IN EXTREMO - Interview mit Michael Rhein

18.12.2009 | 10:59

Zusammen mit Frontmann Michael Rhein schauen wir zurück auf 2009, vergeben Auszeichnungen und verteilen Schimpf und Schande.

Wenige Stunden vor ihrem umjubelten Akustik-Auftritt im Hallenser Steintor Variete lädt Michael Rhein, der charismatische Frontmann von Deutschlands wichtigster Mittelalterrock-Band IN EXTREMO, zum gemütlichen Plausch auf der Bühne. Stühle stehen bereit, der Kaffee ist warm, die Couch gemütlich und Tines Kamera startklar.

Enrico:
Hallo Micha, schön dass wir uns mal persönlich treffen. Wie läuft denn die "Tranquilo"-Tour bisher?

Micha:
Klasse, einfach nur Hammer. Die Reaktionen sind wirklich toll, weil die Fans damit überhaupt nicht rechnen, was wir ihnen bieten. Wir spielen zwei Sets, je eine Stunde, und machen dazwischen eine Raucherpause. Das ist alles ein bisschen wie im Theater - mit GingGong und dem Kram. Einfach schön.

Enrico:
Irgendwie sieht es hier auf der Bühne gar nicht nach Konzert aus, eher wie bei einem Kabarett. Die Couch, auf der du sitzt, ist nachher aber nicht mehr hier, oder?

Micha:
Doch doch, wie werden auch ganz andere Klamotten als üblich tragen. Werdet ihr nachher schon sehen (lacht).

Enrico:
Mittlerweile sind ja diverse Zusatztermine hinzugekommen.

Micha:
Klar, die Nachfrage ist einfach wahnsinnig groß. Aber danach hat es sich dann auch aus-akustikt. Wir wollen das nicht überstrapazieren und danach wieder ... ja was machen wir denn danach? Arbeiten!

Enrico:
Arbeiten! Wie kam es eigentlich zur Idee, diese Akustikshows aufzuführen?

Micha:
Das ist alles sehr kurios zustande gekommen. Es begann mit einem Interview zu "Sängerkrieg" mit Radio Fritz in einem Raum beim Sender, wo andere Bands häufig Radiokonzerte geben. Man fragte uns, ob wir hier nicht mal spielen wollen würden. Wir sagten natürlich: "Ja, ja, machen wir." Die vom Sender waren begeistert und redeten schon vom Oktober (2008 - Anm. d. Verf.). Wir haben nach dem Interview nie wieder daran gedacht, da ruft auf einmal ein Typ vom Sender bei uns an und wollte wissen, wie der Stand der Dinge sei, weil man mittlerweile sogar schon einen festen Termin für uns hatte. Wir hatten das völlig vergessen und haben es dennoch durchgezogen. Die Reaktionen auf den Auftritt und die veröffentliche Akustik-CD waren echt enorm. Und da dachten wir uns: "Hey, machen wir doch mal eine Tour dazu."

Enrico:
Sicherlich eine wahnsinnige Arbeit, all die Songs anzupassen.

Micha:
Auf jeden Fall. Wir mussten fast alles ändern. Das wirst du nachher auch hören. Stellenweise erinnert es mich an ein kleines Variete-Theater. Dazu kam jetzt auch noch, dass wir einen neuen Schlagzeuger haben, denn Der Morgenstern ist beim ersten Konzert krank geworden. Daher haben wie Addi, unseren Schlagzeugbackliner, an die Drums gesetzt. Der musste an einem Abend alle Songs erlernen. Hammer! Gut, er kennt alle Songs natürlich, aber dennoch einfach großen Respekt für ihn.

Enrico:
Bist du vor einem Akustik-Gig nervöser als sonst?

Micha:
Nein, nervös bin ich immer.

Enrico:
Man hört ja kleine Fehler bei so einer Show sofort und viel deutlicher.

Micha:
Akustik verzeiht gar nichts. Du hörst alles, jeden Versprecher, jeden Verspieler - alles. Bei der Rockshow kann ich auch mal ab und an was in den Bart nuscheln. Das kannst du hier vergessen.

Enrico:
Ich erinnere mich grad an Wacken, wo du bei 'Ai Vis Lo Lop' zugegeben hast, dass du dann und wann auch mal den Text vergisst.

