IMHA TARIKAT: Im Gespräch mit Kerem Yilmaz

28.11.2022 | 21:21

Ein Interview über innere Zerrissenheit, das fehlende Happy End und Stärke durch Schwäche.

"Hearts Unchained - At War With A Passionless World" ist das berüchtigte dritte Album des deutschen Black-Metal-Projekts IMHA TARIKAT. Wer sich etwas mit den Texten oder der Band insgesamt beschäftigt oder wie ich ein Gespräch mit Mastermind Kerem Yilmaz geführt hat, wird bestätigen, wie unglaublich passend der Albumtitel gewählt wurde. Genau darum soll es in diesem Interview auch gehen: Das Herz nach außen zu kehren, die Leidenschaft zu entfesseln und sich bei aller Veränderung doch am Ende treu zu bleiben.

WENN DAS ALTER EGO DIE OBERHAND GEWINNT

Kerem, wir wollen natürlich über die Musik sprechen, immerhin verfolge ich IMHA TARIKAT seit der ersten EP, die 2017 noch über Terratur Possessions veröffentlicht wurde. Was mir aber im Vorfeld aufgefallen ist: Du bist in den wenigen Interviews, die man findet, stets sehr persönlich. Das hebt sich erfreulich stark vom gängigen Promo-Zirkus ab, auf den ja auch Metal-Bands gerne aufsteigen. Was bedeutet dir persönlich die Musik, der Metal. Wozu machst du das alles?

Ein fantastischer Einstieg und danke, dass du die Band schon so lange verfolgst. Ich mache eigentlich auch ungern Interviews, aber Michael (Zech, Gitarre - Anm. d. Redaktion) von SECRETS OF THE MOON hat mir einmal den Ratschlag gegeben, einfach das Gespräch so zu führen, wie ich es gerne möchte. Über die Dinge zu reden, die für mich Sinn machen und eben nicht nur das jeweils neueste Album als das beste der Bandgeschichte darzustellen. Um auf deine Frage zurückzukommen: IMHA TARIKAT hat mir schon einen Sinn, ein Ideal im Leben geschenkt. Ich habe vorher schon Black/Death Metal gemacht, wobei mich das aber emotional nicht ausgefüllt hatte. IMHA TARIKAT kam dann zu einem Tiefpunkt in meinem Leben. Ich leide an Depressionen und habe es damals kaum geschafft, zur Mittagszeit im Proberaum zu sein. Es gab nichts, was mir wirklich Erfüllung gegeben hat. Ich war so gleichgültig der Welt gegenüber, dass ich nichts gefühlt habe.

In der Entwicklung von IMHA TARIKAT konnte ich immer besser eine Verbindung zu meinem Selbst darstellen, weshalb auch das neue Album "Hearts Unchained" etwas Konkludierendes für mich hat. Die Texte zur ersten EP "Kenoboros" hatte ich damals einfach gerade heraus geschrieben, das war wie das Brodeln, welches aus der Neutralität meiner Persönlichkeit ausbrechen wollte. Insofern habe ich mich als Mensch mithilfe von IMHA TARIKAT weiterentwickeln können, letztlich geht es im Leben doch immer um Progression.

Das unterscheidet dich von vielen anderen Künstlern, die eine Kunstfigur erschaffen und sich nur durch sie präsentieren. Du lässt die Menschen durch deine Musik mehr in deine Seele blicken. Glaubst du, dass Fans das wertschätzen? Oder brauchst du dieses Feedback gar nicht?

Nun, ich habe zwar auch ein Alter Ego für die Bühne geschaffen. Und zwar den Henker ohne Seele, auf Türkisch Ruhsuz Cellât. Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen dieser Figur und der eigenen Persönlichkeit gelegentlich und ich kann retrospektiv sagen, dass ich in emotionalen oder konfliktreichen Situationen mehr und mehr Charakterzüge meiner Bühnenpersönlichkeit übernommen habe. Dieser absolut kompromisslosen, bösen Gestalt. Und zur Wertschätzung: Ich kann das nicht beziffern, wie vielen Menschen das wirklich wichtig ist. Aber es kommen immer mal wieder Nachrichten rein oder Zuschauer nach einer Show, die ich mit meiner Musik bewegen konnte. Und selbst wenn eine andere Person es so spürt wie ich, war es das für mich wert. Auf die Quantität kommt es dabei nicht an.

