HEXENHAUS: die Re-Releases von RPM/Roar Records
18.05.2025 | 14:58"Metal Messiah, oh Metal Messiah, wer ist der beste Gitarrist im ganzen Land?" Vermutlich nicht ganz so verblümt und lyrisch stellten mein bester Kumpel Tobi und ich unserem Mentor und "Musikausbilder" Wolle irgendwann Anfang der 90er eine der vielen ewigen Gretchen-Fragen. Dieser hatte (bzw. hat noch immer) zehn Jährchen Lebens- (und Musik-)erfahrung mehr auf dem Buckel, war bereits seit Anfang der 80er eifriger Plattensammler, hatte die eine oder andere legendäre Konzertkarte in der Schublade liegen und stand uns wissbegierigen und musikhungrigen Metal-Eleven stets mit fachmännischem Rat und Tat zur Seite.
Wir Grünschnäbel erwarteten hier natürlich eine irgendwie erwartbare Antwort vom Schlage Blackmore, Mustaine oder Van Halen, wurden aber eines Besseren belehrt und hörten in diesem Zusammenhang zum ersten Mal den Namen Mike Wead. Mike wer? Immerhin war der gute Mann damals auch "in der Szene" noch nicht wirklich über die Maßen prominent und nur durch sein Mitwirken bei einer schwedischen Band mit dem für uns Deutsche einprägsamen Namen HEXENHAUS einer Handvoll erlesener Feinhörschmeckern ein Begriff.
Zu jenem Zeitpunkt hatte die Band aber bereits drei absolut superbe Tonträger auf der Habenseite. Musikalisch irgendwo in der Schnittmenge von MEKONG DELTA, CORONER, späten DEATHROW und den polnischen WOLF SPIDER liegend, zockte man einen (zunächst) räudigen, aber technisch höchst anspruchsvollen Thrash Metal, den ich in der Form so zuvor noch nie gehört hatte und bis zum heutigen Tag auch nicht mehr vernommen habe. Bis auf einen erschreckend kleinen Haufen von Underground-Fanatikern hat das damals aber nicht wirklich jemanden interessiert, so dass die Band trotz hervorragender Reviews in den einschlägigen Fachgazetten im In- und Ausland sowie diversen Fanzines nicht wirklich die verdienten Früchte ihrer Arbeit ernten konnte. Noch nicht einmal einzelne Support-Gigs außerhalb ihrer schwedischen Heimat sollten der Band vergönnt sein, so dass man sich 1992 aufgrund ausbleibender Resonanz und Wertschätzung entmutigt und resigniert entschloss, das Kapitel HEXENHAUS vorerst zu beenden. Auch das zwischenzeitliche, weit progressivere Comeback-Album "Dejavoodoo" fünf Jahre später sollte nichts an dem Umstand ändern: Die Sterne standen auch nach wie vor einfach nicht günstig für Mike Wead und seine Jungs. Wer hier nun ein wenig tiefer in die Materie einsteigen möchte, sollte sich in dem Zusammenhang unbedingt das sehr aufschlussreiche Interview zu Gemüte führen, welches mein Kollege Walter kürzlich mit Mike Wead führen durfte.
Die drei ersten bei dem mittlerweile geschlossenen englischen Label Active Records veröffentlichten Werke sollten auch im Laufe meiner weiteren musikalischen Entdeckungsreisen treue und regelmäßige Begleiter bleiben. Allerdings besaß ich diese eben nur auf überspielten Kassetten. Als ich dann einige Jahre später sukzessive meine physische Tonträgersammlung ein wenig aufpimpen wollte, mussten dann natürlich auch die HEXENHAUS-CDs ins Haus. Allein, die Auflage war restlos vergriffen und alle im Netz angebotenen Tonträger nur zu unverschämt hohen Preisen zu ergattern. Vor zwei oder drei Jahren sollte ich dann immerhin die zweite CD "The Edge Of Eternity" auf dem "Rock Hard Festival" zum läppischen Preis von 15 Euro abfischen. Ein reiner Schnapperpreis, wenn ich hier mal die aufgerufenen Preise auf Discogs und anderen Verkaufsbörsen gegenüberstelle! Dieser unhaltbare Zustand sollte sich leider auch nicht ändern, so dass ich seit knapp zwanzig Jahren sehnsüchtig warte, bis sich ein Label endlich erbarmt, diese Göttergaben wieder neu aufzulegen.Sämtliche Hexenhäuser und Mauersteine sind mir im wahrsten Sinne des Wortes also vom Herzen gefallen,
als unsere Kollegin Henri vor einigen Monaten vernewst hatte, dass RPM/Roar Records meinen verzweifelten Ruf letzten Endes erhört und die ersten drei legendären Scheiben der Band nun ENDLICH wiederaufgelegt haben, was für mich persönlich die sprichwörtliche Zusammenlegung von Ostern und Weihnachten bedeuten sollte.
