Im Interview mit LAHANNYA

27.11.2011 | 09:05

"Manchmal konnte ich es kaum glauben, dass das gerade bei uns vor der Haustür passiert, was da im Fernsehen lief. Aber spätestens wenn du rausgehst und siehst wie gegen sechs Uhr dein Supermarkt um die Ecke alles vernagelt, weißt du, dass es Realität ist."

Knapp zwei Jahre sind vergangen, als das letzte Album "Defiance" der Formation LAHANNYA erschien. In dieser Zeit hat sich die fiktive Welt, die die Band besingt gerade in Großbritannien in mancher Hinsicht in eine erschreckende Realität weiterentwickelt. Das neue Werk "Dystopia" erzählt nun die Geschichte weiter, ohne direkten Bezug auf die Realität zu nehmen. Dennoch sind wieder viele Parallelen in den neuen Songs zur Wirklichkeit zu finden. Wie sie selbst die Geschehnisse erlebt hat und was die Band in der letzten Zeit so gemacht hat, das verrät uns die Frontfrau während der Tour mit ASP, die in Dresden ihren Auftakt hatte.

Swen:
Hi Lahannya, schön, dass es heute geklappt hat. Nun treffen wir uns schon wieder in Dresden, nach dem Release eines neuen Albums. Wie ist es euch in der Zwischenzeit ergangen?

Lahannya:
Hi Swen. Stimmt, beim letzten Mal waren wir ja zu diesem Festival "Schwarzes Dresden". Na wir sind im vergangenen Jahr ausführlich getourt, in Deutschland und in Großbritannien und die Arbeit an der neuen Platte hat sehr viel Zeit verschlungen. Gerade das Artwork war wieder sehr aufwendig und hat lange gedauert. Dort haben wir wieder mit Stan W. Decker zusammengearbeitet. Seit März stand fest, dass wir gemeinsam mit ASP auf Tour gehen werden und bis dahin sollte das Album fertig sein. Von daher hatten wir zum einen nicht die Zeit dieses Jahr groß zu touren, zum anderen hätte das ja auch nicht so viel Sinn gemacht.

Swen:
Und da war der Auftritt heute quasi die Premiere des neuen Materials?

Lahannya:
Genau. Heute war die Feuertaufe! Aber ich muss sagen, dass ich absolut begeistert von den Reaktionen der Zuschauer bin. Das ist ja nicht immer normal.

Swen:
Das stimmt. Ich habe beim Gig bemerkt, dass ein anderer Drummer dabei ist. Gab es einen Wechsel?

Lahannya:
Ja, Belle ist hauptsächlich aus Zeitmangel ausgestiegen. Bei ihm hatte sich seine persönliche Situation geändert und er kann nicht mehr so lange mit auf Tour gehen. Außerdem fanden die ganzen Aufnahmen zu "Dystopia" in Deutschland statt. Das wäre für ihn zeitlich nicht machbar gewesen. Aber wir sind im Guten auseinander gegangen und stehen noch im Kontakt. Er hat beispielsweise bei unserem Gig im Underworld bei der After-Show-Party aufgelegt.

Swen:
Reden wir doch einmal über das neue Album. Die Geschichten die du auf "Defiance" erzählt hast, beruhen ja auf den Gedanken, dass ein Ort oder sogar ein Land zum absoluten Überwachungsstaat wird und den Menschen alles vorgibt, wie sie ihr Leben zu gestalten haben. Wer sich nicht an diese Regeln hält, wird in den Underground verbannt. Nun baut "Dystopia" darauf auf?

Lahannya:
Genau. Die EP "Welcome To The Underground" war quasi der Auftakt einer Trilogie, die mit "Defiance" richtig begonnen hat und nun mit "Dystopia" weitergeht. Es handelt eben von Großbritannien, das Land in dem ich lebe, und das sich zum absoluten Überwachungsstaat entwickelt hat. Durch mehr Gewalt auf den Straßen und Terroranschläge rufen die Menschen nach mehr Sicherheit. Der Staat gibt die Normen und Regeln vor. Und wie du es gerade gesagt hast, ist die Grundlage der Story, dass die Menschen, die nicht bereit sind, nach diesen Normen zu leben, zu Außenseitern werden und nicht mehr Teil der Gesellschaft sein können. Bei "Defiance" gab es diese Rebellen, die sich dagegen aufgelehnt haben und am Ende eine Niederlage hinnehmen mussten. "Dystopia" fängt da an, wo "Defiance" aufgehört hat. Die Rebellen realisieren, dass sie eine Niederlage erlitten haben. Sie haben all ihre Energie, ihr Herzblut in die Sache gesteckt und sind ihren Werten treu geblieben, aber es hat nicht geklappt. Da stellt sich für sie die Frage: Beugst du dich der Situation oder bist du vielleicht bereit, deine Prinzipien ein bisschen zu ändern, weil dir die Sache so wichtig ist. Über diesen persönlichen Zwiespalt der Emotionen zwischen "Ich will gar nichts mehr von der Welt wissen - ich will einfach nur weg!" und "Ich werde doch einen Weg finden!" geht es auf dem Album. Am Ende finden sich diese Rebellen wieder zusammen. In veränderter Form und mit gewissen Kompromissen entscheiden sie sich, doch weiterzumachen. Dann kommt der dritte Teil, aber dazu verrate ich noch nichts!

