Gruppentherapie: RUNNING WILD - "Rapid Foray"

02.09.2016 | 12:02

RUNNING WILD zurück in der Spur? Es gibt Befürworter, aber auch deutliche Gegenstimmen.

Na sowas aber auch, die neue RUNNING WILD heimst im Soundcheck-Team fast einvernehmlich gute Noten ein. Dabei waren die letzten Alben des Captains doch immer ein Anlass für hitzige Geschmacksdiskussionen. Ich muss gestehen, so arg große Unterschiede zum Vorgänger "Resilient" höre ich hier nicht. "Rapid Foray" klingt ein wenig verwaschener und nicht mehr so kristallklar, was dem Fan von 80er-Produktionen vielleicht entgegenkommt, ich finde aber, "Resilient" hatte mehr Volumen untenrum.
Und die Songs an sich? Klingen eben nach RUNNING WILD. Nette Teutonen-Metal-Hymnen, völlig ohne Überraschungen. Feierabend-Metal ohne große Ausfälle also, wobei der Refrain von 'By The Blood In Your Heart' mich schon ein wenig "Shadowmaker"-peinlich die Zähne zusammenbeißen lässt. Ansonsten bedient Rolfi jedoch ohne sich die Finger zu verbrennen schön brav die Zielgruppe, die dann auch artig mitbangt. So richtig gut fand ich das zwar noch nie, aber doch immer eine Stufe höher als "langweilig". Deshalb dieselbe Note wie für "Resilient".

Note: 6,0/10
[Thomas Becker]

Ja, lieber Thomas, auch wenn du es sicher erfasst hast, dass es eben einfach RUNNING WILD ist, was uns die Band hier um die Ohren pfeffert, so ist es - ganz frei nach Al Bundy - doch schlicht falsch, diese Band noch nie so richtig gut gefunden zu haben, war sie doch für mindestens eine Dekade (1984-1994) ein absoluter Garant für hochwertigsten Teutonenstahl. Da jedoch auch ich in den letzten zehn Jahren bisweilen ein wenig mit dem Werkeln von Kapitän Rolf und seinen Mannen haderte, ist es mir eine große Freude, Entwarnung geben zu können, denn die Kogge erstrahlt auf "Rapid Foray" in neuem Glanz.
Der mit "Resilient" eingeläutete Aufwärtstrend wird nochmals fortgesetzt, und macht das neue Werk locker zur stärksten RUNNING WILD seit 1998. Das schnelle 'Black Bart' ist mit seinem explosiven Chorus einer der besten RW-Tracks seit 1995, ebenso das bedrohliche, im Tempo getragenere 'Blood Moon Rising', das an "Blazon Stone"-Zeiten angelehnte, schnelle und mit sehr fröhlicher Leadmelodie ausgestattete 'Into The West', und natürlich der finale 11-Minuten-Epic "Last Of The Mohicans", der trotz seiner Länge eben auch inhaltlich und lyrisch den Stoff mitbringt, mit dem man einen solchen Song füllen kann.
Klar, Thommy, vieles ist schon noch schematisch, eben schlicht und ergreifend 100% typisch für die Band, aber ich hab bei "Rapid Foray" dennoch zu jeder Zeit das Gefühl, dass Rolf zum einen wieder mehr Spaß am Schreiben und Musizieren hat, was für eine einfach spritzigere, bissigere und vor allem auch kompositorisch viel sorgfältiger ausgearbeitete Scheibe sorgt, als zuletzt. Zum anderen hab ich tatsächlich den Eindruck, dass der gute Herr Kasparek sich durchaus an den Wünschen der Fans orientiert und dabei gemerkt hat, dass er nach "Shadowmaker" mit "Resilient" auf die richtige Fährte kam, und das ausgebaut hat.

Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]

Rüdiger trifft den Nagel voll auf den Kopf, wenn er sagt, das Rolf Kasparek beim letzten Album "Resilient" gemerkt hat, dass er auf die richtige Fährte gekommen ist. "Rapid Foray" klingt nämlich so, als wäre der gute Rock'n'Rolf verzweifelt auf der Suche nach der Gunst seiner Fans. Dabei klappert er munter die eigene Vergangenheit ab und präsentiert ein Album, das zwar alle bekannten RUNNING WILD-Trademarks beinhaltet, gleichzeitig aber auch fürchterlich langweilig und generisch daherkommt. Egal ob nun der von Rüdiger hochgelobte Longtrack 'Last Of The Mohicans', 'Stick To Your Guns' oder der Opener 'Black Skies, Red Flag'; sämtliche Songs der Scheibe klingen so, als wären hier einfach einige Riffs aus der Glanzzeit der Truppe zwischen 1984 und 1994 recycelt worden. Einzig die Gitarren-Soli wirken frisch und inspiriert, sodass ich mich oftmals dabei ertappe, wie ich mir beim Hören fast das nächste Solo herbeiwünsche, damit hier so etwas wie Spannung aufkommt. Am meisten wundert mich aber, dass sich bisher keiner meiner Vorredner zum Sound der Scheibe geäußert hat. Dieser ist nämlich eine wirkliche Katastrophe, wobei insbesondere die totkomprimierten und kratzigen Rhythmusgitarren auf Dauer beständig am Nervenköstum des Hörers nagen. Es bleibt dabei, ich glaube, dass Rolf im Jahr 2009 den richtigen Riecher hatte, als er damals den Abschied von RUNNING WILD verkündete. Dabei wäre es auch besser geblieben, denn seither ist das einst in vollem Wind segelnde Teutonenstahl-Piratenschiff zu einer Schaluppe verkommen, die nur noch von einem lauen Lüftchen vorangetrieben wird. Wie man auch im fortgeschrittenen Alter rockt, das zeigen inzwischen andere Vertreter des deutschen Stahls wie etwa ACCEPT, die seit dem Comeback mit "Blood Of The Nations" stärker denn je unterwegs sind. RUNNING WILD gehört währenddessen nicht mehr zur Spitze der hiesigen Szene und lebt einzig vom Ruhm vergangener Tage. Schade!

