Im Rückspiegel: SENTENCED
10.10.2023 | 14:43Das Jahr 2023 markiert eine Art Jubiläum für die finnische Band SENTENCED. Das Zweitwerk "North From Here" feierte im Juni 30jähriges Jubiläum und "Frozen" hatte im Juli Grund, die 25jährige Albumexistenz zu feiern. Für uns gibt es also mehrere Gründe für einen ausführlichen Rückblick auf das Schaffen der Finnen.
Shadows Of The Past (1991)
Zu Beginn ihrer Reise waren die SENTENCED-Jungs noch weit weg vom späteren Düster-Klang und haben in bester DEATH- und OBITUARY-Manier ein ach so typisches Death-Metal-Debüt eingeprügelt. Das vermischt sich in bester Old-School-Manier häufig mit Doom, lässt aber im Ansatz schon erahnen, dass es eben nicht amerikanischer, sondern skandinavischer Prägung ist. Mal etwas schneller, mal gedrosselt, "Shadows Of The Past" ist der Inbegriff eines handwerklich guten Erstlingswerkes, bei dem die entsprechende Band noch nach musikalischer Orientierung sucht. Dass sie diese ein paar Jahre später mit dem mächtigen "Amok"-Album gefunden hat, steht an anderer Stelle geschrieben. Für "Shadows Of The Past" jedenfalls wurde nichts dem todesmetallischen Zufall überlassen: Der Sound ist druckvoll und gut, die zweistimmigen Vocals sorgen für einen Hauch von Tiefgang, die Instrumentalarbeit lässt erahnen, zu welchen Großtaten die Finnen in den Folgejahren fähig sein werden, und mit 'Rot To Dead', 'Disengagement' und 'The Truth' hat SENTENCED mit dem viel zu früh verstorbenen Miika Tenkula schon sehr gute Arrangements am Start, die packen und faszinieren. Generell ist seine damals schon prägende Handschrift auf Album Nummer eins deutlich erkennbar, was jedoch nichts daran ändert, dass "Shadows Of The Past" eher unter meinem persönlichen SENTENCED-Radar umherwütet. Ob es an der späteren Kurskorrektur oder trotz Dynamik und umgesetzter Abwechslung dem Über-Angebot an skandinavischen Death-Metal-Scheiben in den 1990er Jahren liegt, weiß selbst ich nicht so genau. Der erste Baustein des späteren Fundaments wurde 1991 mit einem dennoch guten Album gesetzt. Ich bin an dieser Stelle nur heilfroh, dass das ursprüngliche Artwork dann doch für Wiederveröffentlichungen später überarbeitet wurde.
North From Here (1993)
Schritt für Schritt, aber dann doch sehr plötzlich, fanden die Finnen zu ihrem ganz eigenen Sound. Das Zweitwerk "North From Here" – nun wurde endlich dieses wunderbare Bandlogo und der unnachahmliche Pinselschwung im Artwork gefunden – ist das Bindeglied zwischen dem Death Metal der alten Schule und dem Hang zum Gothic-Metal-Ungetüm, das sich zwei Jahre später auftun würde. Richtig, es wurde melodischer, aber auch ob des minimalistischen und deshalb so genialen Covers atmosphärischer, die Ideen, die sich auf "North From Here" mit der technischen Umsetzung und einer unheilvollen, mystischen Aura paaren, greifen schon früh im SENTENCED-Kosmos nach den finsteren Sternen. Agile Gitarren, wunderbare Melodien einerseits und wilde, noch im Death Metal verankerte Wutausbrüche andererseits – das Album gehört definitiv nicht zu den Easy-Listening-Scheiben im skandinavischen Raum, doch ist es auf alle Fälle lohnend, dass man es im Detail erforscht und dieses Album versucht zu verstehen, um auch den Zauber des magischen Drittwerks in Gänze zu sehen. Vielleicht lag es am Gesangswechsel, an dem offenen Geiste, für den Miika Tenkula ohnehin in seinem Leben bekannt war, an den ganz dezenten, aber doch so entscheidenden Nuancen des Funks, Jazz und Progs, um so ein Album zu erschaffen, das um eine Alleinstellung im skandinavischen Extreme Metal bemüht war. Wer weiß, welche Melodic-Death-Metal-Bands, welche Größen der Szene, noch immer "North From Here" als ihren Einfluss nennen; 'Wings', 'Capture Of Fire' oder das finale Doppelgespann 'Northern Lights'/'Epic' sind atmosphärisch schon oberste Schublade und schlagen die Brücke zu einem Album, das bis heute zum Besten zählt, was SENTENCED je veröffentlicht hat.
