In der Gruppentherapie: IN FLAMES - "A Sense Of Purpose"

04.04.2008 | 13:23

Das am 4. April bei Nuclear Blast erscheinende IN FLAMES-Album "A Sense Of Purpose" dürfte zu einer der am kritischsten beäugten Platten des aktuellen Jahres gehören. Fans, die den Schweden spätestens seit "The Jester Race" die Stange halten, fragen sich ängstlich, ob sich die auf dem Vorgänger "Come Clarity" leicht angedeutete "back to the roots"-Einstellung der Herren Fridén, Strömblad, Gelotte, Iwers und Swensson vielleicht noch einmal zu einem Meilenstein der Sorte "Clayman" oder "Colony" führen könnte. Jüngere Anhänger, die vor "Reroute To Remain" noch nie etwas von "Death Metal made in Gothenburg" gehört haben (und ihn irgendwie auch viel zu "hart" finden) interessiert hingegen eher die Hitdichte unter den neuen Werken. Zwölf POWERMETAL.de-Redakteure haben sich eingehend mit dem Longplayer beschäftigt und vermitteln euch in den nachfolgenden Statements ein umfassendes Meinungsbild. Auf wessen Seite ihr euch schlagt, müsst ihr jedoch selbst entscheiden.

 

Ich weiß nicht so recht, was ich zum neuen Wurf von IN FLAMES sagen soll? Gut gespieltes, tightes Album? Ja, sicher, erwartet man ja auch. Kompositorisch hochwertige Metalkost mit Wiedererkennungswert? Mitnichten, leider. Oh Mann, ich hatte ja so gehofft, dass sich die Schweden aus dem gebetsmühlenartigen Wiederholungsgeschrammel der letzten beiden Scheiben freischwimmen können, aber "A Sense Of Purpose" setzt dem Ganzen leider die poppig gefärbte Metallkrone auf. Waren im Backkatalog bis einschließlich "Reroute To Remain" Innovation und Hooklinegarantie in der Axtriege oberste Priorität, geht der neuen Scheibe in dieser Hinsicht wirklich alles ab. Die Strophen, Refrains und Melodieführungen gleichen sich beängstigend, ebenso die Grooves und Vibes im Gesang. Alles klingt irgendwie lahm und uninspiriert und letztendlich wie am Reißbrett konstruiert. Lediglich 'The Chosen Pessimist' verleiht als erster Longtrack der Bandgeschichte Licht im Dunkeln, und IN FLAMES beweisen hier auch mal wieder Mut zur Lücke, was ihnen definitiv gut zu Gesicht steht. Ansonsten fällt mir jetzt wirklich nichts Positives zum Album ein. Vielleicht bewerte ich hier auch zu kritisch, da ich beinharter Fan bis einschließlich "Clayman" bin. Aber die funkensprühende Energie in jedem Instrument der alten Aufnahmen findet sich auf dem glattpolierten Silberling anno 2008 in keiner Rille mehr. Gute Band? Sicher. Und dennoch in meinen Augen verschenkte Produktionskosten.

[Alex Straka]

 

Dass IN FLAMES sich immer mehr von ihren Todesblei-Wurzeln mit AT THE GATES-Einfluss entfernen, dürfte nicht erst seit diesem Album bekannt sein, und so darf man auch anno 2008 keine neuen Death-Metal-Wunder von den Göteborgern erwarten. Denn IN FLAMES machen das, was sie mittlerweile am besten können: modernen Metal mit poppigen Rythmen, eingängigen Melodien und tanzbaren Gitarrenriffs (ja, so etwas gibt es!) - und das machen sie auf "A Sense Of Purpose" in gewohnt straighter Art. Auf der einen Seite glänzt das Album durch erwartungsgemäße Hit-Songs wie 'Disconnected' mit Mitsingrefrain und Mithüpfgarantie oder das arschtretende 'Sober And Irrelevant' (netter Titel auch *g*). Auf der anderen Seite wirken die Songs aber schnell ziemlich leer und allesamt viel zu ähnlich und zu vorhersehbar in ihrer Struktur. Da stechen die wahren Überraschungen angenehm hervor, allen voran das völlig untypische 'The Chosen Pessimist' mit Gänsehaut-Faktor, Bombast pur und viel mehr Emotionen, als man das von IN FLAMES gewohnt ist. Der Song ist zudem mit mehr als acht Minuten einer der längsten in der Bandgeschichte und begeistert durch angenehm frische Ideen zwischen dem Göteborger-Einheitsbrei, der mir sonst viel zu wenig nach Abwechslung schreit. Aber auch 'Alias' reiht sich schnell in meine Favoritenliste ein, auch wenn dieser Song das Potenzial zum MTV-Dauerrotierer hat, doch vielleicht macht gerade das den Charme des super Ohrwurms aus. Und der tolle Akustik-Gitarrenpart in der Mitte könnte glatt aus den guten alten Zeiten stammen (ich denke da nur an 'Moonshield'). "A Sense Of Purpose" ist zwar kein bahnbrechendes Album und wird beinharten Fans der alten IN FLAMES-Schule sicher wieder ein Dorn im Auge sein, doch wer sich für modernen Metal und die neue IN FLAMES-Ära begeistert, der kann hier eigentlich fast blind zugreifen (und das "blind" ist jetzt ausnahmsweise mal ernst gemeint, denn das Coverartwork gehört zum Hässlichsten, das ich seit Jahren auf einer CD-Hülle gesehen habe!).