Micha:
(Lacht) So was passiert schon mal, aber ansonsten hab ich alle 120 Songs im Kopf und könnte sie dir hier alle komplett vorsingen. Klar, manchmal hat man mal einen Zettel mit kleinen Stichwörtern, aber das war es dann auch schon.

Enrico:
Gut zu hören. Wenn ich an manche Gothic-Band denke, wie sie immer vor einem Pult stehen, auf dem die Texte liegen.

Micha:
Weißt du, was mir dazu einfällt: Pfui! Mehr brauch ich dazu nicht sagen.

Enrico:
Nach der Tour ist quasi vor dem eigenen Festival. "Wahre Jahre" nennt ihr dieses Projekt, welches die Feier eures 15-jährigen Bandjubiläums darstellen wird.

Micha:
Genau, wir werden an jenem Wochenende die ganze Stadt Erfurt unsicher machen. Es wird einen Mittelaltermarkt geben, es wird dies geben und es wird das geben. Wir werden uns Bands einladen, die in Clubs spielen. Wir haben einen Zeltplatz direkt am Erfurter See organisiert - das Ding ist echt der Hammer. Das Konzert selber findet oben auf der Zitadelle statt. Sehr hübsch. Erfurt ist insgesamt auch eine wunderschöne Stadt geworden, genau wie Leipzig oder Dresden. Selbst Halle ist mittlerweile echt schön. Ich kenn das ja alles noch von früher.

Enrico:
Erfurt steht also ganz unter dem Motto: IN EXTREMO.

Micha:
Auf jeden Fall. Wir sind gerade auf der Suche nach einer Cover-Band, die wir irgendwo noch ausfindig machen müssen. Die soll dann neben weiteren Bands in den Clubs spielen. Es wird auch eine große Aftershow-Party mit Musik geben.

Enrico:
Klingt nach enorm großem Aufwand.

Micha:
Wir haben jetzt schon begonnen damit. In vier Wochen schafft man so was einfach nicht. Wir bieten sogar einen deutschlandweiten Bus-Shuttle an.

Enrico:
Warum eigentlich gerade Erfurt?

Micha:
Zum einen liegt es schön zentral in Deutschland und zum anderen verbindet uns als Band sehr viel mit dieser Stadt. Ich bin selber ja auch Thüringer und wir sind damals beim Bundesvision Song Contest auch für Thüringen an den Start gegangen. Und die Veranstalter sind gute Freunde von uns, sodass wir auch mal was aus der Hand geben können, ohne Angst zu haben, dass du beschissen wirst.

Enrico:
So ein Festival dient auch der Rückbesinnung auf eure Ursprünge als kleine Mittelalter-Band. Doch nur wenige Monate vorher, genauer im März 2010, spielt ihr im Leipziger Gewandhaus. Was für ein Unterschied.

Micha:
Da freu ich mich total drauf. Ist das nicht geil? Das ist ein echter Ritterschlag in so einem Laden spielen zu dürfen. Es ist echt der Hammer, wie das zustande gekommen ist. Die Les Humphries Singers, kennst du die noch?

Enrico:
Beiläufig.

Micha:
Das ist so ein Discopop-Band, bei der unter anderem Jürgen Drews mal mitgesungen hat. Unserer Veranstalter wussten, dass wenn wir im Gewandhaus direkt fragen würden, lassen die uns nicht rein. Also haben die für die Les Humphries Singers angefragt. Das hat geklappt und der Termin wurde recht schnell bestätigt. Eine Woche später haben unsere Veranstalter dort angerufen und ihnen erzählt, dass die Band nun doch leider nicht spielen könne, sie aber als Ersatz IN EXTREMO bieten könnten. Das wurde dann besprochen und schlussendlich hat es geklappt. Der Leiter des Gewandhauses hatte es noch nicht mal geschafft, von der Location bis zu sich nach Haus zu kommen, da kamen schon die ersten Auflagen. So zum Bespiel keine freien Oberkörper (lacht). Einfach geil, wie das zustande gekommen ist.

Enrico:
Da freu ich mich jetzt schon drauf. Ich als Leipziger war selber noch nie im Gewandhaus.

Micha:
Echt nicht?

Enrico:
Warum auch?

Micha:
Stimmt!

Enrico:
Wie würde darüber hinaus das Jahr 2010 bei euch aussehen?

