HYPOCRISY: Interview mit Peter Tägtgren
31.05.2005 | 21:30Vor langer, langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis namens Wacken... Dort trug es sich zu, dass ein noch recht benebelter Peter Tägtgren vor mir saß: Eine Cola-Dose fest umklammert, die Augenringe hinter einer fetten Sonnenbrille versteckt. Der Auftritt des schwedischen Masterminds mit seiner Band HYPOCRISY stand zwar noch bevor, doch abends zuvor hatte Peter bereits bei der Zugabe von DESTRUCTION gemeinsam mit Abbath (Ex-IMMORTAL) die Black-Stage beackert. Danach ging's backstage richtig rund und der Herr der Augenringe wachte irgendwann verkatert im Bandbus der CANNIBAL CORPSE auf. Mein geistiger Zustand unterschied sich jedoch nicht sonderlich von dem seinigen, schließlich war ich bereits seit drei Tagen am Durchfeiern. Und so lehnten wir uns mit unseren Sonnenbrillen erst mal beide relaxt zurück. Vielleicht lag es am Restalkohol und Weiterem, dass das Ergebnis des Gesprächs längere Zeit in den düsteren Ecken meines Gehirns verschwand. Doch die neue Festivalsaison steht an, die HYPOCRISY mit einem Gig beim "Up From The Ground" würdig abschließen werden. Also ist es an der Zeit, euch endlich die Gedankenwelt des Mr. "Mein Tag hat 48 Stunden" Tägtgren zu präsentieren. Zumal einige seiner Ausführungen wie jene zum nächsten Album durchaus noch Aktualität besitzen.
Carsten:
Vergangene Nacht hast du bei DESTRUCTION gemeinsam mit Abbath die Bühne geentert. Wie kam's dazu?
Peter:
DESTRUCTION wollten etwas wirklich Spezielles für Wacken machen und wir singen ja schon auf dem Album mit. Es war der letzte Song an diesem Abend, also sind Abbath, ich und einer von HOLY MOSES auf die Bühne. Es war ein großer Spaß, einfach Party. Es war wirklich großartig.
Carsten:
A propos Abbath: Was hast du denn beim Ende von IMMORTAL gedacht?
Peter:
Traurig. Denn es war eine der besten Bands, weißt du. Ich glaube, sie haben aufgehört, weil sie aus den falschen Gründen zusammen waren. Aber sie sind immer noch gute Freunde, es gibt da keinen Bullshit. Also sagten sie einfach: Okay, Zeit zum Aufhören.
Carsten:
Du hast IMMORTAL bereits produziert. Also muss es für dich persönlich noch etwas trauriger gewesen sein.
Peter:
Ja, für mich war's auch sehr traurig. Ich hab drei Alben von ihnen produziert. Aber weißt du, gleichzeitig müssen wir ihre Entscheidung auch akzeptieren. Ich hätte an ihrer Stelle vielleicht noch etwas mehr gespielt, aber das ist nun mal das, was sie gesagt haben.
Carsten:
Nach deinem gestrigen Auftritt mit Abbath habt ihr sicher eine große Party gefeiert.
Peter:
Oh ja, das haben wir, hehe. Ich bin vor kurzem erst im CANNIBAL-Bus aufgewacht, deshalb kam ich auch zu spät zu der Autogrammstunde vorhin.
Carsten:
Lass mich raten: Du kannst dich sicher nicht mehr erinnern, wie du in den Kannibalen-Bus gekommen bist?
Peter:
Hehe, doch, das kann ich sogar noch. Corpsegrinder und ich sind hier morgens herumgelaufen, und da draußen war echt kein Mensch. Absolut niemand.
Carsten:
Du bist jemand, der auf Festivals immer seinen Spaß hat. Vor zwei Jahren beim "With Full Force" hast du ja einen Hotel-Flur mit einem Feuerlöscher eingedeckt, gell?
Peter:
Ach, weißt du, vor zwei Jahren hier in Wacken standen plötzlich fünf oder sechs Feuerwehrwagen draußen vorm Hotel und die Leute haben eine Weile rumgeschrieen. Da haben wir's mit der Party wohl etwas übertrieben, har har. Wenn wir auf Tour gehen, will ich nicht allzu viel trinken. Aber auf Festivals ist das cool, ist ja nur ein Wochenende. Wie jeder andere auf den Festivals auch, wir tun das selbe. Nur betrunken werden und verrückte Dinge tun.
Carsten:
Okay, dann lass uns mal über HYPOCRISY reden. Euer zweiter Gitarrist Andreas ist inzwischen ein vollwertiges Mitglied und Horgh (Ex-IMMORTAL) sitzt am Schlagzeug. Was sagst du zu der neuen Besetzung?
Peter:
Ich denke, es wird ein großer Spaß. Ich habe ein paar neue Songs geschrieben. Und die sind für mich die interessantesten, die ich seit langem geschrieben habe. Einige Songs sind wirklich schnell wie beispielweise die Sachen von "The Abyss" und dergleichen. Einige Sachen sind heavy, und, yeah, es fühlt sich richtig gut an. (Das nächste Album soll nach ersten Hörproben das härteste werden, das HYPOCRISY je hervorgebracht haben. – Anm. d. Verf.)
