Im Rückspiegel: GOJIRA ("Terra Incognita" - "Magma")
25.04.2021 | 07:5025 Jahre GOJIRA, 20 Jahre "Terra Incognita" und die Veröffentlichung des neuen Albums "Fortitude" am 30. April 2021. Bei den Franzosen ergeben sich derzeit viele, viele Feiermöglichkeiten und damit ausreichend Gründe, sich einmal der Diskografie zu widmen. Für die Beteiligten nimmt GOJIRA größtenteils eine besondere Rolle im Musikkosmos ein. Kommt also mit uns auf eine kleine Zeitreise!
Wir feiern dieses Jahr den 20. Geburtstag von "Terra Incognita", GOJIRAs Debüt-Album. Mich überzeugen Erstlingswerke selten, weil sie meist unaufgeräumt wirken und viele Bands noch auf der Suche nach ihrem Stil sind. Nicht so bei GOJIRA - das Debüt überzeugte mich so sehr, dass das Cover irgendwann das Backpatch auf meiner Metal-Kutte wurde. Die 14 Tracks strahlen bereits die GOJIRA-typische Brutalität aus und das Quartett, das im Übrigen nie die Besetzung gewechselt hat, ist bereits 2001 präzise und technisch einwandfrei unterwegs. Der Opener 'Clone' hat es mir mit seiner Geschwindigkeit angetan, aber auch mit langsamen Nummern wie 'Satan Is A Lawyer' (was ist das bitte für ein genialer Songtitel?) weiß GOJIRA zu überzeugen. Entstanden ist "Terra Incognita" während Gitarrist und Sänger Joseph Duplantier in einer Hütte im Wald gelebt hat - der spirituelle Ansatz der Band kommt besonders beim instrumentalen '5988 Trillions De Tonnes' zum Vorschein, aber auch durch die typischen Mantra-artig wiederholten Riffs und durch Variation im Gesang, die an Meditation erinnert (z.B. bei 'Deliverance'). Zudem ist es das bis dato düsterste Album der Band. Die brachiale Wut zusammen mit einer unbestechlichen Intelligenz im Songwriting und bei den Lyrics plus einem experimentellen Ansatz, die GOJIRA bis heute zu der Ausnahme-Band machen, die sie ist, zeigen sich auf "Terra Incognita" in einer rohen Reinheit, die wahrscheinlich nur ein Debüt hervorbringen kann. Die Marschroute war klar und GOJIRA hat sie konsequent weiterverfolgt.
Zugegeben, "The Link" war nicht meine erste musikalische Berührung mit den Franzosen, obgleich jedoch meine eindringlichste. Denn kein anderes GOJIRA-Album hat mich in Sachen Atmosphäre und Vehemenz zugleich so beeindruckt wie das Zweitwerk. Progressive hier, Thrash dort, Death einerseits, Doom andererseits, "The Link" ist ein unheimlich vielseitiges Extreme-Metal-Album, das die Grenzen des Genres genüsslich auseinanderbricht. Wie Hasen schlagen Rhythmen und Tempi in fordernder, aber hochinteressanter Form schweißtreibende Haken, Joe und Christian frickeln sich in einen Wahn und mit 'Death Of Me' und 'Inward Movement' hat "The Link" auch zwei meiner GOJIRA-All-Time-Favoriten auf dem Beipackzettel. Auch wenn ich mir wünsche, dass bis auf 'Wisdom Comes' und 'Remembrance' live mehr von dieser Platte gespielt wird, ist sie auf ganzer Länge ein Genuss für Liebhaber extremer Musik, Instrumentalvirtuosen vor dem Herrn und Menschen wie mich, die nach dem Erstkontakt "L'Enfant Sauvage" auch gerne die Ursprünge einer Band erkunden und dann auf solch ein derbes Düsteraura-Bollwerk stoßen, bei dem sich vor meinem inneren Auge ein apokalyptisch anmutender Film abspielt. Nach jedem einzelnen Rundgang brauche ich ein Bier oder einen Schnaps, doch jedes Mal lohnt es die Achterbahnfahrt erneut. Zum Wohl!