Swen:
Musikalisch finde ich das Werk wesentlich vielseitiger als den Vorgänger. Ihr seid eurem Sound treu geblieben, dennoch spürt man den Mut zur Veränderung. Wie kam es dazu, denn gerade orchestrale Parts sind ja für euch neu?

Lahannya:
Das freut mich, dass du das so empfindest. Das ist genau das, was wir machen wollten, dass der typische Bandsound erhalten bleibt, dennoch genügend Abwechslung vorhanden ist. Wir haben versucht, jedem Song die Atmosphäre zu verleihen, die ihn am besten untermalt. Weil viele Stücke eben so dramatisch sind, passen diese orchestralen Sachen hervorragend dazu. Dafür haben wir mit ACIMO zusammen gearbeitet. Er hat schon viel Klassik gemacht und ist ein Bekannter von Lutz. Ihm haben wir mit ins Boot geholt und erklärt, was wir möchten. Er hat ganz phantastische Sachen da in den Stücken eingebaut! 'The Stand' haben wir mit Dominik Pawlat gemacht. Er ist Dudelsackspieler und -bauer. Wir haben ihm einen Song gegeben und freie Hand gelassen. Er hat dazu eine bezaubernde Untermalung geschaffen. 'Cocoon' wartet mit einer Akustikeinlage auf. Diese Einlage hatte Lutz nur mal so aus Spaß vor sich hin gespielt und ich fand das so klasse, dass ich es unbedingt in dem Song haben wollte.

Swen:
Auf der ASP-Tour stellt ihr in Deutschland das neue Werk vor. Davor wart ihr in Großbritannien unterwegs. Wie ist dort das Album angekommen bzw. kann man die Fans in beiden Ländern vergleichen.

Lahannya:
Genau. Es waren fünf Auftritte. Naja, es ist schwer zu vergleichen, zumal wir in der Heimat eine Headliner-Tour gemacht haben. Zum einen haben wir dort länger gespielt und ein sehr treues Stammpublikum, das fast keinen Auftritt auslässt. Zum anderen hatten wir als Support ACHILLA dabei und diverse Bands in den jeweiligen Städten. Hier sind wir derzeit als Support von ASP unterwegs und da ist das etwas ganz anderes, was die Stimmung und die Reaktion der Menschen angeht. Man kann generell auch nicht sagen, dass das Publikum in beiden Ländern nun komplett anders ist. Ich würde vielmehr sagen, dass man es eher auf die jeweiligen Orte beziehen kann. Allein schon das Publikum in Hamburg ist anders als in Erfurt oder Dresden. Genauso ist das in England. Von daher kann man eher sagen, dass das Publikum in Hamburg genauso drauf ist wie das in Sheffield, oder in London so wie in Berlin. Also ähneln sich bestimmte Städte mehr als das ganze Land. Glasgow fällt mir da gerade ein, die sind besonders irre. Die gehen da jedes Mal ab, wo wir uns selbst fragen, ob wir da was falsch gemacht haben. Die klatschen nicht nur mit, sondern springen wild herum, was bei unserer Musik ja nicht unbedingt normal ist. Aber das liegt immer am jeweiligen Menschenschlag. Ich kann mich noch an einen Gig in Wales erinnern. Da hat ein Typ das gesamte Set durch den "Helikopter" gemacht, während zwei Mädels die "Macarena" dazu getanzt haben. Das war ein so bizarrer Anblick, dass ich vor Lachen kaum noch singen konnte. Geschweige konnte ich mir bis dahin nicht vorstellen, dass man zu unserem Song 'Bleed for Me' die "Macarena" tanzen kann. Du siehst also, es gibt immer und überall lustige Begebenheiten, egal wo man auf der Welt spielt.