Note: 4,5/10
[Tobias Dahs]

Oha, eine redaktionsinterne Spaltung aufgrund von Piraterie? Nun, als alter RUNNING WILD-Fan muss ich hier natürlich auch zu Wort kommen. Und mein Fazit: "Rapid Foray" ist mindestens genauso gut wie sein Vorgänger. Richtig, seit "Resilient" steuert Rock'n'Rolf wieder in die richtige Richtung, vergessen sind Ausfälle wie "Shadowmaker". Parallel zu der RUNNING WILD-Gesamtsituation lässt sich eventuell das Verhältnis zwischen Rolf und dem Wacken Open Air hinzuziehen. 2009 sprach er noch von Abschied, wollte endlich in den wohlverdienten Feierabend-Hafen einfahren und lieferte einen entsprechend müden und lieblosen Festivalgig im hohen Norden ab, die Gesichter wurden lang und länger. Im vergangenen Jahr hat RUNNING WILD jedoch allen Kritikern die Mäuler gestopft, der Wacken-Auftritt war sensationell gut, gespickt mit Setlist-Überraschungen und die Spielfreude beim Captain war groß. Warum ich diesen Vergleich anstelle? Nun, "Rapid Foray" ist das folgerichtige Album nach diesem Auftritt: Es ist abwechslungsreich, zeigt Rolf wieder von seiner besten Seite und dürfte sowohl Neuankömmlinge im RUNNING WILD-Universum als auch die Alt-Matrosen zufrieden stimmen. Wie sagte es J.B.O. damals so schön? "RUNNING WILD spielen (wieder - Gott sei Dank!) RUNNING WILD!"

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

Für mich ist und bleibt das Dreigespann "Port Royal", "Death Or Glory" und "Blazon Stone" das Beste, was unter dem Banner "traditioneller" Heavy Metal je erschienen ist. Auch ganz ohne Nostalgie. Rolf Kaspareks RUNNING WILD hat sich über die Jahre immer mehr zum Soloprojekt entwickelt, was man den halbgaren letzten Releases auch anmerkt. Selbst wenn der Captain auf besagten drei Alben das Steuer fest in der Hand hatte, war der Einfluss von Majk Moti (vor allem auf "Port Royal"), Jens Becker ('Conquistadores') oder Iain Finlay (geiles Drumming auf "Death Or Glory") stets allgegenwärtig.
Nun, auf dem aktuellen Werk hat sich an der Marschrichtung der jüngeren Bandvergangenheit nicht viel geändert und dennoch macht "Rapid Foray" Spaß. Die Songs wirken in der Gesamtheit wesentlich schlüssiger durchkomponiert, die Soli erreichen zwar nicht die Klasse der Vergangenheit, sitzen aber und wirken nicht deplatziert. Das von Kollege Dahs angesprochene Recycling-"Problem" haftet RUNNING WILD ja schon seit Jahrzehnten an. Ich denke mir aber: Wenn schon irgendwo klauen, dann doch lieber aus der eigenen Vergangenheit. Rolf ist sich dessen bewusst, dass ein Stilbruch RUNNING WILD das Genick brechen würde und ganz abgesehen davon: Auf "Rapid Foray" scheinen die Motivation und der Spaß wieder zurückgekehrt.
Das Soundproblem auf der aktuellen CD sehe ich im Gegensatz zu Tobias ausschließlich im Schlagzeug-Bereich. Ganz egal, ob live eingespielt oder programmiert: So darf eine Snare nicht klingen! Viel zu weit in den Vordergrund gemischt und verhallt bis zum geht nicht mehr. Das gab es in ähnlicher Form auch schon auf "Port Royal" - nur mit dem Unterschied, dass alle Instrumente und Elemente verhallt waren, die Snare demnach relativ gut im Gesamtkontext klang. "Rapid Foray" hingegen ist insgesamt recht trocken produziert (was mir gefällt), die Snare in der Form nervt daher.
Der neue Silberling ist für mich nicht das Überalbum, aber sollte Rolf diesen Weg in Zukunft weiter beschreiten, dann könnte noch was richtig Starkes dabei rauskommen. Mit "Rapid Foray" zeigt der Captain jedenfalls, dass er nichts verlernt hat. Die Daumen sind gedrückt.

Note: 7,0/10
[Haris Durakovic]

Redakteur:
Thomas Becker

Login

Neu registrieren