Und noch eine Trinkgelegenheit: Fast auf den Tag genau ein Jahr später erschien dann 2004 entsprechend das erste Live-Dokument GOJIRAs, auf dem selbstverständlich "The Link" die Hauptrolle spielt. 2003 im heimischen Bordeaux aufgenommen, präsentiert sich mir eine unheimlich tight und brutal spielende Band vor einer euphorischen Menge. Der Schweiß tropft von der Decke, die Menge headbangt, mosht und feiert, als gäbe es kein Morgen mehr, und dank eines superben Sounds sowie einer nicht ganz so statischen Kameraführung, kommt auch im heimischen Wohnzimmer Live-Atmosphäre auf. Ich muss mich echt zusammenreißen, nicht parallel zur Menge, die auf die Bühne klettert, um die Stage-Diver-Tradition hochleben zu lassen, auf mein Sofa zu steigen und einfach in den Fernseher zu springen. Dafür bezahlt die Versicherung definitiv nicht. Versichern kann mir GOJIRA vorliegend allerdings ein bockstarkes Konzert, bei dem es eine Freude ist, dieses mit späteren Auftritten zu vergleichen. Speziell das Stöbern in diesen Frühphasen macht für mich den Reiz an späteren Entdeckungen aus und "The Link Alive" ist schon ein derber, herber und brutaler Schlag in die Magengegend.
[Marcel Rapp]
"From Mars To Sirius" wurde das dritte Album anno 2005 getauft und ist mein Lieblingsalbum der Band bisher. Ich habe das Album häppchenweise kennengelernt, hier eine Empfehlung, da ein Reaction-Video, so kam ich von 'The Heaviest Matter Of The Universe' über 'Flying Whales' hin zu 'Global Warming' (besonders toll in der Live-Studioversion von 2018) bis zum kompletten Werk. Es ist ein enorm intensives Album, das einen lyrisch wie musikalisch geradezu einsaugt. Joe zeigt hier nicht nur seinen Schrei-Gesang in Perfektion, sondern auch bereits, dass ihm Klargesang sehr gut liegt und schafft zusammen mit der typischen GOJIRA-Mischung aus Umweltthemen und der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod eine emotionale Achterbahnfahrt. Marios Drumming ist wie gewohnt präzise wie ein Uhrwerk einerseits, aber auch total facettenreich. Das Beste an "From Mars To Sirius", liebe Lesende, ist aber die Gitarrenarbeit, einfach göttlich! Ich zitiere mal den ehemaligen Kollegen Herbert Chwalek aus dem Review zur Platte: "Die Riffs haben eine enorme Durchschlagskraft, sind aber sehr eingängig und fesseln den Hörer an die Anlage." Das trifft es auch über 15 Jahre später noch perfekt auf den Punkt. Man höre beispielsweise einfach mal den Endpart von 'Backbone' oder von 'Where Dragons Dwell', das Hauptriff von 'The Heaviest Matter Of The Universe' (der Song ist live eine Macht!) oder das Groove-Monster 'Into The Wilderness'. Es gibt wenige Alben, die es vermögen, mich in den eigenen vier Wänden die selbigen hochlaufen zu lassen, es ist aber weit mehr als reine Katharsis, nämlich auch in Momenten nachdenklich ('World To Come'), fragil ('From Mars') und wenn nicht gar berührend ('Global Warming'), aber genau das macht seinen Reiz.
GOJIRA ist in meinem musikalischen Kosmos anno 2008 noch überhaupt nicht aufgetaucht, doch kurz nach dem Release von "The Way Of All Flesh" beschwört mich mein Bandkollege Jonas eindringlich, mir diesen neuen Song einer französischen Band anzuhören. Ich folge seinem Aufruf und muss erst einmal über den Bandnamen schmunzeln, denn bis heute sehe ich die Szene aus "Godzilla" vor mir, wo der alte japanische Seefahrer mit Angst in den Augen "Gojira!" sagt. Doch musikalisch weckt das rhythmisch vertrackte Percussion-Intro, das mich wohlig an SEPULTURA und "Roots" erinnert, mein Interesse, auch wenn es beim ersten Hören ewig anzudauern scheint. Als ich aber schon gar nicht mehr an ein Ende glaube, überrollt mich plötzlich die Musik gewordene Urgewalt, die auf den Namen 'Art Of Dying' hört, mit ihren fast schon archaisch reduzierten Gitarren-Riffs und dem unfassbar eindringlichen Gesang von Joe Duplantier. Star der Show ist aber in meinen Ohren bis heute ganz klar sein Bruder Mario am Schlagzeug, der mit seiner Verspieltheit und einem untrüglichen Gespür für fesselnde Grooves dem Song ganz neue Dimensionen verleiht. Begeistert von diesem wahnsinnigen Track höre ich natürlich auch das restliche Album und stehe sofort unter dem Bann dieses unheimlich eigenständigen Sounds, den die Franzosen für sich entwickelt haben. Die Parallelen zu SEPULTURA sind nicht nur dank des Brüder-Duos an Gesang/Gitarre und Schlagzeug nicht von der Hand zu weisen, auch musikalisch hat die Quintessenz aus fast schon stoisch einfachen Riffs und verspielten Drums viel mit der musikalischen Grundlage von "Chaos A.D." gemein. Doch mit einem Hang zu modernem Prog-Metal, einem wunderbaren Gespür für Melodien (man höre hierzu nur 'Oroborus') und einem nicht von der Hand zu weisenden Industrial-Einfluss erschafft GOJIRA mit "The Way Of All Flesh" auf diesem Fundament einen Sound, der in meinen Ohren bis heute absolut einzigartig ist. Highlights herauszupicken grenzt daher auch an Frevel, denn jeder Song hat seine ganz eigenen Glanzmomente. Ist es in 'Art Of Dying' das an MESHUGGAH erinnernde Riffing, punktet 'Oroborus' mit diesem grandiosen Tapping-Lick und 'All The Tears' ist einfach nur ein brutaler Schlag in die Magengegend. 'A Sight To Behold' bringt den Hörer mit seinem Industrial-Synth-Einschlag erst einmal aus dem Konzept, nur um später mit hymnischen Qualitäten aufzutrumpfen, und wer es komplett abgedreht mag, der wird mit den taumelnden Riffs von 'Vacuity' sein Glück finden. Dass zur unfassbar packenden Musik auch noch tiefgründige und sozialkritische Texte kommen, ist für mich da nur noch die Kirsche auf der schwermetallischen Sahnetorte. Es passiert nicht oft, dass sich eine mir unbekannte Band mit nur einem Album einen Platz unter meinen Lieblingen verdient - doch genau das hat GOJIRA mit "The Way Of All Flesh" aus dem Stand heraus geschafft.