Widmen wir uns nun aber den Alben ein wenig im Detail.
A Tribute To Insanity (1988):
Entstanden aus den Überresten von MANINNYA BLADE (nur Drummer Ralph Raideen war nicht bei der Ur-Band dabei), enterte die junge Truppe 1988 die Pharda Studios von Stockholm, um am 17. Oktober desselben Jahres via Active Records ihr Debüt "A Tribute To Insanity" zu veröffentlichen. Obwohl SIEGES EVEN nur zwei Wochen zuvor ihr technisch hoch anspruchsvolles Frickel-Debüt "Lifecycle" veröffentlicht hatte und MEKONG DELTA und CORONER in jenem Jahr bereits ihre jeweils zweite Platte auf dem Markt platziert hatten, war progressiver Thrash Metal in jener Zeit eher die Ausnahme als die Regel, obwohl auch in Übersee Bands wie TOXIK, WATCHTOWER, BLIND ILLUSION und JUGGERNAUT und diverse andere Texas-Metal-Kombos bereits erste Ausrufezeichen mit ihren Erstlingswerken gesetzt hatten. Anno Anfang '90 ordnete man diese Art Musik in Ermangelung diverser Untergenres, wie sie heutzutage ja in großer Anzahl an der Tagesordnung sind, noch in die Schublade 'Tech(no) Thrash' ein. Dieser Tage würde man den einen oder anderen jüngeren Leser mit dieser Einordnung wohl nicht nur irritieren, sondern ihm wohl auch auf Lebenszeit das weitere Interesse an der Band entzogen haben.
HEXENHAUS ging im Vergleich zu den erwähnten Kapellen auf dem Erstlingswerk deutlich düsterer, roher und rauer zu Werke, was nicht zuletzt auch der etwas dürftigen Reibeisen-Stimme von Nick Johansson geschuldet war, der bei MANINNYA BLADE noch eine der beiden Gitarren bedient hatte. Den guten Mann dann hier in Eigenregie hinter das Mikro zu stellen, war in der Retrospektive betrachtet und ob seiner gesanglich doch sehr limitierten Fähigkeiten eine äußerst gewagte Entscheidung. Summa summarum passte es hier aber aufgrund der sehr "dunklen" Stimmung der Songs noch irgendwie zusammen, spätestens ab der dritten, deutlich progressiveren Platte "Awakening" wäre die Kombination aber wohl endgültig zum Scheitern verurteilt gewesen. Was der damals 21-jährige Mike Wead aber hier bereits alles mit seiner Gitarre anzufangen wusste, ist heute, mit Abstand betrachtet, doch schier unglaublich. Sein Instinkt für nonkonforme, aber doch wuchtig-harte Riffs und abseitige Soli: absolut bemerkenswert! Im Zusammenspiel mit Sidekick Rick Meister an der zweiten Gitarre erinnerte das Gespann oftmals an das legendäre Axt-Duo Hank Sherman und Michael Denner von MERCYFUL FATE, die in ihrem Songwriting seinerzeit ähnlich komplex zu Werke gingen. Dass Wead Jahre später den vakanten Klampfenposten zunächst bei KING DIAMOND und später bei MERCYFUL FATE übernehmen sollte, ist natürlich purer Zufall. Als Herzstück der Platte muss man ganz klar die A-Seite bezeichnen. Das riffgewaltige 'Eaten Alive', das mit einer vorzüglichen Soloarbeit versetzte 'Delirious' sowie das über zehnminütige Prunkstück 'As Darkness Falls' mit seiner finsteren Ausrichtung, dem rätselhaft orientalischen Gitarrenlauf und all den irrwitzigen und endlosen Breaks und Wendungen sind hier ganz klar die Perlen des Albums, während es die Stücke der B-Seite, mit Ausnahme des Closers 'Requiem', auf Strecke doch ein wenig an Höhepunkten und Abwechslung vermissen ließen (erwähnenswert wäre hier noch das fulminante Einstiegs-Gitarrensolo in 'Death Walks Among Us') Trotzt allem war es der Band mit dem Debüt gelungen, ein erstes dickes Ausrufezeichen zu setzen. Gespannt durfte man also allemal sein, wohin die musikalische Reise mit Album Nummer zwei führen würde.
