IN FLAMES: Interview mit Peter Iwers
06.04.2008 | 14:10Neuanfang, Selbstkopie oder back to the roots? Neue Groovehits für die Massen oder Göteborger Riffs der alten Schule? Über kaum ein zweites Album dürfte dieser Tage so heiß diskutiert werden wie über das neue von IN FLAMES, "A Sense Of Purpose" betitelt. Auch in der Gruppentherapie von POWERMETAL.de scheiden sich die Geister am immerhin neunten Studioalbum der Schweden. Einst als Miterfinder des melodischen Göteborg-Death-Metals gefeiert, entdeckte das Quintett vor ein paar Jahren seine experimentelle und groovige Ader, um zuletzt doch wieder etwas in härtere Gewässer zurück zu rudern. Grund genug also für wilde Spekulationen über das neue Meterial, was im Hause IN FLAMES aber nicht für allzu große Gemütsregungen sorgt. Vor allem der Bassist bleibt im Interview stets besonnen und plaudert ruhig über seine Familie, seine Lesegewohnheiten als Kind und die Chance, einen neuen Stil zu kreieren.
Peter Iwers ist ein viel beschäftigter Mann. Den ganzen Tag läuft seine Telefonschnur schon heiß, will die gesammelte Metal-Journalie ihn mit Fragen löchern. "Aber meiner Stimme geht's immer noch gut", scherzt Peter. "Ich weiß noch genau, was ich sage." Zur späteren Stunde verzeiht man ihm dann auch gern, wenn er das Interview schon nach kurzer Zeit unterbricht. Schließlich mag sein siebenjähriges Töchterchen etwas wissen. Schwedisches Gemurmel im Hintergrund, ehe Peter den Telefonhörer wieder ergreift und sich höflich entschuldigt. "Ich versuche die Arbeit mit meinem Privatleben zu kombinieren und mache die Telefoninterviews eben alle von zu Hause aus", erklärt der 32-Jährige. Auch während einer Tour nicht daheim sein zu können, stellt kein Problem dar: "Ich habe eine sehr geduldige Freundin", schmunzelt der zweifache Vater. "Mein 13-jähriger Sohn hat sich daran gewöhnt, und meine Tochter kennt es von Geburt an nicht anders."
Ein wenig in ihre eigene Kindheit zurück versetzt dürften sich IN FLAMES bei der Wahl des neuen Album-Artworks gefühlt haben. Durch das gesamte Booklet zieht sich eine Comic-Geschichte, das Cover berstet förmlich vor grellen Farben. "Jeder mag doch Comics", plaudert Peter, "ich selbst hab früher gern "The Phantom, The Ghost Who Walks" und auch schwedische Comicbücher gelesen." Eines Tages surfte Sänger Anders dann durchs Internet und stolperte dabei über den Künstler Alex Pardee. Sofort waren auch Peter und die anderen Bandmitglieder von dessen Arbeit begeistert. "Es ist sein Stil, vor allem seine extremen Farben. Sie sind sehr hell und stark." Anders Fridén und Alex Pardee setzten sich daraufhin zusammen. Der Sänger erklärte ihm seine Idee hinter jedem Songtext, die der Künstler dann visualisierte. Wobei Anders bekanntlich kein Sänger ist, der viel über seine Gedanken hinter seinen Texten spricht. "Es ist also mehr die Grundidee, die bildlich umgesetzt wurde", erklärt Peter stellvertretend. "Das Album kann als Geschichte des Lebens verstanden werden. Jedes Mal, wenn etwas Signifikantes passiert, vollzieht sich in deinem Leben eine grundlegende Wende. Es geht dann in eine ganz andere Richtung, als du geplant hast." Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Konzeptalbum mit einem Happy End oder dergleichen: "Jeder Song hat sein eigenes Thema."
In konzeptioneller Hinsicht wichtig war Peter und den anderen Musikern nur eines: 'The Mirror's Truth' sollte der Opener sein. Was aber keinen inhaltlichen, sondern einen rein musikalischen Hintergrund hat. "Der Song ist wie ein Schlag ins Gesicht", schwärmt der Bassist. "Er startet mit einer einzelnen Gitarre. Man will etwas lauter drehen, und dann bekommt man die ganze Rhythmus-Fraktion ab. Der Song kickt einfach." Was das weitere Konzept angeht, sollte lediglich die musikalische Balance zwischen den Songs im Vordergrund stehen. "Wir wollen gar nicht die besten Songs auf Track Nummer zwei oder drei packen." Dass dabei – wie schon beim Vorgängeralbum – die groovigeren Songs eher in der ersten Albumhälfte anzutreffen sind, während Killersongs wie 'Sober And Irrelevant' oder 'March To The Shore' auf die hinteren Ränge verwiesen wurden, ist im Hause IN FLAMES wohl gar nicht aufgefallen. "So habe ich das ehrlich gesagt noch gar nicht gesehen", meint Peter etwas nachdenklich, "und es war auch nicht beabsichtigt. Es sollte sich beim Durchhören einfach gut anfühlen."