[Tobias Dahs]
Live-DVDs - meist veröffentlicht mit entsprechender CD - sind immer auch Best-Of-Alben. Man darf die Crème de la Crème erwarten und im Falle von GOJIRA bekommt man diese auf "The Flesh Alive" auch. Der Name verrät schon, dass auf den Konzerten vor allem das bis dato jüngste Album "The Way Of All Flesh" beworben werden sollte und so stammen fünf der zwölf Tracks des Herzstückauftritts beim Garorock von diesem Album. Nach dem Opener 'Oroborus' geht es jedoch erst einmal mit älteren Stücken weiter. 'The Heaviest Matter Of The Universe' und 'Backbone' im Doppelpack knallen auch gut rein. Mit 'Love' und 'Clone' sind auch die Kracher des Debütalbums "Terra Incognita" vertreten. Doch bei einer DVD geht es natürlich auch ums Sehen und in "The Flesh Alive" ist viel Liebe zum Detail geflossen. Nicht nur wechseln sich die Kameraperspektiven dank vieler Schnitte schnell ab, es wurde auch mit Slow-Motion-Effekten und Schwarz-Weiß-Filtern gearbeitet. Dazu kommt, dass immer mal wieder Grafiken den Bildschirm verzieren, passend zum namensgebenden Album. Außerdem wird jedes Mal der Songtitel eingeblendet. GOJIRA ist eine absolute Live-Band und diese Energie fängt "The Flesh Alive" gekonnt ein. Zusätzlich zum Garorock-Gig ist ein Auftritt aus Bordeaux enthalten und drei Songs aus Les Vieilles Charrues. Wer Hintergrundwissen haben möchte, kriegt mit der Dokumentation "The Way Of All Flesh From The Inside" Einblicke in den Songwriting- und Recording-Prozess sowie von den Touren. Der größte Teil ist eher unkommentiertes Behind-The-Scenes-Material, das ist aber gut gemacht und man hat den Eindruck, die Musiker etwas besser kennenzulernen. Doch die Dokumentation zeigt vor allem eines: "The Way Of All Flesh" hat GOJIRA zum Durchbruch verholfen. Anfangs spielt die Band noch in kleinen Clubs. Ich erinnere mich, dass ich selbst bei der Tour in Hamburg im Logo dabei war. Mit einer der kleinsten Clubs, die man dort bespielen kann. In den USA und in Großbritannien spielt GOJIRA mit diesem Album die ersten Headliner-Touren und schließlich wird man von METALLICA als Vorband eingeladen und landet auf den riesigen Bühnen. Nebenbei erfährt man, warum das Quartett live so eine Macht ist: Bei einem Auftritt widmen die Herren alles einer Art höheren Macht, der sie eine gewisse Lebendigkeit zuschreiben. Sie bereiten sich spirituell vor und sind somit bei jedem Gig komplett fokussiert. Davon kann man halten, was man möchte; wer eine GOJIRA-Show schon einmal live erlebt hat, weiß zumindest, dass es funktioniert!