Carsten:
Hat Andreas eigentlich schon am vorigen "The Arrival" mitgearbeitet oder wird das erst beim kommenden Album der Fall sein?
Peter:
Er wird jetzt als volles Bandmitglied bei uns sein und wir werden die Songs so gut wir können gemeinsam schreiben. Wenn jemand einen guten Input hat, wer immer es ist, kann er ihn einbringen. Es wird ein Teamwork werden. Das ist ja auch das Wichtigste. Ich könnte auch ein Album allein rausbringen, Mikael genauso. Aber wir wollen ja gemeinsam HYPOCRISY zu HYPOCRISY machen. Was die Texte angeht, schauen wir, was auf den Tisch kommt und was wir dann verwenden. Wir schreiben ja noch am nächsten Album.
Carsten:
Was war eigentlich der Grund, warum Lars (Ex-Drummer) die Band verlassen hat?
Peter:
(zögert eine Weile) Ich glaube, er ist einfach etwas müde geworden. Er wollte sich nicht wirklich weiterentwickeln und besser werden. Lars ist ein guter Drummer. Aber wir mussten ihm immer in den Arsch treten, ihm sagen, dass er es besser machen soll. Wir wollen dieses Mal eine richtig gute Band sein.
Carsten:
Und Horgh hat ja schon in deiner anderen Band PAIN mitgespielt. Da lag es wohl nahe, ihn zu fragen?
Peter:
Ja, genau. Weißt du, ich habe schon ein paar Alben mit ihm aufgenommen und kenne sein Können.
Carsten:
Wie siehst du euer voriges Album "The Arrival" denn aus deiner heutigen Sicht? Wie waren die Reaktionen?
Peter:
Ich denke, die Reaktionen waren sehr gut. Aber wenn ich heute darauf zurückschaue, denke ich persönlich, wir hätten ein paar schnellere Songs draufpacken sollen. Es ist vielleicht etwas langsam. Aber ich mag es immer noch, es ist immer noch mein Lieblingsalbum. So wie "Catch 22". "The Arrival" ist immer noch gut, ich vermisse halt nur ein paar schnellere Songs, dann wäre es bei 100 Prozent. Aber es war das Beste, was wir zu dieser Zeit einspielen konnten. Wir haben uns ziemlich reingehängt, und es geht immer darum, wie du etwas angehst. Zu diesem Zeitpunkt haben wir auf diese Weise gedacht und gefühlt. Das nächste Mal wird es eben anders.
Carsten:
Du hast "Catch 22" bereits angesprochen. Wie würdest du denn die beiden vorigen Alben vergleichen?
Peter:
Ich denke, "Catch 22" hat mehr Attitüde. "The Arrival" ist düsterer, hat mehr Atmosphäre. "Catch 22" dagegen ist mehr wie eine Faust ins Gesicht. Es ist eher punkig.
Carsten:
Kannst du denn die Kritik verstehen, die du dir nach "Catch 22" anhören musstest?
Peter:
Ja und nein. Viele Leute - nicht die Fans, sondern die Magazin-Schreiber – meinten, "es ist zu soft". Ich denke nicht, dass es zu soft ist. Es ist wirklich punkig und hat die richtige Attitüde. Was ich denke, was denn Unterschied ausmacht, ist die Produktion. Die ist sehr punkig und dreckig. Und es sind vermehrt klare Vocals darauf. Aber andererseits ist es einfach nur HYPOCRISY von seiner besten Seite. In meinen Augen ist es ein Album mit guter Attitüde.
Carsten:
Einige Kritiker und Fans gingen ja so weit, "Catch 22" als NuMetal zu bezeichnen.
Peter:
Weißt du, für uns war es damals einfach nur ein weiterer Schritt. Und "The Arrival" war der nächste, andere Schritt. Manchmal muss man sich eben entwickeln. Und manchmal machst du eben Alben, die manche Leute mögen, und manche nicht. Ich denke, das Wichtigste ist, dass du selbst damit glücklich bist. Wir sind es und ich bin immer noch glücklich damit.
Carsten:
Hattest du die Kritiken zu "Catch 22" im Hinterkopf, als ihr an "The Arrival" gearbeitet habt?
Peter:
Ich war wirklich krank und müde von Plattenfirmen, Interviews, Studios und den ganzen Sachen. Alles nervte. Damit im Hinterkopf hab ich an dem Album geschrieben.
Carsten:
Demnächst bringst du ja auch ein neues PAIN-Album (Dance With The Dead) heraus.
Peter:
Ja, im November. Und es wird härter, mit mehr Gitarren. Ein regelrechtes Heavy-Metal-Album. Kein NuMetal oder sonst irgend etwas. Einfach Metal.
Carsten:
Hört sich an, als wenn HYPOCRISY und PAIN sich manchmal in der Mitte treffen.
Peter:
Beim nächsten HYPOCRISY-Album würde ich das nicht sagen. Aber zumindest ist das neue PAIN-Album das härteste, das ich je gemacht habe. Nicht, dass es brutal oder schnell wäre, es sind einfach mehr Gitarren darauf.