Amok (1995)
Wie oft man doch sagt, dass das dritte Album einer Band zumeist auch das wegweisende ist. Wie deutlich sich diese These behauptet, offenbart uns der Fall SENTENCED und das "Amok"-Album, das mit seinem vieldeutigen, rot-goldenen Artwork in den frühen Morgenstunden des Jahres 1995 das düstere Licht der Welt erblickte. Man stelle sich nur vor, wie finster die finnischen Tage im Januar sind und welche Wirkung dann dieser durch und durch besondere Mix aus Wut, Gewalt, Melancholie, Melodie und Zerbrechlichkeit doch hatte. Der Gothic Metal steht nun breitbeinig in der Diskografie der Herren, das leicht Verrückte war zu jeder Zeit hörbar und durch diese beinah schon revolutionäre Mischung verschiedenster Stile und Emotionen kann und muss "Amok" als äußerst wichtiges Album der skandinavischen Extreme-Metal-Szene angesehen werden. Allein die Sprünge, die SENTENCED seit dem Debüt machte, bis sich die Band auf dem vorliegenden "Amok" zu dieser Größe aufstellte, sind atemberaubend. Vorbei ist der Death Metal der alten Tage, der Heavy Metal hält Einzug, hat wunderbare Gothic-Momente, progressive Spielereien mit dabei und auch wenn die Platte nach dem ersten Durchgang noch als sperrig verschrien wird, so löst sich doch spätestens nach dem dritten Versuch diese Bestie von ihren Fesseln und begräbt die restliche, trostlose Landschaft unter sich. Einzelne Songs herauszupicken – obwohl es 'New Age Messiah', 'Funeral Spring' und 'Moon Magick' verdient hätten – lohnt sich nicht, funktioniert "Amok" doch als Ganzes und hat seinen eigenen Charme, der in den Folgejahren zur markantesten Duftmarke von SENTENCED werden sollte. So toll und eindringlich "Down" und "Frozen" auch ihre Schatten warfen, so mächtig thront "Amok" doch als erster Herrscher des Gothic Metals made by SENTENCED.
Down (1996)
Nach der Veröffentlichung von "Amok" verließ Sänger Taneli Jarva die Band aufgrund von kreativen Differenzen. Und mit seinem Abgang und dem Einstieg von Ville Laihiala setzte SENTENCED die musikalische Entwicklung weg vom Death Metal der ersten Alben, welche die Finnen bereits auf "Amok" eingeleitet hatten, weiter fort. Das erste Album mit Sänger Ville hörte dann 1996 auf den Namen "Down" und konnte zum ersten Mal nicht mehr als Death Metal bezeichnet werden. Vielmehr spielt SENTENCED melancholischen Düster-Rock, dem man zwar anhört, dass die bandeigenen Wurzeln nicht ganz aufgegeben werden sollten, der aber nahezu vollständig auf Doublebass-Passagen verzichtet. Zudem singt Ville deutlich anders als Jarva, denn seine Stimme ist deutlich klarer als die von Jarva. Und die neuen Songs kamen offensichtlich damals gut an, denn "Down" brachte den Finnen in ihrer Heimat den ersten Chart-Einstieg der Bandgeschichte. Und das zu Recht, denn 'Noose', 'Bleed' und 'Sun Won't Shine' waren fortan echte Klassiker und fanden bis zur Auflösung in 2005 immer wieder ihren Weg in die Konzerte der Band.
Frozen (1998)
Das Referenzwerk von SENTENCED. Was mit 'Kaamos' beginnt und den Hörer gleich in die passende melancholische Stimmung führt, und mit 'Mourn' endet, ist dazwischen durchweg Extraklasse. Dabei schaffen es Laihiala und Co. das hohe Grundniveau von Songs wie 'One With Misery', 'Dead Leaves', 'The Rain Comes Falling Down' (was leider bei Open-Air-Auftritten immer wieder zu wörtlich genommen werden musste) oder 'Drown Together' gleich mehrmals zu toppen und mit 'Farewell', 'Let Go (The Last Chapter)' und DEM SENTENCED-Hit 'The Suicider' absolute Oberkracher zu liefern. Bei dem letztgenannten Lied bekomme ich beim Gitarrenspiel zum Einstieg direkt und jedes Mal Gänsehaut. Der musikalische Schritt zwischen "Down" und "Frozen" ist nicht so groß, wie zuvor von "Amok" zu "Down". Aber es gibt auch hier eine musikalische Weiterentwicklung. Laihiala singt nicht mehr ganz so rau und "dreckig" wie auf dem Vorgänger, was dem Gesamtsound der Band sehr gut zu Gesicht steht. Für mich ist "Frozen" der ideale Soundtrack für einen Spaziergang durch die dunklen, zugeschneiten Wälder Finnlands und ganz klar und ohne Frage ein 10-Punkte-Album. War es damals und ist es heute.