[Caroline Traitler]

 

 

Die neue Scheibe fängt da an, wo der Vorgänger aufgehört hat. Oder besser gesagt: fängt genauso an und hört ähnlich auf. Soll heißen: Anfangs grooviges Geboller und ein paar lieblichere Töne, während sich die eigentlichen Perlen weiter hinten verstecken. 'I'm The Highway', 'Sober And Irrelevant' und 'Drenched In Fear' besitzen nämlich ein paar Killerriffs, wie sie die Herzen der Fans der alten Göteborger Schule höherschlagen lassen. Und mit 'March To The Shore' wird der vielleicht beste Song gar auf den hintersten Platz beordert. Los geht’s dagegen ähnlich wie zuletzt auf "Come Clarity": Die Singleauskopplung 'The Mirror´s Truth' holzt mit ordentlich viel Doublebass und ein bisschen typischem IF-Gefiedel los, während das folgende 'Disconnected' in eine ähnliche Kerbe schlägt. Alte Fans wird's freuen, dass der Härtegrad wieder deutlich angezogen wurde. Anhänger neueren Materials werden sich eher auf die groovigeren Songs stürzen, müssen diesmal jedoch auf den zuletzt typischen Tanzflächenhit verzichten. Mit 'Sleepless Again', 'Alias', 'Delight And Angers' oder 'Move Through Me' gibt es zwar gleich mehrere pontenzielle Kandidaten dafür - inklusive kurzer Keyboard- und Akustikgitarren-Einsätze -, allerdings erschließen sich einem die Melodien nicht immer beim ersten Hinhören, und manche Refrains zünden erst beim zweiten Durchlauf. Einige werden die Ballade 'The Chosen Pessimist' anführen – aber wenn sich IN FLAMES schon an einen achtminütigen Song wagen, hätte ich doch etwas mehr erwartet, als die ersten drei Minuten immer wieder ein und dieselben Gitarrennoten zu wiederholen.

Dennoch: "A Sense Of Purpose" ist wieder ein grooviges, bisweilen recht vorwärts walzendes Album geworden. Mit sehr vielen versteckten Details, die tatsächlich wachsen, wenn man ihnen ein paar Durchläufe mehr als gewohnt gönnt. Wer den Vorgänger "Come Clarity" mochte, wird auch beim Neuling zugreifen. Und alte Fans, die - nicht immer grundlos - "Clayman" nachtrauern, werden glücklich sein, dass IN FLAMES die Experimente seit "Reroute To Remain" und "Soundtrack To Your Escape" wieder deutlich runtergefahren haben. Und öfter sogar alte Stärke aufblitzen lassen.

