HEARSE: Interview mit Johan Liiva

09.03.2007 | 13:12

HEARSE sind äußerst fleißig: Jedes Jahr ein neues Album zu veröffentlichen, kriegen heutzutage auch nicht mehr viele Combos auf die Kette. Positiv auf den Bekanntheitsgrad hat sich dieser begrüßenswerte Veröffentlichungs-Rhythmus allerdings noch nicht ausgewirkt. Dabei hat auch "In These Veins", ein Bastard aus dreckigem Metal, dreckigem Rock 'n' Roll und (von Natur aus) dreckigem Hardcore-Punk, Aufmerksamkeit verdient. Und im Gegensatz zu anderen Kapellen, die mit ihrer vierten Scheibe die Tür zum Seniorenheim bereits weit aufstoßen, scheinen die Schweden jetzt erst so richtig heiß zu laufen. Crust sei Dank!


Oliver:
Johan, obwohl "In These Veins" bereits euer viertes Album ist, hat man hierzulande noch nicht wirklich Notiz von HEARSE genommen. Insbesondere die letzte Platte "The Last Ordeal" wurde bei uns alles andere als gut promotet. Was ist schiefgegangen?

Johan:
Ich weiß nicht genau. Unser altes Label (Karmageddon Media – Anm. d. Verf.) hat irgendwie die Kontrolle verloren. Die genaue Geschichte kenne ich auch nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass ihnen einfach die Kohle ausgegangen ist.

Oliver:
Als Konsequenz des verbesserungswürdigen Marketing-Apparats war der Auftritt beim 2006er Up-From-The-Ground-Festival die erste HEARSE-Show in Deutschland. Das sollte sich ändern. Habt ihr bereits 'ne Tour in Aussicht?

Johan:
Im Moment noch nicht. Aber man weiß nie. Wir müssen einfach ein bisschen abwarten, was passiert.

Oliver:
Euer aktuelles Material klingt sehr spontan, und aufgrund der rotzigen Punk/Hardcore-Attitüde hebt es sich von Anfang bis Ende vom Einheitsbrei der polierten Metal-Releases der großen Labels ab. Es gibt einfach zu viel Perfektion und zu wenig Rock 'n' Roll.

Johan:
Das sehen wir genauso. Als Max (Thornell; dr., g. – Anm. d. Verf.) und ich anfingen, Musik zu machen, wollten wir einfach nur Gas geben und dem Sound Groove verleihen. Viele Bands suchen Perfektion und Komplexität, wir nicht. Wir suchen Melodien und versuchen, den Hörer zumindest ein bisschen zu überraschen.

Oliver:
Auch aufgrund der sterilen Produktionen klingen fast alle Truppen gleich.

Johan:
Ja, ich weiß, es ist fast wie 'ne Krankheit (lacht). Vielleicht ist es auch eine Art Wettstreit, keine Ahnung.

Oliver:
Es hilft, Platten zu verkaufen.

Johan:
Yeah! Es gibt da viele Theorien (lacht).

Oliver:
Auf "In These Veins" stellt ihr eure Hardcore/Punk-Einflüsse und die Vorliebe für klassisches Geballer von Bands wie ANTI-CIMEX oder DISCHARGE viel deutlicher heraus als auf den Vorgängern. Zudem hat Jögge, Bassist und Sänger der Achtziger-Hardcore-Punker MOB 47, bei 'Intoxication' einen Gastauftritt, was perfekt ins Bild passt. Ergab sich das zufällig, oder wolltet ihr bewusst in diese Richtung gehen?

Johan:
Wir hatten nach den ersten drei Alben einen bestimmten Punkt erreicht und wollten mit unserem vierten einfach richtig Arsch treten. Großartig darüber nachgedacht haben wir aber trotzdem nicht; es kam letztlich spontan. Beim Songwriting war das Ganze auch noch gar nicht so dominant. Aber als wir im Studio alles zusammenfügten, ergab sich diese Stimmung von selbst. Außerdem haben wir aus unseren Teenager-Zeiten noch jede Menge Punk/Hardcore-Energie in uns.

Oliver:
Habt ihr innerhalb der Band 'ne klare Arbeitsteilung, dass Max die Songs schreibt und du dich ausschließlich um die Texte kümmerst?

Johan:
Richtig, genauso ist es in der Regel. Er schreibt die Musik und probt und arrangiert sie mit unserem Gitarristen Mattias (Ljung – Anm. d. Verf.). Mir schicken sie dann eine CD damit, und ich darf mich hinsetzen und an meinen Texten arbeiten. Wir wohnen weit auseinander. Ich lebe in Helsingborg im Süden Schwedens und sie in Stockholm. Das sind so 600 Kilometer. Zu Fuß braucht man da eine gewisse Zeit (lacht).

Oliver:
Wenn jemand noch nie zuvor mit Crust in Berührung gekommen wäre, wie würdest du ihm erklären, was daran so faszinierend ist?

Johan:
Oh mein Gott, das ist eine gute Frage (lacht). Es wäre definitiv interessant, es zu erklären. Vermutlich würde ich sagen, dass es die Rohheit und Energie ist – und die Spontaneität. Just go there and give them hell! Irgendwas in der Art. Es ist schwer zu erklären, aber diese Dinge machen für mich Punk und Hardcore aus.

