durchgang läuft die Platte runter wie Öl, hat diesmal etwas mehr Groove als Gewalt, was OVERKILL anno 2023 jedoch außerordentlich gut steht, und hat mit 'Wicked Place', der 'The Surgeon'-Single sowie 'Harder They Fall' auch die obligatorischen Hits am Start, die bei den künftigen Live-Shows in wenigen Tagen nicht fehlen dürfen. "Scorched" ist einfach eine durch und durch gute OVERKILL-Platte, zeigt eine nimmermüde Band, die sich auch im 20. Plattenansturm von ihrer arschcoolen Seite zeigt und nach 43 Jahren noch die heimischen Wohnzimmer zu zerstören weiß und hämmert in jedermanns Schädel, dass man sich auf die alten Säcke noch verlassen kann.

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

OVERKILL ist ein unglaubliches Powerhouse! Wer seit 1985 regelmäßig Alben veröffentlicht und nun mit "Scorched" das 20. (!) Opus vorlegt, dem  gebühren auf jeden Fall Respekt und Anerkennung. Bei dieser Veröffentlichungsfreude ist es gar nicht so einfach, immer mitzuhalten. Habe ich "The Grinding Wheel" (2017) wohlwollend aufgenommen, ist das letzte Werk "The Wings Of War" (2019) beinahe an mir vorbeigegangen. Was aber am bemerkenswertesten ist, ist der Umstand, dass die Qualität der Musik trotz der Quantität nicht wirklich nachlässt. Klar, OVERKILL bleibt OVERKILL, bleibt OVERKILL, es finden sich aber stets neue, frische Nuancen, so auch bei "Scorched". Zu allererst fällt wiederum positiv der räudige, aber druckvolle Thrash-Sound der Platte auf, vor allem der Bass tönt richtig schön saftig durch die Boxen. Dass Bobby Blitz mit seinen fast 64 Jahren weiterhin wie ein junger Gott singt und krächzt, ist einfach krass. Er schafft es, jedem Song eine eigene Note aufzudrücken. Am meisten gefällt mir OVERKILL, wenn sich zum Thrash eine Prise Rock 'n' Roll gesellt, so in 'Goin Home', 'Wicked Place' und 'Bag O Bones'. Mein Highlight hört aber auf den Namen 'Fever', da es sich in etwas andere Fahrwasser traut und mit herrlichem Riffing daherkommt (inklusive Ozzy Osbourne-Gedächtnis-Gesang). Der Titeltrack und 'The Surgeon' sind hingegen typische Abrissbirnen, die aber nicht minder knallen. Herzlichen Glückwunsch, so kann es gerne noch 20 Platten weitergehen.

Note: 8,0/10
[Jakob Ehmke]

War der Vorgänger "The Wings Of War" schon ein ziemlich starkes Statement an die Konkurrenz, dass auch 39 Jahre nach Gründung noch mit den New Yorkern zu rechnen ist, so setzen sie in Sachen Qualität vier Jahre später noch einen drauf. Zwar wird das Gaspedal auf "Scorched" nicht ganz so oft wie beim Vorgänger durchgetreten, doch andere Qualitäten, die der Band überaus gut zu Gesichte stehen, werden stärker herausgearbeitet. So tönt neben 'Won't Be Comin' Back’ auch 'Goin' Home', der mein persönliches Highlight der Platte ist, ziemlich melodisch aus den Boxen, während man bei 'Bag O' Bones' mit einer Coolness durch die Gegend rockt, die ihresgleichen sucht. Mit dem Titeltrack, 'The Surgeon' und mit 'Twist Of The Wick' lässt man darüberhinaus die nötige Aggressivität nicht vermissen und garniert das Ganze auch mit ungewöhnlichen Elementen, wie den Choreinsätzen bei 'Twist Of The Wick', die sich aber ziemlich gut einfügen. Insgesamt ist den Jungs um Bobby Blitz und D.D. Verni wieder einmal ein Album gelungen, das zeigt, dass OVERKILL nicht nur Mittelmaß im Thrash darstellt, sondern ganz klar zur Speerspitze gehört.