[Carsten Praeg]

 

"Verrat an den eigenen Idealen" oder "der kontinuierliche Niedergang einer der bedeutsamsten Bands des frühen Jahrtausends", usw. Die Aussagen der Fans waren eindeutig, nachdem die Mannschaft um den Marktschreier Anders Fridén vor zwei Jahren mit "Come Clarity" vergeblich versuchte, die alten Stärken mit dem im Laufe der Jahre hinzugewonnenen modernen Antlitz zu vereinen. Anstatt das blau und gelb angemalte Denkmal zu verfeinern, riss man es kurzerhand in Schutt und Asche. Doch IN FLAMES wagen anno 2008 einen neuen Versuch, sich wieder in die Herzen zu spielen. Ein Versuch, den es nun mit "A Sense Of Purpose" kritisch zu beäugen gilt. Drei Durchläufe später scheint der Fall klar und fertig für die Akten zu sein. Die Buchhaltung darf diese fünf Schweden gut und gerne außerplanmäßig und ohne Erinnerungswert abschreiben. Wo ist sie hin, die Leichtigkeit? Wo ist es hin, das unabdingbare Hitpotenzial? Stattdessen quält sich der Hörer, nein, der einstige Fan durch zwölf scheinbar lieblose Kompositionen, die den Faden des ungeliebten Vorgängers weiterspinnen. Gute fünfzig Minuten der Belanglosigkeit, in denen nichts, aber auch gar nichts hängen bleiben will.

HALT! Moment. Okay, als fairer Sportsmann geben wir den Mannen noch eine Chance, oder auch zwei, drei. Und tatsächlich. Nein das hat nichts mit "schönhören" zu tun. Zur allgemeinen Überraschung muss ich plötzlich feststellen, dass von Zeit zu Zeit doch nicht alles so schwarz zu sehen ist. Klar, die Qualität von Smashern wie 'Pinball Map' oder 'Cloud Connected' wird auf "A Sense Of Purpose" zu keiner Zeit erreicht. Damit kann man sich aber auch schnell abfinden, wenn man nach und nach konstatiert, dass die zwölf Tracks zumindest in der Breite ein sehr gutes Bild abgeben. Die Erkenntnis kommt spät, aber sie kommt. Stücke wie die Single 'A Mirror's Truth', 'Disconnected' oder 'Delight And Angers' weisen es dann doch wieder auf: das den Schweden erst noch abgesprochene Hitpotenzial!

[Christian Falk]

 

 

Ach, Kinners. Was habt ihr alle? Was die Göteborger Metalclique mit "A Sense Of Purpose" abliefert, ist doch mal derbst zünftig. Irgendwo zwischen aggressivem Underground-Riffgewitter und wunderbar kommerziellen Pracht-Refrains. Ja, auch nach Kommerz riecht die inzwischen achte Scheiblette - genauso wie ihr Vorgänger "Come Clarity". Und das ist auch gut so! Das ist genau der Grund, warum mir vorliegendes Album nicht mehr aus dem Ohr geht. Ja, voll untrue. Aber es ist die perfekt passende Symbiose. Für Leute in Baggys mit Metal-Affinität genauso zu empfehlen wie für nietenübersäte Dunkelheimer (es leben die Stereotype!). Seien es die erste Singleauskopplung 'The Mirror's Truth', das experimentelle 'The Chosen Pessimist', die Hymne 'Drenched In Fear' ... ach, jeder Song ein Hit! Sicher: IN FLAMES erfinden das Rad auf keinen Fall neu, aber sie entwickeln es exponentiell weiter. Denn man kann sagen, was man will, "A Sense Of Purpose" macht einen gaaanz großen Schritt in Richtung der Perfektionierung des Genres. Obwohl man sogar hier die Ecken und Kanten schön ungewogen ließ. Und da kann Kollege Dorn mit seiner Emo-Lyrik-Kritik bei 'Disconnected' kommen, wie er will: Selbst hier rundet der vermeintlich pubertär klingende Ausschrei "I feel like shit, but at least I feel something" in erster Linie die Stimmung des Songs ab und unterstreicht in zweiter Linie, wie sehr sich Frontsau Anders Fridén in seiner Gesangstechnik weiterentwickelt hat. Hach, genug der Lobeshymnen.

[Daniel Schmidt]

 

"IN FLAMES don't follow trends, they create them!" heißt es auf dem Werbebanner zum aktuellen Longplayer "A Sense Of Purpose", und was die Anfänge der Schweden betrifft, so würde ich diesen Satz auch blind unterschreiben - kaum eine andere Göteborg-Formation wird so oft zitiert und kopiert wie sie. Doch inzwischen tanzen Anders Fridén und Co. auf dem schmalen Grat zwischen ihren musikalischen, wenig massentauglichen Wurzeln und dem immer größer werdenden kommerziellen Erfolg. Und je weiter sie sich vom melodischen Todesblei wegentwickeln, umso mehr schreien die Fans der ersten Stunde "Ausverkauf!". Zu Recht?