Crimson (2000)
Ein Album mit hohem persönlichen Stellenwert bei mir. Denn "Crimson" bedeutete 2000 nicht nur meinen persönlichen Einstieg in das SENTENCED-Universum, sondern die dazugehörige Tour mit TO/DIE/FOR, DARK TRANQUILLITY und IN FLAMES war zudem mein allererstes Club-Konzert. Musikalisch wurden die Entwicklungsschritte von Album zu Album immer geringer. Es gab nur noch leichte Nuancen, an denen etwas verändert wurde. So klingt "Crimson" insgesamt etwas glatter als die Vorgänger und erinnert mich weniger an einen Waldspaziergang in Finnland als es "Frozen" macht. Dennoch sind die Songs auf "Crimson" auch über jeden Zweifel erhaben. 'Bleed In My Arms', 'Broken', 'Killing Me, Killing You' und 'Dead Moon Rising', bei dem Laihiala einmal in Wacken im Refrain statt 'Dead Moon Rising' "Ich bin Scheiße" gesungen hat, sind absolute Knaller und zählten mit zu den Highlights eines jeden SENTENCED-Auftritts.
The Cold White Light (2002)
Wenn mich in unregelmäßigen Abständen eine SENTENCED-Nostalgiephase packt, dann fällt meine Wahl in 9/10 Fällen auf das Album "The Cold White Light". Die Scheibe setzt sich aus sehr eingängigen Rockeinlagen, gefühlvollen und intensiven Balladen und ausgeklügelten Gitarrensoli sowie Texten, die vor schwarzem Humor strotzen, zusammen. Wer etwas zum Schmunzeln braucht, muss sich nur die Lyrics von 'The Luxury Of A Grave' mal durchlesen. Und bei allem schwingt immer ein melancholischer Unterton mit, der tief in mir als Jugendliche etwas ausgelöst hat und seitdem meine Liebe zu dieser Band entfachte. Insbesondere die Refrains wirken durch Villes lauten Gesang so eindringlich, dass man als Hörer mit jedem weiteren Song tiefer in den Kaninchenbau gezogen wird und förmlich die Kälte spürt. Das große Finale bildet am Ende 'No One There', ein ruhiges und verträumtes Lied, welches dann mit einem Schrei einer Horde Eulen endet und damit den Abschluss einer großartigen Hörreise markiert. "The Cold White Light" mag vielleicht im Genre nicht die nächste wegweisende Scheibe gewesen sein, aber sie hat es den Finnen ermöglicht sich in die Herzen vieler Menschen zu spielen und tatsächlich massentauglicher zu werden. Hier ist einfach alles richtig gemacht und ein absolutes Meisterstück geschaffen worden.
The Funeral Album (2005)
Musik-Nerds lieben Listen. Ob nun das beste Debüt aller Zeiten, das stärkste Konzeptalbum oder aber das ideale Album zum Stand-up-Paddeln bei ruhigem Gewässer. Je obskurer, desto besser. Dabei gibt es auch Fragestellungen, welche durchaus relevant sein können, zum Beispiel nach dem großartigsten letzten Album einer Band. In vielen Fällen ist dieses leider nicht das große Ausrufezeichen zum Schluss, sondern eher ein müder Aufguss vergangener Heldentaten, Dienst nach Vorschrift oder ein Alterswerk, das man sich nur mit Fanbrille schöntrinken kann. Ausnahmen, wie ein Meilenstein von DAVID BOWIE ("Blackstar"), sind leider selten. Und hier schließt sich nämlich der Kreis zu SENTENCED. Denn was Sami Lopakka und Co. hier auf ihrem letzten Kapitel abliefern, ist in meinen Ohren nichts anderes als die Referenzklasse für ein letztes Studioalbum und sollte für viele Künstler in einer gerechten Welt Vorbildfunktion haben. Dabei liefert SENTENCED nicht nur die Quintessenz der ganzen Karriere in diesen knapp 50 Minuten ab, sondern schenkt den Fans auch das wahrscheinlich stärkste Songmaterial in 16 Jahren Bandhistorie. Auf dem kongenial betitelten "The Funeral Album" gibt es einmal mehr den mittlerweile vergoldeten Suomi-Metal mit Hang zum Gothic und tonnenschwere Melancholie – aber auf kompletter Albumlänge noch zwingender