Gruppentherapie: PAGAN ALTAR - "Never Quite Dead"
04.05.2025 | 18:25Wenn sich Ohren um Kopfhörer schmiegen, hört man PAGAN ALTAR!
Im April-Soundcheck sind zwei völlig unterschiedliche Bands punktgleich auf Platz vier gelandet. "Unatoned" von MACHINE HEAD haben wir schon behandelt (zur Gruppentherapie). Zu diesen modern-groovigen Sounds ist die Musik von PAGAN ALTAR wohl das komplette Gegenteil. "Angestaubt" für den einen, "magisch" für den anderen. Folgerichtig gibt es neben zwei eher gelangweilten Sechsern auch hohe Noten für "Never Quite Dead". Eine Zehn wurde sogar vergeben, und dieser ist Hauptrezensent Jens auch schon sehr nahe gewesen.
Doch vielmehr noch, das Hören von PAGAN ALTAR scheint bei manchen zu seltsamen anatomischen Kapriolen zu führen, beispielsweise wenn sich Ohren anfangen um Kopfhörer herumzuschmiegen. Das schreit nach Therapie!
Vor allem in den letzten 20 Jahren waren die Londoner selten die Veröffentlichungswütendsten. Dachte man als Freund tiefgreifender Doom- und NWoBHM-Klänge doch nach "Lords Of Hypocrisy", dass der PAGAN ALTAR-Zug allmählich wieder ins Rollen kommt und wurde mit seiner Vermutung auch in den darauffolgenden Jahren bestätigt, musste man bis ins Jahr 2017 warten, bis mit "The Room Of Shadows" wieder neues Material am Start war. Und wiederum acht Jahre danach haben Jones und Co. erneut ein Statement parat, mit dem dann auch nicht mehr unbedingt zu rechnen war.
Doch wie kleine Trüffelschweinchen haben die Briten noch einmal in ihrer Schatztruhe gewühlt, die Rohdiamanten veredelt und sie unter dem Banner "Never Quite Dead" der Nachwelt zur Verfügung gestellt. Allein das Artwork ist eine Wucht, doch auch dieser vor Nostalgie nur so triefende Klang, die Melodien. Hach, herrlich!
Und mit Brendan Radigan hat die Kulttruppe einen für diese Mystik, die PAGAN ALTAR nach wie vor umgibt, prädestinierten Sänger gefunden, der darüber hinaus das enorme Erbe eines Terry Jones äußerst würdevoll annimmt. Hier die enorme Heaviness ('Well Of Despair'), dort ein Hauch von Vintage ('Saints And Sinners'), nur um anschließend in absoluter Epik zu enden ('Kismet'). Ein tolles Album bzw. großartige Compilation von Songs, von denen einigen zwar noch immer der letzte Schliff fehlt, aber PAGAN ALTAR dennoch wieder in vollem Glanz erstrahlen lässt.
Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]
Nun, ich kann nicht so wirklich in die Lobeshymnen vom Chef einstimmen. Für mich persönlich ist "Never Quite Dead" neben dem enttäuschenden neuen Album der Schweden H.E.A.T sogar das schwächste Album in diesem Soundcheck-Monat. Klar ist das alles nicht wirklich schlecht und mit 'Madame Rachel's Grave' ist auch ein Titel dabei, den ich mir mal in die aktuelle Playlist packe. Dennoch finde ich die Platte insgesamt ziemlich langweilig. Die Stimme ist nicht wirklich meins, der an Krebs verstorbene Terry Jones kann meiner Meinung nach nicht so einfach von Brendan Radigan ersetzt werden.
Die Songs wirken für meinen Geschmack zu sehr konstruiert. Hier ein wenig STYX und URIAH HEEP, dazu noch angestaubt wirkendes Zeug aus den frühen Achtzigern. Der Schwermut in den doomigen Anteilen greift zwar hin und wieder bei mir, allerdings können die Briten mich mit eher sparsamen Tracks wie 'Kismet' wahrlich nicht in ihren Bann ziehen. Am Ende des Tages bleibt eine gewisse Leere und die Erkenntnis, dass ich vermutlich aus dieser Art von Musik herausgewachsen bin.
Note: 6,0/10
[Frank Wilkens]
Ich kann die Unkenlaute im Falle PAGAN ALTAR nicht verstehen, denn die Band liefert mit "Never Quite Dead" für mich den musikalischen Nachfolger des Wunderwerkes "Mythical & Magical" ab. Das bedeutet, mehr Folk, mehr Eingängigkeit und auch mehr Heavyness. Versteht mich nicht falsch, man hört vom ersten Ton an, welche Band hier musiziert. Keine Überraschung, ist ein Großteil der Musik noch aus alten Juwelenschatullen des Hauses Jones entnommen. Im Gegensatz zum Vorgänger springen mich hier aber die Hooklines unwillkürlich und nachhaltig an. Beginnend beim sensationellen Opener 'Saints & Sinners', mit welchem sich die Band so dicht an einem Hit entlang jodelt, wie nie zuvor, über das psychedelisch schwer flirrende 'Well Of Despair' bis zum abschließende Überflieger 'Kismet', welchen man gern mal als Zusammenfassung des PAGAN ALTARschen Schaffens betrachten darf.
