IN FLAMES: Interview mit Peter Iwers

31.01.2006 | 18:47

"Come Clarity" heißt das neueste Studioalbum der Göteborg-Institution IN FLAMES und ist überraschenderweise keine echte Überraschung. Statt der nach zwei Alben sonst regelmäßig erfolgten Kurskorrektur kredenzen uns die Schweden eine Art Best-Of-Mischung aller bisherigen Sound-Zutaten. "Wir wollen immer unvorhersehbar bleiben", sagt Bassist Peter Iwers. Trotzdem braucht es keine hellseherischen Fähigkeiten, um sicher zu sein, dass auch dieses Werk ein weiterer Erfolg und die anstehende Tour mit SEPULTURA in gut gefüllten Hallen stattfinden wird.

Elke:
Der Titel des neuen Albums wurde im Vorfeld von "Crawling Through Knives" in "Come Clarity" geändert. Warum eigentlich?

Peter:
Es passte einfach besser zum Konzept von Anders' Texten, hat also keine tiefschürfenden Gründe.

Elke:
In der Band-Biografie von Nuclear Blast werden beide Titel im Zusammenhang verwendet: "Crawl through knives, then clarity will come!". Hast du eine Idee, wieso?

Peter:
Nein, keine Ahnung. Sie wollten vermutlich nur ein Wortspiel machen. Es klingt ja auch sehr schlagkräftig.

Elke:
Welche Klarheit ist mit dem Titel eigentlich gemeint?

Peter:
Ich kann dir nicht sagen, was Anders ursprünglich damit sagen wollte. Aber nach meinem persönlichen Verständnis könnte man es so auslegen, dass viele Menschen im Laufe ihres Lebens oft Dinge tun, ohne genau zu wissen, wohin der Weg führt, und am Ende schließlich Klarheit finden.

Elke:
"Come Clarity" scheint eine Art Mischung als sämtlichen Stilelementen zu sein, die IN FLAMES jemals verwendet haben. Stimmst du mir da zu?

Peter:
Das mag schon stimmen. Es war überhaupt nicht unsere Absicht, als wir das Album komponierten, aber viele Leute sind dieser Meinung. Gleichzeitig entwickeln wir uns natürlich ständig weiter. Wie auch immer die Musik letztendlich für den Einzelnen klingen mag, sie repräsentiert einfach unseren aktuellen Entwicklungsstand. Wir schreiben unsere Musik so unbeeinflusst von außen wie irgend möglich. Wenn die Leute hinterher sagen, das klingt wie dieses oder jenes, ist das okay, aber nichts, worüber wir wirklich nachdenken.

Elke:
Bisher waren sich immer zwei aufeinanderfolgende Alben stilistisch recht ähnlich, und ihr habt gleichzeitig jedes zweite Album eine gewisse Stilkorrektur vorgenommen. "Come Clarity" fällt jetzt etwas aus dem Rahmen.

Peter:
Vielleicht. Auch das haben mir schon viele Leute gesagt. Keine Ahnung, ob es tatsächlich so ist oder zufällig passiert. Es liegt jedenfalls nicht in unserer Absicht, einen gewissen Stil immer zwei Alben lang durchzuziehen und uns dann in eine andere Richtung zu entwickeln. Man sollte eigentlich immer nur ein Album mit dem vorherigen vergleichen.

Elke:
Eine der größten Neuerungen auf dem aktuellen Album ist die Verwendung einer Gastsängern in dem Song 'Dead End'. Wer ist die Dame?

Peter:
Lisa Miskovky ist eine schwedische Sängerin und Songwriterin. Wir haben sie vor einigen Jahren auf einem Festival in Schweden kennengelernt. Sie ist bei uns sehr angesagt, eine Art Popstar. Es stellte sich heraus, dass sie Metal mag, und wir mögen ihre Musik ebenfalls sehr, also sprachen wir darüber, in der Zukunft etwas zusammen zu machen. Als dieses Album aufgenommen wurde, haben wir sie gefragt und sie hatte Zeit und kam in Anders Studio, um ihren Gesangspart aufzunehmen. Es war eigentlich ein Experiment, aber das Ergebnis wurde sehr gut, und es ist auf jeden Fall etwas, womit die Leute überhaupt nicht rechnen.

Elke:
Wird Anders im Gegenzug auf einem ihrer Alben als Gast mitwirken?

Peter:
Keine Ahnung. Es gibt derzeit keine Pläne dafür, aber man weiß nie.