Fun Fact am Rande: Als Cover-Artwork nutzte man das Gemälde 'The Treasures Of Satan' des belgischen Symbolisten Jean Delville, welches später auch Verwendung fand für die Cover-Artworks von MORBID ANGELs "Blessed Are The Sick" sowie die Split-Veröffentlichung aus dem Jahr 1999 von MEGADETH und LESS THAN JAKE.
The Edge Of Eternity (1990):
Gute zwei Jahre später war es dann so weit, allerdings hatte Wead sein musikalisches Begleitteam hier nun komplett auf links gedreht und runderneuert. Offensichtlich war es ihm wohl nicht entgangen, dass ihm die Besetzung des Debütalbums in spieltechnischer Hinsicht bei weitem nicht gewachsen gewesen war und er für die Durchsetzung seiner weiteren künstlerischen Visionen dringend bessere Musiker um sich scharen musste. Als Sänger fungierte nun der technisch deutlich besser aufgestellte Ex-Sänger von DAMIEN und HATRED Tommie Agrippa. Die zweite Gitarre übernahm Marco A. Nicosia (später FIFTH REASON), während die neue Rhythmusfraktion aus Marty Marteen am Tieftöner und Johan Billerhag hinter der Schießbude bestand, welche beide später auch bei MEMENTO MORI zusammen mit Wead gemeinsame Sache machen sollten.
Das progressive Element wurde nun deutlich ausgeprägter in den Vordergrund gerückt, denn auch Mike Wead hatte in der Zwischenzeit augenscheinlich sein ohnehin schon beeindruckend hohes Talent und ausgefeiltes Gitarrenspiel noch einmal um einige weitere feine Nuancen veredelt. Seine damalige Liebe für Jazz und Rock Fusion sowie für russische Klassik des 19. Jahrhunderts hatte offensichtlich ebenfalls Früchte getragen. Auch der komplette Austausch aller restlichen Musiker sollte sich im Nachhinein als weise Entscheidung herausstellen. Mit Agrippa hatte man einen technisch versierten Sänger am Start, der den mit viel Raffinement konstruierten Kompositionen seinen Stempel aufdrücken konnte und neben aggressiven Thrash-Shouts eben auch die melodiösere Seite der Songs perfekt bedienen konnte. Auch der Zugang der neuen und viel agiler auftretenden Rhythmusgruppe sollte sich als echter Gewinn entpuppen, wobei man fairerweise sagen muss, dass die auf dem Debüt fast komplett nicht hörbare Bass-Spur wohl eher der äußerst dürftigen Produktion als etwaigen Nicht-Qualitäten des damaligen Viersaiten-Zupfers geschuldet gewesen sein dürfte.
Die Songs präsentieren sich zugunsten einer verspielteren und progressiveren Ausrichtung im Großen und Ganzen weniger schroff und düster als noch auf dem Vorgänger, während das bereits wohlbekannte kraftvolle Riffing hier hingegen noch einmal auf ein ungeahntes Level gehievt werden konnte. Songs wie 'Toxic Threat', 'Home Sweet Home (Ward Sweet Ward)', 'The Eternal Nightmare – Act One' und im Besonderen der Granaten-Song 'Prime Evil' mit seinem göttlichen Drum-Intro legen hiervon eindrucksvoll Zeugnis ab. Allein in diesen vier Stücken finden sich anbetungswürdige Riffs, aus denen andere Bands vermutlich ganze drei Alben zusammengezimmert hätten.
Unterm Strich hatte man hier also noch einmal eine deutlich reifere und facettenreichere Performance abgeliefert, in der sich neben den bereits erwähnten Songs mit 'A Temple For The Soul' erstmals auch ein reines Instrumentalstück sowie mit dem epischen und ausladenden über 13minütigen 'At The Edge Of Eternity' der längste Track befindet, den HEXENHAUS jemals auf ein Album gepresst hat.