Wer als alter Fan Angst vor der Neubesetzung am Mikrophon hatte, darf ebenfalls beruhigt mit seinen Käuzen kuscheln, denn Brendan Radigan macht seine Sache erwartungsgemäß toll. Ich kann ja jeden verstehen, der mit solch kauzigen Klängen nicht klarkommt, ein Attribut wie "konstruiert" fällt mir bei der Emotionalität aller Songs in Tausendundeiner Nacht nicht ein. Das Gitarrenspiel ist so wunderbar wie Morgentau im Frühling und die Transparenz der restlichen Instrumente verwöhnen die Ohren mit einschmeichelnden Notenfolgen. Dazu dieser einzigartig nasale Gesang, bei welchem sich meine Ohren immer ganz automatisch um die Kopfhörer schmiegen und fertig ist meine musikalische Glückseligkeit.
Note: 9,5/10
[Holger Andrae]
Also, in jedem Fall ist "Never Quite Dead" nicht langweilig, lieber Frank. Brendan als Sänger ist natürlich klasse, da stimme ich Holger zu. Mir gefällt es gerade, wenn er etwas nasaler singt. Konstruiert wirkt das auf mich in keinster Weise, aber trotzdem hat Frank zumindest dann recht, wenn er sagt, dass das etwas angestaubt wirkt.
Das soll aber auch so sein! Denn PAGAN ALTAR ist Kilometer weit weg von den aktuellen Hochglanzfestivals, und auf eine bestimmte Art auch von der Gegenwart. Das neue Album ist hervorragend produziert, ähnlich wie das aktuelle Scheibchen von JETHRO TULL, aber natürlich ist das hier deutlich metallischer. Wie Holger richtig feststellt, ist der Folk-Anteil wieder deutlich nach oben geschraubt worden. Ich liebte bisher beide Facetten der Band - die folkige und die doomige. Hier bewegen wir uns eher im Klangbild der beiden Studioalben der Nullerjahre, nicht so sehr des Frühwerks.
An der Gitarre gibt es eine Melange aus mehreren Jahrzehnten Rockgeschichte - von Sixties Rock über FAIRPORT CONVENTION und 70er Hard Rock hin zur NWoBHM ist fast alles dabei, was wirklich Relevanz hat. Mir fehlt bisher leider die nötige Masse an Spins, um die Hitdichte abschließend zu beurteilen, aber Produktion, Gesang und Gitarrenarbeit sind Weltklasse - und ich zucke und zittere jetzt schon ordentlich mit beim Anhören. Daher zeigt der Daumen klar nach oben.
Note: 9,0/10
[Jonathan Walzer]
Ab und zu gibt es sie noch – diese "magischen" Alben. Wo neben dem musikalischen Output und dem Artwork auch die ganze Entstehungsgeschichte eine runde Sache ergibt und das Endergebnis so viel mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Und genau eine solche Perle hat mir auch der April-Soundcheck wieder ins Netz gespült. Meine Erwartungen beim ersten Durchlauf mit "Never Quite Dead" waren ich Richtung dröger Doom Metal gepolt und wurden von 'Saints & Sinners' sofort im Winde verweht. Was für eine fluffige, leichtfüßige Weltklasse-Nummer!
Sofort umfasst mich eine mystische Melancholie und ein kultiger Okkult-Charme, der mich mehr als einmal an BLACK WIDOW erinnert und bis zum Ende der Platte nicht mehr loslässt. Also geschwind die Hintergrundgeschichten zusammengesucht und die ganze Tragik um Terry Jones aufgesogen. Und ja - auch ich kann sagen, dass der exzentrische, nasale Gesang von Brendan Radigan nicht nur die perfekte Nachfolge von Terry ist, sondern es sogar schafft komplette Songs nochmal deutlich aufzuwerten ('Liston Church').
Auch der Albumabschluss 'Kismet' und das an LED ZEPPELIN erinnernde Folk-Instrumental 'Westerbury Express' erweisen sich als absolute Ohrnager, egal wie sehr ich die Muscheln vorab auch mit Holz versuche zu vernageln. Mit dem Kopfkino-Soundtrack 'Madame M'Rachel' ist der Truppe sogar eine lupenreine 10-Punkte-Offenbarung gelungen. Was für ein Zusammenspiel aus Groove, Melodie und einem empyreischen Gesangs-Segen. Mein Herz für kauzige Klänge frohlockt so sehr, wie seit der Schwester von Grendel nicht mehr. Ganz klare Referenz in dieser Sparte.
Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]
War ich bei MACHINE HEAD erwartungsgemäß weit entfernt von des Kauzes Holgers Ohren, bin ich hier voll in seinem Team, dem auch Stefan und Jhonny angehören. Was ist das für herrliche Musik! Ganz früher wäre mir das vermutlich zu wenig Metal gewesen, da wollte ich MANOWAR, OVERKILL oder SLAYER. Danach wäre es aus dem Ohr geflogen, weil es nicht proggy und artsy genug ist, noch später hätte mir das "Besondere und Innovative" gefehlt. Doch irgendwann war ich mit alldem durch, gute alte Rockmusik aus den 70ern und 80ern gewann an Boden und das spät entdeckte "Mythical & Magical" war ein Teil dieser Entwicklung. Ich wachse also nicht aus solcher Musik hinaus wie etwa der Wilkens-Frank, sondern immer noch hinein.
Ich hätte jetzt gar nicht unbedingt bemerkt, dass hier ein anderer Sänger zu hören ist, was bestätigt, dass dieser Herr Radigan alles richtig macht. Mir geht die Musik unter die Haut, sie scheint und glänzt, strahlt dabei bei aller Emotion eine große Ruhe und Gelassenheit aus, ohne dabei eine Sekunde lang zu langweilen. 'Kismet' könnte am Ende des Jahres zu den besten zehn Songs gehören. Oder 'Madame M'Rachel'. Oder 'Saints And Sinners'. Oder...
Note: 9,0/10
[Thomas Becker]
Wenn einer zehn Punkte vergibt, dann möge er auch zur Verteidigung seiner These antreten, so sagt man. Aus diesem Grund verfasse nun auch ich noch ein paar Zeilen, obschon die Herren Kollegen schon das meiste davon genannt haben, was es an Gutem zu diesem Werke kundzutun gibt. Mit dem Tode des Bandgründers Terry Jones anno 2015 und dem posthumen Erscheinen von "The Room Of Shadows" zwei Jahre später, so dachte wohl ein jeder, hätte die Geschichte der britischen Veteranen ein tragisches und doch episches Ende gefunden.
Doch schon die ältere Edda sagt, dass es dem Sohne zukomme, dem Vater einen Gedenkstein zu setzen, und dies gelingt Alan Jones mit "Never Quite Dead" auf magische Weise. Mit Brendan Radigan hat er eine Stimme gefunden, die - ohne das Vorbild zu kopieren - dessen Magie doch auf eine unbeschreibliche Weise einfängt und so erwachen all die magischen, mystischen und mythischen Geschichten zum Leben, die zum großen Teil noch von Alans Vater niedergelegt wurden. In ausführlichen und sehr persönlichen Linernotes erläutert Alan jedes der acht Stücke, die auf diese Weise noch mehr Substanz erhalten, wenn sie von persönlichen Erlebnissen, lokalen Mythen und allerlei anderem Doom & Dirge erzählen.
Dies alles ist instrumental wunderbar gefühlvoll arrangiert, und greift auch alte lyrische Konzepte von Terry Jones so gelungen auf, dass kein Fan der Band enttäuscht wird. Beispielsweise wird die mehrere Alben umspannende "The Dead"-Saga mit ihrem chronologisch vierten und zugleich konzeptionell ersten Teil abgeschlossen. Auch Torben Utecht und Jamie Elton sei an dieser Stelle für eine herrlich dynamische, transparente und harmonische Produktion gedankt, die auch die zarten, leisen Töne zu würdigen weiß, wie etwa im folkigen Instrumental 'Westbury Express' oder der von Bass und Zupfgitarre geprägten Einleitung des epischen, packenden Finales 'Kismet', das mit seiner stilistischen Bandbreite von Doom über SPRIGUNS OF TOLGUS bis hin zu CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL sicherlich ganz vorne mit dabei sein wird, wenn es irgendwann darum gehen soll, das Lied des Jahres zu küren. Die hinter 'Kismet' versteckte folkige Harmonica-Ballade 'I Can't Find My Way Home' rundet das Bild schließlich gelungen ab.
Am Ende finde ich auf "Never Quite Dead" nichts, was nicht vollendet den Spirit von PAGAN ALTAR atmen und mich gerade nach Terry Jones' Tod ganz besonders berühren würde. Angefangen von den magischen Songs und den packenden Lyrics, über die perfekte Produktion und die herrliche bandtypische Mischung aus dem Folk Rock der Siebziger und britischem Proto Doom, bis hin zum wunderbaren Artwork von Ben Harff. In Summe ergibt dies einen goldenen Fang für das junge Label Dying Victims Productions und zugleich einen ganz heißen Kandidaten für mein Album des Jahres. Von daher bleibt nur die Zehn, und ich vergebe sie gerne.
Note: 10/10
[Rüdiger Stehle]
- Redakteur:
- Thomas Becker