Elke:
Anders' klarer Gesang hat sich über die Jahre so sehr verbessert, dass er durchaus auf einem Pop-Album singen könnte.

Peter:
Das stimmt, aber ich denke, es war eine einmalige Zusammenarbeit. Man sollte jedenfalls nicht damit rechnen. Wir wollen immer unvorhersehbar sein und uns nicht die Zukunft verplanen. Ich bezweifle also, dass es dazu kommen wird.

Elke:
"Come Clarity" erscheint zusammen mit einer DVD, auf der ihr alle Songs live im Proberaum spielt. Wer hatte die Idee?

Peter:
Das ist auf Anders' Mist gewachsen. Wir hatten eine Listening-Session in Göteborg und wollten den Leuten dort mehr bieten, als bloß da zu sitzen und sich das Album anzuhören. Sie sollten auch etwas für's Auge haben. Wir baten also Patrick Ullaeus, der unser letzte DVD produziert hat, in unseren Proberaum zu kommen und uns zu filmen, während wir die Songs spielen. Das Ergebnis dieser eigentlich nur für die Listening-Session geplanten Aufnahmen war so großartig, dass unsere Plattenfirma die Idee hatte, es als Bonus-DVD der CD beizufügen.

Elke:
Besonders 'The Quiet Place' vom "Soundtrack..."-Album landet mittlerweile auch in Clubs auf dem Plattenteller, die für gewöhnlich keinen Death Metal spielen. Seid ihr inzwischen als "normale" Metal-Band anerkannt?

Peter:
Keine Ahnung - sag du's mir! Ich versuche, auf so etwas auch nicht zu achten. Wenn es tatsächlich so ist, dass die Grenzen überwunden sind und es in Ordnung ist, Musik wie die unsere zu hören, egal ob man Death-Metal-Fan ist oder nicht, ist das natürlich toll. So sollte es aber auch sein. Ich persönlich höre nur eine Art von Musik, und das ist gute Musik, ganz egal ob es Pop ist oder Jazz oder Death Metal. Wenn es mir gefällt, gefällt es mir. Und meine Meinung nach sollte Musik auch nur danach beurteilt werden, ob sie gut oder schlecht ist.

Elke:
Mit den letzten beiden Alben habt ihr aber offenbar ein jüngeres Publikum aus der Modern/NuMetal-Szene für euch erschlossen. Mir hat sogar mal jemand erzählt, er würde sich die älteren IN FLAMES-Alben gar nicht anhören wollen, weil das ja Death Metal gewesen sei. Habt ihr jetzt diese zwei Gruppen von Fans - die der letzten beiden Alben und die der älteren Scheiben?

Peter:
Gut möglich. Natürlich gewinnt und verliert man immer Fans, wenn man sich musikalisch weiterentwickelt. Es ist großartig, dass unsere Musik in verschiedenen Altersgruppen ankommt. Es fällt mir aber schwer, über so etwas wirklich nachzudenken. Wir schreiben Musik und hoffen natürlich, dass sie Menschen unabhängig ihres Alters gefällt. Und wenn das so ist, ist das wundervoll.

Elke:
Wobei gerade jüngere Fans heutzutage eine wichtige Zielgruppe darzustellen scheinen. Das Rock Hard hat in seinem aktuellen Editorial jedenfalls die These aufgestellt, dass die traditionellen Metal-Bands, die ein etwas älteres Publikum ansprechen, im vergangenen Jahr im Durchschnitt vor deutlich weniger Fans aufgetreten sind als diejenigen, die ein eher jüngeres Publikum ziehen.

Peter:
Das mag stimmen. Auf unserer letzten Tour mit JUDAS PRIEST, einer sehr traditionellen Band, waren aber trotzdem viele Leute auf den Konzerten. Keine Ahnung, wie es im allgemeinen aussieht.

Elke:
Das führt mich zu meiner nächsten Frage: Das Paket IN FLAMES und JUDAS PRIEST war ja recht gewagt. Wie haben die beinharten PRIEST-Fans auf euch reagiert?

Peter:
Die beinharten Fans waren natürlich nicht so angetan, aber ich denke, viele Fans fanden es gut, dass die Bands stilistisch so unterschiedlich waren. Wir bekamen sehr gute Reaktionen, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte. Natürlich kann man es jedoch nicht jedem Recht machen.