Nun, Mut zur Trendsetzung findet man auf "A Sense Of Purpose" nicht. Natürlich gibt es immer noch die prägende Gitarrenarbeit aus dem Hause Strömblad/Gelotte, für welche die Göteborger berühmt wurden, keift Herr Fridén immer noch überwiegend ganz und gar angepisst zum Uptempo-Beat. Doch dazwischen finden sich zuweilen arg penetrante Loop-Effekte und tonnenweise Sing-mit-Refrains, die der Sache einfach die Glaubwürdigkeit nehmen - und den Songs die jeweils eigene Note. Wirkliche Höhepunkte auszumachen, fällt in den dafür viel zu gleichförmigen Strukturen schwer. Ganz im Gegenteil, manche Tracks (allen voran das im "Und jetzt alle mal die Hände hoch"-Mitklatschrythmus gehaltene 'Alias') kratzen aufgrund ihrer aufdringlichen Eingängigkeit sogar dezent an meiner Toleranzgrenze. Und dann kommt die Überraschung ausgerechnet in Form der achtminütigen Slow-Motion-Ballade 'The Chosen Pessimist', in der auf herrlich beruhigende Art erst mal gar nicht viel passiert und dann ganz großes Gefühls-Kino aufgefahren wird. IN FLAMES = Death Metal? Nein, das war einmal. Und je weniger Todesblei, umso besser, so scheint es. Obwohl der folgende Track 'Sober and Irrelevant' schon noch ordentlich knallt und das Herz des Old-Schoolers richtiggehend erwärmt. Das hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erwartet. Von diesen rühmlichen Ausnahmen einmal abgesehen überrascht "A Sense of Purpose" jedoch nicht im Geringsten. Weder im Positiven noch im Negativen. Denn mit hochklassigem Songmaterial rechne ich bei IN FLAMES einfach nicht mehr.

[Elke Huber]

 

 

IN FLAMES-Alben sind immer ein bisschen wie Weihnachten. Man freut sich tierisch drauf, hofft auf die große Überraschung und geht schließlich dann doch mit einem mulmigen Gefühl ins Bett. Leider fühlt es sich gerade am Anfang von "A Sense Of Purpose" nicht groß anders an. Vieles rauscht unbemerkt an einem vorbei, auch wenn gerade im Detail viel richtig gemacht wurde. Warum 'The Mirror's Truth' und 'Disconnected' als Einstieg direkt aufeinander folgen, obwohl beide nahezu identische Refrains besitzen, bleibt ein Geheimnis. Doch das Album steigert sich im weiteren Verlauf. In den Momenten, in denen die Schweden den eng gesteckten musikalischen Rahmen erweitern oder sogar verlassen, entstehen die Highlights dieser Scheibe. 'Sleepless Again' oder auch 'Alias' lassen sich zwar eindeutig dem Anforderungsprofil der Schweden zuordnen, können aber mit leicht vertrackten Strukturen und einem beherzten Einsatz der Synthies glänzen. Doch das Sahnestück ist ohne Frage 'The Chosen Pessimist', ein achtminütiger Deprikracher, der dich ganz tief runterziehen kann. Ein behäbiger Beginn, Anders' verstörender Gesang, jede Menge Überraschungen und unerwartete Wendungen lassen 'The Chosen Pessimist' zu dem vielleicht besten, aber auf jeden Fall ungewöhnlichsten IN FLAMES-Song der letzten Jahre emporsteigen. Er zwingt dich einfach, ganz genau hinzuhören. Dieser erhöhten Konzentration ist es auch zu verdanken, dass man die nachfolgenden Tracks intensiver wahrnimmt und dadurch erst so richtig in den Genuss des Albums kommt. IN FLAMES-Fans können beherzt zugreifen - altbewährte Qualität trifft auf Innovation! Wobei ich mir beim nächsten Album noch mehr Mut wünsche - denn der wird schließlich belohnt!