Note: 9,0/10
[Kenneth Thiessen]

Puuh, fast vierzig Jahre OVERKILL und 20 Alben! Das ist in der Tat ein persönlicher Overkill, aber ein Freudenfest für die scheinbar ständig ausgehungerte Thrash-Metal-Seele. Und einmal mehr kann ich dieses grundsätzliche Abfeiern von Riffs und Nackenbrechern nicht wirklich nachvollziehen. Seit dem 1999er Werk "Necroshine" begleitet mich OVERKILL penetrant bei meiner metallischen Sozialisierung und erreicht doch nur selten meine Aufmerksamkeit. Wie ein Nachbar in einem Mehrparteienwohnhaus, von dem man weiß, dass er nun mal da ist und einen ständig in ein Gespräch verwickeln möchte, aber man selbst den persönlichen Kontakt so niedrig wie möglich hält. Doch dann gibt es plötzlich diese Tage, wo der Nachbar aus unerfindlichen Gründen die Flurwoche übernimmt, das dringende Paket annimmt oder sich tatsächlich über die nächtliche Grindcore-Orgie nicht beschwert. Genau so ein Moment ist OVERKILL mit "Scorched" gelungen. Wie Jakob schon richtig sagt, im Endeffekt ist es immer noch der gleiche Mitbewohner, aber mit 'Twist Of The Wick', 'Fever' und insbesondere mit dem Hit 'Won’t Be Coming Back' hat er plötzlich Knaller in petto, welche ich so nicht erwartet habe, sodass ich finde, man darf schon mal auf die gemeinsamen Jahre der friedlichen Koexistenz anstoßen. Gerne weiter so. Zwar kann ich mit meinem anderen Thrash-Nachbarn NECRONOMICON diesen Monat noch etwas mehr anfangen, aber vielleicht nehme ich für OVERKILL auch mal ein Paket an. Hat er sich verdient.

Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]

Eins muss man OVERKILL lassen, die Konstanz der Truppe um Bobby "Blitz" Ellsworth ist schon wirklich beeindruckend. Und auch "Scorched" stellt definitiv keinen Ausfall in der umfangreichen Diskografie der Thrash-Dauerbrenner dar, sondern untermauert, dass die New Yorker die AC/DC des Thrash Metal sind. Dennoch kommt mit der Konstanz für mich persönlich auch ein Problem, denn da mich bisher kein Album der OVERKILLer so recht abholen konnte, ergeht es dem 20. Langdreher dann eben ganz genauso. Die Songs sind allesamt gut, feuern gerade in Sachen Riffs auf allen Zylindern und ich muss Stefan Recht geben: 'Won't Be Coming Back' hat wirklich einiges an Hit-Potential im Gepäck. Dennoch bleibt Bobbys Stimme bei aller vorhandenen Wucht ein Faktor, mit dem ich einfach nicht so recht warm werde und der eine komplette OVERKILL-Sitzung auf Albumdistanz für mich zu einer anstrengenden Angelegenheit macht. Das Songmaterial bleibt insgesamt aber weiterhin so stark, dass eben mein Interesse geweckt bleibt und ich definitiv auch beim 21. Album hineinhören werde, in der Hoffnung, dass der OVERKILL-Funke bei mir endgültig überspringt. Bis dahin landet "Scorched" aber wohl eher selten im Player und bei der ab und an aufkommenden Lust auf einen Thrash-Abriss werde ich doch zu anderen Bands oder den Klassikern der OVERKILL-Diskografie greifen.

Note: 7,5/10
[Tobias Dahs]

