HARAKIRI FOR THE SKY: Interview zu "Scorched Earth"
24.01.2025 | 09:53"Da oben war ich unantastbar für die Welt da draußen." Michael Kogler über die Kraft der Abgeschiedenheit.
Verbrannte Erde hinterlassen Menschen zurzeit sowohl auf individueller Basis als auch auf gesellschaftlicher Ebene mehr denn je. Eine große Portion Weltschmerz schwingt also mit, wenn man das neue HARAKIRI FOR THE SKY-Album hört. "Scorched Earth" gehört zu den intensiveren Momenten, die der Januar bereithält. Wir unterhielten uns kurz vor Weihnachten mit Sänger Michael Kogler, der auch abseits der Songtexte ein offener und tiefgründiger Gesprächspartner ist.
Ihr wart ja gerade unterwegs im Ausland, Australien unter anderem und in Griechenland. Wie ist es jetzt wieder, so im kalten und verregneten Österreich zu sein?
Ich bin ein ziemlicher Herbst-Winter-Liebhaber, Sommer - vor allem in der Stadt - finde ich ziemlich anstrengend. Darum bin ich eigentlich immer ganz froh, wenn ich daheim bin. Aber ja, natürlich, Australien ist schön. Und es war ein bisschen schräg, wenn du vom Winter in den Hochsommer und wieder zurückkommst.
Zur Musik passt deine Vorliebe für die kühleren Jahreszeiten sowieso besser.
Ursprünglich war das sicherlich ein Einfluss. Da, wo ich aufgewachsen bin, hatte man dieses In-sich-gekehrt-sein im Winter. Davon ist mein Musikgeschmack ganz bestimmt beeinflusst. Es gibt viele Black-Metal-Alben, die mich schwer beeinflusst haben. Nehmen wir jetzt einmal die erste SATYRICON oder die ersten drei DARKTHRONE, also die zweite, dritte und vierte DARKTHRONE, als Beispiel. Die klingen einfach kalt und nach Winter. Oder meinetwegen auch die "At The Heart Of Winter" von IMMORTAL, die strahlen das aus.
Du bist ja im Salzburger Land aufgewachsen, in St. Johann. Dort in der Gegend war ich letztes Jahr im Urlaub. Es gibt diese deutsch-österreichische Serie, "Der Pass". Drei Staffeln, eine sehr gute Krimiserie. Da musste ich öfter an euch denken, HARAKIRI FOR THE SKY wäre teilweise der perfekte Soundtrack, da die Serie auch immer irgendwie im Winter spielt. Diese Kamerafahrten durch die Berge...
Ja, da sind einige Szenen dabei, wo ich genau gewusst habe, auf welchen Straßen die da jetzt gerade sind. Wo die hinfahren zum Beispiel, das war oft in der Gegend um St. Johann oder Bischofshofen. Das passt schon gut zu unserer Landschaft und unseren Gegebenheiten.
Jetzt müssen wir uns aber vom Winter abwenden und uns ein bisschen mit dem Feuer befassen. Zumindest mit verbrannter Erde. Euer Album "Scorched Earth": Man sieht auf dem Cover Wildtiere, die vor dem Waldbrand fliehen. Ihr habt ja immer gesellschaftskritische Themen dabei. Lese ich zu viel da rein?
Generell, den Titel "Scorched Earth", den habe ich schon länger im Hinterkopf gehabt. Und der ist vielseitig anwendbar. Es ist einfach eine Metapher für so viele Dinge, die du auch teilweise aufgezählt hast. Für ein Leben, das man hinter sich gelassen hat oder auch für einen Neuanfang, weil verbrannte Erde ja im Normalfall fruchtbar ist. Das kann man auf die Gesellschaft beziehen, in diesem Fall steht es für mehrere Sachen. Eben unter anderem für das, was gesellschaftlich gerade auf der Welt abgeht. Ich bin jetzt öfter mal gefragt worden, ob das ein politisches Album ist. Es ist kein politisches Album, weil ich nur über Sachen schreibe, die autobiografisch sind. Da geht es um meine eigene Gefühlswelt. Die momentane politische Lage seit Corona und dann spätestens seit dem Ukraine-Krieg und dem 7. Oktober [der Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel - NM] hat aber mein mentales Befinden schon ziemlich zum Negativen beeinflusst, weil ich mir einfach mehr Sorgen um die Zukunft mache, um die Zukunft der Welt und auch von meinem eigenen Leben und dem von meinen Lieben, als das vielleicht davor der Fall war. Diese negative Stimmung, die hat sich natürlich auch auf die Songs übertragen. Also von dem her passt das auf die gesellschaftlichen Umstände, hätte ich gesagt. Die Titel sind wieder sehr persönlich. Das ist einfach mein Standardthema. Das sind die Sachen, die mich am meisten beschäftigen und berühren. So Sachen wie, dass man sich von Leuten, die man gerne hat oder die man geliebt hat, entfremdet. Wie Beziehungen zerbrechen. Und es ist halt auch einiges dabei, was mit dem Älterwerden einhergeht. Die Abschiede werden nicht weniger. Und dazu passt es auch. Wenn man die Texte liest, da bezieht sich vieles auf Sachen, die mir während Corona oder in den Jahren danach mein Leben komplett um 180 Grad gedreht haben. Das sind alles Dinge, die ich in den Texten verarbeitet habe.
