In der Gruppentherapie: ANVIL CHORUS - "The Killing Sun"
27.12.2009 | 10:16ANVIL CHORUS transportieren gekonnt die 80er in die Neuzeit, ohne dabei altbacken zu klingen. Und das obwohl die Truppe bereits vor 30 Jahren begonnen hat. Mit "The Killing Sun" haben sie nun endlich ihr Debütalbum vorgelegt, das bei uns zum "Album des Monats" gekürt wurde.
ANVIL CHORUS lieferten sich im Dezember-Soundcheck ein heißes Rennen mit HEAVENLY und SIEGFRIED um den schlechtesten Bandnamen - ergebnisoffen, wie man so schön sagt. In der musikalischen Bewertung fällt die Chose etwas diffiziler aus, denn "The Killing Sun" verstrahlt sehr wohl etwas Licht, aber es gibt auch ziemlich viel Schatten. Ein paar gute Ideen gilt es zu konstatieren, aber die werden von den zahlreichen langatmigen und langweiligen Passagen schnell wieder zerstreut - da ist mir einfach zu viel kreativer Leerlauf vorhanden. 'Deadly Weapons' ist eine sehr griffige Nummer und freilich ein guter Auftakt, leider wird dieses Niveau im weiteren Verlauf nur noch selten erreicht ('Phase To Phase' dank seiner tollen Ohrwurm-Melodie und mit leichten Abstrichen noch 'Red Skies' und 'Tales').
Was für ein komisches Album! Da erwartet man nach den überzeugenden drei Stücken zu Anfang noch ein überdurchschnittlich gutes Werk ... und dann kommt fast nur noch heiße Luft. Oder treffender ausgedrückt: mehrheitlich lauwarmes Gedudel, das null Begeisterung entfachen kann. Die Melodien lassen erstaunlich kalt (mit ein paar Ausnahmen wohlgemerkt) und die Riffs den nötigen Kick vermissen (und ja, ich habe das Album auch laut gehört). Man nehme nur mal 'Man Made Machines', 'After Time', 'The Blade' oder 'Such Is Life' - das sind Songs wie eingeschlafene Füße. Und die permanenten Gitarrensoli nerven irgendwann auch, da für das ausschweifende Gegniedel die Songdienlichkeit deutlich zurückstecken muss. Somit schnellt "The Killing Sun" trotz vielversprechenden Auftakts nur knapp an der Kategorie "langweilig" vorbei, da immerhin ein paar gute Ansätze und zwei tolle Songs vorhanden sind, mir aber in der musikalischen Darbietung insgesamt eindeutig der Biss und die nötige Gradlinigkeit fehlen.
Note: 6,0/10
[Stephan Voigtländer]
Seit der Ankündigung der Reunion vor fünf(!) Jahren hat mich Freund und Kollege Holger in unregelmäßigen Attacken bearbeitet und mir erzählt, wie toll diese Band doch ist. Hörproben auf MySpace brachten bei mir allerdings keinen unkontrollierten Adrenalin- und Euphorieschub. Dennoch, als "The Killing Sun" endlich erschien, wollte ich es hören und mögen. Tja, und nun sitze ich hier und muss über eine Scheibe schreiben, die ich liebendgerne so toll finden würden wie sie einige machen und kann das nicht. Natürlich, der lebendig-dynamische Sound passt perfekt, viele Songs haben schöne Melodien, sind teilweise sogar catchy und die gerne an 80er-RUSH erinnernden Keys sind eine hübsche Zutat. Man darf aber nicht verschweigen, dass es mit 'After Time' auch einen Song gibt, der schlicht langweilt. Kein Feuer, kein Esprit, nix. Davon abgesehen habe ich vor allem meine Probleme mit Sänger Aaron Zimpel. Dessen Vocals sind irgendwie ein natürliches Grau. Die Emotionen, die hier bei einigen ausgelöst werden, empfinde ich nicht. Auf mich wirkt der Gesang beteiligungslos, als ob Aaron während des Singens konzentriert fernsieht. Und das ist für mich ein Punkt, der extrem negativ wiegt. Das ist schade, da Songs wie 'Deadly Weapons', 'Once Again', 'Death Of A Dream', 'Man Made Machines' oder 'The Blade' durch die Bank exzellent wären. Wenn sie nur einen kraftvollen Sänger hätten. Das ist dann bei mir auch der Kick, der fehlt, um ANVIL CHORUS abzufeiern. Wer aber den Gesang mag und generell auf traditionelle und/oder progressive Rock/Metal-sounds der 80er steht, wird mit "The Killing Sun" glücklich werden. Sehr glücklich sogar.