Micha:
Wir werden uns sehr rar machen und vielleicht ein, zwei Festivals spielen. Ein paar Sachen werden im Ausland laufen, aber das bekommt man dann in Deutschland eh nicht so mit. Und danach geht es an die nächste Platte. Aber frag bitte nicht, wann die rauskommt. Da haben wir echt noch keine Ahnung.

Enrico:
Das Jahr 2009 ist nun auch wieder fast vorbei. Was wird aus diesem Jahr hängen bleiben?

Micha:
Wir sind mit "Sängerkrieg" jetzt fast schon 16 Monate auf Tour - unschlagbar. Wir haben mit der für die Scheibe eine goldene Platte erhalten.

Enrico:
Die ihr aber noch nicht überreicht bekommen habt.

Micha:
Stimmt. Das soll uns wohl im Januar verliehen werden. Wir hatten bisher einfach noch keine Zeit (lacht). Was bleibt hängen? Viele neue Leute kennen gelernt. Das Rad hat sich weitergedreht, im positiven Sinne. Ansonsten haben Jahre keine Bedeutung für mich, im Endeffekt ist es nur eine Zahl.

Enrico:
Wenn man andauernd auf Tour ist, verliert man sowieso schnell das Zeitgefühl.

Micha:
Logo, nach zwei Wochen weißt du schon nicht mehr, in welcher Stadt du gerade bist. Ich war vorhin mal kurz ein wenig spazieren, weil sonst besteht die Frischluftzufuhr am Tag aus den fünf Atemzüge zwischen Bus und Location. Das ist ein bisschen wenig (lacht). Aber ich bin auch nicht der Typ, der früh um 9 Uhr aufsteht. Auf Tour wach ich selten vor 15 Uhr auf.

Enrico:
Und dann gibt es schön Brot mit Spiegelei?

Micha:
Oh lecker - das ist so der Hammer, oder? Da geht nichts drüber.

Enrico:
Gab es das auch schon auf dieser Tour?

Micha:
Na klar, wir haben ja eine eigene Küche mit.

Enrico:
In wenigen Wochen ist mal wieder Weihnachten. Bleibst du in Deutschland oder zieht es dich nach Kroatien?

Micha:
Ich hab schon vor, nach Kroatien herunter zu fahren. Weihnachten ist mir aber so egal wie Dienstag oder Mittwoch. Meine Tochter wird jetzt auch 18, da hat sie mit dem Spektakel auch nix mehr zu tun, die will sicher lieber mit ihren Freunden feiern. Gut, vielleicht besucht man mal einen Tag die Oma, das sollte man schon machen. Ansonsten hab ich mit Weihnachten nix am Hut.

Enrico:
Und wie schaut dein Heilig Abend aus?

Micha:
Also wir spielen erstmal bis zum 22. Dezember und wenn ich Heilig Abend hier bin, fahr ich zu meiner Mutter. Aber danach geht es nach Kroatien, vielleicht mit einem kleinen Abstecher nach Frankreich oder in die Schweiz um mal ein paar Freunde zu besuchen. Ins Warme zu fahren, dazu hab ich im Moment auch keine Lust mehr. Ich bin sonst jahrelang immer nach Dahab gefahren (in Ägypten - Anm. d. Verf.). Das ist ein richtig schönes altes Hippie-Nest, da kann man wunderbar abhängen. Mittlerweile wird man da aller zwei Kilometer mit vorgehaltener Maschinenpistole angehalten. Auf so einen Scheiß hab ich keinen Bock, weswegen ich da einfach nicht mehr hinfahre und das Land meide.

Enrico:
Silvester wird dir sicherlich dann auch egal sein?

Micha:
Mehr oder weniger. Den Abend verbring ich immer mit meiner Familie, das ist auch immer schön.

Enrico:
Also nix mit Feuerwerk bei euch?

Micha:
Wir jagen das ganze Jahr so viele Pyros in die Luft (lacht). Ich glaub, das reicht (lacht).

Enrico:
Wie sieht es denn mit den guten Vorsätzen aus? Endlich mal das Rauchen aufgeben?

Micha:
Das hab ich schon dreimal probiert - das reicht (lacht).

Enrico:
Lass uns kurz mal deine Highlight 2009 küren: Beste Show des Jahres 2009?