Swen:
Das kann ich mir gut vorstellen! Kommen wir mal wieder zum Album zurück. Diesen Überwachungsstaat den du immer wieder beschreibst, ist zum Teil vor ein paar Jahren in England schon Realität geworden. Hast du nach den Unruhen im August noch mehr Verschärfungen in Richtung deiner Geschichten bemerkt.

Lahannya:
Naja, schärfer vielleicht nicht, aber während dieser Unruhen gab es eine sehr interessante Entwicklung. Dazu später mehr. Es ist dir überall begegnet. Ich kam beispielsweise gerade von einem Flug zurück und als ich aus der Bahn ausstieg, war ich mittendrin, denn es war unter anderem auch der Stadtteil betroffen, in dem ich lebe. Es hat fast alle aus der Band betroffen. Entweder weil er selbst dort wohnt, oder Bekannte und Freunde von ihm. Als ich dann aus der Bahn bin, sah ich die vielen kaputten Scheiben, die Barrikaden, der Supermarkt bei mir um die Ecke war mit Brettern vernagelt. Es herrschte eine sehr seltsame Stimmung. Selbst als wir das Video zu 'Save Me' gedreht haben, mussten wir eher aufhören, weil die Gegend von der Polizei abgesperrt wurde, um die Kontrolle über die Straßen wieder zu bekommen.

Um einiges zu verstehen musst du wissen, dass die Polizei in London und generell in England über keine Wasserwerfer verfügt oder Tränengas einsetzt. Eigentlich sind die Methoden bei uns wesentlich friedlicher. Und jetzt komme ich zu dieser interessanten Entwicklung. Nach den ersten Tagen der Unruhen, hat die Bevölkerung selbst nach stärkeren Maßnahmen gefordert. Zudem wurde verlangt, dass die Verursacher stärker bestraft werden sollen. Die Politiker haben das ja auch bemerkt und können so durch diese Vorfälle eben Gesetze legitimieren, die uns wieder ein Stück näher an den Überwachungsstaat und an meine fiktive Welt heranbringen. In Großbritannien entwickelt sich meiner Meinung nach gerade eine grobe Zweiklassengesellschaft. Damit meine ich nicht die klassische, die es schon immer hier gab. Auf der einen Seite hast du die Menschen, die alle Regeln einhalten und den Gesetzen folgen. Die einfach nach den momentanen Normen leben. Auf der anderen Seite gibt es eine ganz neue Generation von Menschen, die einfach frustriert sind und denken, es gibt keine Jobs für sie und das sie sich mit solchen Aktionen und mit Gewalt Respekt verschaffen können.

Swen:
Also war es für dich sehr erschütternd, dass deine Geschichten (wieder einmal) in Bruchstücken zur Realität wurden und du mittendrin warst?

Lahannya:
Auf jeden Fall! Es war insgesamt eine sehr seltsame und bedrückende Stimmung. Schon allein, weil jeder von uns jemanden kennt, der in Gefahr war oder davon rennen musste. Dieses ganze Szenario ist schon ungewöhnlich für unseren Teil der Welt. Was mich ebenfalls erschüttert hat, ist die Tatsache, dass es von innen heraus, also aus dem eigenen Land, gekommen ist. Von der Sache her waren das ja alles britische Bürger. Manchmal konnte ich es kaum glauben, dass das gerade bei uns vor der Haustür passiert, was da im Fernsehen lief. Aber spätestens wenn du rausgehst und siehst wie gegen sechs Uhr dein Supermarkt um die Ecke alles vernagelt, weißt du, dass es Realität ist. Ich denke, dass wir alle diese Geschehnisse als Weckruf sehen sollten!

Swen:
Da gebe ich dir absolut recht. Zumal es ja auch bei uns in Deutschland so etwas jederzeit geben kann. Ich glaube über dieses Thema könnten wir noch stundenlang diskutieren könnten.

Lahannya:
Das ist richtig. Aber ich muss dann mal langsam an den Merch-Stand zu den Fans.

Swen:
Okay, kein Problem. Zum Abschluss noch eine Frage: Lebt denn Mathilda noch, euer Tourbus?

Lahannya:
Ja, Mathilda lebt noch. Mit ihr haben wir gerade die England-Tour gemacht und sogar neuen TÜV bekommen! Bis jetzt hat sie uns noch nicht im Stich gelassen.

Swen:
Das ist gut zu hören! Dann danke ich dir für deine Zeit und wünsche euch noch viel Spaß auf der Tour!

Lahannya:
Danke! Ich denke, den werden wir haben. Viele Grüße an die Leser!

Redakteur:
Swen Reuter

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