Das, was du da beschreibst, klingt für mich nach dem optimalen Nährboden für extreme Musik. Natürlich wünsche ich dir, dass es dir mit der Depression in Zukunft besser geht. Aber wenn wir mal ehrlich sind: Irgendwo her muss der künstlerische Antrieb ja kommen, oder?

Am Wochenende haben wir auf einem belgischen Festival gespielt, bei dem auch eine Familie mit Kind anwesend war. Durch Zufall habe ich nach unserer Show lange mit dem zehnjährigen Sohn abgehangen, es war einfach lustig. Ich konnte nicht anders, als danach meine Entwicklung nachzuzeichnen: So wie man früher einmal war und was aus einem geworden ist. Ich glaube für mich, dass extreme Musik immer aus einer Unbalanciertheit im Inneren kommt. Das gilt aber bei Weitem nicht für jede Person, die ähnliche Musik macht. Die Frage lautet doch: Macht man die Musik aus Unterhaltung oder um etwas auszudrücken, vielleicht ist es sogar Kunst?

Die Black-Metal-Szene brüstet sich ja gerne damit, eher einem höheren Zweck dienen zu wollen, als reine Unterhaltungsmusik zu machen. Bei der Flut an Veröffentlichungen ist aus meiner Sicht aber auch immer sehr viel Belangloses dabei, gerade im Black Metal kommt so unfassbar viel gleichklingendes Zeug raus. Ich bilde mir ein, den Unterschied zwischen beiden Sorten durchaus hören zu können.

Es gab eine Zeit, wo ich auch nur die undergroundigsten Tapes gekauft habe und eine ganz genaue Vorstellung davon hatte, wie die Dinge zu sein haben. Was mich eher gegenwärtig stört: Gefühlt macht jeder Black Metal, die Hälfte davon klingt wie in den 90ern. Der Ursprung des Black Metals war aber ganz anders gelagert. Damals war es eine Revolution, komplett anders als das, was man gewohnt war. Eine regellose, krasse Gegenkultur. Heute ist das völlig anders.

Eine gewisse Nostalgie kann ich mir da auch nicht absprechen. Aber sind wir doch mal ehrlich, vielleicht auch etwas provokant: Wie würde die Metalszene reagieren, wenn Black Metal heute erfunden würde? Wie würden wir in unserer Internetkultur auf Typen wie Dead reagieren, die eben nicht völlig glattgebügelt sind und eine "korrekte" Attittüde haben. Würde sich nicht heutzutage ein Mensch zwangsläufig richtig danebenbenehmen, wo es das Internet gibt? Klar, das Herumtragen eines toten Vogels in einer Tüte, um vor dem Konzert daran zu riechen, war schon eine Nummer für sich.

Ich versuche es mir gerade vorzustellen. Der berühmte tote Vogel von Dead, den du angesprochen hast, den bräuchte ich nicht. Einen gewissen Provokationsfaktor gibt es noch, aber eher im NSBM. Ob sich heutzutage wirklich noch so eine Dynamik entwickeln könnte, weiß ich nicht. Die Erfahrung des Menschen spielt eine große Rolle, weshalb man das nicht einfach ins jetzt übertragen kann.

BLACK METAL IST VERLETZLICHKEIT

Authentizität gibt es glücklicherweise immer noch. Meistens spürt man sie live, oft ist für mich der Gesang der ausschlaggebende Faktor. Deswegen habe ich übrigens auch IMHA TARIKAT gleich gut gefunden, weil der Gesang so eine rohe Urgewalt ausdrückt, wie ich es zurzeit nur bei BØLZER empfinde. Ich habe in einem Interview mit dir gelesen, dass die Gesangsaufnahmen mit gewissen Herausforderungen verbunden waren. Erzähl doch mal.