Note: 7,5/10
[Peter Kubaschk]
Jaja, der Spaßfaktor. Ich mag den. Das ist ein ganz Großer! Und wenn der dann noch gepaart ist mit technischem Finess und coolem Songwriting - ja, was soll da noch schiefgehen? Diese dreieinige Bruderschaft finden wir in in der großartigen Band ANVIL CHORUS. Sobald die drei Brüder mit 'Deadly Weapons' losreiten, entfesselt sich eine Heavy-Metal-Brachial-Gewalt-Welle, die das Jahr 2009 wunderbar beschließt. Haben sich mit RAM und WOLF schon zwei großartige Metal-Alben in diesem Jahr die Ehre gegeben, stellt "The Killing Sun" eine weitere Genre-Schau der Extraklasse dar. Die Zitate der Amis reichen quer durch die Geschichte des Schwermetalls und stellen in ihrer Zusammenstellung eine Reise von IRON MAIDEN bis ANGEL WITCH dar. Die spielerische Klasse von ANVIL CHORUS ist phänomenal. Gerade die Lead-Gitarren-Arbeit gehört zu dem Besten, was ich in Sachen Metal in letzter Zeit hören durfte. Das Spannende ist, dass gerade der Charakter der Gitarre sehr individuell ist und sich dadurch der Wiedererkennungswert und die Neugierde, was es noch alles zu entdecken gibt, immens sind. Wenn Kollege Kubaschk den Gesang kritisiert, muss ich für mich feststellen, dass Aaron Zimpel nicht nur grundsolide singt, sondern sich gerade im Gegensatz zur unheimlich starken Instrumentalfraktion im positiven Sinne einpasst und vielleicht sogar zurücknimmt. Das trägt allerdings nur zur Athmosphäre des Albums bei und zeigt, dass ein zu starker Sänger möglicherweise einfach zu viel gewesen wäre. Ich, als gitarrenorientierter Metal-Hörer, freue mich sehr über diese Art, Metal zu spielen und weiß, dass "The Killing Sun" noch häufig in meinen Player wandern wird. Rock!
