Gruppentherapie: SEPULTURA "A-lex"
14.01.2009 | 22:23SEPULTURA, SOULFLY, CAVALERA CONSPIRACY: Eigentlich haben die Brasilianer eine ganze eigene Szene geschaffen. Andere würden's Split-Wahn nennen. Das vermeintliche Original hält unermüdlich die Stellung - Auferstehung oder Selbstbeerdigung?
[Carsten Praeg]
Bei SEPULTURA ging es mir schon immer so, dass ich zwei bis drei Songs pro Platte richtig gut fand, den Rest aber eher belanglos. Und auch auf dem neunten Studioalbum "A-Lex" präsentieren die Brasilianer wieder einiges an Licht, aber auch viel Schatten. Dabei gehen sie recht kurz und knackig sowie ziemlich ruppig und ungezähmt ans Werk. 'Enough Said', 'Paradox' und der Opener 'Moloko Mesto' sind beispielsweise jeweils zweiminütige Abrissbirnen vor dem Herrn, die selbst SLAYER nicht räudiger hinbekommen würden. Power, Groove und fettes Riffing kann man SEPULTURA wahrlich nicht absprechen, was sie bei den beiden besten Songs des Albums 'The Treatment' und 'Faceful Behavior' eindrucksvoll unter Beweis stellen. Auf der anderen Seite haben sie aber auch wieder etliche Füller mit an Bord, die zwar meistens treiben und rollen, letztendlich aber belanglos und ohne größere Höhepunkte an einem vorbeirauschen. Da fehlt Esprit und vor allem die Magie, nach denen die Herrschaften bereits seit dem Ausstieg von Max Cavalera suchen. Irgendwie wartet man ständig auf die anstehende musikalische Explosion, die aber in den meisten Fällen leider ausbleibt. Sänger Derrick Green unterstreicht einmal mehr alle seine Vor- und Nachteile. Er brüllt wie ein Ochse und erinnert in manchen Momenten sogar an seinen Vorgänger, lässt aber Dynamik und große Momente vermissen. Bei 'Sadistic Values' packt er sogar mal seine Singstimme aus, von der ich in Zukunft gerne mehr hören würde. Alles in allem ist "A-Lex" ein weiteres solides Thrashalbum der Brasilianer geworden, das die Rufe nach einer Reunion aber nicht verstummen lassen wird. Obwohl ich insgesamt eher positiv überrascht bin, hat es für mich das typische SEPULTURA-Problem: Kaum richtige Songs.
[Chris Staubach]
Ja, SEPULTURA ohne jegliches Stück Cavallera, geht das denn überhaupt? Ich kann mir vorstellen, dass diese Frage nicht gerade die Minderheit der Begräbnis-Anhänger umtreibt – für mich stellt sich die Frage allerdings gar nicht erst. Tut mir Leid, liebe Fans, aber SEPULTURA waren für mich bis jetzt immer jene nette Band mit den Halb-Barrée-Riffings, die ordentlich groovt und gerne von allen Extrem-Metallern auf Parties gewünscht wird. Außerdem liest man sie immer wieder als Haupteinfluss diverser Modern-Metal-Bands, zumindest jener, die nicht völlig in den Fußstapfen ihrer zweifelhaften Götter IN FLAMES aufgehen. Umso schöner also der Anlass, sich im Zuge dieser Therapie auch als ausgemachter bis-dato-Ignorant ein Bild von den Qualitäten dieser Band zu machen.