Ich erzähle gerne, wie die Aufnahmen zu "Hearts Unchained" abliefen. Ich durfte mich Anfang letzten Jahres für zwei Wochen alleine im Proberaum einnisten. Die Texte waren alle fertig, ich war also nur für die Aufnahmen dort. So lange alleine zu sein, macht etwas mit einem. Bei Gesangsaufnahmen muss ich zudem alles sehr oft aufnehmen, weil ich immer komplett unvorbereitet bin. Wie hoch soll der Gesang sein, wie singe ich die Wörter? Das probiere ich aus und lasse dabei meinen Gefühlen freien Lauf. Irgendwann bin ich natürlich auch körperlich am Ende. Gerade dann kommen aber immer noch ein, zwei Takes. Auf dem Album sind fast alle Takes die Letzten gewesen, die ich jeweils aufgenommen habe.

Ich bin teilweise wirklich durchgedreht, war verzweifelt, an meinen Grenzen, habe trotzdem weitergemacht. Bei 'Stardust Wisdom' gab es Takes, wo ich so fertig war, dass ich ins Mikro gekotzt habe. Alles aus einem herausholen, das Innere nach außen kehren, so würde ich mein Motto diesbezüglich beschreiben. Das hat natürlich nicht nur positive Aspekte. Gegen Ende der Aufnahmen war ich einmal abends zu Hause, um zu duschen und so weiter. Ich stieg aus dem Bus aus und lief die Siedlung mit Reihenhäusern entlang und es fühlte sich so an, als würde ich mich selbst angucken. Ich saß später einfach im Raum und irgendetwas in mir hat gesagt: Du musst dich nach diesen Aufnahmen umbringen. Weil du dann alles erzählt hast, was du erzählen musstest. Danach ist alles final, danach ist alles erledigt für dich. Am selben Abend waren noch ein paar Leute zu Gast, die mich teilweise auch in dieser Haltung bestätigt haben. Es waren nicht nur gute Gespräche. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo einem klar ist, dass man es geschafft hat, dass die Aufnahmen fertig sind. Es fühlt sich für mich an wie ein Fiebertraum. Ich brauche immer einige Wochen, um wieder klarzukommen.

Das klingt äußerst intensiv. Wie erlebst du es denn auf der Bühne? Kommen die Gefühle wieder hoch? Oder ist es die erhoffte Katharsis, die dich davon befreien kann?

Es ist definitiv beides! Ich habe aber mit dem Problem zu kämpfen, dass mich auf der Bühne immer ein Feuer überkommt. Ich will ausrasten, losbrüllen. Aber nicht mit einer bösen Intention, sondern einfach, weil es aus mir raus muss. Letztes Wochenende überkamen mich bei 'Brand am Firmament' auch die Tränen, denn er fasst das Leid in mir sehr gut zusammen. Manchmal können die Auftritte emotional zu viel für mich sein, insgesamt hilft es mir aber eher.

Bist du froh, dass du dir aussuchen kannst, ob du in zwei oder erst in zehn Jahren ein neues Album machst und nicht von der Musik leben musst?

Eigentlich möchte ich es schon so krass wie möglich machen. Ich denke sowieso die ganze Zeit an Musik, schreibe Songs, denke über Designs nach oder organisieren etwas für die Band. Dass ich dabei am Existenzminimum lebe, stört mich daher nicht unbedingt. Es ist für mich einfach eine Liebe, in der ich Ruhe finde.

Ich hätte vermutet, dass der Prozess rund um ein neues Album so kräftezehrend sein muss, dass du es für dich nicht zur Routine werden lassen möchtest.

Ja, intensiv ist es, ich bekomme auch regelmäßig die Krise. Dennoch ist es für mich zu etwas geworden, bei dem ich meine Gefühle zeigen kann. Die Tiefpunkte der Depression kommen immer dann, wenn ich meine Gefühle nicht ausdrücken kann. Wenn ich Musik mache, muss ich kein starker Typ sein.

 

 

ZUR NOT MUSST DU DICH ZERSTÖREN UND NEU AUFBAUEN

Kleiner Themenwechsel. Ihr habt ein Musikvideo veröffentlicht, der Song ist aber nicht auf dem neuen Album zu finden. Hätte er da eigentlich hingehört?