[Enrico Ahlig]

 

Schon seit "Reroute To Remain" tue ich mich mit jedem IN FLAMES-Album schwer. Immer erwarte ich "Clayman", und immer bekomme ich etwas anderes, wofür ich erst mal eine neue Schublade finden muss, um das Album da reinzustecken. Und erst wenn die Schublade da ist, zündet das Album ("Soundtrack To Your Escape") oder nicht ("Come Clarity"). Genauso verhält es sich natürlich auch mit der neuen Scheibe, und genauso lange wie bei den anderen Scheiben dauerte es auch, bis da endlich irgendetwas zündete. Auf der einen Seite tatsächlich hart geschrubbte Riffs und Gitarren- bzw. Keyboardlinien, die eigentlich zünden müssten. Und auf der anderen Seite sich ähnelnde Refrains, die so happy und eingängig sind, dass sie fast aus dem Ohr fliegen. Und natürlich 'The Chosen Pessimist', der in seiner Traurigkeit versinkt und eher das böse "Emo"-Wort hervorruft als einen Haarflug. Und dennoch, mit der Bissigkeit von zwei Minuten lang gekochten Nudeln hielt ich mich an dem Werk fest, und siehe da, es läuft. Natürlich nicht so, wie es laufen müsste, das Kultalbum des Jahres wird es nie - zu locker, zu flockig. Aber dennoch, genauso wie mir etwa 'Bottled' auf "Soundtrack To Your Escape" letztlich doch gefiel, machen sich auch jetzt Songs wie 'Move Through Me' oder 'Disconnected' in meinem Ohr breit, auch wenn sie dort nur schwer akzeptiert werden. Doch zurzeit muss man leider dem Metal Hammer zustimmen, der den Namen IN FLAMES neben METALLICA stellte. Aber ich will kein "Load" oder "Reload" mehr, ich will mein "Ride The Lightning" wieder und erwarte bald das "St. Anger"-Album von IN FLAMES!

[Lars Strutz]

 

 

Einfach ein Ohrwurm. 'Alias' killt das Gehirn. Und genau dieser Song ist es, der dem neuen IN FLAMES-Album "A Sense Of Purpose" den nötigen Hit beschert. Doch auch sonst haben sich die Göteborger Buben mit Ruhm bekleckert. Ihr aktuelles Album strotzt nur so vor eingängigen Melodien und Riffs. Und wirkt, als wäre es für die großen Stadien dieser Welt erschaffen worden. Dort wollen IN FLAMES schließlich spielen - und werden es mit dieser Scheibe im Rücken auch tun. Das Problem haben nur Fans von komplexeren Metal-Sounds, für solche Leute dürfte "A Sense Of Purpose" wie ein weiterer Baustein zum Ausverkauf einer einstigen Underground-Band wirken. Doch müssen sich die Schweden darüber ein Kopf machen? Nein. Denn ihr Gefühl für Arrangements und Melodien ist immer noch so groß, dass in keiner Sekunde ihres neuen Albums Langeweile aufkommen mag. Ein Songname wie 'Move Through Me' wird da fast schon zum Motto für den Wert dieser Platte.

[Henri Kramer]

 

Ich sag's gleich vorweg: Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich Zugang zu "A Sense Of Purpose" gefunden habe. Das mag daran liegen, dass ich als IN FLAMES-Gelegenheitshörer größere Schwierigkeiten habe, die frühen Melodic-Death-Klassiker aus dem Kopf zu bekommen, als jemand, der alle Metamorphosen dieser eindrucksvollen Truppe genau verfolgt hat. Die einfachere und wohl zutreffende Erklärung ist, dass IN FLAMES zu den wenigen großen Acts gehören, die sich mit jeder Platte neu erfinden. Deshalb tut man gut daran, möglichst ohne Erwartungen an eine weitere Scheibe der Göteborger Pioniere heranzugehen.

Was also gibt es auf "A Sense Of Purpose" zu entdecken? Da stößt man zunächst auf hoch melodisches, warmblütiges Kraftfutter wie 'The Mirror's Truth' und 'I'm The Highway' (welch anbetungswürdige Hookline!), packende Nummern mit mächtiger Langzeitwirkung. In 'Disconnected' und dem grandiosen 'Sober And Irrelevant' verbinden IN FLAMES messerscharfe Thrash-Attacken mit eindringlichem Gänsehaut-Feeling im Chorus. Die Gitarren singen, schnurren und beißen im ständigen Wechsel und rauben dem Hörer förmlich den Verstand. Verzauberte Melancholie umkreist leicht entrückte Nummern wie 'Sleepless Again' oder 'The Chosen Pessimist'. Moderne, treibende Grooves tragen 'Move Through Me' und das tonnenschwere, in der Eröffnung fast CROWBAR-kompatible 'Condemned'. Und wo immer man hinschaut, thronen über dem Geschehen diese magischen, unter die Haut gehenden Breitwand-Refrains, die inzwischen zum Markenzeichen für IN FLAMES geworden sind.

