Gruppentherapie: OVERKILL - The Wings Of War

25.03.2019 | 13:31

Das 19. Studioalbum der Thrash-Truppe OVERKILL konnte sich den Sieg in unserem Februar-Soundcheck sichern. Grund genug für eine Gruppentherapie, die zumindest Redaktions-intern zu einer Diskussion über das Problem der Marktübersättigung führte.

20 Alben? Achdumeinenase. Ich bin so raus. Wenn ich von dieser Diskographie lese, schauert es mich. Ein guter Schauer, versteht sich. Meine Aufgabe hier im Thrash-Therapiezentrum sehe ich darin, OVERKILL meine Ehrerbietung anzuzeigen und mich angehörs des aktuellen Albums vor allem zu wundern. Das Album räumt ja allgemein ziemlich ab und ich muss mich auch erst mal wieder eingehend mit dem Genre befassen. Aber der Ausflug muss sein: OVERKILL hatte im Herbst 1989 "The Years Of Decay" veröffentlicht und im darauffolgenden Frühling ging es mit der Kassette auf Klassenfahrt. Christian hatte bereitgestellt zur Vervielfältigung. Der Jungsbugalow strotzte nur so vor METALLICA, KREATOR und vor allem eben OVERKILL. Die Mädchenbaracke wurde dagegen mit "Musik" der NKOTB verseucht, was die Damen zwar temporär, aber natürlich nicht auf lange Sicht uninteressant machte. Jedenfalls war da ein Gefühl, so richtig gute, exklusiv gute und wahrscheinlich männliche Musik zu besitzen. Vor allem 'Playing With Spiders/ Skullcrusher' dürfte in Folge mindestens 5000 Mal gelaufen sein. Ich bin mir sehr sicher, dass dieser Kracher Verantwortung für meine hohe Affinität zum Doom noch heute trägt. In Vorbereitung auf diese paar Zeilen habe ich mir "The Years Of Decay" wieder angehört und bin wieder gefangen. Und habe auch das Titelstück wieder für inspirierend gefunden. Warum ich OVERKILL in den nächsten 30 Jahren aus dem Fokus genommen habe, erkläre ich mir mit dem Überangebot an Thrash-Metal- und Speed-Metal-Bands, die ich im Nachhinein entdeckte und der allgemeinen Spreizung meines Musikgeschmacks. Umso besser, relativ unvoreingenommen mal in das Werk von 2019 hineinzulauschen.
Das habe ich nun ausgiebig und komme zu dem Schluss, dass die Band sich erstens treu geblieben ist: Es rattert deftig und beherzt an der Gitarrenfront, Bobbyblitzt gehörig, der Bass macht immer noch nicht den Hintergrundfüller, sondern trümmert vorn mit dabei, das Drumset ist nach wie vor eines der einfallsreicheren des Sektors, vermute ich. Neben der Tradition, Speed Metal eben bewährt traditionell zu zelebrieren, zucken auch mal moderne Einflüsse ins Bild und der punkige Lemmy-Ansatz ist auch zu vernehmen ('Welcome To The Garden State'). Da hören die älteren Herren auch nicht nach zwei Minuten auf, sondern besingen ihren State impulsive 5 Miunten lang. Gelungen, kommt auf die Sommerliste.
Und zweitens: Wer auf der Suche nach Hymnen ist, kann sich auf OVERKILL verlassen, obwohl die Band meines Erachtens immer ein wenig im Schatten der richtig Großen der Szene mitgepaddelt ist. Für mich ein schickes Stündchen Traditions-Thrash, in der sich Bobby Blitz mit seiner Stimme immer noch unverkennbar hineinwindet. Und überhaupt: Die Diskographie wird größer und größer, Hüte ab. Alle Alben werde ich mir trotzdem nicht nachbesorgen, mit denen von 1989 und 2019 fahre ich nämlich ganz gut.