Genau, 'Son Of Ultradevotion' heißt die Nummer. Ich habe den Songs kurz nach dem Material für "Hearts Unchained" geschrieben, er hätte aufs vierte Album gepasst. Inhaltlich passt er hingegen nicht einhundertprozentig zu dem, was ich mit IMHA TARIKAT verbinden möchte. Dieser Song ist einfach böse. Es gibt nichts an den Texten, an den Riffs, generell nichts Positives oder Hoffnungsvolles. Keine Perspektive, keine Entwicklung. Trotzdem musste der Song einfach sein. Als sich dann die Gelegenheit ergeben hat, noch eine Single aufzunehmen, haben wir es spontan gemacht. Er ist zurzeit auch Teil der Setlist. Als letzter Song folgt er auf die ganzen Nummern, die auf Leidenschaft basieren, die positiv konnotiert sind. Mit diesem Song gibt es kein Happy End.

Die bisherigen Alben hatten sprachlich immer unterschiedliche Schwerpunkte: Deutsch, Türkisch, Englisch. Verfolgst du damit ein Konzept?

Prinzipiell wollte ich einfach gerne ausprobieren. Ich hätte gerne mehr türkische Texte, leider ist mein Türkisch zu schlecht dafür und die Grammatikfehler zu häufig. An "Sternenberster" hat mir gefallen, dass ich die Texte auf Deutsch am besten ausdrücken könnte. In meinem Kopf ist die Sprache Deutsch und das war der direkte Weg, mich auszudrücken.

Wir haben sehr viel über Gefühle gesprochen und darüber, was die Essenz IMHA TARIKATs ausmacht ...

... Soll ich vielleicht noch etwas zu den konkreten Inhalten sagen?

Gerne!

Um auf den Inhalt zu kommen. Grundsätzlich ist der Inhalt eines Albums immer davon geprägt, was ich im Leben gerade erlebe und denke. Ich kann das an einem Song besonders gut festmachen. 'Radical Righteousness' handelt davon, den Antagonisten in sich zu erblicken, eine Manifestation des gesamten Chaos in mir. Und um die Erkenntnis, nicht mehr so sein zu wollen wie früher. Zur Not muss man sich selbst zerstören und neu aufbauen, um ein anderer Mensch geworden zu sein. Ich rede zwar von Antagonisten, aber es geht trotzdem um mich selbst. Ich hasse mich in dem Song dafür, mir alles genommen zu haben. Diesen Konflikt trage ich aus. Das führt in meiner Selbstreflexion so weit, dass ich mir oft wünsche, den Black Metal gar nicht als Ventil zu brauchen. Ich wäre manchmal gerne ein ganz durchschnittlicher Mensch, der sich an nichts stört und nicht ständig nachdenken muss.

Ich bin mir nicht sicher, ob es so erstrebenswert ist, ein stumpfer Konsumsklave zu sein. Der arbeiten geht, nach Hause kommt und einfach vor sich hin lebt. Aber das Menschliche geht dabei verloren, das sich weiterentwickeln können und mit sich selbst umzugehen würde fehlen. Natürlich ist das anstrengend, aber es lohnt sich doch. Und es würde uns so viel großartige Musik fehlen ohne all die Menschen, die ein Ventil brauchen, um ihr Leben zu verarbeiten.

Das stimmt natürlich! Ich habe hin und wieder Tage, da würde ich am liebsten einfach irgendwo an der Kasse sitzen. Aber das wäre nicht das, was mich ausmacht. Nicht das, wofür ich stehe. Letztendlich hat mir der Metal ein Leben geschenkt, auch wenn das jetzt dick aufgetragen klingt. Aber es ist schon auch schambehaftet wenn ich dir erzähle, wie ich früher war und was ich jetzt tue, um anders zu sein.

Ich finde es stark, wie offen du bist! Das gibt der Musik und dem Gespräch eine Qualität.

Um es etwas humorvoll auszudrücken: Ich nutze das Interview gerade auch als Therapiestunde für mich!

Alles klar, die Rechnung kommt! Dir in jedem Fall vielen dank für das interessante Gespräch!

Danke dir, dass du es dir angetan hast. Es war spannend, gemeinsam über den Tellerrand zu schauen.

 

 

Foto-Credit: Thomas Haubrich

Redakteur:
Nils Macher

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