Was hat sich denn an eurem Musiker-Dasein durch die Pandemie geändert?
Ja, im Endeffekt ist jetzt für uns eigentlich wieder alles wie früher. Das ist überhaupt kein Ding. Aber währenddessen sind halt einige schräge Sachen passiert. Schräge Sachen, die jedem mal passieren. Ich bin von meiner langjährigen Freundin vor die Tür gesetzt worden. Habe dann nicht wirklich gewusst, wohin und deswegen drei Monate in einer Waldhütte gewohnt, die meiner Familie gehört. Dort habe ich an Texten gearbeitet und auch ein Buch geschrieben. Diese Existenz ... es waren einfach so viele Sachen, die diese Zeit so beschissen gemacht haben.
Es gab auch die Ungewissheit, wann wir endlich wieder Konzerte spielen können. Irgendwann wird das zu einem existentiellen Faktor. Wenn man so wie wir 80-90 Konzerte im Jahr spielt, kann man sich das nicht wirklich leisten, "nebenbei" Vollzeit zu arbeiten. Es war einfach eine sehr, sehr trübe Zeit. Natürlich sind das alles Themen, mit der wir hier in der "ersten Welt" zu kämpfen haben. Aber schmerzliche individuelle Erfahrungen sind nicht weniger schmerzlich, nur weil es anderen noch schlechter geht.
Wenn es da einen objektiven Maßstab gäbe, bräuchten wir uns wahrscheinlich nicht miteinander zu unterhalten. Es gibt schon existentiellere Dinge auf der Welt als ein neues Album. Aber ich bin trotzdem sehr froh, dass wir es dennoch tun können. Vielleicht schaffen es mehr Menschen, sich um beide Dimensionen zu kümmern. Du hast gerade dein Buch "Die Asche vergangener Winter" erwähnt. Hat es dir nicht "gereicht", deine Erlebnisse in Musik zu verwandeln? Warum war das Buch genau das richtige Medium dafür?
Das mit dem Buch ist so eine Geschichte, die ich immer schon mal machen wollte. Irgendwann rund um mein Deutsch-Abitur entstand der Wunsch. In den letzten zehn Jahren hatte ich immer mal wieder ein Skript angefertigt, es aber meistens einfach wieder verworfen. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen einem Roman und einzelnen Texten. Ich wollte die Dinge, die ich erlebt habe, einfach niederschreiben. Das war letztlich einfach, so isoliert in den Bergen. Das Buch hat übrigens den englischen Titel "Snow Burial". Wer das Buch gelesen hat, weiß, wieso das zweideutig gemeint ist. Ich war tagelang eingeschneit und hatte viel Zeit zum Nachdenken. Meine E-Gitarre und meinen Verstärker hatte ich dabei. Es war eigentlich ziemlich geil, es war auf der einen Seite wie ein Refugium für mich. Da oben war ich unantastbar für die Welt da draußen. Auf der anderen Seite war es ein eigenartiges und schräges Gefühl, die ganze Zeit alleine in der Hütte eingeschneit zu sein.
Das klingt für mich nach einer kathartischen Erfahrung...
Genau, im Endeffekt war es auch heilsam. Es war irgendwie auch hart. Ich habe vorher noch nie sechs Tage mit keinem einzigen Menschen kommuniziert. Ich bin als ein anderer Mensch wieder vom Berg runtergekommen. Ich habe das gebraucht. Nach der ganzen Scheiße, die mir passiert ist, habe ich einfach diese, ja, Katharsis ist das schönste Wort dafür, gebraucht. Und ich möchte diese Zeit, auch wenn ich zu dieser Zeit großteils schwer depressiv war, nicht missen. Es sind viele coole Sachen daraus entstanden. Das letzte KARG-Album, HARAKIRI-Texte oder eben dieses Buch. Deswegen war es wichtig.
Ein Musiker, der ansonsten einem klassischen 9-to-5-Job nachgeht, hätte vermutlich weniger, über das er schreiben könnte, oder?
Fast jeder hat schon mal nach vielen Jahren eine Beziehung aufgeben müssen. Fast jeder hat schon einen Freund durch einen Unfall oder Selbstmord oder was auch immer verloren. Fast jeder weiß, wie es ist, wenn man depressiv ist oder wenn man vielleicht selber ganz negative Gedanken hat, dass man nicht weiß, ob man weitermachen soll oder nicht. Und genauso, wie halt einfach auch viele Leute positive und negative Erfahrungen mit Alkohol oder Drogen gemacht haben. Wenn mir dann jemand erzählt, dass unsere Musik oder Texte jemandem Halt geben konnten, sich jemand damit identifizieren konnte, dann ist das schon cool. Zwar aus meiner Sicht autobiografisch, aber anscheinend bin ich auch nur ein Schicksal unter vielen. Viele junge Leute teilen solche Gedanken mit mir.