Eigentlich wollte ich ja meine Finger zur neuen OVERKILL still halten, aber nachdem ich lese, was hier so geschrieben wird, juckt es mich dann doch in den Krallen. Ich fand die letzten Alben musikalisch alle gut, fühlte mich vom Soundbild aber massiv erschlagen, sodass die Teile hier nicht oft laufen. Nun teste ich also "Scorched" ohne sehr große Erwartungshaltung an und bin vom Fleck weg ziemlich angetan. Der vermeintliche Störfaktor Gesang, den Kollege Tobias hier als Stolperstein hört, war für mich von jeher eher der Anker im Loudness-War-Krieg, denn Blitz' kratzbürstig-bellendes Geshoute ist eines der Originalitäts-Merkmale aus dem Hause OVERKILL. Klar, den kann man auch nicht gut finden. Dann hört man aber mit komischen Ohren. Ebenso irritiert mich die Aussage mit dem Nachbarschaftsvergleich. Gut, wenn man die Band erst mit dem Gurken-Album "Necroshine" kennen gelernt hat, ist das vielleicht etwas nachvollziehbarer, aber auch danach gab es doch ausreichend Qualitätsmaterial. Und innerhalb des Thrash-Genres finde ich OVERKILL schon immer ziemlich abwechslungsreich. Und genau von diesen Boni, Feinschmecker reden ja von Bonüssen, profitiert "Scorched". Durch das aufgeräumtere Klangbild kommt die alte Rotzigkeit und der latent punkige Einschlag endlich mal wieder durch, beim eröffnenden Titelsong sorgt die messerscharfe Gitarreneinleitung unwillkürlich für ein hoch aufgestelltes Wohnzelt, und eine atmosphärisch dichte Nummer wie 'Fever' sorgt für das Herausholen des Entenparkas. Dazwischen gibt es fein gehackten Galoppier-Thrash der Marke 'Twist Of The Wick', der sofort ins Blut geht und mit 'Won't Be Coming Back' hat man auch wieder eine amtliche Hymne am Start. D.D. Verni dominiert wieder herrlich dröhnend, sodass die doomige Grundstimmung nicht verloren geht. Ein Album für alle Lebenslagen, kurzweilig, mitreißend, thrashklassig.

Note: 9,0/10
[Holger Andrae]

Ein neues Album von OVERKILL ruft in mir stets gemischte Gefühle hervor. Wegen der (fast) durchgehend hohen Qualität freue ich mich über jedes neue Lebenszeichen der New Yorker, aufgrund der von Klassikern gespickten Banddiskografie greife ich jedoch trotzdem immer lieber auf einen alten, liebgewonnen Schinken zurück. Seit "Ironbound" bewegt sich die Band für mich stets auf hohem Niveau, wiederholt sich aber seit Jahren irgendwie ständig. Daher fällt es mir eher schwer, einzelne Songs aus der letzten Dekade dem jeweiligen Album zuzuordnen. Das neue Scheibchen ist da eine positive Ausnahme, denn obwohl Blitz, D.D. und Kollegen weiterhin auf den gleichen Pfaden thrashen, haben sie es aktuell geschafft, ihrem Sound ein paar kleine Zutaten zuzuführen, die oft genug aufhorchen lassen. Obgleich es genug Parts innerhalb der fünfzig Minuten gibt, die zum Headbangen und Pogen geeignet sind, haben die Männer merklich den Fuß vom Gaspedal genommen. Was zunächst wie ein Frevel klingt und für ein Naserümpfen reicht, erweist sich als gute Entscheidung. Da die Produktion ebenfalls wie gewohnt (modern) peitscht und knallt, wird der Hörer nicht zwangsläufig überrollt. Dadurch entsteht Luft, die die Herrschaften gut zu füllen wissen. Gerade die erste Hälfte beinhaltet grandiose Songs, die nicht nur live super funktionieren dürften, sondern sich auch in der heimischen Best-Of-Sammlung gut integrieren werden ('Scorched', 'The Surgeon', 'Twist Of The Wick'). Am Ende kommen ihnen zwar etwas die zwingenden Momente abhanden, dabei zocken sie aber immer noch auf "nur" gewohntem Niveau. Tolles Album. Randnotiz: War die stimmliche Nähe von Blitz zu einem Udo Dirkschneider schon immer so eng wie auf diesem Album? Oder spielt mir meine ungewaschene Hörmuschel da einen wilden Streich?

Note: 8,0/10
[Chris Staubach]