Und obwohl, soviel sei schon mal vorweg genommen, mich das Album jetzt nicht in seiner Gesamtheit kickt, gibt es ein paar Punkte, die mich direkt dazu zwingen, mich mit der Band und deren Backkatalog noch einmal ein wenig eingehender zu beschäftigen. Dazu gehören die durchaus witzigen und kurzweiligen Einfälle, die netten kleinen Exkurse, die den brachialen Grundsound des Albums aufweichen. Sei es das atmosphärische Klangexperiment am Beginn von 'Sadistic Values' oder der mehrstimmige New-Orleans-Jazz-A-Capella-mit-Militär-Geand-Chorus bei 'Filthy Rot'. Dies sind die kleinen Schmankerln, die den recht soliden aber auch ein wenig konventionellen Metal der Brasilianer auflockern und interessant machen. Darüberhinaus brechen durchaus gewaltige Riffs aus den Boxen heraus, welche zwar durchaus eine triefende Blutspur hinter sich herziehen, aber eben nicht über die gesamte Spielzeit des Albums überzeugen können. Abschließend sei noch das Thema der Platte positiv hervorgehoben, denn von "Clockwork Orange" kann man sich gar nicht genug inspirieren lassen. Nun, als Einstieg macht mir das Album auf jeden Fall Lust auf die älteren, oft angepriesenen Highlights der Band.
[Julian Rohrer]
Bevor man ein neues SEPULTURA-Album einwirft, fragt man sich unweigerlich, auf was man eigentlich hoffen sollte. Eigentlich hätte man ja endlich mal gerne den legitimen Nachfolger von "Arise" gehört oder zumindest den von "Chaos A.D." und "Roots". Wird man aber nicht bekommen. Dann aber bitte auch nicht so einen langweiligen Polit-GrooveCore-Schrott wie auf "Nation". Jedenfalls waren die Jungs mit "Dante XXI", dem überzeugendsten Album seit "Roots", zuletzt wieder auf einem guten Weg. Mit "A-lex" folgt nun eine gelinde gesagt ziemlich seltsame Platte. Wenn ich es freundlich formuliere, könnte ich von experimentell reden. Mangelnde musikalische Orientierung und fragmentarisches Songwriting sagt der kritische Geist dazu. Nach der Divina Comedia haben sich SEPULTURA dieses Mal von Anthony Burgess' düsterem Meisterwerk "A Clockwork Orange" inspirieren lassen. Von der Grundstimmung der Platte her passt das Ganze schon: düster, schwer, bedrohlich und immer dem Wahnsinn ins Auge blickend. Gleich zu Beginn klatscht einen die geile ThrashCore-Granate 'Moloko Mesto' an die Wand. "Arise" fickt SLAYER und AGNOSTIC FRONT. Noch besser wird es dann bei 'Filthy Rot', eine schleppende, fies drückende Nummer mit herrlich schrägem Chorus. Wer sich jetzt schon ein zweites Loch in den Popo freut, ist leider etwas früh dran, denn es folgt ziemlich viel zähflüssges Neo-Groove-Dröhn Zeug, das ins eine Ohr rein geht und aus dem anderen wieder raus, nachdem es während seiner Verweildauer im Hirn nur Achselzucken ausgelöst hat. Aus diesem Meer aus Mittelmaß ragen einige glückliche Inseln hervor wie das intensive, atmosphärisch dichte 'Metamorphosis', das sich langsam und mächtig aufbauende 'Sadistic Values' ("Chaos A.D." meets NEUROSIS) oder der erholsam gradlinigen Thrasher 'Paradox'. Doch wirklich begeistern kann mich "A-lex" nicht - einfach zu viel Leerlauf. Schade!
[Martin van der Laan]
Für mich war SEPULTURA leider nur bis zur "Arise" eine Hammerband, die mich danach mit ihren Tribal-Core-Einflüssen immer weniger begeistern konnte, und die ich deshalb ab "Roots" mehr oder minder konsequent ignoriert habe. Wäre ich daher für eine Einzelrezension denkbar ungeeignet gewesen, gibt mir die Gruppentherapie zur neuen Scheibe indes die Gelegenheit zu schauen, ob das vielleicht doch noch was wird, mit SEPULTURA und mir.