Die Aussage, dass Musik der Marke IN FLAMES seit geraumer Zeit generell eher groovig ausfällt – wenn zuletzt auch durchaus wieder härter – und die Melodien sich dem Zuhörer nicht gleich beim ersten Durchlauf erschließen, amüsiert Peter dann hörbar. "Weißt du, wir schreiben Musik immer so, wie wir uns gerade fühlen. Und jedes Mal, wenn wir mit den Interviews beginnen, kommen die Leute mit den unterschiedlichsten Theorien. Ich denke, dass die Melodien definitiv da sind. Es ist eine gute Mischung aus Groove, Eingängigkeit und Aggressivität." Selbstredend stammen die Melodien in erster Linie von Peters Gitarrenkollegen Björn und Jesper. "Die beiden präsentieren uns ein paar Riffs, und dann steuert jeder seine Ideen bei. Dann schmeißen wir auch mal einen ganzen Chorus oder ein Gitarrensolo um." Herausgekommen ist dabei unter anderem der erste achtminütige Song der Bandgeschichte 'The Chosen Pessimist'. "IRON MAIDEN haben ja auch schon einen langen Song gebracht, warum also nicht auch wir? Und ich kann ihn mir auch gut live vorstellen."
Gerade bei solchen Balladen peilt Sänger Anders ebenso höhere Tonlagen an, was von manchen Fans aber eher als Gequäke aufgefasst wird. Davon hat auch Peter schon gehört: "Aber ich widerspreche dem völlig. Ich mag seine Art zu singen, gerade auf dem neuen Album. Er singt jetzt sehr viel besser und vielschichtiger als vor zehn Jahren, als er nur gegrowlt hat." Doch nicht nur Anders' Gesangslinien, auch die Musik stand in den letzten Jahren immer wieder in der Kritik von älteren Fans, die sich – manchmal nicht unberechtigt – ein zweites "Clayman"-Album wünschten. "Jeder darf seine eigene Meinung haben. Aber wir machen das, was wir fühlen und würden uns niemals wiederholen. Eine zweite "Clayman" käme nicht aus unserem Herzen." Zumal er sich noch an zahlreiche Gästebucheinträge erinnern kann, als jenes legendäre Album anno 2000 raus kam: "Genau die gleichen Leute, die dieses Album liebten, haben es ein halbes Jahr später gehasst, weil wir mit SLIPKNOT auf Tour gingen. Das ist lächerlich! Bei "Reroute To Remain" meinten viele, wir sollten so klingen wie auf "Clayman". Bei "Soundtrack To Your Escape" sollten wir dann aber so klingen wie auf "Reroute ..." und so weiter. Darauf sollte man nicht hören. Es geht nur darum, wie wir jetzt klingen."
Die persönliche Phase scheint bei den fünf Schweden immer im Vordergrund zu stehen. So sei laut ihrem Basser "Soundtrack To Your Escape" seiner Meinung nach ein sehr düsteres Album gewesen, da einige Mitglieder – Peter inklusive – eine harte Zeit durchgemacht hätten. Beim aktuellen Longplayer hingegen sei jeder in der Band so glücklich, wie es nur geht. Dennoch kann Peter die Meinung mancher Fans nachvollziehen. "Ich bin ja selber als Musikfan groß geworden, und ich mochte die alten IRON MAIDEN und METALLICA. Ich kann aber auch verstehen, warum sie heute andere Sachen schreiben, sie wollen sich auch weiter entwickeln. Wenn du als Musiker weiter machen willst, kannst du nicht immer und immer wieder das selbe spielen. Wir fünf spielen weder das, was eine Plattenfirma von uns will, noch das, was einige Fans denken, was wir spielen sollten. Sonst könnten wir uns nicht mehr im Spiegel anschauen." Außerdem hat Peter, der seit elf Jahren mithilft, dass sich IN FLAMES immer wieder neu erfinden, auch noch einen Tipp für Nachwuchsbands: "Wenn man sich hinsetzt und eigene Songs erschaffen will, kann man auch einen eigenen neuen Stil erschaffen. Ich denke nicht, dass es alles schon mal gab, auch wenn man natürlich von überall her Einflüsse mitnimmt." Die Schweden wurden selbst einst von der "New Wave Of British Heavy Metal" inspiriert, aber auch von härteren Sachen. "Das wollten wir kombinieren, so wie es AT THE GATES schon vorher gemacht hatten."
Um ihr heutiges kreatives Schaffen den Fans zu präsentieren, ist Peters Terminkalender schon bis Jahresende komplett ausgefüllt. Diesen Monat geht's zunächst auf Tour mit MEGADETH und CHILDREN OF BODOM. Nach der Festivalsaison, in der die Schweden auch das ostdeutsche "With Full Force" beehren, stehen Australien, Japan und wieder Europa sowie Amerika als Headliner auf dem Plan. Aber spätestens zur Weihnachtszeit haben Peters Kinder ihren Vater dann – angesichts der vielen Live-Pyros hoffentlich wohl behalten – wieder.
- Redakteur:
- Carsten Praeg