Oliver:
Ihr habt diesmal wieder ein Cover eingespielt. Nach KIM WILDEs 'Cambodia' auf eurem Zweitling "Armageddon, Mon Amour" gibt's mit 'Crusade (Gonna Start A Fire)' eine HEARSE-Version eines Songs der leider vergessenen Punk-'n'-Roller SATOR CODEX, später SATOR. Was verbindet euch mit der Band?

Johan:
Max und ich sind zusammen aufgewachsen. Und in unserer Heimatstadt, in der wir heute beide nicht mehr wohnen, gab's einen Rockclub, wo wir immer hingingen, weil dort viele großartige Bands aus aller Welt spielten. Und SATOR waren auch einige Male da. Es herrschte jedes Mal das pure Chaos, was aufregend für uns war. Wir sind total durchgedreht und von der Bühne gesprungen. Ich denke, deshalb haben wir sie ausgewählt. Aber ich werde nostalgisch. Das waren noch Zeiten (lacht).

Oliver:
Obwohl du gerade überhaupt keinen deprimierten Eindruck machst, passen die trostlosen Texte der aktuellen Platte einmal mehr ziemlich gut zu eurem Bandnamen, der übersetzt "Leichenwagen" bedeutet. Vieles davon scheint sehr persönlich zu sein. Beziehst du die Inspiration für die Lyrics aus deinem Leben?

Johan:
Hauptsächlich aus meinem Leben. Ich bin zu alt, um mich zu verstellen und bestimmte Dinge zu verstecken. Also lasse ich sie einfach raus und schreibe das, was ich fühle. Insgesamt geht es um Angst und Trennung. Es gab da so ein paar Geschichten (lacht). Wie bei jedem von uns. Und warum das dann nicht mit anderen teilen? Vielleicht findet sich ja jemand in den Texten wieder. Ich könnte auch keine Lyrics über Drachen oder so was schreiben.

Oliver:
Das würde auch nicht wirklich zur Musik passen.

Johan:
Nein (lacht laut). Sie ist nicht so wahnsinnig bombastisch.

Oliver:
Aber wer weiß, Crust mit Texten über Drachen zu kombinieren, könnte vielleicht das nächste große Ding werden.

Johan:
Warum nicht!? Es wäre zumindest völlig einzigartig (lacht).

Oliver:
Ist euer Bandname eigentlich 'ne Metapher dafür, wie du das Leben oftmals siehst, oder bist du so düster dann auch nicht?

Johan:
Auf keinen Fall, das wäre zu düster. HEARSE ist hauptsächlich einfach ein guter Bandname, weil er kurz und einprägsam ist. Natürlich haben wir alle mal gewisse Phasen. Aber wir sind eigentlich sehr fröhlich, ohne allerdings in einer Seifenblase zu leben und keine Ahnung davon zu haben, was in der Welt passiert und in welcher gesellschaftlichen Lage wir uns befinden. Wir nehmen nicht alles kommentarlos hin.

Oliver:
Der Albumtitel ist im Gegensatz zu den Texten auch eher positiv.

Johan:
Genau. "In These Veins" steht dafür, was wir als Band in uns tragen. Viele Elemente, die in dieser Platte stecken, wie unser Crust-Background, die Punk-Tage, die Metal-Zeiten oder auch die Lyrics, repräsentieren diesen Titel sehr gut.

Oliver:
Ich will dich nicht mit Fragen zu ARCH ENEMY langweilen. Nur eine Sache: Gibt es immer noch Leute, die HEARSE mit deiner Ex-Band vergleichen? Allerspätestens mit "In These Veins" gibt es keine musikalischen Überschneidungen mehr.

Johan:
Eventuell gab es die am Anfang, als wir unser erstes Album veröffentlichten. Aber vielleicht war ich es auch, der einige Songs mit ARCH ENEMY verglichen hat. Ich weiß auch nicht genau, warum; es rutschte mir in ein paar Interviews einfach so raus (lacht). Aber ich finde auch, dass wir nicht viel gemeinsam haben. Wir gehen nicht in die gleiche Richtung.

Oliver:
Denkst du, dass es für HEARSE einfacher wäre, wenn du nicht Gründungsmitglied von ARCH ENEMY wärst?

Johan:
Ja und nein. Ich hatte fünf, sechs großartige Jahre mit ARCH ENEMY, und ich bin dankbar für all die Möglichkeiten, die sich im Verlauf der Jahre aufgetan haben. Aber es wäre interessant zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln würden, wenn es diese Zeiten nicht gegeben hätte. Vielleicht würden wir jetzt härter arbeiten, weil wir nicht relaxt zusehen könnten, wie ARCH ENEMY Platten für uns verkaufen (lacht laut). Nein, meine Antwort lautet: Ich weiß es nicht wirklich.

Oliver:
Zum Schluss musst du mir bitte noch erklären, warum Max auf eurer Homepage eine schwedische Lucy-Lawless-Fanseite empfiehlt. Ihr seid tatsächlich "Xena"-Fans?

Johan:
Ich eher nicht, aber Max auf jeden Fall (lacht laut). Er ist ein großer Fan. Er hat viele Poster, DVDs und Videos zuhause.

Redakteur:
Oliver Schneider

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