Exakt sieben Sekunden - dann entfaltet sich die gesamte Wucht des fünften GOJIRA-Albums. Zerschlagen, verstört und vielleicht sogar - wenn man der Message der Franzosen zugänglich ist - geläutert, spuckt es einen 50 Minuten später wieder aus. Ich kann mich noch gut an die ersten Durchläufe des 2012 erschienenen Albums erinnern. Unter dem Eindruck des Sound-Monuments "The Way Of All Flesh" war ich allerdings bald irritiert. Vorbei waren die musikalischen Experimente wie die trippigen Zwischenstücke eines "The Link" oder in seiner naiven Brutalität einzigartigen Abriss-Kommandos eines 'Ocean Planet' von "From Mars To Sirius". Die Abgeklärtheit des Vorgängers wurde in die Perfektion getrieben. Die Band tat eigentlich nur eins: Sie hämmerte mit der gleichen Präzision und Wuchtigkeit so lange auf ihre eigene Kerbe in der Szene ein, dass sie sich endgültig ihr eigenes Genre-Tal des Todes-Stahls schuf. Ist damit "L'enfant Sauvage" nur Teil 2 des Vorgängers "The Way Of All Flesh"? Damals lautete meine Antwort "Ja". Heute würde ich sagen: Es verdient einen eigenen Status, denn es brachte vielen Fans das GOJIRA-Rezept nahe und manifestierte nach dem Durchbruch - wie Pia oben zurecht analysierte - den einzigartigen Status der Band. GOJIRA goss alle Trademarks in ein homogenes, nicht überforderndes Album. Wir bekamen das einzigartige Tapping-Riffing, Joes nicht von dieser Welt stammende Halbgrowls, Rhythmen, die technisch gesehen nicht bangbar (hey dirty mind, ich bin noch bei der Musik 😉) scheinen und trotzdem direkt den Nacken traktieren, und epischen Groove, wie er nur von diesem Quartett mit eisernem Faden gehäkelt wird. Mit der Zeit ging die Irritation und die Erkenntnis kam: Die Band schüttelte ihre jugendliche Wildheit der ersten drei Alben ab, um eine Brücke in ihre eigene Zukunft zu bauen. Denn dass die Duplantier-Brüder nicht lange auf einem Stilplateau pausieren würden, war so klar wie der Walgesang im Meer - und wie überraschend der Nachfolger war, hat Tobias weiter unten schön zusammengefasst. Ach, eins noch: Wenn ihr "L'enfant Sauvage" noch nicht kennen solltet und nur vier Minuten Zeit habt: Hört euch 'Born In Winter' an.
GOJIRAs sechstes Studioalbum "Magma" und ich, das war definitiv keine Liebe auf den ersten Blick. Als ich die Platte im Sommer 2016 direkt nach dem Kauf in den heimischen Player legte, überwog nämlich erst einmal ganz klar die Enttäuschung. Verschwunden waren die epischen und ausladenden Kompositionen der vorangegangenen Alben und wichen eher kompakten Kompositionen, die für die Verhältnisse der Franzosen schon fast simpel daherkamen und mir im ersten Moment überhaupt nicht gefielen. Als die Band diesen Schritt damals in Interviews auch noch mit der verminderten Aufmerksamkeitsspanne des Publikums begründete, war das Album für mich eigentlich schon gegessen. Dennoch fand das Album angeführt vom großartigen 'Silvera' mit seinen mächtigen Riffs und dem wunderbaren Tapping-Solo langsam seinen Weg ins Langzeitgedächtnis. Ausgehend vom zweiten Track waren es als nächstes das taumelnde Whammy-Pedal-Riff und der unwiderstehliche Groove von 'Stranded', die meine Aufmerksamkeit erregten, bevor auch das stoisch vor sich hin stampfende 'The Shooting Star' zündete. 'The Cell' weckte im Anschluss sogar wohlige Erinnerungen an die etwas abgedrehteren Kompositionen von "The Way Of All Flesh", während 'Low Lands' mit seinen eher ruhigen Tönen und atmosphärischen Gitarren-Passagen überzeugte. Mein Favorit bleibt allerdings bis heute der grandiose Titeltrack, der in weit über sechs Minuten Spielzeit alles zu bieten hat, was man seit den Anfangstagen des Vierers so sehr am GOJIRA-Sound liebt. In der Retrospektive hat "Magma" damit in meinen Ohren über die Jahre die größte Entwicklung in meinem persönlichen Empfinden durchgemacht und würde nach schwachem Beginn sogar in meiner Bestenliste nur knapp an einem Platz auf dem Treppchen scheitern. Gleichzeitig katapultierte die Platte dank ihrer etwas kompakteren Kompositionen die Franzosen ins kollektive Bewusstsein der Metalszene und überzeugte auch Metaller, die mit den ausladenden Kompositionen der Anfangstage bis dahin nicht so viel anfangen konnten. Entsprechend findet sich der Vierer heute auch dank "Magma" als Hauptact auf den größten Festivalbühnen Europas wieder, wo diese einmalige Band definitiv hingehört!
- Redakteur:
- Pia-Kim Schaper