Note: 7/10
[Mathias Freiesleben]

 

Ich gebe zu: Ich wollte dieses Album eigentlich nicht gut finden. Kollege Mattes hat es mit seiner Einführung auf den Punkt gebracht und ich verachte diese Marktübersättigung. Alles, auch Kreativität, ist irgendwann erschöpft. Aber "Achdumeinenase" zum zweiten, nicht so bei OVERKILL. Wie zum Teufel kann man nach so vielen Jahren (und ich meine sowohl Dienst- als auch Lebensalter!) noch so verdammt frisch klingen? Eine Frechheit dagegen, was uns METALLICA, MEGADETH & Konsorten gegenwärtig verkaufen wollen. Es schwingt keinerlei Nostalgie oder erarbeiteter Respekt mit, wenn ich konstatiere, dass "The Wings Of War" einfach ein klasse Album ist. Das hat diese Band nämlich in keiner Weise nötig, sie kann mit Inhalt überzeugen. Die typische Punkhymne über den Gartenstaat wurde bereits eingehend besprochen, deshalb erwähne ich das eher ungewöhnlich groovige 'Bat Shit Crazy' und 'A Mother's Prayer', das das schier unerschöpfliche Melodie-Reservoir der Thrasher zeigt. Absolut edle Kost! Von ein paar Durchhängern abgesehen, liefert das Quintett die nahezu perfekte Mischung aus Eingängigkeit und Härte, aus packenden Instrumentalpassagen und markanten High-End-Vocals. Apropos: Bobby Ellsworth kreischt sich mal wieder mit beneidenswerter Leichtigkeit in schwindelerregende Höhen. Die Energie, mit der diese Band agiert, spottet ohnehin jeder Beschreibung. Also: Trotz unzähliger Alben ergeht auch hier wieder dringende Kaufempfehlung nicht nur an Trash-Fans, sondern für alle, die auch nur ansatzweise etwas mit Heavy Metal anfangen können. "The Wings Of War" macht einfach zu viel Spaß!

Note: 9/10
[Jakob Schnapp]

 

Es verwirren die Kollegen mein kleines Sammlerherz doch ganz gewaltig, wenn von einer Übersättigung des Marktes die Rede ist, von mit zwanzig Alben vermeintlich (zu) großen Diskographien und gar von der nicht nachvollziehbaren Absicht, sich die noch fehlenden Scheiben einer Band tatsächlich nicht zulegen zu wollen. Ja, was geht denn da vor sich, und vor allem, warum diskutieren wir das Thema über die Frage des Zuviel in einer Gruppentherapie zum bärenstarken neuen Album einer Band, von der es gar nicht zu viele Scheiben geben kann? Ein Mysterium. Wenden wir uns daher einfach mal den Kriegsschwingen zu, und die lassen für meinen Geschmack keine allzu großen Wünsche offen. Ist für viele OVERKILL-Fans das 2010er-Manifest "Ironbound" eine seither nimmer überwundene Messlatte, so muss ich persönlich sagen, dass ich die Entwicklung der beiden letzten Scheiben doch sehr genieße. Für mich sind "The Grinding Wheel" und nun "The Wings Of War" angenehmer zu hören als das Album, das vor auch schon wieder neun Jahren die Blaupause für das OVERKILL-Spätwerk geliefert hat. Gerade beim Drumsound ballert die grün-schwarze Bande heute ein gutes Stück dezenter, der Dauerdruck auf dem Kessel ist ein wenig niedriger, und es finden sich etliche Songs, die ich subtiler und lässiger empfinde. Gerade, wenn es ein wenig hymnischer wird, wie etwa bei der großartigen Ode an New Jersey namens 'Welcome To The Garden State' oder auch dem noch aus den Sessions zum letzten Album stammenden Bonustrack 'In Ashes', gefallen mir Blitz, D.D. und Konsorten am besten. Doch auch speedige Smasher wie 'Batshitcrazy' und das klassischere 'A Mother's Prayer', oder das hysterische 'Head Of A Pin' treffen ins Schwarze, und der getragen eingeleitete Midtempo-Banger 'Distortion' mit seiner hinterhältigen Atmosphäre und den hervorragenden Leadgitarren setzt weitere positive Akzente. Allgemein besticht das Songwriting ebenso wie die Umsetzung, denn fast alle Songs bleiben direkt im Ohr hängen. Bobby Blitz gesondert zu loben, hieße Chaly nach New Jersey zu tragen, daher lassen wir das. Mir ist es jedenfalls eine besondere Ehre, mit "The Wings Of War" den 28. Tonträger der Eastcoast-Legende meiner Sammlung hinzugefügt zu haben, und ich bleibe dabei: Es ist falsch, von OVERKILL weniger Scheiben als jede mindestens einmal zu besitzen.