Da ist ganz viel Wahres dran. Und ich glaube, das ist auch etwas, was dazu führt, dass der Metal oder alles, was damit verwandt ist, auch immer noch relevant ist, weil es einfach keine zeitgenössische Abhängigkeit gibt, also keine popkulturellen Phänomene, sondern es geht immer um die tiefgründigen Dinge im Leben. Klar, mal unterschiedlich musikalisch verpackt, aber so ganz essentiell ist es das, was mich auch bei der Stange hält, auch wenn musikalisch, wenn wir mal ganz ehrlich sind, viele Sachen einfach schon auserzählt sind. Da gibt es immer wieder sehr gute Sachen und ich bin auch total froh darüber, aber wahrscheinlich könnte man mit den Jahrzehnten der 80er und 90er irgendwie schon ganz viel abdecken, was so musikalische Entwicklungen angeht. Aber inhaltlich kann man sich halt immer wieder damit beschäftigen, weil es einem so nahe geht, glaube ich.
Ja, das mit der Relevanz. Ich habe mir da schon oft Gedanken gemacht, dass es eigentlich interessant ist, dass vor allem Black Metal wirklich über die letzten 30 Jahre konstant wichtig war. Natürlich hat es die Hochphasen gegeben, Anfang und Mitte der 90er und dann wieder Mitte der Nullerjahre, wo extrem viele neue Bands aus der Erde geschossen sind und extrem viele wichtige Alben veröffentlicht worden sind. Trotzdem war Black Metal auch außerhalb dessen nie weg. Ich habe nicht die Kompetenz, großartige Vergleiche zu ziehen, aber nimm mal Death Metal oder auch Thrash Metal. Klar gibt es da wieder einen Retro-Hype, wo der Sound der späten 80er wieder im Kommen ist. Black Metal hingegen war nie weg, auch wenn das Rad nicht neu erfunden wurde. Post Black Metal gibt es auch schon wieder 15 Jahre, trotzdem ist es noch relevant. So gerne ich auch die Klassiker gehört habe, 2024 war wieder ein sehr starkes Jahr, in dem viele neue Sachen rausgekommen sind. Nehmen wir nur meine Label-Kollegen von GROZA, ELLENDE oder FIERTAN. Dann gab es ARA oder das Debüt von SUNRISE PATRIOT MOTION. Ich könnte dir noch zehn weitere aufzählen. Es gibt immer noch innovatives Zeug. Für mich hat Black Metal da eine Sonderstellung, weil er sich noch nie quergestellt hat bei neuen Einflüssen.
Du beantwortest meine Fragen, bevor ich sie stellen kann. Jetzt muss ich dich doch einmal kurz unterbrechen. Post Black Metal kam bei den Puristen nicht so gut an. Hat das etwas mit Szene zu tun? Fühlt ihr euch einer Szene zugehörig, in Salzburg oder in Wien?
Leider ist es in Salzburg, aber auch in Wien, oft so, dass du die beschissenen Tourtage hast, Dienstag oder Mittwoch, wegen der Logistik. Da kann man schon froh sein, wenn überhaupt Leute kommen. Wenn dann jemand spielt, dann siehst du auch alle Leute dort. Sei es eine Thrash-Tour oder Post Black Metal. Es ist nicht so separiert wie früher, wo nur Black Metaller auf Black-Metal-Konzerte gegangen sind. Man muss sich nur einmal die Festivals anschauen, die sehr bunt durchmischt sind. Von den richtigen Black-Metal-Festivals bekomme ich allerdings nicht viel mit. Da gibt es, das beobachte ich von außen, viel in dem Bereich, wo ich mich politisch nicht zu Hause fühle. Das ist dann vielleicht auch die Bubble, wo Black Metal möglichst keine anderen Einflüsse zulassen soll.
Was unterscheidet euch noch von dieser Art Black Metal?
Ich schaue mir schon gerne auch Bands mit klassischem Corpsepaint an, das ganze Black-Metal-Ding mit mysteriöser Aura und so ist schon ganz cool. Aber ich und meine Bands sind kein Teil davon. Ich bin keiner, der sich gerne verkleidet. Ich bin auch auf der Bühne gerne derselbe Typ. Aber das ist eine persönliche Frage. Von mir aus kann jeder gerne sein Kasperltheater aufführen, bei HARAKIRI halten wir es da eher reduziert.
Wir könnten wahrscheinlich noch viel länger quatschen, aber ich weiß, du hast gleich deinen nächsten Termin. Ich fand es sehr erfrischend, dass wir gar nicht so viel über das Album, aber mehr über dich als Menschen gesprochen haben. Das Album kann jeder hören, die Einblicke in dein Seelenleben aber kannst nur du geben.
Vielen Dank für das nette Gespräch, hat Spaß gemacht!
Photo-Credit: Band
Keep Me Longing
https://www.youtube.com/watch?v=psYrzpTWlFo
- Redakteur:
- Nils Macher