Die unterm Strich hervorstechendsten Charakteristika von "A Sense Of Purpose" sind die mitreißenden, lupenreinen Thrash-Riffs und die zunehmende Tiefe und Eleganz der Melodien. Die wenigen Längen kann man bei dem Überangebot an Klasse und Niveau schon verschmerzen.

[Martin van der Laan]

 

 

Ganz egal, wie man zu IN FLAMES auch stehen mag - es gibt einige Tatsachen, aufgrund derer man den Südschweden Respekt zollen sollte. Beispielsweise wäre dies ihre Beteiligung an der Entstehung eines nicht unbedingt unbeliebten Metal-Genres namens Melodic Death Metal. Doch nicht nur in dieser Hinsicht zeigten sich Fronter Anders und Co. durchaus kreativ, auch muss man dem Quintett zugestehen, dass es sich stets von Platte zu Platte merklich weiterentwickelt hat. Bereits "Colony" oder "Clayman" waren meilenweit von dem entfernt, was die Truppe zu Beginn der Neunziger auf "Lunar Strain" oder "The Jester Race" fabriziert hatte.

Nachdem sich die Göteborger mit der Tonmensch-Produktion in einer akustischen Sackgasse wähnten, sollte ein Wechsel des Produzenten auch einen neuen IF-Sound kreieren - Mission gelungen, Fans vergrault. So oder so ähnlich ließe sich das Fazit zu "Reroute To Remain" zusammenfassen. Cleane Refrains fanden festen Einzug in das Repertoire der Nordmannen, der Gesamtklang wurde fetter, tiefer, matschiger. Das simple Riff glitt den Gitarreros Gelotte und Strömblad wieder locker-leicht aus den Ärmeln, und plötzlich war der ganze Kram mainstreamtauglich. Oho. Schade nur, dass die Jungs mit "Soundtrack To Your Escape" auf Nummer sicher gingen, sich quasi selbst kopierten und zum ersten Mal in ihrer steilen Karriere auf der Stelle traten. Umso feiner jedoch, dass das letzte Studiowerk "Come Clarity" wieder Schritte nach vorne zu bieten hatte: 'Take This Life' sowie 'Crawl Through Knives' bestachen durch Aggression und hohes Tempo respektive einen Refrain, der wohl auf Jahre hinweg in etlichen Gehörgängen fest verankert sein wird. 'Leeches' und besonders 'Reflect The Storm' zeigten, dass auch die balladeske sowie emotionale Seite von IN FLAMES nach wie vor stark unterschätzt wird.

Nun liegt mit "A Sense Of Purpose" der neunte Streich aus dem schwedischen Metal-Mekka vor, und erneut lässt sich feststellen, dass der Fünfer vorwärts marschiert. So hat nicht nur Anders seinen Gesang insbesondere im klaren Bereich weiter verfeinern können - dass er in manchen Ohren durchaus weinerlich klingen mag, kann ich nachvollziehen, aber immerhin trifft er die anvisierten Töne auch -, auch die Herren an den Sechssaitigen scheinen kreative Anfälle gehabt zu haben. So flirren und quietschen Unmengen an fast schon klassisch-metallisch anmutenden Soli quer durch das Songmaterial, und besonders die schick anzuhörende Slide-Technik hat's Björn und Jesper angetan. 'I'm The Highway', eines der absoluten Highlights des neuen Silberlings, wird dadurch im Refrain noch viel grandioser, als es ohnehin schon ist - mit dreistimmigem Gesang inklusive durch hohes Drum-Tempo kontrapunktierte Hymnenhaftigkeit. Lecker! 'Sleepless Again' bleibt ebenfalls aufgrund des Chorus haften, während 'Alias' der mittlerweile obligatorische 'Only For The Weak'-Track des Albums ist. Herauszuheben ist weiters 'The Chosen Pessimist', der absolut erste Longtrack der Bandgeschichte, der es auf über acht Minuten bringt. Wirkt zwar teils ein wenig in die Länge gezogen, kann aber aufgrund von Stimmung und Atmosphäre auf jeden Fall punkten. Stark. Auch 'March To The Shore' ist ein echter Killertrack geworden, der Härte, Tempo und Eingängigkeit leichtfüßig vereint. Die restlichen Songs sind allesamt mindestens (!) Durchschnittsware, haben aber ebenfalls allesamt die Fähigkeit, zu Ohrwürmern zu gedeihen - nur braucht es dieses Mal durchaus etwas länger, bis alles hängen bleibt.