Carsten:
Ich komme drauf, weil Mikael (HYPOCRISY-Bassist - d. Verf.) mir bei einem Interview etwas über 'Stillborn' von "The Arrival" erzählt hat. Einige Leute hätten ihm gesagt, der Song klinge nach PAIN. Und er meinte, das könne schon sein, denn er ist auch ein großer PAIN-Fan.
Peter:
Oh ja. Es sind ja zum Teil die selben Mitglieder bei PAIN wie bei HYPOCRISY, deshalb sind die beiden Bands immer etwas verbunden. Ich kann das in meinem Kopf auch nicht einfach so an- und abschalten, damit zwei völlig verschiedene Personen die Sachen schreiben. Ich denke, das ist natürlich. Aber weißt du, ich versuche die beiden Dinge wirklich so weit wie möglich auseinander zu halten.
Carsten:
Zu deiner dritten großen Leidenschaft: Die Pforten deines Abyss-Studios wirst du ja wieder öffnen.
Peter:
Ja, ich öffne die Türen wieder im Herbst und werde dann wieder mit den Aufnahmen beginnen.
Carsten:
Hast du diese Art der Arbeit vermisst?
Peter:
Einerseits ja, andererseits nein. Weil wir eine gute Tour mit HYPOCRISY hatten, und das war so nicht möglich, als ich das Studio hatte. Es war nicht möglich gewesen, auf Tour zu gehen und solche Sachen. Weißt du, das Jahr hat zwölf Monate. Und am liebsten würde ich sechs Monate auf Tour gehen und sechs Monate aufnehmen. Ich versuche, das zu trennen. Aber ich werde nicht mehr wie ein Maniac aufnehmen, so wie ich es zuvor getan habe. Ich werde nur ausgewählte Dinge aufnehmen.
Carsten:
Okay, dann noch zwei Fragen über Festivals: Nächstes Wochenende wart ihr ja eigentlich für's Party.San eingeplant. Dann musstet ihr kurzer Hand absagen.
Peter:
Ja, das war ein sehr großes Missverständnis zwischen Nuclear Blast und dem Management. Wir wollten dieses Festival wirklich spielen. Aber es gibt ein Übereinkommen zwischen dem Party.San und dem With Full Force, dass keine Band auf beiden Festivals spielen darf. Dass ist echt traurig, weil wir wirklich bereit waren, dort aufzutreten. Ich habe schon so viel Gutes über dieses Festival gehört, es muss eines der besten sein.
Carsten:
Zumal das Party.San ein Underground-Festival ist und ihr die Headliner gewesen wärt.
Peter:
Ja exakt, aber nicht nur das. Ich habe schon viel Gutes gehört. Jeder sagt, es sei ein chilliges Festival, wo jeder sehr nett ist. Es tut mir wirklich Leid wegen all diesem Bullshit. Natürlich sitzen wir zwischen allen Stühlen und sind die Arschlöcher. This sucks. Aber ich hoffe, sie lassen uns 2005 auftreten. (Daraus wird zwar nichts, aber wie gesagt werden HYPOCRISY dafür diesen Sommer das "Up From The Ground" und zuvor das "Earthshaker" zerlegen. – Anm. d. Verf.)
Carsten:
Aber heute können euch die Fans ja hier in Wacken sehen. Was erwartest du dir von diesem Gig und was können die Fans von euch erwarten?
Peter:
Wie immer, wenn wir auf die Bühne gehen, werden wir 100 Prozent geben. Egal, wie müde die Fans sind. Ich kann verstehen, dass die Leute müde sind, wenn sie sich hier 2000 Bands an einem Wochenende ansehen. Aber wir versuchen, sie aufzumuntern. Das ist die wichtigste Sache, die Audienz mit uns zu reißen.
Carsten:
Okay, gibt es noch etwas Abschließendes, das du deinen Fans sagen willst?
Peter:
Yeah, haltet nach dem nächsten Album Ausschau! Es wird zwar nicht vor Mai rauskommen, aber es wird in eine etwas andere Richtung gehen. So watch out!
Auf das nächste Album bin auch ich gespannt! Und spannend oder eher lustig war es auch, kurz nach dem Interview Peter immer noch angesäuselt auf der Black-Stage zu sehen: Zuerst versuchte er unentwegt, das Publikum von seiner Nüchternheit zu überzeugen. Doch als er sich bei einem Gitarrensolo an Andreas anlehnen musste und dieser wegging, torkelte der gute Herr der Augenringe etwas belämmert einige Schritte rückwärts. Ihm schien die Nacht doch sehr viel mehr zugesetzt zu haben als dem Corpsegrinder, der beim Kannibalen-Gig recht agil wirkte. Allerdings war der Wacken-Auftritt von HYPOCRISY ohnehin nur ein Vorgeplänkel zu dem Hammergig zwei Wochen später beim Summer Breeze. Das waren 100 Prozent! Hail to the Lord of the (Eye-)Rings!
- Redakteur:
- Carsten Praeg