Note: 9,0/10
[Julian Rohrer]
Große Worte eilten dem Album "The Killing Sun" voraus, US-Metal-Liebhaber kürten es sogar bereits zum Album des Jahres. Natürlich konnte ich es daher gar nicht abwarten, endlich dieses Meisterstück durch meine Gehörgänge flutschen zu haben, kannte ich ANVIL CHORUS bislang nur durch ein uraltes, abgenudeltes, übel rauschendes und mehrfach kopiertes Demo-Tape, das über alte Tape-Trader Kanäle Anfang der Achziger in meinen Besitz kam. Diese Songs mit ordentlicher Qualität? Was soll da schief gehen? Und siehe da, 'Deadly Weapons' ist genau das, was ich erwarte: Altmodischer, großartiger, geografisch eindeutig einzuordnender Metal (das Lied war auf meinem Tape nicht mehr drauf, da das Demo länger war als eine Seite einer 90er Cassette). An den folgenden starken 'Phase To Phase' und 'Man Made Machines' wurde kaum etwas verändert. Gut so. Dazwischen ein für mich neuer Song, 'Red Skies'. Wow, ein wirklich starkes Werk. Dann allerdings kommt ein Totalausfall: 'After Time' ist wirklich schrecklich. Auch einige andere Songs können das anfängliche Niveau nicht halten: 'Death Of A Dream' und 'Blue Flames' waren schon in den Achzigern nur ordentlich, erst mit dem epischen 'Tales' geht es wieder leicht aufwärts, aber die besten Tracks hat die Band eindeutig an den Anfang gestellt, vielleicht vom Rausschmeißer 'Once Again' abgesehen. Obendrein muss ich sagen, dass die doch sehr gewöhnliche Stimme des Sängers Aaron Zimpel irgendwie reizlos ist und den Songs Charakter nimmt, was erst mit einer ordentlichen Produktion offenbar wird. ANVIL CHORUS' Musik ist in die Jahre gekommen, und was mich vor mehr als zwei Dekaden mitriss, kann heute nicht mehr als ein Lächeln auf mein Gesicht zaubern. Das Album muss ich natürlich trotzdem haben, aber die allgemeine Euphorie kann ich leider nicht teilen. Ich würde aber trotzdem noch auf "The Killing Sun 2" hoffen, denn ANVIL CHORUS hatten noch einige andere gute Songs, die ich auch gerne in ordentlicher Qualität hätte wie zum Beispiel 'Blondes In Black' und 'Never Ending Night'.
Note: 7,5/10
[Frank Jaeger]
ANVIL CHORUS sind also unser Monatssieger geworden. Die kalifornische Band, die - ohne Newcomer zu sein - ihr Debütalbum im Jahre 2009 veröffentlicht, obwohl die ersten Schritte der Bandgeschichte uns bis ins Jahr 1980 zurück führen. Ist es also nostalgische Verklärtheit, wenn Kollege Holger die Band von A-Z abfeiert, weil ihn die Demotapes aus seiner Jugend einholen? Wenigstens ein Stückchen weit? Mag sein. Aber es ist mit Sicherheit weit mehr dran, an dieser Band und dieser Scheibe. Denn für mich, obwohl selbst auch nicht mehr ganz so jung und knusprig, ist "The Killing Sun" der Erstkontakt mit dieser fast vergessenen Band des Bay-Area-Undergrounds, und auch mich begeistert die Scheibe auf ganzer Linie! Der größte Trumpf sind dabei die unglaublichen Gitarrenleads, die bei allem Anspruch wunderbar nachvollziehbare und mitreißende Melodielinien zeichnen, die wirklich nicht von dieser Welt sind. Wo der Gesang unserem Peter zu grau und beteiligungslos vorkommt, wirkt er auf mich zwar konzentriert, dabei aber angenehm unaufdringlich und dennoch emotional. Er ist in der Tat nicht exponiert, sondern er ist wie ein weiteres Instrument, das im Kontext der Musik sein zu Hause hat und auf diese Weise besonders lebendig und organisch wirkt. Aaron Zimpel leidet musikalisch nicht an Lead-Singer-Disease und drängt sich nicht in den Vordergrund und liefert auf diese Weise ein Musterbeispiel für band- und songdienlichen Gesang ab, der aber trotzdem charakteristisch und schön ist. Er lässt es erst wirklich zu, dass die Herren aus San Francisco es trotz ihrer vielfältigen Einflüssen aus Prog, US-Power-Metal und melodischem Thrash schaffen, ein homogenes Gesamtwerk mit rotem Faden zu erschaffen, das weit mehr ist, als die Summe seiner Einzelteile. So bleibt eine großartige Scheibe, die sehr eindrucksvoll beweist, dass nicht jede Reunion alter Demobands aus den Achtzigern für die Katz ist. Ich für meinen Teil bin jedenfalls vom Fleck weg begeistert! Ja Frank, auch von 'After Time'.
Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]
- Redakteur:
- Peter Kubaschk