Awakening (1991):
Wiederum nur ein Jahr später sollte dann Album Nummer drei "Awakening" das Licht der Welt erblicken. Bis auf einen Wechsel am Bass ist hier tatsächlich wieder dieselbe Mannschaft am Werk, die auch für "The Edge Of Eternity" verantwortlich zeichnete. Es war auf dem Vorgänger bereits abzusehen: Die dort schon mannigfaltig vorhandenen progressiven Einflüsse nehmen auf "Awakening" derart überhand, dass ich hier in der Tat schon fast eher von einem Prog-Power-Metal- als von einem (Tech)-Thrash-Metal-Album sprechen würde. Davon abgesehen hätte ich, wenn ich es nicht besser gewusst hätte, felsenfest behauptet, dass auch hier wiederum ein anderer und dritter Sänger hinter dem Mikro steht. Das lässt sich wohl nur so erklären, dass Tommie Agrippa in der Zwischenzeit Gesangsunterricht genommen haben muss, da er hier eine stimmliche Range bedient, von der er auf "The Edge Of Eternity" doch noch ein gutes Stück entfernt gewesen ist. Mitunter erinnert er mich sogar sehr an den ehemaligen MYSTIC FORCE-Sänger Bobby Hicks (R.I.P.). Statt roher und thrashiger Riff-Orgien dominieren hier nun verschachtelte Prog-Momente und vor allem: Melodien; Melodien und nochmals Melodien. Auch Wead scheint hier auf dem Höhepunkt seines spielerischen Könnens angekommen zu sein. Die bereits auf den ersten beiden Alben auftauchenden neoklassischen Einflüsse schimmern hier nun in zahlreicher Ausführung in fast allen Songs wieder durch. Es wimmelt hier von unzähligen Breaks, so dass im Umkehrschluss aber leider auch oft der Eindruck entsteht, dass die Songs angesichts Weads scharenweiser Songideen mitunter ein wenig ins Leere zu laufen scheinen. Trotzdem haben wir es auch hier schlussendlich mit einem fantastischen Album zu tun, auf dem es für Audio-Gourmets reichlich zu entdecken gibt und sich so einiges erst nach einigen Durchläufen den aufmerksamen Lauscherohren offenbart. Zum Beispiel doomige Einflüsse zu Beginn von 'The Eternal Nightmare – Act II', die bereits die musikalische Marschrichtung auf Weads späterer Band MEMENTO MORI vorwegnehmen und an CANDLEMASS' 1992er-Werk "Chapter VI" erinnern, Flamenco-Passagen in eben diesem Song undundund…
Eine Kaufempfehlung kann ich abschließend für jedes dieser drei brillanten Alben mit allerreinstem Gewissen aussprechen, ranke der Vollständigkeit halber aber noch einmal im Detail für euch:
A Tribute To Insanity (1988): 9,0/10
The Edge Of Eternity (1990): 9,5/10
Awakening (1991): 8,5/10
Alle Alben erscheinen auf CD, farbigem Vinyl und digital. Die physischen Produkte kommen außerdem mit neuen Liner Notes, seltenen Fotos und einem exklusiven Geschichtstext. Alle Formate wurden von Ronnie Björnström (u.a. MEZZROW) klanglich absolut ordentlich und klar remastered, ohne den Klangcharakter der Originalaufnahmen in irgendeiner Art zu verwaschen. Bonus-Songs befinden sich lediglich auf der "Awakening"-Scheibe (eine neue Version von 'Incubus' sowie eine Demo-Version von 'Awakening').
Neben dem in der Einleitung bereits erwähnten und sehr aufschlussreichen Interview von Walter mit Mike Wead kann ich den Nostalgikern unter euch zudem noch ein sehr altes Interview ans Herz legen, welches seinerzeit im legendären Fanzine Underground Empire erschienen ist und mir hier ein wenig als ergänzende Quelle gedient hat.
Ach ja, der ebenfalls oben erwähnte Wolle ist nach wie vor unser "Metal Messiah", ist dem Metal selbstverständlich noch immer treu ergeben und hat als selbstständiger Gastronom erst kürzlich unsere alljährlich stattfindende Redaktionsversammlung vor einigen Wochen beherbergt. So schließen sich eben irgendwann alle Kreise, nicht nur die im leckeren HEXENHAUS…
Fotocredit: Band
- Redakteur:
- Stephan Lenze