und fordernder als auf den eh schon saustarken Vorgängern. Der Opener 'May Today Become The Day' ist ein perfektes Beispiel, serviert er doch direkt zu Beginn schon wieder einen Ohrwurm par excellence. Mein persönliches Highlight bzw. der Songfavorit, wenn es auf einer Trauerfeier mal etwas rockiger werden darf, ist definitiv 'Despair-Ridden Hearts'. Diese 3:40 Minuten ergeben für mich einen der besten Rocksongs aller Zeiten. Von der großartigen Mundharmonika-Einleitung über die konsequente Steigerung der Anspannung, dem leidenschaftlichen Gesang von Ville, der fast orgastischen Eruption zum Ende hin bis zu einem Gitarrensolo, für das ich direkt einen Kurs buchen würde. Outstanding! Natürlich ist auch textlich weiterhin alles dunkelschwarz wie es sich gehört und Songtitel wie 'Lower The Flags', 'Consider Us Dead' oder 'End Of The Road' (mit Kinderchor) gehen insbesondere vor dem Hintergrund der Auflösung an die Nieren. Diese hatte nämlich die Band einige Monate vor dem Release bereits proaktiv angekündigt. Als hätte die Band dort schon gewusst, dass es das perfekte Album werden würde.
Als besonderes Schmankerl hat es dann auch der Death-Metal-Ausflug 'Where Waters Fall Frozen' auf "The Funeral Album" geschafft und darf sicherlich so gewertet werden, dass die Truppe zum Ende hin noch Frieden mit ihren Anfangsjahren geschlossen hat. Interessanterweise wurde dieser Song dann auch das Intro bei der abschließenden "The Funeral Tour", bei welcher die Band auch auf dem "Rock Hard"-Festival und in Wacken Halt gemacht hatte. Das Abschiedskonzert selbst fand dann am 01. Oktober 2005 in ihrer Heimatstadt Oulu statt und wurde für die Nachwelt auf der empfehlenswerten CD/DVD-Veröffentlichung "Buried Alive" (inkl. dem alten Sänger Taneli Jarva) festgehalten. Hier ist dann auch analog zum letzten Studioalbum der bombastische Song 'End Of The Road' der Abschluss der Veranstaltung. Da ich die Band zumindest auf dem "Rock Hard"-Festival noch bewundern durfte, weiß ich, was für ein emotionaler Abend es für Fans der Band war.
Für mich wird "The Funeral Album" immer ein besonderes Stück Musik und der Beweis sein, dass man es tatsächlich schaffen kann auf dem Zenit aufzuhören und seinen Fans sogar ein Abschiedsgeschenk zu hinterlassen, welches die Melancholie, welche ein solcher Verlust mit sich bringt, nahezu ideal widerspiegelt.
Neben Stefan durfte auch ich den SENTENCED-Auftritt auf dem 2005er "Rock Hard"-Festival genießen und es war ein perfekter Abend, an den ich mich auch 18 Jahre später noch sehr gerne erinnere. Die Band war sehr gut drauf und konnte mit einem begeisterten Publikum und einer tollen Setlist, soweit ich mich erinnere, einen perfekten Abend feiern. Tatsächlich wäre es im Nachhinein der perfekte Rahmen für das letzte SENTENCED-Konzert auf deutschem Boden gewesen, jedoch spielten die Finnen ein paar Wochen später noch auf dem "Wacken Open Air". Auch an diesem Abend, dem definitiv letzten Konzert der Truppe in Deutschland, war ich dabei und leider konnte die Show nicht mit dem Auftritt auf dem "Rock Hard"-Festival mithalten. Das lag zwar nicht an der Band, aber am Publikum, das nachts um 2 Uhr offensichtlich zu müde war, um SENTENCED noch den verdienten Abschied von den deutschen Bühnen zu bescheren. Neben dem müden Publikum erinnere ich mich eigentlich auch nur noch daran, dass es, wie so oft, bei 'The Rain Comes Falling Down' angefangen hatte zu regnen. Irgendwie war das sinnbildlich für diesen Abend. Aber so hatte wenigstens der norddeutsche Himmel über Wacken aufgrund des Abschieds dieser Band ein paar Tränen verdrückt.
- Redakteur:
- Mario Dahl