Lediglich bei Textzeilen wie "I feel like shit, but at least I feel something" ('Disconnected') möchte man randalieren und IN FLAMES das pubertäre, emo-hafte Gehabe am liebsten um die Ohren hauen. Aber sei's drum, denn insgesamt ist auch "A Sense Of Purpose" wieder einmal Qualitätsarbeit geworden, wie man sie von der Band gewohnt ist. Schade nur, dass den einzelnen Kompositionen oftmals eher der Eindruck der Pflichterfüllung anhaftet, als dass es sich um richtige Überflieger handelt. Wäre mal wieder an der Zeit, ein richtiges Über-Album zu produzieren, nicht?

[Rouven Dorn]

 

Ohne jemals ein wirklicher Fan der flambierten Schweden gewesen zu sein, fand ich den von ihnen mitbegründeten Melodic Death Metal der Neunziger, so wie sie ihn einst im Mai auf "The Jester Race" zelebrierten, schon irgendwie toll. Leider hat sich die Band im Laufe der Jahre davon immer weiter entfernt, so dass ich mit den letzten paar Alben von Anders, Jesper und Co. schon so meine Probleme hatte. Der große Modern-Metal-Fan vor dem Herren bin ich ja nun wahrlich nicht. Eine Kehrtwende in meinem persönlichen Verhältnis zu IN FLAMES leitete dann das vorletzte "Bang Your Head!"-Festival ein, wo die Jungs als Headliner so ziemlich alles wegbliesen und mir live eindringlich vor Ohren und Augen führten, wie intensiv man sowohl mit ihrer alten als auch mit ihrer neuen stilistischen Ausrichtung rocken kann. So ging ich an das neue IN FLAMES-Werk doch mit einigem mehr an Spannung heran, und diese sieht sich in Tracks wie dem starken, druckvollen Opener 'The Mirror's Truth' und dem verhältnismäßig stark an die Melo-Death-Vergangenheit erinnernden 'Disconnected' dann auch ein Stück weit gerechtfertigt. Einige weitere Stücke ließen mich jedoch mit dem inzwischen für die Band ebenso prägenden moderneren Anstrich und schlichtweg fehlenden kompositorischen Highlights doch ziemlich kalt und unberührt, wenn da nicht immer wieder einige geniale Gitarrenleads oder auch mal ein wenig akustisches Zwischenspiel zu vernehmen wären.

So schaffen es die Göteborger auch bei den durchschnittlicheren Stücken immer wieder, den Hörer doch noch weitestgehend auf ihre Seite zu ziehen, auch wenn die wirklichen Überflieger insgesamt eher dünn gesät sind. Auffällig ist, insbesondere bei 'I'm The Highway', der Halbballade 'The Chosen Pessimist' und 'Delight And Angers', dass Anders auch weiterhin - oder besser: mehr denn je - auf eine Mischung aus klarem Gesang und Keifen setzt. Die weit verbreitete Kritik an den cleanen Vocals kann ich insoweit gar nicht mal unbedingt nachvollziehen, weil gerade 'Delight And Angers' ganz ansprechend gesungen ist. Doch das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass zum Beispiel mit 'Move Through Me' oder 'Alias' einfach auch jede Menge Stücke vorhanden sind, die zwar nicht unbedingt schlecht sind, dafür aber eher wirkungslos verpuffen und ohne zwingende Momente auskommen müssen. Kurz gesagt, mit der neuen Scheibe von IN FLAMES darf ich feststellen, dass mein Eindruck vom BYH zwar nicht trog, aber eben dahingehend zu deuten war, dass die Schweden mit ihren Highlights immer überzeugen konnten und können, egal ob klassisch oder modern. Dass ihre Alben seit geraumer Zeit aber bei weitem nicht mehr nur aus solchen Highlights bestehen, darüber kann ein genialer Headliner-Gig ebenso wenig hinwegtäuschen, wie es "A Sense Of Purpose" widerlegen kann. Trotz allem ein gutes Album, das den durchschnittlichen Fan der neueren IN FLAMES sicher nicht enttäuschen wird.

[Rüdiger Stehle]

 

Redakteur:
Elke Huber

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