Note: 8,5/10
[Rüdiger Stehle]

Ist es schon wieder so weit? Kaum eine Band nehme ich als so veröffentlichungsaktiv wahr wie OVERKILL - RAGE oder GRAVE DIGGER können wahrscheinlich mithalten. Die Aussage von Rüdiger, dass man alles von OVERKILL im Regal stehen haben sollte, gilt natürlich nur für Alles-Sammler. Zwar hat die Band keinen mir bekannten Stinker veröffentlicht (zwei Alben kenne ich aber auch noch nicht), aber nach 1991 gab es auch nur noch eine Scheibe, die wirklich von szeneprägender Bedeutung war ("Ironbound" hat Rüdiger ja auch erwähnt). Ich mochte aber auch das letzte Album sehr, "The Wings Of War" wird also mit viel Vorfreude gehört. Dabei empfinde ich den Sound zum Einstieg als relativ dumpf, das bessert sich aber gefühlt schnell. Der Gesang von Blitz ist dagegen mal wieder absolut klasse, der absolute Wahnsinn, wie der Mann im stetig steigenden Alter noch die Texte herausrotzt ('Head Of A Pin'). Auch die Riffs sind wieder mitreißend. Und da das Songmaterial aus dem Stand heraus begeistert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch bei mir bald ein neuer OVERKILL-Dreher im Regal steht. Zu den Songhighlights zählt für mich bereits der fulminante Opener 'Last Man Standing', das bereits mehrmals erwähnte 'Bat Shit Crazy' und natürlich das positive 'Welcome To The Garden State'. Wie immer ist nicht jeder Song der Hammer, ein paar schwächere Momente seien den Jungs auch zugestanden. Für mich wieder ein sehr überzeugendes Album, und die Band kann ruhig noch 30 weitere Scheiben veröffentlichen, wenn sie dieses Niveau hält. Übersättigung durch die klassischen Heroen gibt es für mich nicht. Ach ja, zur Note: Die Scheibe fühlt sich für mich wie eine 8 an, aber wenn ich unser Notensystem konsequent durchziehe, muss ich eine 8,5 zücken, da das Album offensichtlich auch Hits beinhaltet.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]

 

OVERKILL ist für mich durchaus eine besondere Band. Denn nicht nur ist die Truppe eine Thrash-Legende, sondern das Album "Necroshine" war damals eins meiner ersten Thrash-Scheiben überhaupt. Leider konnte die Truppe auf den nachfolgenden Scheiben die Qualität dieses Albums nicht halten, weshalb ich die Jungs irgendwann vernachlässigt habe. Erst das überragende "Ironbound" holte OVERKILL wieder auf meine persönliche Bildfläche zurück. Doch schon die beiden letzten Alben sorgten wieder dafür, dass mein Interesse an OVERKILL schwand. Trotzdem war klar, dass ich "The Wings Of War" eine Chance geben werde. Und diese Chance hat die Scheibe verdient. Zwar kommt der neue Rundling nicht an das genannte "Ironbound" oder "The Electric Age" ran, aber Songs wie 'Last Man Standing', 'Batshitcrazy' oder das mit der Zeit immer stärker werdende 'Welcome To The Garden State' machen wirklich Spass und peppen jede OVERKILL-Liveshow auf (die Erfahrung, abgesehen von 'Batshitcrazy', habe ich auf der gerade gelaufenen "Killfest"-Tour machen dürfen!). "The Wings Of War" ist für mich weder ein angehender Genre-Klassiker noch gehört es zu den allerbesten Outputs der OVERKILL-Geschichte. Aber die Scheibe reiht sich in der vorderen Hälfte der Diskographie ein und viele Bands dürften sich wünschen, ein Album in dieser Qualität abliefern zu können.

Note: 8/10
[Mario Dahl]

Redakteur:
Mario Dahl

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