Elke:
Für eure Tour im Frühjahr habt ihr SEPULTURA als Support-Act im Gepäck. Das dürfte auch eine interessante Mischung werden.

Peter:
Wir wollten sie bereits auf unsere letzte Europatour mitnehmen, aber es hat damals nicht geklappt. Dieses Mal haben wir nochmals gefragt und sie hatten Zeit. Ich denke, es war und ist eine tolle Band, die einen bedeutenden Beitrag zur Musikgeschichte geliefert hat, und sie mit auf Tour zu nehmen ist eine große Ehre für uns.

Elke:
A propos Musikgeschichte - trotz eurer über zehnjährigen Karriere habt ihr auf dem letzten "Rock am Ring"-Festival auf der "Talent Stage" gespielt. Wie war es, wieder ein Newcomer zu sein?

Peter:
Ich fühlte mich sehr jung und unschuldig. Quatsch, es ist nur ein Name für eine Bühne, der für uns keine Rolle spielte. Es hatte sicher einen gewissen Unterhaltungswert, aber auch ANTHRAX haben dort schon gespielt, und die gibt es sogar noch länger als uns.

Elke:
Während der Festival-Saison 2004 hattet ihr eine riesige schwedische Flagge als Bühnenhintergrund. Ich habe mich damals gefragt, wie die Leute reagieren würden, wenn eine deutsche Band mit einer deutschen Flagge im Hintergrund auftreten würde, und hatte meine Zweifel, ob es so anstandslos akzeptiert würde. Ist es für eine schwedische Band leichter, stolz auf ihre Nationalität zu sein?

Peter:
Keine Ahnung. Wir versuchen immer, ein wenig zu provozieren, aber stets mit einem Augenzwinkern und ohne uns selbst zu ernst zu nehmen, außer natürlich bezogen auf unsere Musik. Wir wollten mit dieser Flagge lediglich zeigen, dass wir aus Schweden kommen und stolz darauf sind, und sicher nicht solche Fragen damit hervorrufen. Ich denke, es ist gut, seinem Land positiv gegenüber zu stehen, so lange man nicht so weit geht und sich selbst für die Besten hält. Natürlich würde eine deutsche Flagge vor dem geschichtlichen Hintergrund einen gewissen Argwohn heraufbeschwören. Aber das ist schade, und ich hoffe, dass irgendwann in der Zukunft auch eine deutsche Band mit einer deutschen Flagge auf der Bühne stehen kann, ohne deswegen etwas Schlechtes unterstellt zu bekommen.

Elke:
Wie lange wart ihr insgesamt im letzten Jahr eigentlich auf Tour?

Peter:
So ungefähr fünf Monate.

Elke:
Hat man da überhaupt noch ein Privatleben?

Peter:
Wir haben glücklicherweise sehr verständnisvolle Familien und Freude. Es ist natürlich schwerer, wenn man Kinder hat und so lange von ihnen getrennt ist. Sie verstehen nicht immer, warum Papa so viel unterwegs ist. Aber gleichzeitig verbringen wir, wenn wir zu Hause sind, qualitativ mehr Zeit mit unseren Familien als jemand, der von früh bis spät arbeiten geht und dann todmüde ins Bett fällt und auch nichts mehr von seinen Kindern hat. Es ist etwas, das wir nicht ändern können, aber mit der Unterstützung anderer ist es machbar.

Elke:
Muss man sich gezielt längere Auszeiten nehmen oder passiert das automatisch?

Peter:
Wir versuchen immer, zwischen den einzelnen Tourneen längere Pausen einzulegen. Bis zu unserer in Kürze anstehenden US-Tour waren wir beispielsweise zwei Monate über die Weihnachtsfeiertage zu Hause.

Elke:
Was steht außer der US- und der Europa-Tour sonst noch so an bei euch?

Peter:
Wir hoffen, dass wir im Sommer viele Festivals mitnehmen können. Ich liebe Festivals, weil man dort so viele verschiedene Leute trifft und so viele verschiedene Bands dort spielen. Wir machen immer neue Bekanntschaften und treffen alte Freunde wieder und haben eine gute Zeit.

Elke:
Hast du ein Lieblingsfestival?

Peter:
Ich mag das Wacken Open Air, weil es ein reines Metal-Festival ist, oder auch Rock Am Ring, aber wenn ich mich für eines entscheiden müsste, würde ich eines der schwedischen Festival wählen, einfach weil es schwedisch ist.

Redakteur:
Elke Huber

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