Micha:
Vielleicht nicht die beste Show, aber für mich persönlich das geilste war das Big Day Out-Festival. Ein kleines 5.000er Festival, gibt es schon seit Jahren. Als ich auf die Bühne gehen wollte, ging es mir eigentlich gar nicht so gut. Aber auf einmal machte es beim Betreten der Bühne Klick - das war so eine geile Show. Es hat in Strömen geregnet und die Leute gingen dennoch unfassbar ab, einfach Wahnsinn.

Enrico:
Wie sehr ist das Wacken Open Air hängen geblieben?

Micha:
Wacken ist immer großartig. Man munkelt, dass da 100.000 Leute standen. Das ist echt ein Ritterschlag. Es muss wohl sogar Lautsprecherdurchsagen gegeben haben, weil sie die Tore plötzlich alle öffnen mussten. Der Platz reichte wohl kaum noch aus, es drängte sich bis zum Eingang, daher mussten sie alle öffnen. Einfach verrückt. Das sieht man aber bei den TV-Zusammenschnitten nicht. Die schneiden da wirklich andere Bilder rein - ich seh das ja, ich bin ja nicht doof. Eigentlich sollten wir erst abends spielen, aber weil wir danach gleich weiter zum Big Day Out-Festival mussten, spielten wir dann eben eher am späten Nachmittag.

Enrico:
Ich fand aber, dass du beim Wacken-Gig nicht wirklich motiviert wirktest. Bei normalen Shows gehst du mehr aus dir raus.

Micha:
Nein, ich habe das total genossen. Aber vielleicht lag es auch daran. Wenn du auf die Bühne steigst und dich brüllen 100.000 Leute an, ist das schon wahnsinnig beeindruckend (lacht). Wann hat man so was schon mal?

Enrico:
Was ist für dich die Stadt des Jahres 2009?

Micha:
Dresden - das ist so eine geile Stadt geworden. Wir sind jetzt vier Tage dort gewesen. Ich muss dazu sagen, dass ich Dresden von früher in und auswendig kenne und in diesen vier Tagen viel herumgelaufen bin. Boah, was ist das für eine Hammer Stadt geworden?

Tine:
Hast dir auch die "neue" Frauenkirche angeschaut?

Micha:
Nö, ich habe jahrelang davor als Straßenmusiker gespielt, das reicht. Aber auch Leipzig ist wunderschön geworden. Viele Städte in Ostdeutschland haben eine Hammer Entwicklung hinter sich. Dagegen in einer Stadt wie Frankfurt (am Main - Anm. d. Verf.) steig ich nicht mal aus dem Bus.

Enrico:
Echt? Also ich liebe Frankfurt.

Micha:
Find ich ganz furchtbar. Ich komm soviel in der Welt rum und war auch schon in Gassen, wo sie dich für einen Dollar totschlagen. Frankfurt ist wirklich eine der wenigen Städte, wo ich mich alle 500 Meter umdrehe. Es ist die furchtbarste Stadt Deutschlands - und dabei mein ich nicht die Menschen.

Enrico:
Okay, kommen wir zur Band des Jahres 2009.

Micha:
Meine Band des Jahres ist ohne Zweifel BLACK STONE CHERRY. Ich konnte sie kürzlich in einem kleinen Club in Bonn spielen sehen. Ich habe selten so was Geiles in meinem Leben gesehen. Die sind erst 24 Jahre alt - und waren seit dem sechsten Lebensjahr gemeinsam in der Schule und wohnen in irgendeinem kleinen Dorf in Amiland. Hammer!

Enrico:
Na da freu ich mich ja auf morgen, da sehe ich sie im Vorprogramm von MOTÖRHEAD.

Micha:
Da werden sie bestimmt ziemlich scheiße untergehen, weil sie parallel zum Einlass spielen werden. Das haben die Jungs nicht verdient. Die muss man mal in einem kleinen Club gesehen haben und die werden garantiert mal richtig fett rauskommen. Und ich habe selten in meinem Leben so einen Schlagzeuger gesehen - unfassbar, wie der spielen kann.

Enrico:
Hast du noch ein paar letzte Worte?

Micha:
Nö, letzte Worte find ich doof. Man trifft sich ja eh irgendwann wieder (lacht).

Redakteur:
Enrico Ahlig

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