Bei unbefangenem Herangehen an "A-lex" kann ich der Scheibe nämlich einen gewissen Reiz nicht absprechen. Ganz im Gegenteil: Mir gefällt das Ding ganz gut! Getragen von einer düsteren Grundstimmung setzen Andreas Kisser und seine Mitstreiter einen sehr wuchtigen Groove mit fett bratenden und toll produzierten Riffs in Szene, der sich wirklich sehen lassen kann. Dazu kommt Derrick Greens derbe Brüllstimme, die natürlich Geschmackssache ist, mich aber nicht stört. Beim hammermäßigen Opener 'Moloko Mesto' und bei 'The Treatment' regiert eine sehr traditionelle und schnelle Thrash-Keule, und das - Schande über mich - ist eigentlich das, was ich von SEPULTURA immer hören wollte. Doch keine Angst, auch die rhythmischen Tribal-Anklänge sind nicht mit den Cavaleras von Bord gegangen, und auch das Hardcore-Element schlägt sehr oft durch, wie etwa beim ebenfalls sehr coolen 'Filthy Rot', das einen eigenwilligen Backing-Chor und schräge Kisser-Leads aufweist, oder auch bei 'What I Do?'. Ansonsten stampfen die Brasilianer oft im Midtempo vor sich hin, bieten dabei aber stets griffigen Thrash-Core zu dem es sich bestimmt zünftig Moshen lässt. Momente der Abwechslung sind zwar nicht allzu üppig gesät, aber wenn sie kommen, dann zünden sie auch. So gefällt mir zum Beispiel auch das ruhigere 'We've Lost You' sehr gut. Aus meiner Sicht ist "A-lex" also durchaus ein gutes Album, das ich vielleicht zum Anlass nehmen werde, mich chronologisch rückwärts nochmals an SEPULTURA zu versuchen. Das mag allerdings auch daran liegen, dass ich als erklärter Nicht-Fan keinerlei Erwartungen an das Album hatte.
[Rüdiger Stehle]
Ich darf mich glücklich schätzen, nie ein beinharter SEPULTURA Fan gewesen zu sein. Warum? Ich muss nicht dauernd den Cavaleras hinterhertrauern. Mir war der Stil häufig einfach zu eintönig. Allerdings muss man sagen, dass spätestens mit den Ambitionen von "Dante XXI" eine neue Band geschaffen war, die nun auf "A-Lex" versucht, ihren Stil zu verfeinern und ihr Album auf dem bekannten "A Clockwork Orange" basiert. Doch es bleibt fraglich, ob SEPULTURA die Band ist, die dieses umsetzen kann. In Sachen Abwechslung haben die Herren zwar deutlich zugelegt und bieten alles zwischen erbarmungslosem Thrash, tödlichem Groove, instrumentalen Spielereien und einigen ungewohnten Experimenten wie in 'Sadistic Values'. Leider wirkt das selbst gezimmerte musikalische Korsett häufig aber doch zu eng für die Vorlage. Die heftigen Attacken sind wie immer gut, aber die Zwischenspiele nehmen dem Album die Fahrt, und die Umsetzung von Klassik wie in 'Ludwig Van' ist interessant, geht aber nach mehrmaligem Hören auf die Nerven. Am besten sind die Vier immer noch, wenn es auf die Zwölf geht wie in 'Moloko Mesto', 'Strike' oder 'Paradox'. Ein bisschen vermisse ich die Tribal-Einflüsse, die nur noch in 'Filthy Rot' deutlich in Erscheinung treten. So bleibt ein überambitioniertes Werk, das durchaus nett ist, aber ohne grosskopfertes Konzept möglicherweise weniger Ansprüche geweckt hätte. Lässt man die instrumentalen Teile einmal außer Acht, bleibt ein beachtliches Album, das nur am eigenen Anspruch, beziehungsweise dem der Vorlage, scheitert. Das dachte ich aber auch bei "Dante XXI" bereits.
[Frank Jaeger]
- Redakteur:
- Carsten Praeg