Trotz des erleuchteten Wisperns von Musikgeistern in den Sphären des Internets, dass es zu "Scorched" nicht mehr viel zu schreiben gäbe, habe ich zumindest noch ein wenig "Senf" zum neuen OVERKILL-Studiowerk zusammengekratzt. Nein, lieber Chris, deine Lauscher funktionieren so, wie sie sollten und halfen dir dabei, mir einen meiner anzusprechenden Punkte vorwegzunehmen: Diverse Male, aber vor allem gleich fast zu Beginn in 'Goin Home', fiel mir die Nähe zu Udo Dirkschneiders Kreissägen-Stimmgewalt auf. Ähnlich wie Kollege Dahs, verschmähte meine Frau (BON JOVI-Fan) neulich bei einer Autofahrt eben deshalb Bobbys Organ, allerdings deutlich ungnädiger zusammengefasst: "Ich möchte diese schreckliche Musik nicht hören!" Die "Schwingen des Krieges" hatten mich anno 2019 gepackt, wie kein anderes OVERKILL-Album zuvor. Mit dem persönlichen "Album des Jahres"-Status jener Veröffentlichung im Hinterkopf ging ich also mit eher verhaltenen Erwartungen an "Scorched" heran. Marcels These "Mehr Groove als Gewalt" ist vollkommen richtig, man höre und staune nur über 'Bag O Bones', und dazu muss man dann diesmal auch sagen, dass D.D., Blitz und Co. richtig gute, funktionierende Songs schreiben, die sich anders instrumentiert, zum Beispiel im Pop- oder Jazz-Gewand, ebenfalls gut machen könnten. Doppelpack gefällig? 'Won't Be Coming Back' und 'Fever' schneidern mir persönlich jedenfalls den "Entenparka" auf den Leib. Mein Lieblingswort der Woche übrigens, lieber Holger! Dieses kann ich leider im Qualitätsvergleich des Monats "radioaktiv-grün gegen hipster-gelb" in keiner Weise für die gelbe Seite, sprich METALLICA mit ihrem neuen Album, verwenden. Im Gegensatz zu diesen überwiegend langatmigen Proberaum-Endlosriffschleifen serviert OVERKILL uns zehn, jeweils um keine Sekunde zu lang geratene Songs mit nachvollziehbaren, griffigen Strukturen, guten Ideen und hörbar enthusiastischer Energie auf teils immer noch jugendlichem Aggressionslevel! Da kann man nahezu jeden Track als Beispiel aufführen. Nach diesem leckeren Vorgeschmack in Form von "Scorched" freue ich mich noch mehr darauf, OVERKILL endlich wieder live erleben zu dürfen.

Note: 8,5/10
[Timo Reiser]

Da kommt die OVERKILL Nr. XX im Jahre MMXXIII, und das Kollegium findet viele lobende und dazwischen auch manche etwas kritische Worte dafür. Die meisten davon kann ich durchaus nachvollziehen, auch wenn ich selber doch deutlich im Lager der Lobpreisung beheimatet bin, denn am Ende ist "Scorched" dann halt doch wieder ein Testament für die unbestreitbare Klasse und ungebrochene Eigenständigkeit der Truppe aus New York und New Jersey. Wo Timos Frau bei des Frontmannes unverkennbarer Reibeisenstimme reißaus nimmt, da sieht Holg in ihm den Leuchtturm, der Bobby Blitz eben ist, und der seiner Band auch in Zeiten durchwachsener Kreativität als primäres Identifikationsmerkmal dient. Ein ebensolches ist aber natürlich auch Bassgott D.D. Verni, der dem aktuellen Album einmal mehr einen pumpenden, verdammt mitreißenden Groove verpasst hat, der zudem durch den trockenen, bissigen Sound unterstützt wird. Also deutlich weniger Ballerbrühe als noch bei "Ironbound", dafür alles etwas erdiger, kantiger, reduzierter. Das einzige, was eine noch höhere Bewertung verhindert, ist für mich dieses Mal, dass es auch den einen oder anderen Song gibt, der mir einen Tick zu viel auf verschlepptes, groovendes Tempo setzt und dabei vergisst eine wirklich fetzige Hookline zu verweben. Das machen aber diverse andere Stücke locker wieder weg, die mit tollen Refrains, punkiger Explosivität oder gnadenlosen Riffs demonstrieren, dass mit OVERKILL weiterhin zu rechnen ist. Mein persönliches Highlight ist dabei das speedige, old-schoolige 'Twist Of The Wick', das auch schon auf den Scheiben der Achtziger Eindruck gemacht hätte. Aber auch 'Wicked Place' und 'Bag o' Bones' sind fraglos echte Hits, die in jedem Liveset der Band eine blendende Figur abgäben.

Note: 8,0/10
[Rüdiger Stehle]

Die Fotos wurden mit uns mit freundlicher Genehmigung von Nuclear Blast zur Verfügung gestellt.

Redakteur:
Marcel Rapp
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